Berliner Eindrücke.
Heft 4) an dieser Stelle die Bemerkung, daß das schnell
ins Riesenhafte angewachsene Automobilwesen den
Straßenverkehr der Reichshauptstadt gründlich um-
gewandelt habe. Diesem flinkeren Ersatzmittel der
ehrwürdigen Droschken macht ein Umweg nicht all-
zuviel: so ist auf einmal der geschonte Asphalt mancher
Nebenstraßen zu einer ungeahnten Benutzung ge-
kommen; wo früher spielende Kinder höchstens einmal
durch einen Milchwagen beunruhigt wurden, da sausen
jetzt die Autos unaufhörlich. Nun ist natürlich der bessere
Fußganger durch dieses moderne Verkehrsmittel nicht
so bequem geworden — wie man es in der Friedrich-
straße manchmal glauben möchte — daß nur der „Aah-
lungsunfahige" noch ihr Trottoir abklappert: es haben
sich vielmehr die Verkehrsbrandungen gründlich ver-
schoben. Während der Spittelmarkt, ein früheres Zentrum
des emsigen Berlins, heute ziemlich verödet daliegt, ist
der Potsdamerplatz mit seiner fünffachen Überkreuzung
heftig flutender Wagen- und Menschenströme ein be-
drängtes Kampffeld geworden, das nur der Gleich-
mütige mit Geduld überschreitet. Weiterhin hat sich
der breitere Schlauch der Potsdamerstraße beängstigend
angefüllt.
Für den Eindruck der Stadt ist das nicht günstig; denn
so unbedeutend oder niederträchtig die meisten Geschäfts-
häuser der Friedrichstraße und noch viele der Leipziger-
straße sind, einen erfreulicheren Aspekt (um goethisch
zu reden) als die Potsdamerstraße bieten sie immerhin,
die wirklich kaum einen andern Charakter als den einer
übervölkerten Bahnhofsstraße von internationaler Durch-
schnittlichkeit hat. So kann die alte Stadt dankbar sein,
daß der Wertheimbau der Abflutung des Verkehrs nach
dem Westen ein dauerhaftes Hindernis in den Weg
gestellt hat; von hier aus, das scheint wohl sicher, wird
sich die nächste Gestaltung der Geschäftsstadt Berlin
vollziehen.
Das alles konnte ich aber an meinem Sonntag-
morgen noch nicht wahrnehmen, weil die Stadt ihre
Samstagnacht ausschlief: an der Linden- und Fried-
richstraßenecke hätten sich Kinder ohne besondere Ge-
fahr mit Reifenschlagen vergnügen können, und neben
den wenigen aus ihrem Morgenschlaf aufgestörten
Wagen bildeten ländliche Jungsrauen in Reformröcken,
von irgend einer Berliner Freundin tapfer geführt
(den Tag auszunützen), den einzig bemerkenswerten
Teil der Passanten. So mußte ich mich mit den Ge-
bäuden begnügen, die bekanntlich auch im Schlaf, und
wenn die elektrischen Lampen ausgegangen sind, an
der Straße stehen bleiben. Gleich der Neubau der
Bibliothek gab mir Gelegenheit zu längerer Betrachtung.
Er hat gewiß alles getan, nichts vom Geist der Neuzeit
zu bekommen, er steht mit seinen Quadern, Säulen
und Vasen als ein Ertrakt der wissenschaftlichen Bau-
kunst gelehrt und tüchtig da: aber wenn von ihm der
suchende Blick zur Universität, zur Hauptwache, zur
Hedwigkirche, zur alten Bibliothek, zum Aeughaus und
Opernhaus oder gar zum bescheidenen Palais mit
dem historischen Eckfenster geht: dann spürt er weh-
mütig, wie die breitbeinige neudeutsche Bauwissenschaft
diese ganze altpreußische Straße verschlucken wird.
