Gundolfs Shakespeare.
viele Male studicrt sein, und die Mühe, dic man darauf
verwenden muß, zeugt wohl von dem Wert und dcr
bedeutenden Ungewöhnlichkeit der Gedanken Gundolfs,
zugleich aber enthüllt sie die Schwächen des Schrift-
stellers. Was der Autor selbst im Vorwort als die eigent-
liche Tätigkeit des literargeschichtlichen Darstellers be-
zeichnet hat: die Auswahl und die geistige Durchdringung
des Stoffes, das hat er als Organisator und Verwalter
nicht zwar des Rohmaterials, wohl aber seiner produk-
tiven Gedanken, als ökonomischer Schriftsteller, oft genug
versäumt. Es lebt in ihm eine Lust und ein Talent zu
definieren, Begriffe zu bilden oder zu klären, deutlich zu
sein, und der Stoff erzeugt eine solche Last von differen-
zierten Gedanken, daß er sie, um sich von ihnen zu be-
freien, so viele es sind, von sich abstößt und den Leser wie
mit einem Sturzbad überschüttet. Dazu drückt er nicht
selten einen komplizierten Gedanken hintereinander
sechsmal aus, immer anders gewiß und mit einer neuen
Nuance. Aber die Wahrheit ist einfach, und daß Gundolf
sie so vielfältig ausdrücken muß, beweist nichts anderes,
als daß er die letzte Formel nicht findet; einen Mangel
der äußersten Durchdringung, der Kunst der Auswahl,
der schriftstellerischen Reife, meinetwegen der hand-
werklichen Routine. Auch eine gewisse Lehrhaftigkeit
fällt auf, eine doktrinäre Auspitzung seltener Erkennt-
nisse, eine etwas dozierende Geste in der Art, wie er an
den Schlüssen seiner kleinen und großen Buchabschnitte,
bevor er den Gedanken endgültig entläßt, das Wesent-
liche in einer neuen und ganz konzisen Form noch einmal
zusammenfaßt. So wird das Buch schwer lesbar, und
man muß es betonen, nicht nur wegen der Tiefe und
des Reichtums der Gedanken, sondern auch aus Gründen
der schriftstellerischen Form. Typisch eine Jungfern-
rede, das erste große Werk eines reifenden Mannes,
freilich eines Kopfes von seltener Bedeutung. Gundolf
gehört dem Stefan George-Kreis an, und wie so manche
aus dieser Gemeinde von großen Könnern, weiß er viel
von den letzten Dingen der Kunst. Er ist sehr klug und
bewußt und sehr sachlich. Vor anderen voraus hat cr
den weiten Umsang der Jnteressen, des Beobachtungs-
feldes, ein außerordentliches allgemeines Wissen, und
nicht zum letzten eine große Belesenheit und vorzügliche
philologische und literargeschichtliche Schulung. Seine
Urteile sind streng, aber sachlich, durchaus aus den Tiefen
künstlerischer Erkenntnisse gewonnen, und werden nur
demjenigen Stefan Georgesch begrenzt erscheinen, dcr
nicht weiß, daß man dort mit den längsten Stäben zu
messen gewohnt ist. So muß das Werk Gundolfs Epoche
machen, und wir werden in ihm einen der Berufenen
unter den Historikern der Kunst sehen dürfen, wenn erst
sein Stil reis geworden ist. Sein rein sprachliches Ver-
mögen, sein Geschmack und seine Sinnlichkeit sind be-
deutend; es fehlt nur die Ökonomie im Reichtum. —
Das Buch ist vom Verlag gut gedruckt und geschmackvoll
ausgestattet worden.
Was nun Gundolfs Shakespeare-Ausgabe selbst
betrisft, die in dem gleichen Verlage Georg Bondi zum
Teil erschienen ist, zum andern Teil erst herauskommen
wird, so begründet er in der glänzenden Einleitung des
ersten Bandes ihren Anspruch und ihre Berechtigung.
Jn der Tat ist der Reichtum unserer Sprache an Mitteln
aller Art, sind also auch die Möglichkeiten eincr voll-
kommenen Ubersetzung gewachsen. Dazu sehen wir die
Gestalt Shakespeares anders als die Romantiker, „in
einer frischen Farbigkeit", und was so Gundolf an
Proben seiner eigenen Nachschöpsung bietet, ist über
alles Erwarten unähnlich der Romantikeroptik und im
besten Sinne modern. Freilich weiß Gundolf wohl,
daß er die Meisterübersetzungen Schlegels in dem
Schwung der Sprache und der Glut dieses ersten Er-
lebens nicht zu übertreffen vermag und er begnügt sich
bei dcn Hauptwerken mit ihrer Durchsicht. Wohl aber
sah er sich berechtigt, die Schlegelschen Übertragungen
der geringeren Dramen und diejenigen der Hauptwerke,
die unter dem Namen Tiecks gehen, im ganzen Besitz
der reichen, modernen Sprache neu zu gestalten. Daß
er sich dabei treu an die gereinigten Urterte hält, daß er
Shakespeare nicht verschönt, sondern in den Bedingt-
heiten dieser einmaligen Dichterfigur und der Kultur
seiner Aeit reproduziert, erscheint fast alö ein geringercr
Vorzug und als eine Selbstverständlichkeit gegenüber
jenem bedeutsamen Streben Gundolfs, die Nach-
schöpfung auf das gesprochenc und gehörte Wort zu
fundamentieren, nicht wie Schlegel auf jene literarische
Konvention einer stilisierenden Kunstsprache. So er-
reicht er eine Shakespeare-Echtheit, eine Unmittelbarkeit
und eine Sinnlichkeit, die man von nun an bei jeder
anderen Ubersetzung vermissen wird.
