Uhland, der Dichter.
sondern hauptsächlich auch zu denen gedichtet, die mit
Hintansetzung rmserer Geschichte, unserer Eigentümlich-
keit . . . aus dcm Blauen herab und nach individuellem
System uns umgestalten und wohl gar beglücken wollen".
Als spater zu Frankfurt die deutsche Einheit auf dem
Wege der Parlamentsberatung begründet werden sollte,
wollte er so wenig einen Ausschluß Österreichs wie ein
Erbkaisertmn, entfernte sich also so weit als möglich
von der Problemlösung, wie sie endlich durch die Schneide
des Schwertes herbeigeführt worden ist. Aber ver-
standlich, weil folgerichtig nach seinem geschichtlichen
Dcnken, war dieser großdeutsche Standpunkt zweifellos.
Wiederholt ist hier die bedeutende Wirkung der
Uhlandischen Gedichte betont worden, ohne daß wir
darunter die musikbeschwingte so vieler seiner Lieder
vcrstanden hätten. Die ist gewiß nicht zu unterschätzen.
Aber wichtiger ist doch die andere, die im aufmerk-
samen, vielleicht stummen Naherücken von Auge und
Buch sich erzeugt. Awei Eigenschaften dürften starke
Hilfen gewesen sein. Einmal seine, fast möchte man
glauben, angcborene Formmeisterschaft. Mag er am
Amboß stehen und Gedichte nach dem alten trefflichen
Spruche schmieden: Schlicht Wort und gut Gemüt, ist
das echte deutsche Lied, mag er an südlichen Formen
mit wählerischem Eifer meißeln oder seiner Balladen-
reife einfachere, aber in Ton und Bild glänzend aus-
gearbeitete Gefäße schaffen — überall sieht ihn die
Werkstatt als vollendeten Künstler, nie ermangelnd „der
klassischen Reinheit der Sprache", wie nach dem Urteil
seines Freundes Joseph von Laßberg dessen Schwägerin
Annette von Droste.
Keine kleine Hilfe gewährte sein Humor. Braucht
man die Stufen aufzuzählen, die er verweilend berührt
auf der langen Strecke von dem feinen „Teelied" bis
zu dem derben „Metzelsuppenlied", von dem heiteren
Phantasiestück „Unstern" bis zu dem köstlichen Holz-
schnitt „Schwäbische Kunde"? Nur dies sei erwähnt,
daß sein Humor uns das Ferne, Abgetane mancheö
Stoffes vergessen läßt, daß er Befremdliches uns be-
freundet. Man denke an die aus dem Kerner-Revier
stammende „Geistcrkelter". Schade, daß dieser humo-
ristische Reichtum sich nicht an einer großen Komposition
entfalten konnte, wie Uhland sie mit dem „Fortunat"
geplant, doch nicht vollendet hat. Seine ausgezeichneten
schwäbischen Porträtisten sind freilich anderer Meinung.
Vischer schreibt: „Dieses Fragment ist eine Perle, wenn
man die Kunstform vom Gehalte trennt, eine sehr
bedenkliche Erscheinung, wenn man sie, wie billig, nicht
trennt." Er spricht von der sprunghaften Ariostischen
Manier, von dem Mutwillen in Behandlung ernster
Dinge, der einem Wieland, aber nicht einem Uhland
angestanden hätte. Merkwürdig. Goethe hat gemeint:
„Solange Poesie Poesie, Gold Gold und Kristall
Kristall bleiben wird, wird Oberon als ein Meisterstück
poetischer Kunst geliebt und bewundert werden." Nach
den beiden Gesängen zu schließen, wäre „Fortunat"
das rechte Gegenbild dazu geworden mit aller Kontrast-
wirkung eines solchen: Ein Unikum gleich diesem, ein
humoristisches Epos, wie es uns fehlt trotz der zahl-
reichen Versuche, die gemacht worden sind. Uhlands
Dramen, so viel sie auch von seinem Dichtergeiste ent-
halten, wären entbehrlicher gewesen. I. Oswald.
ie Kunst der Reisebeschreibung.
Nichts wäre irrtümlicher als anzunehmen,
daß die Liebe, die doch die menschliche Grund-
funktion ist, sich in der Liebe zum Menschen oder wohl
gar zum anderen Geschlechte erschöpfte. Die Liebe zum
Menschen mag der stärksten, der glutvollsten Steigerung
fähig sein, die Liebe mag um so kühler, ferner und
fremder werden, je weiter sich der geliebte Gegenstand
in seiner organischen Form von der des Menschen ent-
fernt, als Blume etwa in seinem Blute erkaltet, als
Kristall in seiner Form erstarrt, als Wasser sich in seiner
Form erweicht: Liebe verbindet den Menschen auch mit
allem übrigen, was eristiert. Er liebt die Blume und
liebt die Frucht, er liebt das Tier und liebt den Berg,
er liebt die See und liebt die Luft, er liebt das bunte
Leben in der Stadt mit der Fülle seiner farbigen Einzel-
heiten, er liebt ein schönes, das soll hier nur heißen:
ein Haus, das seinem Aweck entsprechend geformt und
also wirklich ein Haus ist, wie er den silbernen oder
bronzenen Brieföffner auf seinem Schreibtisch liebt,
der ihm seinerseits auch teuer ist.