„Unter den Linden": da war wirklich der Ort, wo man
das Preußentum alten Schlages hochachten lernte;
jetzt, wo durch die Ungunst der Perspektive mehr die
Dom- als die Schloßkuppel beherrschend hineinragt, und
angesichts dieses — ich sage es noch einmal: schrecklich an-
ständigen, schrecklich gelehrten aber auch schrecklich groß-
spurigen — Bibliothekneubaus hört man den Geist der
Neuzeit, freilich einen andern, als den man in der
Friedrichstraße wünscht, bedrohlich anmarschieren.
Jch habe — durch Fahrlässigkeit oder Ungeschick-
lichkeit — die Pläne des neuen Opernhauses nicht zu
sehen bekommen; sie sollen streng im Schinkelschen
Geist gehalten sein, und das Entsetzen derer, die sie
sahen, ist allgemein. Vor diesem Bibliotheksgebäude,
an dem ich nichts zu tadeln finde, als daß es dasteht,
kann ich mir auch ohne das Entsetzen meiner Freunde,
allein aus der Geschichte des Wettbewerbs, ein Bild
machen. Jch weiß, das ist Voreingenommenheit: aber
wenn mir an der gleichen Stelle schon elfmal der
Wagen in den Bach gerutscht ist, lasse ich den Kutscher
beim zwölften Mal einen andern Weg nehmen, oder:
gebranntes Kind scheut Feuer, oder: eher kann ein
Kamel durchs Nadelöhr gehen, als daß ein Reicher ins
Himmelreich komme.
Am Messelschen Museumsneubau sah ich aus der
Wüstenei der Fundamentierung ein Stück Giebel aus
Gipsdielen aufgerichtet, anscheinend um die Maße
zu erproben. Jch kenne die Pläne in ihrer Haltung
ziemlich genau und bin gewiß, die Disposition der
Massen ist vernünftig und edel; das Stück Giebel mit
seinem klassischen Griechentum war mir nicht erfreulich;
wenn die Maße noch so schwankend sind, daß die Wirkung
erst ausprobiert werden muß, ist es doch wohl ein un-
ersetzlicher Verlust, daß ein anderes als das Auge des
Schöpfers die notwendigen Feststellungen macht. Jedes-
mal vor dem Eckbau bei Wertheim stellt sich mir das Ge-
fühl ein, hier waren die Pläne nur die Orientierung,
der Bau blieb lebendig im Wachsen bis zuletzt, während
etwa bei dem neuen Stadthaus — man falle nicht
auf den Rücken: mir gefällt das alte besser — alles
doch ein wenig versteinertes Reißbrett ist. Ein schöner
Plan, ein schöneres Steinmaterial, eine korrekte Haltung
und ein ruhiges Dach auf dem Kopf: aber alles ein
wenig mehr die Vortäuschung guter Baukunst als sie
selber. Jch weiß, man sollte das aus Politik nicht
sagen, weil, wo Hoffmann baut, zum wenigsten der
Anstand hewahrt bleibt, der bekanntlich in Bausachen
schwerer als im bürgerlichen Leben ist; aber weil dies
doch auch eine Erfahrung bleibt, daß der Anstand in
Kunstsachen nicht ausreicht, weil es sich da um Dinge
der Schöpfung handelt, die sich bekanntlich außerhalb
der gesellschaftlichen Umgangsformen vollziehen: wird
mein Spritzer Branntwein nicht gleich die Bowle ver-
derben.
Der leere Sonntagmorgen ließ mir Aeit genug, den
Neubau des Stadthauses von allen Seiten zu betrach-
ten: wirklich, der schöne Stein gefiel mir am besten.