Noch ein Wort über die von Melchior Lechter besorgte
Ausstattung der Bände. Die Ausmessungen des Satz-
spiegels, von dem optischen Bild des Dramenverses be-
stimmt, und also auch das Format des Buches (mehr
als doppelt so hoch als breit) kommen der abgeleitet
gotischen Art Lechters entgegen. Er rahmt den Satz
breit mit kräftigem Ornament, stattet die Titelseiten
mit viel Dekoration aus und erreicht so eine gewisse
monumentale Haltung der Bücher, so daß man sie, die
im übrigen auf weichem, mattem Papier gut gedruckt
sind, als eine Kostbarkeit gern in die Hand nimmt.
Stellt man freilich die Forderung, daß eine dem Dichter
irgendwie verwandte Natur das Werk hätte ausstatten
müssen, so stößt man sich bald an den Begrenztheiten
des Aeichners Lechter. vr. Ewald Bender.
kizzen vom Rhein.
Von Roderich von den Hoff.
Morgen.
Durch den Sonnenschein treibt langsam ein Schlepp-
kahn den Fluß hinab und läßt die Wellen zu seiner Seite
in einem breiteren Lichtstrom aufleuchten. — Jndessen
sieht man gegen die Stadt zu nichts als Spitze an Spitzc,
die Türme in einem matten Violett schwimmend; und
nur wo sie in ganzer Breite gegen die Sonne liegen,
ein paar Häuser weiß hervorleuchten, als habe sich der
Nebel dort zu einem stärkeren Geleucht verdichtet.
Darin sitzen die Farben wie bunte Edelsteine in dem
Silber eines schönen Frauenschmucks: Die rote Fahne
eines Dampfers leuchtet durchsichtig gegen das Sonnen-
licht, und hinter ihr klingen leiser und leiser grüne und
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viele Male studicrt sein, und die Mühe, dic man darauf
verwenden muß, zeugt wohl von dem Wert und dcr
bedeutenden Ungewöhnlichkeit der Gedanken Gundolfs,
zugleich aber enthüllt sie die Schwächen des Schrift-
stellers. Was der Autor selbst im Vorwort als die eigent-
liche Tätigkeit des literargeschichtlichen Darstellers be-
zeichnet hat: die Auswahl und die geistige Durchdringung
des Stoffes, das hat er als Organisator und Verwalter
nicht zwar des Rohmaterials, wohl aber seiner produk-
tiven Gedanken, als ökonomischer Schriftsteller, oft genug
versäumt. Es lebt in ihm eine Lust und ein Talent zu
definieren, Begriffe zu bilden oder zu klären, deutlich zu
sein, und der Stoff erzeugt eine solche Last von differen-
zierten Gedanken, daß er sie, um sich von ihnen zu be-
freien, so viele es sind, von sich abstößt und den Leser wie
mit einem Sturzbad überschüttet. Dazu drückt er nicht
selten einen komplizierten Gedanken hintereinander
sechsmal aus, immer anders gewiß und mit einer neuen
Nuance. Aber die Wahrheit ist einfach, und daß Gundolf
sie so vielfältig ausdrücken muß, beweist nichts anderes,
als daß er die letzte Formel nicht findet; einen Mangel
der äußersten Durchdringung, der Kunst der Auswahl,
der schriftstellerischen Reife, meinetwegen der hand-
werklichen Routine. Auch eine gewisse Lehrhaftigkeit
fällt auf, eine doktrinäre Auspitzung seltener Erkennt-
nisse, eine etwas dozierende Geste in der Art, wie er an
den Schlüssen seiner kleinen und großen Buchabschnitte,
bevor er den Gedanken endgültig entläßt, das Wesent-
liche in einer neuen und ganz konzisen Form noch einmal
zusammenfaßt. So wird das Buch schwer lesbar, und
man muß es betonen, nicht nur wegen der Tiefe und
des Reichtums der Gedanken, sondern auch aus Gründen
der schriftstellerischen Form. Typisch eine Jungfern-
rede, das erste große Werk eines reifenden Mannes,
freilich eines Kopfes von seltener Bedeutung. Gundolf
gehört dem Stefan George-Kreis an, und wie so manche
aus dieser Gemeinde von großen Könnern, weiß er viel
von den letzten Dingen der Kunst. Er ist sehr klug und
bewußt und sehr sachlich. Vor anderen voraus hat cr
den weiten Umsang der Jnteressen, des Beobachtungs-
feldes, ein außerordentliches allgemeines Wissen, und
nicht zum letzten eine große Belesenheit und vorzügliche
philologische und literargeschichtliche Schulung. Seine
Urteile sind streng, aber sachlich, durchaus aus den Tiefen
künstlerischer Erkenntnisse gewonnen, und werden nur
demjenigen Stefan Georgesch begrenzt erscheinen, dcr
nicht weiß, daß man dort mit den längsten Stäben zu
messen gewohnt ist. So muß das Werk Gundolfs Epoche
machen, und wir werden in ihm einen der Berufenen
unter den Historikern der Kunst sehen dürfen, wenn erst
sein Stil reis geworden ist. Sein rein sprachliches Ver-
mögen, sein Geschmack und seine Sinnlichkeit sind be-
deutend; es fehlt nur die Ökonomie im Reichtum. —
Das Buch ist vom Verlag gut gedruckt und geschmackvoll
ausgestattet worden.
