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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 22.1912

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Heft 7
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Benn, Joachim: Karl Hauptmann: Judas
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Schäfer, Wilhelm: Wilhelm Schmidtbonn
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https://doi.org/10.11588/diglit.26494#0275

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arl Hauptmanli: Iudas.*

Manche Menschen glauben heute, Karl Hauptmann sei in
Wahrheit größer, als sein berühmterer Bruder und habe auch troh
seiner 50 Jahre noch eine bedeutendc künstlerische Entwicklung vor
sich, während Gerhart am Ende der seinen sei, wcil er über die natu-
ralistische Darstellungsweise nicht mehr hinaus könne. Diese Meü
nung mag einmal auf dem Gefühl beruhen, Karl Hauptmann sei als
Mensch die ungebrochenere, quellenrcichere und unverbrauchtere
Natur, weiter auf dem Gefühh Karl Hauptmann sei niemals ein
ganz echter Raturalist gewesen und müsse deshalb auch leichter zu
einer Überwindung des Naturalismus kommen. Allein hier liegt
doch wohl ein Jrrtum vor: Karl Hauptmann war tatsächlich niemals
ein reiner Naturalist, doch war er es nur deshalb nicht, weil er nie-
mals in sich das vag-lyrische Empfinden des spätromantischen
Cpigonen überwunden hat. Cs ist also wahr, daß Karl Haupt-
mann zu sehr „Poet" war, um sich jemals ganz auf das natura-
listische Dogma festlegen zu lassen, aber dieser Poet in ihm war
eben recht epigonisch. Seine konscquenteren Gesinnungsgenossen
gestanden sich z. B. einst ganz ehrlich, es sei Diebstahl schwachcr
Cnkel, mit einer ererbten Sprache zu operieren; könnten sie nicht
gleich eine neue Dichtersprache schaffen — nur Stefan George ver-
suchte es, blieb aber im Abstrakten stecken—, so müßten sie ganz
schlicht ihre Cindrücke wiedergeben, um erst einmal neu sehen zu
können. Demgegenüber verwendet Karl Hauptmann bis in die
neueste Ieit hinein aus der Spätromantik übernommene und ver-
brauchte Bild- und Wortklischecs, und sein Verhältnis zum Sprach-
material spiegelt nur sein Verhältnis zum psychologischen Material.

Es war deshalb auch durchaus gerecht, wenn Gerhart Haupt-
mann von seinen Zeitgenossen gekrönt wurde, denn er gab ihnen die
Stilkunst, die der Zeit entsprach, wogegen sein Bruder, darin dem
Franzosen Meunier ein wenig ähnlich wie an anderen Stellen ebenso
monumental, den Naturalismus mit aller Romantik mischte. Cs ist
aber freilich auch verständlich, wenn Karl Hauptmann, derja niemals
ganz auf „Poesie" verzichtet hatte, nun eher Verständnis für die
neue Entwicklungsrichtung dcr Dichtung — auch der Crzählungs-
kunst — aufbringt als sein einst stilvollercr Bruder. Doch wird ihm
das für sein eigenes Schaffen wenig nutzen, da er eben als Poet immer
etwas Epigonisches behält, weil er die sprachliche Schule des Natu-
ralismus eigentlich umgangen hat. Cr wird immcr ein Outsider
bleiben, mit dem man natürlich menschlich sympathisieren kann, wenn
er auch außerhalb der allgemeinen Entwicklung steht.