Wenn ich mir freilich sagte, daß hinter diesen Stein-
quadern Amtsstuben wären, mit Akten und Beamten,
während hinter den gleichen Quadern der Florentiner
Paläste Bewaffnete mit Eisenhüten das kostbare Dasein
ihrer Herren bewachten und die schweren Tore oft
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Heft 4) an dieser Stelle die Bemerkung, daß das schnell
ins Riesenhafte angewachsene Automobilwesen den
Straßenverkehr der Reichshauptstadt gründlich um-
gewandelt habe. Diesem flinkeren Ersatzmittel der
ehrwürdigen Droschken macht ein Umweg nicht all-
zuviel: so ist auf einmal der geschonte Asphalt mancher
Nebenstraßen zu einer ungeahnten Benutzung ge-
kommen; wo früher spielende Kinder höchstens einmal
durch einen Milchwagen beunruhigt wurden, da sausen
jetzt die Autos unaufhörlich. Nun ist natürlich der bessere
Fußganger durch dieses moderne Verkehrsmittel nicht
so bequem geworden — wie man es in der Friedrich-
straße manchmal glauben möchte — daß nur der „Aah-
lungsunfahige" noch ihr Trottoir abklappert: es haben
sich vielmehr die Verkehrsbrandungen gründlich ver-
schoben. Während der Spittelmarkt, ein früheres Zentrum
des emsigen Berlins, heute ziemlich verödet daliegt, ist
der Potsdamerplatz mit seiner fünffachen Überkreuzung
heftig flutender Wagen- und Menschenströme ein be-
drängtes Kampffeld geworden, das nur der Gleich-
mütige mit Geduld überschreitet. Weiterhin hat sich
der breitere Schlauch der Potsdamerstraße beängstigend
angefüllt.
Für den Eindruck der Stadt ist das nicht günstig; denn
so unbedeutend oder niederträchtig die meisten Geschäfts-
häuser der Friedrichstraße und noch viele der Leipziger-
straße sind, einen erfreulicheren Aspekt (um goethisch
zu reden) als die Potsdamerstraße bieten sie immerhin,
die wirklich kaum einen andern Charakter als den einer
übervölkerten Bahnhofsstraße von internationaler Durch-
schnittlichkeit hat. So kann die alte Stadt dankbar sein,
daß der Wertheimbau der Abflutung des Verkehrs nach
dem Westen ein dauerhaftes Hindernis in den Weg
gestellt hat; von hier aus, das scheint wohl sicher, wird
sich die nächste Gestaltung der Geschäftsstadt Berlin
vollziehen.
Das alles konnte ich aber an meinem Sonntag-
morgen noch nicht wahrnehmen, weil die Stadt ihre
Samstagnacht ausschlief: an der Linden- und Fried-
richstraßenecke hätten sich Kinder ohne besondere Ge-
fahr mit Reifenschlagen vergnügen können, und neben
den wenigen aus ihrem Morgenschlaf aufgestörten
Wagen bildeten ländliche Jungsrauen in Reformröcken,
von irgend einer Berliner Freundin tapfer geführt
(den Tag auszunützen), den einzig bemerkenswerten
Teil der Passanten. So mußte ich mich mit den Ge-
bäuden begnügen, die bekanntlich auch im Schlaf, und
wenn die elektrischen Lampen ausgegangen sind, an
der Straße stehen bleiben. Gleich der Neubau der
Bibliothek gab mir Gelegenheit zu längerer Betrachtung.
Er hat gewiß alles getan, nichts vom Geist der Neuzeit
zu bekommen, er steht mit seinen Quadern, Säulen
und Vasen als ein Ertrakt der wissenschaftlichen Bau-
kunst gelehrt und tüchtig da: aber wenn von ihm der
suchende Blick zur Universität, zur Hauptwache, zur
Hedwigkirche, zur alten Bibliothek, zum Aeughaus und
Opernhaus oder gar zum bescheidenen Palais mit
dem historischen Eckfenster geht: dann spürt er weh-
mütig, wie die breitbeinige neudeutsche Bauwissenschaft
diese ganze altpreußische Straße verschlucken wird.