Was nun Gundolfs Shakespeare-Ausgabe selbst
betrisft, die in dem gleichen Verlage Georg Bondi zum
Teil erschienen ist, zum andern Teil erst herauskommen
wird, so begründet er in der glänzenden Einleitung des
ersten Bandes ihren Anspruch und ihre Berechtigung.
Jn der Tat ist der Reichtum unserer Sprache an Mitteln
aller Art, sind also auch die Möglichkeiten eincr voll-
kommenen Ubersetzung gewachsen. Dazu sehen wir die
Gestalt Shakespeares anders als die Romantiker, „in
einer frischen Farbigkeit", und was so Gundolf an
Proben seiner eigenen Nachschöpsung bietet, ist über
alles Erwarten unähnlich der Romantikeroptik und im
besten Sinne modern. Freilich weiß Gundolf wohl,
daß er die Meisterübersetzungen Schlegels in dem
Schwung der Sprache und der Glut dieses ersten Er-
lebens nicht zu übertreffen vermag und er begnügt sich
bei dcn Hauptwerken mit ihrer Durchsicht. Wohl aber
sah er sich berechtigt, die Schlegelschen Übertragungen
der geringeren Dramen und diejenigen der Hauptwerke,
die unter dem Namen Tiecks gehen, im ganzen Besitz
der reichen, modernen Sprache neu zu gestalten. Daß
er sich dabei treu an die gereinigten Urterte hält, daß er
Shakespeare nicht verschönt, sondern in den Bedingt-
heiten dieser einmaligen Dichterfigur und der Kultur
seiner Aeit reproduziert, erscheint fast alö ein geringercr
Vorzug und als eine Selbstverständlichkeit gegenüber
jenem bedeutsamen Streben Gundolfs, die Nach-
schöpfung auf das gesprochenc und gehörte Wort zu
fundamentieren, nicht wie Schlegel auf jene literarische
Konvention einer stilisierenden Kunstsprache. So er-
reicht er eine Shakespeare-Echtheit, eine Unmittelbarkeit
und eine Sinnlichkeit, die man von nun an bei jeder
anderen Ubersetzung vermissen wird.
Noch ein Wort über die von Melchior Lechter besorgte
Ausstattung der Bände. Die Ausmessungen des Satz-
spiegels, von dem optischen Bild des Dramenverses be-
stimmt, und also auch das Format des Buches (mehr
als doppelt so hoch als breit) kommen der abgeleitet
gotischen Art Lechters entgegen. Er rahmt den Satz
breit mit kräftigem Ornament, stattet die Titelseiten
mit viel Dekoration aus und erreicht so eine gewisse
monumentale Haltung der Bücher, so daß man sie, die
im übrigen auf weichem, mattem Papier gut gedruckt
sind, als eine Kostbarkeit gern in die Hand nimmt.
Stellt man freilich die Forderung, daß eine dem Dichter
irgendwie verwandte Natur das Werk hätte ausstatten
müssen, so stößt man sich bald an den Begrenztheiten
des Aeichners Lechter. vr. Ewald Bender.
kizzen vom Rhein.
Von Roderich von den Hoff.
Morgen.
Durch den Sonnenschein treibt langsam ein Schlepp-
kahn den Fluß hinab und läßt die Wellen zu seiner Seite
in einem breiteren Lichtstrom aufleuchten. — Jndessen
sieht man gegen die Stadt zu nichts als Spitze an Spitzc,
die Türme in einem matten Violett schwimmend; und
nur wo sie in ganzer Breite gegen die Sonne liegen,
ein paar Häuser weiß hervorleuchten, als habe sich der
Nebel dort zu einem stärkeren Geleucht verdichtet.
Darin sitzen die Farben wie bunte Edelsteine in dem
Silber eines schönen Frauenschmucks: Die rote Fahne
eines Dampfers leuchtet durchsichtig gegen das Sonnen-
licht, und hinter ihr klingen leiser und leiser grüne und
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