on Friedrich dem Großen.
Wie auch in den meisten übrigen Ländern
Europas ist in Deutschland Staatsreligion das
Christentum, und der Kalender, nach dem jeder von uns
lebt, arbeitet und nicht arbeitet, oder doch kauft und
nicht kauft, ist der christliche: Seine Festtage spiegeln
den Lebenslauf Jesu Christi auf Erden, in den katho-
lischen Gebieten in den Grundzügen auch noch das Leben
seiner Mutter, und die übrigen Tage, Festtage und nicht
Festtage, halten die Namen der bemerkenswertesten
unter Christi Bekennern fest; diese Bekennernamen
sind nicht in allen Völkern ganz die gleichen, vielmehr
kommt in der Auswahl, die unter ihnen getroffen wird,
in bescheidener Weise der völkische Charakter zum Aus-
druck, aber im wesentlichen ist der christliche Kalender
doch ein internationaler. Neben diesem kirchlichen
Kalender arbeitet sich nun langsam auch noch ein welt-
licher herauf, der insofern wohl auch religiös zu nennen
ware, als man doch auch im Verlauf der Geschicke, im
periodischen Austreten großer Persönlichkeiten die Wirk-
samkeit eines göttlichen Gesetzes abnehmen darf; dieser
Kalender, der sich langsam seine Stelle an der Spitze
der nicht immer nur schadlichen Aeitungen erobert, ist
ebenfalls nicht ohne alle internationale Aüge, da schließ-
lich kein Volk völlig aus sich selber aufwächst, ist in der
Hauptsache aber doch ein nationaler und feiert als solcher
die Jahrestage wichtiger Ereignisse aus der inneren und
äußeren Politik unseres Volkes und die Geburtstage
unserer Helden und Großgeister. Denen, die aus der
Masse der praktisch Arbeitenden mit der Aufgabe aus-
gesondert sind, auf irgend einem Gebiete geistig zu
erleben und zu schaffen, also gleichsam das Hirn des
Volkes selbst zu sein, ist dieser Kalender stets ebenso ge-
läufig, wie anderen d,cr kirchliche allein, denn Schaffen
ist, bereut oder unbereut, in einem nicht geringen Grade
kritische Wiedergeburt von Gewesenem; leben heißt für
geistig Arbeitende zu einem guten Teil, diesen Kalender
in sich wachrufen, aus dem immer neue Kraft auf sie
überfließt. Die große Menge des Volkes kann aber bei
ihren handgreiflicheren Ausgaben nicht gleicherweise
in allen Vergangenheiten herumgeistern und hat sich
eine angemessene Gewohnheit herausgebildet, wenn sie
wartet, daß sich ein besonders wichtiger Tag aus diesem
weltlichen Kalender in runder Summe jährt, bis sie,
mit den geistigen Arbeitern nun zur Nation vereint, in
die Reihe der kirchlichen einmal einen nationalen Feier-
tag einschiebt.
An diesen wenigen Festtagen als an den notwendigen
sollte die Nation dann freilich auch fcsthalten: Jn den
letzten Januartagen des Jahres 1912 kehrt zum zwei-
hundertsten Male der Geburtstag Friedrichs des Großen
wieder, und damit hatte wohl nicht nur das preußische
sondern auch das deutsche Volk überhaupt alle Ver-
anlassung, wieder einen nationalen Feiertag anzusetzen.
Denn dieser Preußenkönig ist keinesfalls für Preußen
allein, sondern für ganz Deutschland ein wahrhaft
Großer, er ist vielmehr mit Kant und Goethe einer der
Väter unserer Zeit. Nicht als Poet, nicht als Verfasscr
der „Oenvros oomplsts", insofern sie als Dichtungen
gewertet werden wollen, etwa, weil die in das Funda-
Ment deutschen Denkens und Fühlens übergegangeN
wären: Friedrich der Große hat alle seine Dichtungen
in französischer Sprache geschrieben und für sein deutsch-
sprechendes Volk erst übersetzen lassen; nun kann man
wohl die kürzlich aufgefundenen lateinischen Legenden
Meister Echehardts noch zu der deutschen Dichtung
rechnen, weil sie in einem unechten, einem deutschen
Latein geschrieben sind und bei der Übersetzung beinahe
erst in ihre richtige Form kommen; aber Friedrich der
Große war stets bemüht, Französisch so echt wie möglich
zu schreiben und hat deshalb Voltaire selbst noch nach
der völligen inneren Entfremdung von ihm bei sich be-
halten, um durch ihn seine französischen Kenntnisse
weiter zu vermehren. Da Wendungen und Worte
keine nach Belieben zu wechselnde Hüllen um allen
Völkern gleichmäßig geschenkte Begriffe sind, sondern
das Denken und Empfinden selber färben und verändern
— womit das Problematische jeder Ubersetzung berührt
ist — gehören Friedrichs Dichtungen als der französischen
Literatur an, in der sie wiederum nichts bedeuten, weil
sie natürlich doch nicht vollkommen französisch geworden
und im Grunde überhaupt nachgeahmt sind. Den
Essays und den historischen Arbeiten schadet die fran-
zösische Fassung wohl nicht so sehr wie den Dichtungen,
und einige von ihnen, wie die „Briefe über die Vater-
landsliebe", behalten wohl auch eine gewisse historische
Bedeutung, aber auch sie hat das deutsche Volk keine
Veranlassung, in ihrer Zwitterform zu genießen, denn
was an ihnen wertvoll ist, das ist — worüber noch zu
sprechen sein wird — in große Werke deutscher Form und
von da in unser Fühlen und Denken übergegangen, oder
es lebt eben angewandt in den Jnstitutionen des preußi-
schen und deutschen Staates sort.
