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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 22.1912

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Heft 3
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Hesse, Hermann: Zwischen Winter und Frühling: ein Brief von Hermann Hesse
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Mühlestein, Hans: Buonarotti: drei Gedichte
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https://doi.org/10.11588/diglit.26494#0118

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Zwischcn Winter und Frühling.

wir bald überaus vorsichtig und wirklich selbständiger
geworden sind.

Also von den Frühjahrsarbeiten und vom Blumen-
kohl schreibe ich ein andermal. Jn ein paar Tagen fahren
wir wieder heim, dann will ich daran denken. Man spürt
nämlich den Frühling auch hier schon ganz wohl, trotz
der kalten Nächte und des Schnees. Es ist ein Föhn in
der Luft, der noch nicht recht herauskommt, aber seit
vorgeftern in der Höhe herumdrückt und die sonder-
barsten Spielereien treibt. Gestern vormittag habe ich
auf einem Skiausflug dem eine Weile zugesehen und
meine Freude daran gehabt wie ein Goldschmied an
schönen Edelsteinen. Der Föhn ist doch das Schönstc
in den Bergen, wenn er auch Schnee und Wetter ver-
dirbt! Jch bin viel unterwegs gewesen und habe viel
Schönes und Tolles gesehen, aber die Lichter und Wolken
von gestern haben mich überrascht, wie wenn ich zum
erstenmal im Leben aus dem Hause und unter die Sehens-
würdigkeiten der Natur käme.

Wir hatten einen etwas bcschwerlichen Aufstieg,
doch ohne Gepäck, und fanden dann, etwa zweihundert
Meter höher als Pany, eine wunderbare Aussicht gegen
die Scesaplana hinüber und auf der anderen Seite
ins Prättigau und die Silvrettaberge, vor uns eine
phantastisch schwarze, kalte Schlucht, vor deren Steile
man jedesmal beim Hinunterblicken unwillkürlich die
Skispitzen ein wenig zurückzog. Dann war ein großes
Schneefeld da, fast ganz eben und eishart, darauf lief
man wie auf Schlittschuhen über Spiegeleis. Und zu-
fällig sah ich mich einmal nach der Sonne um, da
merkte ich erst das Föhnspiel in der Höhe. Unten bei uns
stand die Luft klar und regungslos, nur das Licht war
goldig weich und frühlinghaft. Aber droben am wenig
bewölkten Himmel stoben die schnurrigsten Windwirbcl
und zerrten kleine Wolkenbänke mutwillig zausend zr>
haardünnen, federartigen Gekräuseln auseinander, die
in Minuten entstanden und vergingen, während nahe
dabei schöne weißgelbe Wattewolken völlig ruhig schwam-
men. Wir sahen dem sonderbaren Spiel eine Weile
mit Verwunderung zu, und da tat der Himmel etwas
Besonderes und gab uns ein Schauspiel, das ich so feuer-
werkhaft erzentrisch und dabei so verklärt und herrlich
noch nie gesehen hatte. Auch unser Führer, der da oben
daheim ist, sagte, er habe das noch nie gesehen. Der
merkwürdige Wirbelwind trieb ganz plötzlich eine kleinc
feste Wolke wie Schaum auseinander, bis zum allerfeinsten
wolligen Gefaser, und zugleich kam das seltsame Wolken-
bild so zur Sonne zu stehen, daß es vier, fünf Minuten
lang in den brennendsten Regenbogenfarben aufleuchtete.
Es war ganz aufgelöst und farbig durchglüht von dem
kühlen grünen Jrislicht wie eine große, gegen die Sonne
schwebende Seifenblase, und hatte solche heftige und doch
abgestimmte Farben wie etwa manchmal ein auf einem
Flußspiegel treibender Olfleck. Nur war der Spiegel,
auf dem dieses Farbenspiel hintrieb, ein weiter schim-
mernder Sonnenhimmel voll zarter Farben.

Du bist wie ich ein etwas verwöhnter Naturfreund,
der gerne das Besondere sieht und sucht und dem ein
wunderliches Naturspiel gelegentlich so wohl tun kann
wie ein Segantini oder der Satz einer Mozartsymphonic.
Wenn Du dabei gewesen wärest und hättest unsere

Farbenwolke gesehen, so würdest Du künftig jeden
Winter mit Schneeschuhen in die Berge gehen, nur um
vielleicht wieder einmal dieses seltene Wunder vor die
Augen zu bekommen.

Also, auf Wiedersehen am See, und gute Wünsche
von Deinem H. H.

uonarotti.

Drci Gedichtc von Hans Mühlestein.

I.

Buonarotti denkt an den Tod Vittorias.

Ich kam vom Flur zur Tür und stand —
und kniete ins Gemach.

Jch küßte deine weiße Hand:
und meine Welt zerbrach.

Jch ging und richtete dein Grab:
ich wölbte Rom den Dom.

Jetzt horch ich in die Welt hinab,
hör einen fernen Strom.

Die Aeit verstrich'. Die Ieit verblich.

Nun sind es siebzehn Jahr.

Nun bist du nah! Bald schaue ich
wie nie im Dunkel klar!

Bald küß ich, was ich nicht vermocht'
in jener dunklen Stund,
dein Haar, das dein Gesicht umflocht,
dein Aug und deinen Mund.....

II.

Letztes Werk.

Kommt über mich entsetzlichstes Erleben:
der Schauer des behaunen Steines, der
den Händen Buonarottis wiberstand.

Was martert mich, was hält mich hier gebannt,
welch maßlos Mächtigem bin ich hingespannt?

Muß ich, Prometheus gleich, die Leber geben?

Hab ich ein Qualgesetz der Welt erkannt?

Nicht Volksgeschick, nicht blühender Städte Brand
macht mich im Dunkelsten der Seele beben,
wie dies vom - Sturze - ewig - sich - Erheben.

III.

In Sankt Peters Kuppel.

Aus dunklem Gang und aus gewundnem Loch,
wo ich mit Menschen wie mit Würmern kroch —
heraus, o Seele, tritt in einen Traum!

Was schleudert dich zurück? Raum, Raum!

Taub, blind, versteint... Mir schwindet Sinn um Sinn,
vermauert steh ich im Gemäuer drin,
mit ihm wie einem Urgebirge eins,
gefesselt in die Erdenwucht des Steins. —
 
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