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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 22.1912

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Heft 5
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Aphorismen: aus Prinz Hamlets Briefen
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Schäfer, Wilhelm: Berliner Eindrücke
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https://doi.org/10.11588/diglit.26494#0189

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Berliner Cindrückc.

Es ist, waS die äußeren Verhältnisse betrifft, gewiß
vorteilhaft, einer niederen Sphäre anzugehören: Man
hat eine geringe Fallhöhe und eine bedeutende Steig-
kraft. Aber auch auf den Höhen der Gesellschaft haust
man sicherer, wenn man den guten, brauchbaren, ordi-
nären Sinn hat: eine Einheit, welche sich mit dem
Äußersten zufrieden gibt, Schamlosigkeit mit sittlicher
Entrüstung umhüllt, eine schweifwedelnde Verehrung
für den Stärkeren, und den Schwächeren gegenüber
eine bubenhafte Lust, seine Macht zu zeigen. —

Der höchste Schatz des Volkes ist seine Armut. Auö
ihr fließen ihm Kraft und Dauer, ihr verdankt es all
das Genüge und seine stille Größe. Die Armut steht
schützend vor dem Born der Dichtung, daß er nicht
von schnöden Goldsuchern verschüttet werde; die Armut
schärft all die feineren Sinne und läßt vergangene Jahr-
hunderte in unbewußter Erinnerung fortleben.

Mein Glaube geht durch zwei große Pforten: Geburt
und Tod; und ich bin überzeugt, all das Harte und Grobe
unserer Kultur beruht darauf, daß wir kein Verhältnis
mehr zu Eros und dem Tode haben. Gegen diesen
wehren wir uns so ängstlich, daß er unsercm Leben
fremd geworden ist, dem anderen haben wir seine
Schmetterlingsflügel ausgerissen und schämen uns nun
vor dem nackten Wurm. — Daher sind wir zu dem
wunderlichen Prinzip gekommen, das Seruale künst-
lich zu schwächen, wo nicht zu unterdrücken; als ob
nicht die mystische Macht des Geschlechtes dcn Menschen
am wirksamsten mit den ewigen Geheimnissen in Ver-
bindung erhielte und als ob nicht aus ihr, dem Urgrunde
der Phantasie, alles Große stammte! — Haben die
Heiligen nicht, wenn sie auch irrtümlich glaubten, das
Seruale zu unterdrücken, es im Kampfe zu einer Stärke
entwickelt, welche den Weltbrüdern unbekannt ist? —
Was aber soll aus der Generation werden, die von einer
engen, klügelnden Vernunft so herangebildet wurde,
daß ihr alles Große zuwider sein muß! — Da kommen
sie zu dem Seminaristenpessimismus jener berühmten
Verse: „Iwischen Sinnenglück und Seelenfrieden —
Bleibt dem Menschen nur die bange Wahl —" — Das
ist doch weiter nichts als das Eingeständnis der eigenen
Erbärmlichkeit; jede freiere Seele muß eine Kultur
erstreben und für möglich halten, die eine geistige Ein-
heit um jedes Glück und jeden Frieden schließt. — 1

Selig ist jeder, dessen Taten mit seinen Über-
zeugungen in Harmonie sind, möge der Jrrtum seiner
Überzeugung noch so ungeheuer sein: Ketzerrichter,
blinde Eroberer, beschränkte Despoten, naive Genüß-
linqe können gerechtfertigt werden, einzig verdammbar
bleibt die Geheimheit,^die sich ihres.eigenen Handelns
heimlich^schämt.

erliner Eindrücke.

Es'tut mir leid, dies sagen zu müssen, ich
kenne allmählich nichts Langweiligeres als
eine Großstadt, sofern man genötigt ist, ziellos darin
zu spazieren; und als ich mich neulich nach einer ziem-
lich ganztägigen Bahnfahrt an einem Sonntag-Vor-

mittag allein in Berlin fand, war meine Verzweiflung
groß. Jch bin kein Langschläfer, und die Hotelbetten
machen mich erst recht zum Frühaufsteher; so stand ich
nach allen Ümstandlichkeiten des Frühstücks und seiner
Vorgänge um acht Uhr vor einem drehbaren Hotel-
eingang und hatte bis zu meiner Sitzung um 12 Uhr
— wegen der ich nach Berlin gekommen war — volle
vier Stunden Aeit. Jrgendwen meiner alten Freunde so
früh zu besuchen, wagte ich nicht, die Museen blieben
geschlossen bis Mittag, und selbst für einen Kirchgang
war es noch zu früh, abgesehen davon, daß ich nicht
gerade deshalb nach Berlin gekommen war.

So tat ich also das, was ich auf dem Lande um diese
Aeit — wenn ich nicht arbeitete, was mir allerdings
lieber ist — auch tun würde: ich machte einen Spazier-
gang, der mich vom Bahnhof Friedrichstraße nach den
Linden, die eine Hälfte hinunter mit einem Umweg an
den Museumsneubauten vorbei zum Schloß, über die
Kurfürstenbrücke (ich meine die mit dem Schlüterschen
Kurfürsten) nach Köln hinüber zum alten und neuen
Rathaus, zurück zum Spittelmarkt, die Leipzigerstraße
hinunter zum Potsdamerplatz, mit einem Schweif
durch den Tiergarten zum Brandenburger Tor und
über die andere Hälfte der Linden zurück führte.
Man wird mir sagen, ich hätte eine gescheitere
Route als diese ausgetretene wählen können; ich
bin sie aber schließlich mit gutem Bedacht gegangen,
oftmals stehen bleibend wie ein rechter Provinzler und
wie ein solcher allcs registrierend, was niir bemerkens-
wert schien:

Zum ersten war es der Eindruck, der gleich in der
Friedrichstraße einsetzte und der sich in der Folge ver-
stärkte: was für eine konservative Stadt als Bau-
erscheinung Berlin inwendig ist; nach außen wachsen
die Neubauten wie Bakterien in den Sand und die Seen
hinein, inwendig aber steht es mit dem bescheidensten
Gerümpel. So, wie es am Bahnhof Friedrichstraße heute
aussieht, sah es vor fünfzehn Jahren ziemlich genau aus,
und wenn man sich da etwa an die Geschäftsstraßen
unserer rheinländischen Städte, an die Hohestraße in
Köln, an die Aeil in Frankfurt, die Königsallee in
Düsseldorf erinnert, wie hier alles mit der neuen Aeit
in der ümwandlung begriffen ist, wie man die Aeit
abrechnen kann, wo kaum ein altes Haus mehr stehen
wird: so muß man an eine bemerkenswerte Selbst-
zufriedenheit der Berliner glauben. Denn wohlgemerkt:
es handelt sich dort wie hier nicht um wirklich alte Straßen,
die der Neuzeit geopfert werden sollen, sondern zum
großen Teil um Bauwerke, die der zweiten Hälfte des
neunzehnten Jahrhunderts, zumeist der Gründerzeit,
entstammen und den ausgiebigsten Gebrauch von
Aement und Ornamenten machen. Mit diesem Plunder
sollte eine Großstadt aufräumen; aber Berlin scheint
ihm eine altväterliche Liebe zu bewahren, die zum
mindesten in einer Geschäftsstraße vom Rang der
Friedrichstraße und ihrer Umwelt auffällig ist.

Aber da kam mir durch die Kontrolle der folgenden
Tage auch schon die Einschränkung: die Friedrichstraße
ist eine solche Geschäftsstraße garnicht mehr, es ist
nicht einmal mehr wie srüher eine Verkehrsstraße. Jch
machte schon vor einigen Jahren („Rheinlande" 1910,
 
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