Wenn also nicht der Poet und nicht einmal der
Schriftsteller, so könnte es denn wohl der Sieger von
Chotusitz und Hohenfriedberg, von Leuthen-Lissa und
von Roßbach, dazu der Verfasser einiger wahrhaft
epochemachender Erlasse innerpolitischer Art sein, den
man in diesen Tagen in Friedrich dem Großen feiert,
und so wird man sich hier und da ja wohl auch seine
Aufgabe bestimmen. Allein wie verblaßt sind doch schließ-
lich schon die Namen dieser Schlachten, verglichen etwa
mit den Namen von Goethes und auch Kants großen
Werken, wie verstaubt selbst die wichtigsten Erlasse.
Friedrich selbst hat einmal melancholisch erwogen, wie
oft doch der Name Homers genannt werde, ehe der
Aleranders einmal falle, und tatsächlich ist jede politische
Leistung in kürzester Frist nur noch die vergessene Grund-
lage neuer Leistungen, die, ob verdient, ob unverdient,
das ganze Jnteresse des Tages besitzen; so gewiß die
innere und äußere Gestalt Preußen-Deutschlands ohne
die Lebensarbeit Friedrichs nicht zu denken wäre, so
gewiß ist diese Leistung heute schon recht eigentlich in
die Geschichte übcrgegangen, und Feste sollen doch nicht
eigentlich Toten, sondern Lebendigen zu Ehren gefeiert
werden. Tatsächlich ist auch noch etwas von Friedrich
dem Großen im ganzen preußischen Volke und im
übrigen Deutschland, zum mindesten unter den Ge-
bildeten, lebendig, und es läßt sich dieses Lebendigen
sogar nicht einmal gedenken, ohne daß man sogleich
Friedrichs Taten auf dem Schlachtfeld und in der
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Wie auch in den meisten übrigen Ländern
Europas ist in Deutschland Staatsreligion das
Christentum, und der Kalender, nach dem jeder von uns
lebt, arbeitet und nicht arbeitet, oder doch kauft und
nicht kauft, ist der christliche: Seine Festtage spiegeln
den Lebenslauf Jesu Christi auf Erden, in den katho-
lischen Gebieten in den Grundzügen auch noch das Leben
seiner Mutter, und die übrigen Tage, Festtage und nicht
Festtage, halten die Namen der bemerkenswertesten
unter Christi Bekennern fest; diese Bekennernamen
sind nicht in allen Völkern ganz die gleichen, vielmehr
kommt in der Auswahl, die unter ihnen getroffen wird,
in bescheidener Weise der völkische Charakter zum Aus-
druck, aber im wesentlichen ist der christliche Kalender
doch ein internationaler. Neben diesem kirchlichen
Kalender arbeitet sich nun langsam auch noch ein welt-
licher herauf, der insofern wohl auch religiös zu nennen
ware, als man doch auch im Verlauf der Geschicke, im
periodischen Austreten großer Persönlichkeiten die Wirk-
samkeit eines göttlichen Gesetzes abnehmen darf; dieser
Kalender, der sich langsam seine Stelle an der Spitze
der nicht immer nur schadlichen Aeitungen erobert, ist
ebenfalls nicht ohne alle internationale Aüge, da schließ-
lich kein Volk völlig aus sich selber aufwächst, ist in der
Hauptsache aber doch ein nationaler und feiert als solcher
die Jahrestage wichtiger Ereignisse aus der inneren und
äußeren Politik unseres Volkes und die Geburtstage
unserer Helden und Großgeister. Denen, die aus der
Masse der praktisch Arbeitenden mit der Aufgabe aus-
gesondert sind, auf irgend einem Gebiete geistig zu
erleben und zu schaffen, also gleichsam das Hirn des
Volkes selbst zu sein, ist dieser Kalender stets ebenso ge-
läufig, wie anderen d,cr kirchliche allein, denn Schaffen
ist, bereut oder unbereut, in einem nicht geringen Grade
kritische Wiedergeburt von Gewesenem; leben heißt für
geistig Arbeitende zu einem guten Teil, diesen Kalender
in sich wachrufen, aus dem immer neue Kraft auf sie
überfließt. Die große Menge des Volkes kann aber bei
ihren handgreiflicheren Ausgaben nicht gleicherweise
in allen Vergangenheiten herumgeistern und hat sich
eine angemessene Gewohnheit herausgebildet, wenn sie
wartet, daß sich ein besonders wichtiger Tag aus diesem
weltlichen Kalender in runder Summe jährt, bis sie,
mit den geistigen Arbeitern nun zur Nation vereint, in
die Reihe der kirchlichen einmal einen nationalen Feier-
tag einschiebt.
