Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]: Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein (22.1912)

Abb. 1. Georg Schreyögg: Bildnisbüste von Heinr. Altherr.

Georg (Dchreyögg.

s ist eine seltsame Jronie der Kunstgeschichte,
daß die zweite europäische Renaissance, wie
man die Periode Winckelmanns gern nennen
hört, einen Niedergang der plastischen Kunst mit sich
brachte, wie ihn keme Ieit vorher sah; denn gerade
Winckelmanns Begeisterung stand auf der griechischen
Bildnerei. Freilich hatte er, als seine erste Schrift
herauskam, noch kein griechisches Originalwerk gesehen,
seine Begeisterung hatte sich am Gipsabguß entzündet,
und Gipsabguß ist auch so ziemlich alles geblieben,
was daraus zur Wirkung kam.

Wenn wir heute neben den Bildwerken sciner Aeit
diejenigen der Frührenaissance sehen, sind wir nicht
mehr im Iweifel, wieviel diese von ihrer Kraft der
Gotik verdanken: als die Antike zum erstenmal wieder-
kam und als Vorbild aufgestellt nnwde, war die Ent-

wicklung bis zu dem Punkt gekommen, wo sie durch die
„edle Einfalt und stille Größe" dieser Vorbilder hätte
zur Vollendung gelangen können; aber als Winckel-
mann mit seiner Predigt kam (die einzige Möglichkeit
groß, ja unnachahmlich zu werden, sei die Nachahmung
der Alten), hatte sich die barocke Marmorbildnerei bis
zu einer äußerlichen Glatte entwickelt, daß die Rückkehr
zur Natur der griechischen Bildhauerkunst von selber
ein Gegenstück zur moralischen Empfindsamkeit dieser
Aeit werden mußte, deren „Rückkehr zur Natur" ebenso
Gipsabguß blieb.

Erst die zweite Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts
hat uns ernsthafte und erfolgreiche Versuche gebracht,
aus der gipfernen Vorstellung antiker Bildhauerei
herauszukommen, und es ist natürlich kein Aufall, daß
hierbei den Deutschen ziemlich dieselbe Rolle zufiel,


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