„Unter den Linden": da war wirklich der Ort, wo man
das Preußentum alten Schlages hochachten lernte;
jetzt, wo durch die Ungunst der Perspektive mehr die
Dom- als die Schloßkuppel beherrschend hineinragt, und
angesichts dieses — ich sage es noch einmal: schrecklich an-
ständigen, schrecklich gelehrten aber auch schrecklich groß-
spurigen — Bibliothekneubaus hört man den Geist der
Neuzeit, freilich einen andern, als den man in der
Friedrichstraße wünscht, bedrohlich anmarschieren.
Jch habe — durch Fahrlässigkeit oder Ungeschick-
lichkeit — die Pläne des neuen Opernhauses nicht zu
sehen bekommen; sie sollen streng im Schinkelschen
Geist gehalten sein, und das Entsetzen derer, die sie
sahen, ist allgemein. Vor diesem Bibliotheksgebäude,
an dem ich nichts zu tadeln finde, als daß es dasteht,
kann ich mir auch ohne das Entsetzen meiner Freunde,
allein aus der Geschichte des Wettbewerbs, ein Bild
machen. Jch weiß, das ist Voreingenommenheit: aber
wenn mir an der gleichen Stelle schon elfmal der
Wagen in den Bach gerutscht ist, lasse ich den Kutscher
beim zwölften Mal einen andern Weg nehmen, oder:
gebranntes Kind scheut Feuer, oder: eher kann ein
Kamel durchs Nadelöhr gehen, als daß ein Reicher ins
Himmelreich komme.
Am Messelschen Museumsneubau sah ich aus der
Wüstenei der Fundamentierung ein Stück Giebel aus
Gipsdielen aufgerichtet, anscheinend um die Maße
zu erproben. Jch kenne die Pläne in ihrer Haltung
ziemlich genau und bin gewiß, die Disposition der
Massen ist vernünftig und edel; das Stück Giebel mit
seinem klassischen Griechentum war mir nicht erfreulich;
wenn die Maße noch so schwankend sind, daß die Wirkung
erst ausprobiert werden muß, ist es doch wohl ein un-
ersetzlicher Verlust, daß ein anderes als das Auge des
Schöpfers die notwendigen Feststellungen macht. Jedes-
mal vor dem Eckbau bei Wertheim stellt sich mir das Ge-
fühl ein, hier waren die Pläne nur die Orientierung,
der Bau blieb lebendig im Wachsen bis zuletzt, während
etwa bei dem neuen Stadthaus — man falle nicht
auf den Rücken: mir gefällt das alte besser — alles
doch ein wenig versteinertes Reißbrett ist. Ein schöner
Plan, ein schöneres Steinmaterial, eine korrekte Haltung
und ein ruhiges Dach auf dem Kopf: aber alles ein
wenig mehr die Vortäuschung guter Baukunst als sie
selber. Jch weiß, man sollte das aus Politik nicht
sagen, weil, wo Hoffmann baut, zum wenigsten der
Anstand hewahrt bleibt, der bekanntlich in Bausachen
schwerer als im bürgerlichen Leben ist; aber weil dies
doch auch eine Erfahrung bleibt, daß der Anstand in
Kunstsachen nicht ausreicht, weil es sich da um Dinge
der Schöpfung handelt, die sich bekanntlich außerhalb
der gesellschaftlichen Umgangsformen vollziehen: wird
mein Spritzer Branntwein nicht gleich die Bowle ver-
derben.
Der leere Sonntagmorgen ließ mir Aeit genug, den
Neubau des Stadthauses von allen Seiten zu betrach-
ten: wirklich, der schöne Stein gefiel mir am besten.
Wenn ich mir freilich sagte, daß hinter diesen Stein-
quadern Amtsstuben wären, mit Akten und Beamten,
während hinter den gleichen Quadern der Florentiner
Paläste Bewaffnete mit Eisenhüten das kostbare Dasein
ihrer Herren bewachten und die schweren Tore oft
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