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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 22.1912

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Heft 6
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Benedix, Peter: Die Schönheit der Maria Weinzierl, [2]: eine Erzählung
DOI Artikel:
Benn, Joachim: Literarische Skizzen
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https://doi.org/10.11588/diglit.26494#0232

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Die Schinheit der Maria Weinzierl.

zunehmen, so daß sie, als er zur Türe hersintrat, wie
eine vielbeschäftigte Hausfrau mit leicht geröteten
Wangen inmitten eines ganzen Berges von weißem
Linnen stand.

Da hielt der Leonhard Eggenhofer vor dem freund-
lichen Bilde ganz betroffen inne und dachte, daß er doch
ein rechter Tor ware, wenn er jetzt nicht hinzuspränge,
das schöne Geschöpf in seine Arme nähme und ihm sage,
wie lieb es ihm sei; aber da traten im letzten Augenblick
die wohlbegründeten Vorsätze dazwischen und ließen
ihn nur die Hand erheben und darreichen.

Maria, dir ihre ganze Sicherheit wiedergefunden,
ergriff diese Hand und meinte lächelnd: „Ah, der Herr
Eggenhofer, Grüß Gott!... Der Vater wird drunten
sein, im Keller."

Der Leonhard, den es nicht nach dem Vater ver-
langte, wußte auf der Stelle nichts anderes zu ent-
gegnen, als: „So, im Keller!", woraufer sich im Iimmer
umblickte und nach einer kleinen Weile fortfuhr: „Aber
ganz schön ists da heroben! Sie erlauben schon, Fräu-
lein Marie, daß ich mir die alten Bilder einmal anschau."

„Bitt schön!" entgegnete sie kurz und ein wenig
schroff und deckte das erste Tuch wieder über einen der
Sessel. Und während sie mit dieser Arbeit allmählich
in dem Gemache nach der einen Seite hin vorrückte,
kam ihr von der anderen der Leonhard Eggenhofer,
der ganz in die Betrachtung der Bilder vertieft schien,
entgcgen.

Da geschah es, daß die lautlose Stille, in der sie,
einander abgewandt, sich näherten, beiden eine inaere
Fröhlichkeit erweckte, die am Ende allen Trotz über-
wandt, so daß sie plötzlich lachenden Auges neben-
einander standen und sich anblickten.

Und ehe noch einer der wohlbegründeten Vorsätze
irgend etwas zu sagen vermochte, hatte der Leonhard
Eggenhofer die beiden Hände, die das weiße Linnen
hielten, ergriffen und damit das schöne Wesen, das
ihnen zugehörte, an sich gezogen und sein Angesicht
tief in das weiche, braune Haar geborgen.

Nachdem sie aber so eine geraume Weile auf der
gleichen Stelle verharrt waren, löste sich das Mädchen
schweigend aus der Umarmung und wollte sich von neuem
ihrer Arbeit zuwenden, als der Leonhard es wieder
bei der Hand ergriff und neben sich auf einen Stuhl
niederzog.

Darauf begann er ihr mit wenigen Worten seine
Hoffnungen und seine Pläne darzulegen, und wie er
es auszuführen und einzurichten gedachte, welches alles
damit seinen Ausgang nahm, daß sie einander die Ehe
versprachen. Es sollte aber außer ihnen niemand darum
wissen, denn der Leonhard Eggenhofer wollte erst als
ein rechter und vermögender Freier kommen, um seine
Frau in ein gutes und wohlversehenes Haus hinein-
zuführen.

Als aber alles beschlossen und der schöne Vertrag
durch zwei fest verschlungene Hände unterzeichnet worden
war, hob das Mädchen ein wenig seinen Kopf und
meinte lächelnd: „Aber balst mir nicht treu bleibst,
nachher hab ich schon einen andern," und damit zog sie
den großen Brief des Kaspar Dumler aus der Tasche
und ließ die Aufschrift auf dem Umschlage sehen.

Da der Leonhard aber danach griff, um ein Näheres
zu erfahren, schlug sie ihm leicht auf die Finger und
indem sie mit der anderen Hand das Schreiben weit von
sich hielt, sagte sie: „Nein, du kriegst es nicht. Das ist
ein guter Mensch und ich mag nicht, daß du ihn aus-
spottest."

Doch der Leonhard, in dem sich die Neugierde nnd
eine gcringe Eifersucht erhoben hatten, ^wollte nicht
davon ablassen; und da er auf jede Weise dem Mädchen,
das sich unter Lachen kaum zu wehren vermochte, seinen
Besitz zu entreißen suchte, so geschah es, daß sie einander
sehr nahe kamen, bei welcher Berührung der Leonhard
plötzlich jeden weiteren Kampf aufgab und die schöne
Gelegenheit wahrnqhm und das Mädchen küßte, was
dieses hinwiederum ohne irgend einen Widerstand ge-
schehen ließ. Dabei perbarg sie heimlich den Brief wieder
in ihrer Tasche, und keine Bitte und keine Drohung
vermochten ihn wieder herauszulocken.

Erst nach vielen Jahren, als der Leonhard sich schon
als ein Anwalt in der benachbarten großen Stadt nieder-
gelassen hatte und die Maria zu einem Fürstand seines
Glückes und Hauses herbeigerufen hatte, holte sie eines
Tages, da man zufällig von jener Begebenheit sprach,
den Brief hervor und gab ihn dem Gatten.

Der aber meinte lächelnd, als er das umfangreiche
Schreiben gelesen, daß der Kaspar Dumler vielleicht
nicht unrecht gehabt hätte und sie es als eine Frau
Lehrer besser getroffen haben würde, worauf die junge
Frau an seiner Seite kein Worl entgegnete, sondern
sich nur herabbeugte und ihn auf die Stirn küßte als ein
stilles Aeichen, daß sie zufrieden sei.

iterarische Skizzen.

Was mit Benutzung eines Fachausdruckes aus der
Malerei auch in der Dichtung „Skizze" genannt
wird, ist stets durchaus unkünstlerisch, wenn es eine richtige
einen längeren Aeitrauni umfassende dichterische Hand-
lung realistischen Charakters in der Weise zusammenzieht,
daß es gleichsam nur die Katastrophe gibt, die es durch
einige Worte über die vielleicht viele Jahre umfassende
Vorgeschichte einleitet; es entspricht dann dem grund-
unkünstlerischen „Dramolett" der Dilettantenbühne, das
ebenfalls das schon zusammengezogene einaktige Drania
über ein zulässiges Maß zusammenzieht, und wirkt ent-
weder banal oder — bei tragischem Ausgang ^— brutal.
Die Verbindung mit der Lyrik, die diese Art von Skizze
dabei gern eingeht in dem dunklen Bewußtsein, daß nur
das Gedicht in der Lage ist, menschliche Handlungen
von Jahre umfassender Dauer in ein paar Aeilen zu-
sammenzuziehen, ist noch besonders stillos; denn das Ge-
dicht darf sich seine überaus weitgehende Ausammen-
ziehung ja nur erlauben, weil es eben ganz unrealistisch
ist, ivie sich schon durch die Versfassung bezeugt,
während die literarische Skizze doch die ganze reale Bühne
beibehält, ja womöglich sehr naturalistisch ausnialt.
Jst die literarische Skizze überhaupt als eine beachtens-
iverte künstlerische Ausdrucköform denkbar, so kann sie
keine verkürzte Novelle sein, denn die Novelle braucht
zu ihrer Entwicklung, die wie in aller Dichtung nun ein-
 
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