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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 22.1912

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Heft 3
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Schmid Noerr, Friedrich Alfred: Das Lächeln des Gottes
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Halm, August Otto: Kleine Aufsätze über Musik, 5: von der Dynamik
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https://doi.org/10.11588/diglit.26494#0120

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Das Lächeln des Gottes.

brach, umflutete das Dulderantlitz mit einem sanften
Glanz.

Um Gotteswillen, der Heiland!

War das die ausdruckslose Steinpuppe von vorhin
und ehedem? Wo war die stiere Stumpfheit des Ge-
sichts geblieben, das nach unten hing und überhaupt
keinen Blick besaß? Das Haupt hing, wie zuvor; aber
von unten herauf war das Auge nach oben geöffnet,
mit großem Blick, und schaute mich an; deutlich; und
voll; und hartnäckig; und mild.

Ein altes, dummes Steinding, nach welchem man
mit Erdschollen zielen konnte, nm Usrouls!

So war damals unser vornehmster Fluch. Es war
die Ieit der antiken Heldenverehrung.

Aber jetzt lächelte er, irm Uörowls! Ganz scharf war
es zu erkennen. Und immer noch lächelte der Christus.

Langsam zog es mich; zögernd zerrte es mich vor-
wärts. Jch trat herzu.

Das war eine Erleichterung!

Nein, so eine Dummheit. So ein Blödsinn!

Ein feines Flechtenästlein warf in der Sonne seinen
scharfen Schatten über den groben Mund. Und der
Schatten verzog den Mund zum Lächeln. Und auf den
haßlichen Augenwülsten wars auch bloß ein Schatten-
spiel. Jetzt sah ichs genau. LIs kioroulo, so eine Dumm-
heit!

Aber wie konnten die paar Schattenlinien dies rohs
Steinbild mit einemmal so rätselhaft beleben?

Jch wich zurück. Und das Lächeln stand wieder, un-
versehrt, unenträtselt, in hoher Duldung, in liebender
Einfalt auf den fremden Aügen, herzbeklemmend.

Es fing etwas an, in mir zu wühlen, zu rebellieren,
das mir den Schweiß auf die Stirn trieb. Unklare Ge-
danken schoben sich mit halbem Trotz in meinem Kopf
umher. Endlich, wer weiß, wie das kam, hörte ich meine
Stimme laut werden und ich hörte mich sagen:

„Du, Heiland, wie kannst du lachen, wenn ich stehle?"

Und da ich keine Antwort vernahm, allein, wie ich
da stand im stillen, weithin einsamen Land; und da nur
das Lächeln des Gottes mir stumm ins Gesicht brannte,
so besiegte es mich.

Widerwillig griff die eine, senkte sich die andere Hand
in die gefüllten Hosentaschen.

„Wenn du nur zu lachen aufhören wolltest," dachte
ich und bohrte unentschlossen mit den Fingern im
Jnnern meines Raubes.

Und dann fiel zögernd, langsam, Birne um Birne
in den niedrigen Klee.

Warni und hell ruhte die Herbstsonne auf dem Bilde
des Gekreuzigten.

Der stille Christus lächelte.

leine Aufsähe über Musik.

5. Von der Dynamik.

Wir folgen einem angeborenen Gefühl, wenn wir
von hohen und tiefen Tönen sprechen. Daß wir hier
Räumliches uns vorstellen müssen und gerade diese
Dimension auswählen, ist meines Wissens noch nicht

erklärt und vielleicht unerklärlich. Or. Grunsky macht in
seiner musikalischen Asthetik darauf aufmerksam, daß
überhaupt unsere Sprache für den Ausdruck des räum-
lichen Wahrnehmens besser gesorgt hat — welcher Um-
stand schon anzeigt, daß unser Vorstellen sich hierhin
mit größerer Kraft und mit Vorliebe wendet.

Äber die Tatsache besteht, und auch unerklärt genüge
sie, einen Ausammenhang von ihren Folgen uns be-
trachten zu lassen. Machen wir Ernst mit diesem Gefühl,
so Ernst, wie es die beste Musik uns tun lehrt. Denn
es ist das Wesen der genialen Menschen, das zu ent-
decken, was die Urempfindungen wollen, was „Es"
will, den Ernst des Ursprünglichen zu erkennen und
gelten zu lassen.

Haben wir Tiefe und Höhe vor uns, so ist klar, daß
wir Steigen und Fallen nicht mit einerlei Empfindung
betrachten, d. h. innerlich mitmachen. Wir werden
beim einen geleistete Arbeit, beim andern selbsttätiges
Geschehen, oder ein Geschehenlassen mitfühlen. Dort
Aufwand von Energie, hier passive Energie, Gewicht, aus
einer „Energie der Lage" resultierend, wobei der Ein-
druck des Falls als einer Wucht oder auch des mühe-
losen Abwärtsgleitens erzeugt werden kann, sodaß also
noch eine hinlängliche Freiheit innerhalb eines grund-
sätzlich einheitlichen Empfindens statthat.

Bedenken wir nun, daß die Melodie und die Harmonie
in ihrer Richtung nicht einheitlich sein müssen, so ergibt
sich ein großer Reichtuni des möglichen Geschehens.

Die Melodie, die freier bewegliche, ist der Schwer-
kraft nicht in dem Maß pflichtig wie die Harmonie,
und sie hat dies auch ausgenützt, aber nicht geradc nur
zu ihrem Vorteil; denn sie wurde zwar um das leichter,
aber auch zufälliger, verlor also an Kraft. Nur bei
Bachs Melodik (unter welchen Begriff wir auch die
Thematik unterordnen) finden wir ein ganz ernstes und,
sei es verstandlich oder gefühlsmäßig, bewußtes Schalten
mit den Gesetzen der Schwerkraft, was darzulegen,
einen besonderen ausführlichen Aufsatz erforderte.

Die Harmonik, seit Bach ins Jmmense angewachsen,
ist, gerade was den Verkehr der Tonarten angeht, mit
Freibriefen sehr splendid geworden; zugleich hat sie
aber auch in den besten Werken eine organisatorische
Disziplin errungen, eine Strenge des Wollens und einen
so hohen Grad des Könnens, daß dem ausgebreiteten
Sicherlauben der größte Segen verliehen ward. Frei-
lich darf demgegenüber nicht verschwiegen werden, daß
ein irrendes Sichtummeln im Dürfen rückständig er-
scheint, ob es auch von manchen Mitirrenden als fort-
schrittlich gepriesen werde. Je mehr Wahlfreiheit, desto
strenger gerade und verantwortlicher sei das Ordnen!
Älle die Mittel sind ja gar nicht unser Besitz, wenn wir
nicht klar erkennen und disponieren; ein kleines Heer,
geordnet und zu unserer Verfügung stehend, ist größerer
Reichtum als die unbeherrschte Menge.

Fragte nian uns, worin die gekräftigte und be-
reicherte Harmonik gipfelt und sich kristallisiert, so glauben
wir die beste Antwort zu geben, wenn wir sagen: in
der Kunst der Steigerung. Sie ist die spezifisch neu-
zeitliche Kunst; sie zu finden und auszuüben war in ver-
mehrtem Maße das Streben der Tonsetzer sowie auch
der Tondichter.
 
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