Die seltsame Situation, in der Hauptmann sich befindet, zeigt
sich so recht in seinem Buche „Judas", dessen drci Crzählungen eigent-
lich eine praktische Kritik und halbe Überwindung des Naturalismus
bilden. Die Titelerzählung ist ganz unkünstlerisck, eine „psychologische
Studie" schlechtester Gattung, die in der Form eines Tagebuches
eine Anzahl häßlicher, krampfiger u»d dabei vagcr Sätzc zu kleinen
Notizen aus dei» Leben cines Berbrechers vercmigt; nian möchte
annehmen, daß cin Dichtcr so etwas schreibt, um es nie wieder tun
zu müssen. — Die zweite Erzählung „Cinfältige" ist eine echte Elends-
schilderung naturalistischer Schule, doch zeigt sie Hauptmann formal
schon unter dem Einfluß moderner Stilforderungen: Die Menschen
reden hier kaum noch im Dialekt, reden überhaupt kaum noch, denn
das Episch-Crzählerische wird betont, obschon der Dichter nicht ganz
von seiner alten malenden Art fortkommt, sondern sogar zu einer
impressionistisch-crzählenden Methode greift. Bei dieser immerhin
strengeren und lakonischeren Darstellungsweise tritt nun naturgemäß
der Crzählungskern schärfer hervor als früher, und da sich der als recht
kümmerlich erweist, inhaltlich unerquicklich, formal schief und verquer
zurechtgeschnitten, so scheint es, als wolle Hauptmann in der Lritten
Erzählung „Graf Michael" dem Naturalismus entschieden absagen.
Er wählt zuerst einmal ein Milieu, in dem die Menschen wenigstens
ökonomisch unabhängig sind: die Häuser österreichischer Magnaten;
es ist einem, als trete man aus dem Gefängnis des Naturalismus
in den Garten der Dichtung, denn man crfährt von gütigen und kraft-
vollen, poetisch also brauchbaren Menschen, die doch klar gezeichnet
sind, und hofft, es gelinge endlich wieder einem Dichter, das Märchen
in das Leben hineinzuziehen. Da führt ihn die naturalistische Lebens-
anschauung zu cinem Kompositionsfehler: dcr Held ist nämlich —
es geht nicht ohne Unfreiheit ab — ein Erblich-Belasteter, der nicht
vom Spiele lassen kann; da er dabei sympathisch bleibt, würde man
das hinnehmen, traurig auch das Schlußergebnis, daß er die Ge-
liebte verläßt, um nicht auch ihr Leben zu zerstören, nur müßte das
Heroische dieser Handlungsweise herausgearbeitet werden. Haupt-

* Verlag D. W. Callwey, München.

mann dagegen arbeitet das Trostlose heraus, als könne ein Dichter
überhaupt Pessimist sein, und die begütigende Mittcilung von der
späteren Selbstüberwindung des Mannes bringt er lässig als Nach-
wort; seine schön beginnende Erzählung geht völlig unbesriedigend
aus, weil seine Weltarischauung, die Weltanschauung des Natura-
listen, unpoetisch ist. Ioachim Benn.

ilhelm Schmidtbonn,

unser rheinländischer Landsmann, hat zwci neue Bücher
herausgebracht, und wer es nach dem „Zorn des Achilles" noch
nicht wußte, was für ein Glutherz von Dichter wir an diesem
Menschen haben, der nehme das erste, den Lobgesang des Lebens,
einen Band Gedichte, zur Hand. Rhapsodien ncnnt er sie selber,
und wie er das meint, sagt er in seiner Widmung: „Dem Maler
Gustav Wunderwald widme ich dies Buch im Gedenken an
unser gemeinsames Wanderjahr mit den beidcn Frauen und
dem Hund. Jeder Baum, unter dem wir dem Sang der Säge-
mühlen und Cisenbahnen zuhörten, jeder Hügel, von dem wir den
Horizont suchten, jedes Dorf, jede Stadt, jedes Kloster, jeder Bahn-
hof, jede Fabrik, die wir uns erwanderten, zehrend, verzehrt, voll
«iner nie schwach wcrdenden Liebe für jeden Grashalm und jeden
Ziegelstein und doch ewigem Fortmüssen; alles schlägt in diesen
Rhythmen mit, die unter freiem Himmel mehr gesprochen als
niedergeschrieben wurden — darum auch mehr mit Ohren gehört
als mit Augen gelesen werden sollen."

