herhalteu: wie bei einer Bachschen Fuge kein Mensch
nach einer Naturanschauung suche und doch alles höchste
Gesetzmäßigkeit in der Führung der Harmonien sei,
so könne eben auch in einem Bild bei aller Freiheit
vom Gegenstand und anscheinenden Willkür in der Aus-
bildung des ornamentalen Motivs und der sarbigen
Jnstrumentation alles von höchster Gesetzmaßigkeit sein:
da jede Kunst, also auch die Malerei keine anderen Ge-
setze anerkennen könne, als die in ihm selber stehenden.
Das ist die alte Jrrlehre von der Freiheit der Künste,
die das Goethesche Meisterwort von der Beschränkung
nicht einsehen will. Jnsofern ist Kandinsky vom „blauen
Reiter", der bekannten Münchner Erpressionistengruppe,
noch am konsequentesten, indem er auf gemalte Linien-
und Farbenmusik losgeht und sich dabei der Erscheinungen
nicht mehr oder kaum noch bedient; aber diese Konsequenz
steht auch gleich am Ende ihrer Welt: Das Auge erkennt
die Harmonie in seinen Flächen gern an, aber der Geist
fühlt sich aus allen Herrlichkeiten der Erscheinungswelt
auf die dürre Weide geführt. Es ist wie eine epische Hand-
lung, in der die Personen beseitigl sind; und so sehr es
den Erzähler hindern mag, daß er immer ein Fräulein
Meyer, einen König Otto oder einen Dienstmann Haber-
land nötig hat, um seine epischen Sinnbilder vorzu-
führen, daß er ohne sie und selbst schon mit der heute
beliebtcn Vercinfachung — eine Königin, der Heilige
und die Magd — der Formspiclerei verfällt: darüber
kann kein Aweifel sein.
Wir, die wir Kunst machen, sind weder Jnstrumente
noch englische Wesen, wir sind Menschentiere mit allen
Abhängigkeiten von der Natur, deren Kinder oder
lebendige Bestandteile wir mit allem Aufschwung der
Seele und des Geistes bleiben. Wo wir auch die Augen
öffnen, überall stehen die Erscheinungen der organischen
Natur vor uns; wie unsere wahnsinnigsten Träume
kein Detail zu erfinden vermögen, das nicht als An-
schauung durch unsere Sinne kam, vermag sich auch
unsere bildnerische Phantasie in nichts von der Erschei-
nungswelt zu befreien. Wir können einen Teppich nach
den Gesetzen unserer farbigen Anschauung in noch so
abstrakter Weise mit Farben füllen: unser Gefühl wird
heimlich immer wieder Erinnerungen aus der Erscheinungs-
welt hineinphantasieren, und je weniger es das vermag,
um so weniger befriedigt wird es von dem Schaubild
seiner Augen sein. Die ungeheure Wirkung von van
Gogh sowohl, dem Naturalisten, wie Cszanne, dem
Artisten, liegt eben darin, daß beide über eine taub
gewordene Konvention hinaus uns die Natur wieder
näher brachten, daß sie uns Sinnbilder gaben, mit dcr
Unheimlichkeit des Lebens gefüllt.
Solange die Erpressionisten (weder der Holländer
noch der Provenyale bätten sich das Schlagwort ohne
Grinnu ankleben lassen) mit ihren Bildideen im Dienst
dieser Naturanschauung bleiben, sind sie fruchtbar, und
so lange werden sie auch Augen finden, die ihren wildesten
Verstößen über den Ring der Konvention hinaus gut-
willig folgen; wo sie aber glauben, willkürlich mit der
Natur umspringen zu dürfen, auf den gesetzmäßigen
Aufbau ihrer Bildidee pochend, wird unser Gefühl sich
abwenden als von einer Formspielerei. Jm einen Fall
sind sie selber Organe der Natur, im andern nur noch
Ornamente d. h. unnütze Schnörkel. W. Schäfer.
Drei Gedichte von Hans Mühlestein
Morgensonett.
Es ist nichts Dunkles mehr in mir. Die Leuchte
der Liebe hat es alles überglüht.
