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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 22.1912

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Heft 10
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Benn, Joachim: Gräfin Bustrupp, [2]: Novelle
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https://doi.org/10.11588/diglit.26494#0375

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räfin Bustrupp.

Novelle. Von Joachim Benn (Schluß).

Eine Stunde später erhob sich die Gräfin wieder, die
ersien Tränen kommender Beruhigung in den Augen, aus
Furcht, sonst noch mit dem Gatten zusammenzutreffen,
und als sie nach einer Weile auf ihrem Lager lag, war
ihre Stärke schon zurückgekehrt: Jhr erster Gedanke
war gewesen, den Gatten zu verlassen oder sonstwie dem
Geschehenen zu entfliehen; nun hatte sie den Platz ge-
funden, den sie in einer so veränderten Welt einzunehmen
hatte, und war entschlossen, in den Kampf um den
Grafen einzutreten. llm für diese Nacht alle müden
und nutzlosen Erwägungen zu beenden und am nächsten
Tage nur um so frischer zu sein, nahm sie ein Schlaf-
mittel. Und nach trauervollem Erwachen am neuen
Morgen und einsamem Hinundherdenken vieler Stunden
entwickelte sie wirklich einen Plan, wie sie sich den
Gatten wiedergewinnen wollte: Für sie war er wieder
einer Gewohnheit seiner jungen Jahre verfallen, in
denen ihm so lange keine Frau entgegengetreten war,
die ihn ganz gefesselt hätte, bis sich seine Kraft ge-
schwächt hatte, übcrhaupt einem Menschen ganz an-
zuhängen; er mußte also zu einem Vergleiche zwischen
der Gattin gezwungen werden, die ihn mit dem leiden-
schaftlichen Willen liebte, seine größten Glücksmöglich-
keiten zu verwirklichen, auch indem sie ihm half, tätig
zu sein, und allen Frauen, die sich ihm aus anderen
Gefühlen und Überlegungen heraus schenkten, vielleicht
um Geld. Es ging nicht an, die Frau oder die Frauen
zu sich zu laden, um sich ihm unter ihnen zu zeigen:
So war ihre Aufgabe, Bilder von denen zu beschaffen,
um ihm die in einer ernsten Stunde vorzulegen.

Je eingehender die Gräfin die Ausführung dieses
Planes überdachte, um so klarer wurde ihr freilich, wie
schwierig es sein würde, in den Besitz solcher Bilder zu
kommen. Sie hatte zuerst fast unbewusst damit gerechnet
kurzerhand einen Freund um diesen Dienst angehen,
zu können, vielleicht ihren Vetter, dessen unwandel-
barer Hilfsbereitschaft sie sicher war. Allein gerade weil
der, verschlossen, seit jeher vielleicht innigere Gefühle
für sie erbarg, mußte er mehr als jeder andere ver-
meiden, n dieser Weise in ihre Ehe gezogen zu werden;
auch kon te sie sich wohl denken, daß er von solchem
Plane m nder hoffnungsvoll dachte, als sie. Trotzdem
wollte sie nicht auf ihre Absicht verzichten, denn sie
meinte, nur auf diesem Wege ihrer Ehe noch einmal
Bestand geben zu können. Da sie keinen anderen Aus-
weg fand, trat sie also, so hart es sie ankam, schließlich
mit dem Leiter einer Auskunftei in Verbindung, und
nach kurzer Unterhandlung beauftragte sie den, sich auf
irgend eine Weise bei den Frauen einzuführen, die der
Graf Bustrupp aufsuchte, um Bilder von ihnen zu be-
schaffen. — Sie war inzwischen nur noch gewisser ge-
worden, daß sie solche Bilder zu erwarten habe, wofern
sich ihr Beauftragter als geeignet erwies; denn ihr
Gatte hatte sich ihr wohl wieder eine Ieitlang mehr ge-
widmet als zuvor und dabei bewiesen, daß seine Au-
neigung für sie sich vermindert, doch nicht verloren
haben konnte. Allein diese Annäherung war nicht von