Wie diese Vorrede, ist das ganze Buch, der Crde näher als der
Kunst und doch mehr Kunst als alle Künstelei: denn so im geschriebe-
nen Wort den Klang der Sprache, den Wind der Gebirge und den
Glanz der Sonne behalten, so Aeile für Deile Bilder aufjagen
und dieWorte aufplatzen lassen in allen Nähten von der Sinnlichkeit,
die in ihren Begriff geballt ist: das vermag kein Jüngling, dcn diese
Dinge zum erstenmal überfallen, das kann nur ein Mann, dcm sie
durch Jahre mit jedem Frühling das Blut neu aufrührten und der
ihnen in qualvoller Selbstzucht endlich der Wortmeister geworden ist.

Man wird in unserm ästhetischen Aeitalter vielleicht bemerken:
dies sei rohes, ungewaschenes Gold; ich sage, daß es von einer
Meisterhand gehämmert ist, in Beulen gehämmert, nicht poliert
oder geschliffen, aber so, daß sein Glanz wie Trauben schwillt und
in den Falten unergründlich zu leben scheint. Wer Alfons Paquet
kennt, wird vielleicht an seine lang hingewehten Lebensgcsänge
dcnken: Schmidtbonn ist kein Sänger, cr trotzt sich die Worte ab
und eher bricht er den Silben das Rückgrat durch, als daß er sie
dem Takt oder gar einem Reim zuliebe sanft fließen läßt. Aber
was man den Rhythmus nennt, dieses aus sich selbcr Fließende, in
sich Versinkende nnd mit neuer KraftAussprudelnde, wie ein Wasser-
strahl aus einem Becken springt und niederplätschernd sich selber
immer wieder neu gebiert: dies ist in seinen Versen so stark, daß
man lange nachhcr mit einem natürlichen Mißtrauen an die ge-
reimten Verse dcr andern denkt.

Daß diese Rhapsodien auch stofflich von einer ungewöhnlichen
Sinnlichkeit erfüllt sind, ist damit schon gesagt: denn das Leben
selber ist keine abgewogene Literatur: wer die sucht, nehme das
Buch nicht zur Hand.

Das könnte man auch von den vier Schwänken sagen, die
Schmidtbonn unter dem Titel „Der spielende Eros" gleichzeitig
herausbringt.* Man kann finden, sie seien derb; man kann aber
auch entzückt sein, wie darin die sanften klassischen Vorstellungen
höchst burlesk auf den Kopf gestellt werden. „Die Versuchung des
Diogenes", „Helena im Bade", „Der junge Achilles" und „Pyg-
malion"; jedesmal fängt eine uns wohlbekannte Gestalt überraschend
an zu leben: und zwar so, daß sie in den Kreis unserer modernen
Gefühle eintritt und da ihr klassisches Gewand auslüftet. Wer
den trotzigen Gang des Dichters verfolgt hat, wie er, der schwer
Schaffende, sich jedes Stückchen Freiheit mit Fäusten erkämpfen
mußte, dem teilt sich aus diesen Schwänken eine Freude mit, ihn nun
so hemdärmelig frci mit Menschen und Gefühlen schalten zu sehen.

Es ist nach dicsen Büchern, so dicht auf den Fersen dem „Zorn
des Achilles" solgend, nun keine Frage mehr, daß sich in Schmidt-
bonn cine große Begabung gewaltsam durch die Last derKonvention
durchgebrochen hat. Was wir nun an ihm haben, ist kein Meister
irgend ciner Manier oder eines vorgezeichneten Weges. Wir
wissen nicht, was er uns bringen wird, aber daß da eine elementare
Dichterkraft beide Hände frei bekommen hat, das fühlen wir wohl.

W. Schäfer.

* Verlag von beiden Büchern: Egon Fleischel 6t Co., Berlin
(Preis je M. 3.—).

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