Kleinc AufsäHe über Musik.
herab und mischcn schließlich den Willen ihrer Weisheit
unsern unwillkürlichen Taten bei. Lessing, Hebbel, Otto
Ludwig haben sicher mehr noch durch ihre Theorie als
durch ihr Beispiel gewirkt — nicht weil sie Rezepte
gaben, nach denen man Dramen anfertigt, sondern
weil ihre theoretische Leidenschaft das Gefühl für den
lebendigen Wert der dramatischen Form, ihren Aus-
druckswert mächtig steigerte. Aber dies ist gar nicht die
Hauptsache! — Der Kritiker von wirklichem Beruf sollte
cndlich den hochmütigen Artistenwahn zerbrechen, als
ob die kritische, d. h. begrifsssprachliche Außerungs-
form des Menschengeistes etwas Sekundäres sei,
das seinen Wert erst dadurch erhalt, daß es der künst-
lcrischen Außerungsart nützt. Jn der kritischen Pro-
duktion ringt ein individueller Geist ebenso machtvoll
um Ausdruck, um Selbstentfaltung, wie in irgendeiner
Kunstform. Die Offenbarung eines Kritikers bildet
allerdings den letzten Wert der Kritik — nichts anderes.
Freilich eines „Kritikers"! Der dient der Reinigung
der Wertgefühle auf diesem Gebiete schlecht, der zwar den
Persönlichkeitsausdruck als Wert einer Kritik erkennt, als
Mittel dieses Ausdrucks aber die impressionistische Wieder-
gabe eines Kunsteindrucks, einer genossenen Stimmung
bezeichnet. Denn solche psychische Berichterstattung
ist in jedem Falle etwas anderes als Kritik und im
glücklichsten Falle eine Dichtung aus zweiter Hand, ein
Dichten über Dichter. Wer so die Kritik zu einer Art
schwächlicher, begrenzter Kunst macht, nimmt ihr an
inhaltlicher Selbständigkeit, was er ihr an formaler
Souveränität gibt.
Diese bequemen Epikuräer haben es freilich leicht,
das Suchen begrifflicher Prägungen für die Formen und
Stile der Kunst zu bespötteln. Sie wissen nichts von der
heiligen Wollust des Begreifens, die den kritischen
Geist mit gleicher Jnbrunst um die begrifflichen, wie den
dichterischen Geist um die sinnlich suggestiven Sprach-
zeichen für ein Erlebnis ringen läßt. Der kritische Geist
will dem künstlerischen weder dienen noch ihn nach-
ahmen. Er will wie jener die Welt noch einmal geben —
aber in seinen besonderen Aeichen, in den Zeichen bc-
grifflichen Denkens. Gleich elementar und groß steht von
Anbeginn neben dem künstlerisch-gestaltenden der philo-
sophisch-kritische Trieb in der Menschheit. Was wir
im engern Sinne „Kunstkritik" nennen, hat Sinn und
Eigenrecht als Ausstrahlung dieses philosophischen Er-
kenntnistriebes auf die Einzelerscheinungen in jenem
Kreise von Erfahrungen, der uns „Kunst" heißt.
Ausdruck einer Persönlichkeit, die ein künstlerisches Er-
lebnis durchd as Mittel begrifflicher Entscheidung ver-
arbeitet — das ist das Wesen der Kritik.
Julius B a'b.
leine Aufsähe über Musik.
Z. Bahnbrecher und Eklektiker.
(Eine Apostrophe.)
„Gut, aber schwach," sagte ein Dirigent, als er einc
kleine Symphonie mit seinem Orchester durchprobiert
hatte. Es war ihm wohl unbekannt, daß das Gute eine
Krast ist und von Kraft zeugt, oder er hatte es vergessen,
und zwar so gründlich vergessen, daß er auch bei seinen
Auhörern, den Orchestermitgliedern (also Musikern)
Verständnis für dieses sein Wort erwartete.
Wer Berichte, Rezensionen liest, trifft dort nicht selten
dasselbe Urteil an, dessen Voraussetzung ungefähr so
lautet: Die Kraft wird am Stoß gemessen. Tut'uns
immerhin weh und gebt uns, und, wenn es euch beliebt,
unsern Rippen, was zu spüren: nur laßt uns Kraft
spüren, und zwar, bitte, so, daß wir an sie glauben müssen;
also schont uns nicht, dagegen verschont uns, nicht wahr,
mit der stillen Kraft der Ordnung, der Schönheit;
wirbelt lieber einiges durcheinander und seid unsert-
wegen sogar aufdringlich, grob und häßlich; nur das
leise Wesen erspart uns: denn da wäre es zu schwer zu
unterscheiden, ob ihr eigentlich schwach und zahm oder
stark und vornehm seid. Und auf alle Fälle brecht durch!
Wir haben noch so viele Vorurteile, Ammenmärchen
von Gesetzen! Brecht Bahn, euch und uns. Geht ein
Gesetz dabei kaput: um so besser, wir wissen es euch
Dank, denn wir haben dann um das weniger zu lernen,
und wir achten's als Gestrüpp, das euch den Weg'ver-
sperren wollte.
