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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 22.1912

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Heft 10
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Schmidt, Hans: Architektonische Reise-Eindrücke in England, 1: das alte London
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Schäfer, Wilhelm: Die junge und die jüngste Malerei, 3: (Glossen zur Sonderbundausstellung in Köln); der blaue Reiter
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https://doi.org/10.11588/diglit.26494#0385

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Architektonische Reise-Eindrücke in England.

Ganz und gar nicht ist der Versuch gemacht, sie zu einem
Artefakt zu machen, zu einem Kunstwerk an sich, weder
m den einzelnen Häusern, noch in den Anlagen der
Straßen und Plätze. Dies fällt um so mehr auf, wenn
man wie ich von Brüssel gekommen ist, das gerade als
Stadt wundervoll ist mit ganz geschlossenen Plätzen und
schönen einheitlichen Straßen. Gewiß sind die Haupt-
verkehrsstraßen von London, wie Orford Street, der
Strand, die Regentstreet mit stattlichen hohen Häusern be-
setzt. Jn ihrer Mitte aber ist der alte recht ungemütliche
Stadtteil Soho, in dem man noch vor wenig Jahrzehnten
seines Lebens nicht sicher war. Solche Gegensätze sind
in London nicht selten. Gleich hinter Westminster be-
ginnt ein Stadtteil, in dem die Armut beelendend ist,
um gar nicht zu reden von den trostlosen, weit ausge-
dehnten Hafenvierteln und dem Stadtteil Whitechapel.
Die ganze Stadt sieht aus wie provisorisch; niemand
scheint hier dauernd ansässig zu sein und ein Jnteresse
daran zu haben, seine nächste Umgebung schön zu ge-
stalten. Man hat dies aus den Londoner Bodenver-
hältnissen erklärt, aus dem hundertjährigen Pachtsystem,
weil die Bewohner der Häuser selten zugleich ihre Be-
sitzer sind. Dies mag wesentlich dazu beitragen. Außer-
dem der Umstand, daß ein richtiger Engländer nicht
gern in der Stadt wohnt und infolgedessen auch keinen
Aufwand dafür macht. Ohne Zweifel trägt die Schuld
aber auch ein Mangel an Kunstsinn der Bewohner.
Denn selbst gebildete Menschen bringen es fertig, in
einem Hause zu wohnen, das einer Baracke oder einer
großen Iigarrenkiste ähnlicher ist als einer Architektur.
Tatsächlich, in solchen Häusern wohnen Familien, die
jährlich die Summe von 40 000 Mark zu verleben haben,
wodurch freilich in London nur ein mäßiges Besitztum
angezeigt ist. Bewundernswert an dieser Art von
Häusern ist nur die Ehrlichkeit, mit der sie sich zur Nüch-
ternheit bekennen und nicht mehr sind und sein wollen,
als rein mechanische Wohngelegenheiten. Und es fragt
sich, ob sie nicht jenen unechten Prunkleistungen vor-
zuziehen sind, die die neuen Stadtteile Deutschlands
kennzeichnen.

Au diesem seltsamen Stadtbild treten noch andere
erstaunliche Entdeckungen. Der König wohnt in einem
Palast, dessen Architektur nicht anders als kläglich
genannt werden kann. Erbaut im Jahre 1825 von
Georg IV., den seine Aeit den „ersten Gentleman" von
Europa genannt hat, scheint das Schloß das Haus eines
reich gewordenen Bäckermeisters, eines richtigen Bour-
geois zu sein. Da ist unser Berliner Schloß doch eine
ganz andere Sache! Diesem vierten Georg werden auch
viele von jencn öde und nüchtern aussehenden Stadt-
teilen zugeschrieben. Daß das große Theater Covent-
Garden, eine der größten Opernunternehmungen Euro-
pas, an einem Krautmarkt ligt, mitten in einer schmutzigen,
übelriechenden Umgebung von rußigen kleinen Häusern,
überrascht natürlich einen Deutschen, der gewohnt ist,
gerade die Theater hübsch und sauber auf einem sreien
Platz in der besten Gegend der Stadt errichtet zu sehen,
wie auf deni Präsentierteller. Dcr Gegensatz zwischen
den kostbaren Toiletten, die abends das Theater ver-
lassen, und dieser Umgebung gehört auch zu denen, die
London so merkwürdig machen. — Daß die Bahnhöfe

