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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 22.1912

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Heft 2
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Benn, Joachim: Von Friedrich dem Großen
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Aus Friedrich des Großen Briefen: (über Deutschtum und Pflicht)
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https://doi.org/10.11588/diglit.26494#0073

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Aus Friedrichs des Großen Briefen.

setzende Epoche die Leidenschaft, die unbekannt geworden
war, seit selbst die Liebe nur noch als Genußmittel galt,
und der dunkle Jnstinkt im Menschen auf den Thron ge-
setzt, den der Verstand zu ausschließlich eingenommen
hatte. Der Damon des preußisch-deutschen Volkech
der es nun zu den prometheischen Gefühlsausbrüchen
Goethes und seiner großen Nachfolger bringen wollte,
hatte sich in den König geworfen, und Schritt für Schritt
im selben Maße, wie er sich aus dem glatten und beredten
„Schöngeist" in den gichtischen „alten Fritz" mit seiner
bitteren Größe verwandelte, schwoll in Haller,* Klop-
stock, Lessing, Goethe das machtige Gefühl heran, das
der neuen Dichtung Größe ausmacht. — Es mag merk-
würdig erscheinen, daß derjenige, der eine neue Epoche
deutscher Dichtung einleitete, so ganz in der Geschmacks-
kultur eines anderen Volkes lebte, daß er die Änfänge
seiner vaterländischen Literatur nicht zu würdigen wußte;
wenn derjenige, der eine neue Epoche deutscher Charakter-
bildung ermöglichte, seinem Wesen nach noch so ganz
dem Rokoko angehörte, daß er selbst unter den Franzosen
nur die Geister liebte, die nicht wie Diderot und Rousseau
schon der neuen Aeit mit angehörten, vor allem also
Voltaire, in dem das französische Rokoko kulminierte.
Allein die Vorliebe des Königs für die französische Dich-
tung war im Grunde ja nichts anderes als die Vorliebe
des Dilettanten, der neben seiner Hauptbeschäftigung
noch das Bedürfnis fühlt, den überreich andringenden
Gedanken dichterische Form zu geben, und ohne die
Kraft und die Aeit, sich eine eigene, naturnotwendige zu
bilden, die beste übernimmt, die sich ihm fertig darbietet.
Dem französischen Charakter hat Friedrich der Große
von Anfang an durchaus skeptisch gegenübergestanden,
und durch sein ganzes Leben ziehen sich Aussprüche, die
das stärkste Nationalbewußtsein verraten, wie er ja
durch seine Schrift über die Vaterlandsliebe für Preußen
das Vaterlandsgefühl beinahe erst geschaffen hat: Er
selbst gehört als Charakter bei seinem beispiellosen Pflicht-
gefühl durchaus neben einen Kant, von dem man be-
zweifeln möchte, ob er ohne das Beispiel Friedrichs zu
dem Begriffe des kategorischen Jmperativs gekommen
wäre; nimmt man Friedrichs Stellung zum Christentum
hinzu, die keineswegs eine schlechtweg ablehnende war,
sondern einzig das verderbte Christentum zurückwies, so
wird es klar, daß er an allem teil hatte, was zur Grund-
lage der neuen Aeit geworden ist, und damit einer ihrer
Väter ist. Joachim Benn.

us Friedrichs des Großen Briefen^

(Über Deutschtum und Pfiicht.)

Sie haben so wenig Teil an den Fehlern Jhrer
Nation, daß ich mit einigem Recht Sie Jhrem Vater-

* Als „Anakreontische Lieder und Oden" ist unter den schöncn
Drugulindrucken des Verlags Rowohlt in Leipzig nach den Anek-
doten Kleists nun auch eine große Auswahl vorgoethischer Lyrik
erschienen, die wieder einmal die garnicht geringe Kunst und die
Grazie der Zeit zeigt, aber auch die ganze Flachheit und Enge
deS Gefühls, aus der heraus ein Dichter damals sang: „Das
weniaste hab ich gefühlet; das meiste sang ich nur aus Scherz."