So denken, scheint es, manche Bewunderer dcr
sogenannten Modernen, was diese selbst vermutlich etwas
peinlich empfinden möchten. Jch gebe mich nun nicht
dem Wahn hin, daß ich mit einem Buch, geschweige denn
mit einigen Aeilen einem ganzen Heer bequeme und
eitle Ungedanken verleiden und es zu strengerem Denken
und Wollen bekehren kann. Aber als einen freundlichcn
Vorschlag darf ich ihm wohl mit einiger Aussicht auf Er-
folg das zu beherzigen empfehlen:
Wenn nicht zum klaren Denken, so bequemen oder
vielmehr bemühen Sie sich doch wenigstens zu klareren
Vorstellungen und suchen Sie für das, was Sie wollen
und meinen, den zutreffenden Ausdruck, das ent-
sprechende Bild!
Bahnbrecher nennen Sie diejenigen, nach denen cs
Sie verlangt. Verabschieden Sie lieber dieseS Wort,
es hat wirklich keinen Sinn so, wie Sie es'meinen.
Denn, hören Sie zu und besinnen Sie sich. Was tut
Jhr Held? Er bricht Bahn, wenn ich mich nicht täusche.
Für wen und was tut er solches? Aweifellos doch
für die, die nach ihm kommen, und zu keinem anderen
Iweck, als daß sie eine Bahn haben, daß sie Arbeit
sparen und dadurch ihre Kraft für Besseres, als es
das Wegbahnen ist, frei bekommen, nämlich für das
Verwalten, das Bauen und Bebauen. Die Kunst ist
keine mathematische Linie, sondern sie hat auch Breite
und Raum; ist nicht nur Drang und Weg, sondern
sie hat Gebiete, in die zu führen der Sinn des Wegs
und des Pfadfinders ist. Sie aber tun so, als ob es
nur Wege gäbe, und als ob diejenigen, die einen Weg
gehen, ohne ihn selbst zu bahnen, die eine Bahn benützen,
ohne sie zugleich zu brechen, die weniger wichtigen
wären, Sie verstehen ihre eigentliche Arbeit nicht zu
würdigen und begreifen nur das gewaltige oder ge-
waltsame Sich-erzwingen von Wegen, ohne zu wissen,
wohin diese gehen, ohne die Gelände zu ahnen, die
crschlossen werden sollen. Nach Jhrer Meinung sind
nun also die Nachfolger (Nachtreter, belieben Sie des-
halb zu sagen) die kleineren, die kleinen — wofern sie
nämlich irgendwo sich zur Arbeit niederlassen (stehen
herab und mischcn schließlich den Willen ihrer Weisheit
unsern unwillkürlichen Taten bei. Lessing, Hebbel, Otto
Ludwig haben sicher mehr noch durch ihre Theorie als
durch ihr Beispiel gewirkt — nicht weil sie Rezepte
gaben, nach denen man Dramen anfertigt, sondern
weil ihre theoretische Leidenschaft das Gefühl für den
lebendigen Wert der dramatischen Form, ihren Aus-
druckswert mächtig steigerte. Aber dies ist gar nicht die
Hauptsache! — Der Kritiker von wirklichem Beruf sollte
cndlich den hochmütigen Artistenwahn zerbrechen, als
ob die kritische, d. h. begrifsssprachliche Außerungs-
form des Menschengeistes etwas Sekundäres sei,
das seinen Wert erst dadurch erhalt, daß es der künst-
lcrischen Außerungsart nützt. Jn der kritischen Pro-
duktion ringt ein individueller Geist ebenso machtvoll
um Ausdruck, um Selbstentfaltung, wie in irgendeiner
Kunstform. Die Offenbarung eines Kritikers bildet
allerdings den letzten Wert der Kritik — nichts anderes.
Freilich eines „Kritikers"! Der dient der Reinigung
der Wertgefühle auf diesem Gebiete schlecht, der zwar den
Persönlichkeitsausdruck als Wert einer Kritik erkennt, als
Mittel dieses Ausdrucks aber die impressionistische Wieder-
gabe eines Kunsteindrucks, einer genossenen Stimmung
bezeichnet. Denn solche psychische Berichterstattung
ist in jedem Falle etwas anderes als Kritik und im
glücklichsten Falle eine Dichtung aus zweiter Hand, ein
Dichten über Dichter. Wer so die Kritik zu einer Art
schwächlicher, begrenzter Kunst macht, nimmt ihr an
inhaltlicher Selbständigkeit, was er ihr an formaler
Souveränität gibt.
Diese bequemen Epikuräer haben es freilich leicht,
das Suchen begrifflicher Prägungen für die Formen und
Stile der Kunst zu bespötteln. Sie wissen nichts von der
heiligen Wollust des Begreifens, die den kritischen
Geist mit gleicher Jnbrunst um die begrifflichen, wie den
dichterischen Geist um die sinnlich suggestiven Sprach-
zeichen für ein Erlebnis ringen läßt. Der kritische Geist
will dem künstlerischen weder dienen noch ihn nach-
ahmen. Er will wie jener die Welt noch einmal geben —
aber in seinen besonderen Aeichen, in den Zeichen bc-
grifflichen Denkens. Gleich elementar und groß steht von
Anbeginn neben dem künstlerisch-gestaltenden der philo-
sophisch-kritische Trieb in der Menschheit. Was wir
im engern Sinne „Kunstkritik" nennen, hat Sinn und
Eigenrecht als Ausstrahlung dieses philosophischen Er-
kenntnistriebes auf die Einzelerscheinungen in jenem
Kreise von Erfahrungen, der uns „Kunst" heißt.