An diesen wenigen Festtagen als an den notwendigen
sollte die Nation dann freilich auch fcsthalten: Jn den
letzten Januartagen des Jahres 1912 kehrt zum zwei-
hundertsten Male der Geburtstag Friedrichs des Großen
wieder, und damit hatte wohl nicht nur das preußische
sondern auch das deutsche Volk überhaupt alle Ver-
anlassung, wieder einen nationalen Feiertag anzusetzen.
Denn dieser Preußenkönig ist keinesfalls für Preußen
allein, sondern für ganz Deutschland ein wahrhaft
Großer, er ist vielmehr mit Kant und Goethe einer der
Väter unserer Zeit. Nicht als Poet, nicht als Verfasscr
der „Oenvros oomplsts", insofern sie als Dichtungen
gewertet werden wollen, etwa, weil die in das Funda-
Ment deutschen Denkens und Fühlens übergegangeN
wären: Friedrich der Große hat alle seine Dichtungen
in französischer Sprache geschrieben und für sein deutsch-
sprechendes Volk erst übersetzen lassen; nun kann man
wohl die kürzlich aufgefundenen lateinischen Legenden
Meister Echehardts noch zu der deutschen Dichtung
rechnen, weil sie in einem unechten, einem deutschen
Latein geschrieben sind und bei der Übersetzung beinahe
erst in ihre richtige Form kommen; aber Friedrich der
Große war stets bemüht, Französisch so echt wie möglich
zu schreiben und hat deshalb Voltaire selbst noch nach
der völligen inneren Entfremdung von ihm bei sich be-
halten, um durch ihn seine französischen Kenntnisse
weiter zu vermehren. Da Wendungen und Worte
keine nach Belieben zu wechselnde Hüllen um allen
Völkern gleichmäßig geschenkte Begriffe sind, sondern
das Denken und Empfinden selber färben und verändern
— womit das Problematische jeder Ubersetzung berührt
ist — gehören Friedrichs Dichtungen als der französischen
Literatur an, in der sie wiederum nichts bedeuten, weil
sie natürlich doch nicht vollkommen französisch geworden
und im Grunde überhaupt nachgeahmt sind. Den
Essays und den historischen Arbeiten schadet die fran-
zösische Fassung wohl nicht so sehr wie den Dichtungen,
und einige von ihnen, wie die „Briefe über die Vater-
landsliebe", behalten wohl auch eine gewisse historische
Bedeutung, aber auch sie hat das deutsche Volk keine
Veranlassung, in ihrer Zwitterform zu genießen, denn
was an ihnen wertvoll ist, das ist — worüber noch zu
sprechen sein wird — in große Werke deutscher Form und
von da in unser Fühlen und Denken übergegangen, oder
es lebt eben angewandt in den Jnstitutionen des preußi-
schen und deutschen Staates sort.
Wenn also nicht der Poet und nicht einmal der
Schriftsteller, so könnte es denn wohl der Sieger von
Chotusitz und Hohenfriedberg, von Leuthen-Lissa und
von Roßbach, dazu der Verfasser einiger wahrhaft
epochemachender Erlasse innerpolitischer Art sein, den
man in diesen Tagen in Friedrich dem Großen feiert,
und so wird man sich hier und da ja wohl auch seine
Aufgabe bestimmen. Allein wie verblaßt sind doch schließ-
lich schon die Namen dieser Schlachten, verglichen etwa
mit den Namen von Goethes und auch Kants großen
Werken, wie verstaubt selbst die wichtigsten Erlasse.
Friedrich selbst hat einmal melancholisch erwogen, wie
oft doch der Name Homers genannt werde, ehe der
Aleranders einmal falle, und tatsächlich ist jede politische
Leistung in kürzester Frist nur noch die vergessene Grund-
lage neuer Leistungen, die, ob verdient, ob unverdient,
das ganze Jnteresse des Tages besitzen; so gewiß die
innere und äußere Gestalt Preußen-Deutschlands ohne
die Lebensarbeit Friedrichs nicht zu denken wäre, so
gewiß ist diese Leistung heute schon recht eigentlich in
die Geschichte übcrgegangen, und Feste sollen doch nicht
eigentlich Toten, sondern Lebendigen zu Ehren gefeiert
werden. Tatsächlich ist auch noch etwas von Friedrich
dem Großen im ganzen preußischen Volke und im
übrigen Deutschland, zum mindesten unter den Ge-
bildeten, lebendig, und es läßt sich dieses Lebendigen
sogar nicht einmal gedenken, ohne daß man sogleich
Friedrichs Taten auf dem Schlachtfeld und in der
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