7 Nach Kannegießer: 300 Briefe Friedrichs des Großen,
Leipzig-Breslau.

lande Frankreich streitig machen zu können glaube;
und wenn Sie den Deutschen nicht die Ehre erweisen,
ganz eine Deutsche zu sein, so muß man Sie wenigstens
zu den überlegenen Geistern zählen, welche alle Nationen,
die eine Gemeinschaft zusammen bilden, hervorbringen
und welche man Weltbürger nennen kann. (1740)

Sagen Sie mir, was für ein Mann dieser Marquis
d'Argens ist, ob er den unruhigen und flatterhaften
Geist seiner Nation besitzt. (1742)

Jch hoffe, daß Sie keinen Streit mehr haben werden,
weder mit dem Alten noch mit dem Neuen Testament;
derartige Händel sind entehrend; und auch mit den
Talenten des größten Schöngeistes von Frankreich
würden Sie die Flecken nicht tilgen, die ein solches Be-
nehmen auf die Dauer Jhrem guten Rufe anheften
würde. Ein Buchhändler Gosse, ein Opernviolinist, ein
jüdischer Juwelier, das sind wahrhaftig Leute, deren
Namen sich in keinerlei Geschäften neben dem Jhrigen
finden sollten. Jch schreibe diesen Brief mit dem groben
hausbackenen Verstand eines Deutschen, der da sagt,
was er denkt, ohne doppeldeutige Ausdrücke und matte
Beschönigungen zu gebrauchen, welche die Wahrheit
entstellen. ES ist Jhre Sache, sich Jhre Lehre daraus
zu ziehen. (1751)

Das Phlegma unsrer guten Deutschen ist, was man
auch sagen mag, geselliger als das ungestüme Tempera-
ment Euerer Schöngeister. Es ist wahr — und wir selbst
gestehen es — daß wir schwerfällig und plump sind
und daß wir das Unglück haben, nur hausbackenen Ver-
stand zu besitzen; aber wenn man einen Freund wählen
sollte, bei wem würden wir ihn suchen? Der Esprit,
mein lieber Darget, ist eine Schminke, welche die Häß-
lichkeit der Aüge nur verbirgt; der hausbackene Verstand,
wenn er auch weniger glänzend ist, führt eben infolge
seines richtigen Urteils zur Tugend, und ohne Tugend
keine Geselligkeit. (1754)

Was die Mathematik betrifft, so gestehe ich, daß ich
mich vor ihr fürchte' sie dörrt den Geist zu sehr aus.
Bei uns Deutschen ist es so wie so schon zu trocken; es
ist ein undankbarer Boden, den man pflegen und un-
aufhörlich begicßen muß, damit er Früchte trägt. (1738)

Unsere Deutschen haben den Ehrgeiz, auch ihrerseits
den Vorteil der schönen Künste zu genießen. Sie be-
mühen sich, Athen, Rom, Florenz und Paris darin
gleichzukommen. Wie sehr ich auch mein Vaterland liebe,
ich kann nicht sagen, daß es ihnen bis jetzt gelungen sei.
Iwei Dinge fehlen ihnen, die Sprache und der Geschmack.
Die Sprache ist zu weitschweifig; die gute Gesellschast
spricht Französisch, und einige Schulfuchser und Pro-
fessoren können ihr nicht die Feinheit und Leichtigkeit
der Wendungen geben, die sie nur im Verkehr der großen
Welt erwerben kann. Nehmen Sie noch die Mannig-
faltigkeit der Dialekte hinzu; jede Provinz hält an dem
ihrigen fest, und bis jetzt gibt es keine Entscheidung,
welche den Vorzug verdient. Was den Geschmack be-
trifft, so ermangeln die Deutschen desselben in jeder
Beziehung. Sie haben die Schriftsteller aus dem Aeit-
alter des Augustus noch nicht nachahmen können; sie
mischen römischen, englischen, französischen und deutschen


 
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