Bestand gewesen. Tatsächlich hatte er mehrere Wochen
hindurch seine Aeit ganz zwischen dem Dienste, dem
Ausammensein mit der Gattin und den Kameraden
geteilt, da er glaubte, einen flüchtigen Verdacht seiner
Gattin so am ersten vergessen machen zu können. Als
er sich doch wieder bei der Gräfin einfand, hatte er
der jüngeren Tochter heftige Vorwürfe gemacht, weil
sie seine Gattin aufs schwerste hätte verletzen können,
und stellte sich, so reizvoll sie ihm weiter erschien, seit-
dem nur noch zu gewissen Spielabenden bei ihr ein,
während er Bekanntschaft mit Frauen hin und wieder
anderwärts suchte. —

Der Gräfin blieb, nach dem Plane, den sie selbst
entworfen hatte, einstweilen nun nichts anderes zu tun,
als die Bilder zu erwarten, die sie bestellt hatte. Woche
für Woche saß sie denn dem Gatten bei Tische gegenüber,
machte und empfing allein oder mit ihm zusammen
mancherlei Besuche, und ihr Gesicht, das einst so voll
und blühend gewesen war, wurde langsam schmaler und
blasser: Klüger geworden nach den Erfahrungen, die
hinter ihr lagen, gewahrte die junge Frau jetzt manches
in ihrer Umgebung, was ihr vorher entgangen war, und
so enttäuscht sie war, konnte sie den Gatten schon nicht
mehr mit der gleichen Härte beurteilen, wie zualler-
erst. Aber was sie noch immer nicht begreifen konnte,
war, daß er sie ganz und gar im unklaren gelassen hatte
über das, was hinter ihrem Rücken vorging! Sie für
ihre Person litt bereits wahrhaft qualvoll unter der
Heimlichkeit, zu der sie ihr Plan für diese Wochen ver-
urteilte, und mehr als einmal war sie nahe daran, in
einem plötzlichen Ausbruch ihm zu eröffncn, was sie
bemerkt hatte, und die Trennung mit der Begründung
zu erzwingen, daß sie sich entwürdigt fühle. Allein sie
fühlte oft genug auch wieder, wie sehr sie den Mann
noch immer liebte, der da weiter als Gatte neben ihr
lebte, und nichts konnte sie so zu einem Mut entzücken, wie
der Gedanke, sie möchte berufen sein, als sein ernster
Engel die Hand nach ihm auszustrecken und ihn wieder
zu sich heranzuziehen. Jn dieser Hoffnung hielt sie
weiter und weiter stand und gab schließlich nicht einmal
da ihrer Schwäche nach, als sie in der nicht endenden
Wartezeit schließlich überhaupt den Glauben an den
Erfolg ihres Planes verlor und in der Meinung, sie
müsse geringere Reize haben als andere Frauen, jedes
Weib mit ihren Augen zu durchsuchen begann, dein sie
begegnete.

Unter diesen Umständen war es eine Befreiung für
sie, als nach Verlauf von fast drei Monaten endlich die
erste Sendung anlangte, und sie atnrete ganz erleichtert
auf, als sie das darin enthaltene Bild betrachtet hatte:
Sie verstand wohl, daß Männer diese schlanke Frau be-
gehrten, die erlesen scharf ausgezogenen Linien ihrer
Lippen und Brauen küssen, die insgesamt etwas gedehn-
ten Glieder von der Schönheit eines Aierates mit
Mund und Hand und Leib fühlen wollten, und es ging
ihr nahe, daran zu denken, daß ihr Gatte die Fremde
umarmt haben sollte; aber sie meinte, mit offenen Augen
müsse doch auch er ihrem Gesichte ansehen, daß leere
Eitelkeit alles in ihr beherrsche. Schon wenige Wochen
nach dem ersten folgte das zweite Bild; es stellte die
blendende Erscheinung einer blonden Frau dar, in Ge-

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