absolut unrepräsentativ sind, wirkliche Provisorien, oft
nur aus Holz, Eisen und Glas, nimmt unter diesen
Umständen nicht mehr wunder. Es ist auch zu über-
legen, ob wir in Deutschland an diesen Bauten nicht
etwas zu viel tun. Wir machen aus Bahnhöfen beinahe
Paläste. Kommt man nicht auf den Gedanken, es wäre
vielleicht geraten, hier das Mindestmaß des Notwendigen
anzustreben, um das Sparsystem zu erfüllen, anstatt
dafür den jungen Regierungsbauführern keine Bezahlung
zu gewähren?

Um nicht ungerecht zu sein: nicht alle Teile Londons
sind unschön. Die Regentstreet z. B., die vornehme Ge-
schäftsstraße, die ihr Hauptgepräge etwa um 1820 bis
1830 mag erhalten haben, ist äußerst fein in ihren ein-
heitlichen grauen Putzhäusern, als die Straße reicher
Laden geradezu schön mit einer reizend altmodischen
Note. Nicht weit davon ist „The Mall", eine breite Allee,
die einerseits den St. James-Park, anderseits eine statt-
liche Häuserreihe begrenzt, aus dem Anfang des vorigen
Jahrhunderts. Auch in ihr ist der Versuch einer einheit-
lichen Ausgestaltung mit gutem Ersolg gemacht. Jn
der Mitte mündet die schöne breite Waterloo-Straße,
an deren Ende eine hohe Säule mit Bronzestatue des
Herzogs von Wellington — das Seitenstück zur Nelson-
Säule auf dem stattlichen aber etwas zerrissenen Tra-
falgar-Square — steht. Auch hier gewinnt man Bilder
von monumentaler Schönheit, die sich dauernd dem
Gedächtnis einprägen. Es mag wohl außer diesen
Orten noch mehr schöne geben, die besonders dem Ein-
geborenen bekannt sind: Der Fremde hat im ganzen
den Eindruck einer planlos gewordenen Stadt, die nicht
schön ist, aber sehr interessant, die, keineswegs ein Denk-
mal kunstvoll aufbauenden Menschengeistes, doch anzieht
und fesselt durch die gewaltige Stimmung, die von ihr
ausgeht, wie von einem ungeheuren Naturprodukt.

Es ist eigentümlich, daß London trotzdem ein sehr an-
genehmer Aufenthaltsort ist. Dazu tragen bei die vielen
und wundervollen Parks, die reizenden grünen Squares,
die in das Straßennetz eingestreut sind, die leicht zu-
gängliche schöne Umgebung und schließlich bei der gast-
lichen Liebenswürdigkeit der Engländer das angenehme
Wohnen im Jnnern der Häuser. Hans Schmidt.

(Fortschuna folgt.)

ie junge und die jüngste Malerei.

(Glossen zur Sonderbundausstellung in Köln.)

III. Der blaue Reiter.

Wenn die Dinge sich so geradlinig entwickelten, wie
es nach solchen Betrachtungen aussehen könnte (die eigent-
lich nichts anderes sollen und vermögen, als dem Ver-
ständnis ungewohnter Ereignisse die cinfachsten Rich-
tungslinien weisen), dann hätten jetzt die jungen Maler
in Europa reinliche Arbeit vor sich: Die Entwicklung
des farbigen Aufbaus, die Ausbildung einer Kom-
position nicht aus dem Gegensatz von Hell und Dunkel
sondern von Farbe zu Farbe. Was an Vorstudien zu
diesem Iweck geleistet werden müßte, dazu hat der
Jmpressionismus eine vortreffliche Schulung gegeben;
 
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