Ausdruck einer Persönlichkeit, die ein künstlerisches Er-
lebnis durchd as Mittel begrifflicher Entscheidung ver-
arbeitet — das ist das Wesen der Kritik.
Julius B a'b.
leine Aufsähe über Musik.
Z. Bahnbrecher und Eklektiker.
(Eine Apostrophe.)
„Gut, aber schwach," sagte ein Dirigent, als er einc
kleine Symphonie mit seinem Orchester durchprobiert
hatte. Es war ihm wohl unbekannt, daß das Gute eine
Krast ist und von Kraft zeugt, oder er hatte es vergessen,
und zwar so gründlich vergessen, daß er auch bei seinen
Auhörern, den Orchestermitgliedern (also Musikern)
Verständnis für dieses sein Wort erwartete.
Wer Berichte, Rezensionen liest, trifft dort nicht selten
dasselbe Urteil an, dessen Voraussetzung ungefähr so
lautet: Die Kraft wird am Stoß gemessen. Tut'uns
immerhin weh und gebt uns, und, wenn es euch beliebt,
unsern Rippen, was zu spüren: nur laßt uns Kraft
spüren, und zwar, bitte, so, daß wir an sie glauben müssen;
also schont uns nicht, dagegen verschont uns, nicht wahr,
mit der stillen Kraft der Ordnung, der Schönheit;
wirbelt lieber einiges durcheinander und seid unsert-
wegen sogar aufdringlich, grob und häßlich; nur das
leise Wesen erspart uns: denn da wäre es zu schwer zu
unterscheiden, ob ihr eigentlich schwach und zahm oder
stark und vornehm seid. Und auf alle Fälle brecht durch!
Wir haben noch so viele Vorurteile, Ammenmärchen
von Gesetzen! Brecht Bahn, euch und uns. Geht ein
Gesetz dabei kaput: um so besser, wir wissen es euch
Dank, denn wir haben dann um das weniger zu lernen,
und wir achten's als Gestrüpp, das euch den Weg'ver-
sperren wollte.
So denken, scheint es, manche Bewunderer dcr
sogenannten Modernen, was diese selbst vermutlich etwas
peinlich empfinden möchten. Jch gebe mich nun nicht
dem Wahn hin, daß ich mit einem Buch, geschweige denn
mit einigen Aeilen einem ganzen Heer bequeme und
eitle Ungedanken verleiden und es zu strengerem Denken
und Wollen bekehren kann. Aber als einen freundlichcn
Vorschlag darf ich ihm wohl mit einiger Aussicht auf Er-
folg das zu beherzigen empfehlen:
Wenn nicht zum klaren Denken, so bequemen oder
vielmehr bemühen Sie sich doch wenigstens zu klareren
Vorstellungen und suchen Sie für das, was Sie wollen
und meinen, den zutreffenden Ausdruck, das ent-
sprechende Bild!
Bahnbrecher nennen Sie diejenigen, nach denen cs
Sie verlangt. Verabschieden Sie lieber dieseS Wort,
es hat wirklich keinen Sinn so, wie Sie es'meinen.
Denn, hören Sie zu und besinnen Sie sich. Was tut
Jhr Held? Er bricht Bahn, wenn ich mich nicht täusche.
Für wen und was tut er solches? Aweifellos doch
für die, die nach ihm kommen, und zu keinem anderen
Iweck, als daß sie eine Bahn haben, daß sie Arbeit
sparen und dadurch ihre Kraft für Besseres, als es
das Wegbahnen ist, frei bekommen, nämlich für das
Verwalten, das Bauen und Bebauen. Die Kunst ist
keine mathematische Linie, sondern sie hat auch Breite
und Raum; ist nicht nur Drang und Weg, sondern
sie hat Gebiete, in die zu führen der Sinn des Wegs
und des Pfadfinders ist. Sie aber tun so, als ob es
nur Wege gäbe, und als ob diejenigen, die einen Weg
gehen, ohne ihn selbst zu bahnen, die eine Bahn benützen,
ohne sie zugleich zu brechen, die weniger wichtigen
wären, Sie verstehen ihre eigentliche Arbeit nicht zu
würdigen und begreifen nur das gewaltige oder ge-
waltsame Sich-erzwingen von Wegen, ohne zu wissen,
wohin diese gehen, ohne die Gelände zu ahnen, die
crschlossen werden sollen. Nach Jhrer Meinung sind
nun also die Nachfolger (Nachtreter, belieben Sie des-
halb zu sagen) die kleineren, die kleinen — wofern sie
nämlich irgendwo sich zur Arbeit niederlassen (stehen