Es ist ein herrlich Land in mir, es blüht,
es breitet sich ins Morgenrot, ins feuchte!...
Jns frische Land sprengt jetzt das lang verscheuchte,
noch schüchterne, bald feurige Gestüt
der Hoffnungen! Frei atmet mein Gemüt,
das kurz noch unterm Druck der Traumglut keuchte.
Jch grüße dich, du morgendlicher Tag —
ich Bruder dir durch Liebeslicht! O schlag
zu deinem Ritter mich! Jch will es spüren
im tiefsten Blut, willst du mit deinem Schwert
mir Scheitel, Schulter und die Stirn berühren
und hältst mich so zu deinem Ritter wert!
Ein Abendlied.
Du bist wie ein schwermütig Glockenlied,
das jetzt von einem grauen Kampanile
über die abendstillen Dächer zieht...
Es eilt wie du in alle dunklen Aiele.
Dein Aauber ist wie seiner. Denn dein Herz
ist auch von dieser Sehnsucht so erschüttert,
die seit Jahrhunderten aus grauem Erz
abends ins Dunkelwerdende verzittert...
Und deine Stimme ist wie dieser Klang
auch so von einer dunklen Glut verschleiert,
und deiner Augen Abend macht mir bang,
weil drin die Nacht ihr leises Kommen feiert...
Schnsucht.
Dein Leben ist reif, es harrt,
daß es geerntet werde!...
Und ich bin tot und ward,
fern deiner Liebe, verscharrt
in fremder Erde...
Nur meine Sehnsucht erhebt
manchmal ihr Haupt aus der Erde...
Du kniest ungläubig... Sie schwebt
über dich weg und lebt
mit hungriger Gebärde...
Sie sindet dich nicht, denn du
bist tief in Trauer verborgen...
Sie flattert immerzu
in der Nacht, ohn' Aiel und Ruh,
bis an den Morgen.
Am Morgen, da sinkt sic tot
auf ihre alte Stätte...
Dann flackert das Morgenrot:
Ein jedes Staubkorn loht
auf ihrem sandigen Bette...
351
nach einer Naturanschauung suche und doch alles höchste
Gesetzmäßigkeit in der Führung der Harmonien sei,
so könne eben auch in einem Bild bei aller Freiheit
vom Gegenstand und anscheinenden Willkür in der Aus-
bildung des ornamentalen Motivs und der sarbigen
Jnstrumentation alles von höchster Gesetzmaßigkeit sein:
da jede Kunst, also auch die Malerei keine anderen Ge-
setze anerkennen könne, als die in ihm selber stehenden.
Das ist die alte Jrrlehre von der Freiheit der Künste,
die das Goethesche Meisterwort von der Beschränkung
nicht einsehen will. Jnsofern ist Kandinsky vom „blauen
Reiter", der bekannten Münchner Erpressionistengruppe,
noch am konsequentesten, indem er auf gemalte Linien-
und Farbenmusik losgeht und sich dabei der Erscheinungen
nicht mehr oder kaum noch bedient; aber diese Konsequenz
steht auch gleich am Ende ihrer Welt: Das Auge erkennt
die Harmonie in seinen Flächen gern an, aber der Geist
fühlt sich aus allen Herrlichkeiten der Erscheinungswelt
auf die dürre Weide geführt. Es ist wie eine epische Hand-
lung, in der die Personen beseitigl sind; und so sehr es
den Erzähler hindern mag, daß er immer ein Fräulein
Meyer, einen König Otto oder einen Dienstmann Haber-
land nötig hat, um seine epischen Sinnbilder vorzu-
führen, daß er ohne sie und selbst schon mit der heute
beliebtcn Vercinfachung — eine Königin, der Heilige
und die Magd — der Formspiclerei verfällt: darüber
kann kein Aweifel sein.
Wir, die wir Kunst machen, sind weder Jnstrumente
noch englische Wesen, wir sind Menschentiere mit allen
Abhängigkeiten von der Natur, deren Kinder oder
lebendige Bestandteile wir mit allem Aufschwung der
Seele und des Geistes bleiben. Wo wir auch die Augen
öffnen, überall stehen die Erscheinungen der organischen
Natur vor uns; wie unsere wahnsinnigsten Träume
kein Detail zu erfinden vermögen, das nicht als An-
schauung durch unsere Sinne kam, vermag sich auch
unsere bildnerische Phantasie in nichts von der Erschei-
nungswelt zu befreien. Wir können einen Teppich nach
den Gesetzen unserer farbigen Anschauung in noch so
abstrakter Weise mit Farben füllen: unser Gefühl wird
heimlich immer wieder Erinnerungen aus der Erscheinungs-
welt hineinphantasieren, und je weniger es das vermag,
um so weniger befriedigt wird es von dem Schaubild
seiner Augen sein. Die ungeheure Wirkung von van
Gogh sowohl, dem Naturalisten, wie Cszanne, dem
Artisten, liegt eben darin, daß beide über eine taub
gewordene Konvention hinaus uns die Natur wieder
näher brachten, daß sie uns Sinnbilder gaben, mit dcr
Unheimlichkeit des Lebens gefüllt.
Solange die Erpressionisten (weder der Holländer
noch der Provenyale bätten sich das Schlagwort ohne
Grinnu ankleben lassen) mit ihren Bildideen im Dienst
dieser Naturanschauung bleiben, sind sie fruchtbar, und
so lange werden sie auch Augen finden, die ihren wildesten
Verstößen über den Ring der Konvention hinaus gut-
willig folgen; wo sie aber glauben, willkürlich mit der
Natur umspringen zu dürfen, auf den gesetzmäßigen
Aufbau ihrer Bildidee pochend, wird unser Gefühl sich
abwenden als von einer Formspielerei. Jm einen Fall
sind sie selber Organe der Natur, im andern nur noch
Ornamente d. h. unnütze Schnörkel. W. Schäfer.
Drei Gedichte von Hans Mühlestein
Morgensonett.
Es ist nichts Dunkles mehr in mir. Die Leuchte
der Liebe hat es alles überglüht.
Es ist ein herrlich Land in mir, es blüht,
es breitet sich ins Morgenrot, ins feuchte!...
Jns frische Land sprengt jetzt das lang verscheuchte,
noch schüchterne, bald feurige Gestüt
der Hoffnungen! Frei atmet mein Gemüt,
das kurz noch unterm Druck der Traumglut keuchte.
Jch grüße dich, du morgendlicher Tag —
ich Bruder dir durch Liebeslicht! O schlag
zu deinem Ritter mich! Jch will es spüren
im tiefsten Blut, willst du mit deinem Schwert
mir Scheitel, Schulter und die Stirn berühren
und hältst mich so zu deinem Ritter wert!
Ein Abendlied.
Du bist wie ein schwermütig Glockenlied,
das jetzt von einem grauen Kampanile
über die abendstillen Dächer zieht...
Es eilt wie du in alle dunklen Aiele.
Dein Aauber ist wie seiner. Denn dein Herz
ist auch von dieser Sehnsucht so erschüttert,
die seit Jahrhunderten aus grauem Erz
abends ins Dunkelwerdende verzittert...
Und deine Stimme ist wie dieser Klang
auch so von einer dunklen Glut verschleiert,
und deiner Augen Abend macht mir bang,
weil drin die Nacht ihr leises Kommen feiert...
Schnsucht.
Dein Leben ist reif, es harrt,
daß es geerntet werde!...
Und ich bin tot und ward,
fern deiner Liebe, verscharrt
in fremder Erde...
Nur meine Sehnsucht erhebt
manchmal ihr Haupt aus der Erde...
Du kniest ungläubig... Sie schwebt
über dich weg und lebt
mit hungriger Gebärde...
Sie sindet dich nicht, denn du
bist tief in Trauer verborgen...
Sie flattert immerzu
in der Nacht, ohn' Aiel und Ruh,
bis an den Morgen.
Am Morgen, da sinkt sic tot
auf ihre alte Stätte...
Dann flackert das Morgenrot:
Ein jedes Staubkorn loht
auf ihrem sandigen Bette...
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