All das, was sich so von dem Menschen erschauen
und ertasten, erlauschen, erschmecken und mit dem
Geruchssinn erraffen läßt, das faßt sich ihm zum Bilde
der „Welt", zu jenem „Weibe Welt" zusammen, das,
aus Landschaft und Ortschaft und deren Bewohner-
schaft vereint, nach Ländern und Landschaften geteilt,
mit den Einzelfrauen als seinen glühendsten Lebens-
punkten nicht minder schön und verführerisch vor seinen
Sinnen prangt, als das menschliche Weib. Und mit der
Liebe zu diesem Weibe steht es nicht anders denn mit
der Liebe zum menschlichen Weibe: Das Werkzeug,
mit dem er die fremde Gestalt überhaupt erst wahr-
nimmt, sind die Sinne, weshalb die Voraussetzung
jeder Liebe — und die Liebesfähigkeit kann sehr
verschieden entwickelt sein — kräftige und geübte Sinne
sind. Aber alles Sinnliche ist nur ein Symbol, wie
ja auch die Liebe des Mannes nicht eigentlich diesen
oder jenen Reizen des weiblichen Körpers um ihrer
selbst willen gilt, so sehr sie sich an die hängt: Diese
äußeren sinnlich erfaßbaren Dinge sind ihm Chiffren,
sind ihm Versprechungen der in der Frau beschlossenen
Lebensmöglichkeiten, mit denen sie ihn beglücken kann.
So ist auch, was der Mensch, dieses lebendige Wesen,
an dem Weibe Welt liebt, das Leben, wie es sich in
seinen milliardenfach differenzierten Lebensformcn,
Lebensideen ausdrückt und ihn selbst zur Lebensform
unter Lebensformen, zur Lebensidee unter Lebens-
ideen macht.
Der Liebe zur Frau wird gemeinhin ein Kind, und
auch der Liebe zum Weibe Welt wird der Norm nach
ein Kind; doch gibt es daneben in beiden Bereichen
eine Form der Liebe, aus deren Umarmung kein neues
Leben heryorgeht, so daß sie sich Selbstzweck bleibt,
und so dürfen wir hier wie da zwischen einer Liebe
des Fruchtbaren und einer Liebe des Unfruchtbaren,
des Genießers, des Abenteurers unterscheiden. Die
fruchtbare Liebe setzt eine Art ehelichen Verhältnisses
zwischen den Liebenden voraus, und alle Ehe beruht
wieder auf einem geheimnisvollen Akt der Selbst-
bescheidung und der Konzentration der Liebenden;
Z88
sondern hauptsächlich auch zu denen gedichtet, die mit
Hintansetzung rmserer Geschichte, unserer Eigentümlich-
keit . . . aus dcm Blauen herab und nach individuellem
System uns umgestalten und wohl gar beglücken wollen".
Als spater zu Frankfurt die deutsche Einheit auf dem
Wege der Parlamentsberatung begründet werden sollte,
wollte er so wenig einen Ausschluß Österreichs wie ein
Erbkaisertmn, entfernte sich also so weit als möglich
von der Problemlösung, wie sie endlich durch die Schneide
des Schwertes herbeigeführt worden ist. Aber ver-
standlich, weil folgerichtig nach seinem geschichtlichen
Dcnken, war dieser großdeutsche Standpunkt zweifellos.
Wiederholt ist hier die bedeutende Wirkung der
Uhlandischen Gedichte betont worden, ohne daß wir
darunter die musikbeschwingte so vieler seiner Lieder
vcrstanden hätten. Die ist gewiß nicht zu unterschätzen.
Aber wichtiger ist doch die andere, die im aufmerk-
samen, vielleicht stummen Naherücken von Auge und
Buch sich erzeugt. Awei Eigenschaften dürften starke
Hilfen gewesen sein. Einmal seine, fast möchte man
glauben, angcborene Formmeisterschaft. Mag er am
Amboß stehen und Gedichte nach dem alten trefflichen
Spruche schmieden: Schlicht Wort und gut Gemüt, ist
das echte deutsche Lied, mag er an südlichen Formen
mit wählerischem Eifer meißeln oder seiner Balladen-
reife einfachere, aber in Ton und Bild glänzend aus-
gearbeitete Gefäße schaffen — überall sieht ihn die
Werkstatt als vollendeten Künstler, nie ermangelnd „der
klassischen Reinheit der Sprache", wie nach dem Urteil
seines Freundes Joseph von Laßberg dessen Schwägerin
Annette von Droste.
Keine kleine Hilfe gewährte sein Humor. Braucht
man die Stufen aufzuzählen, die er verweilend berührt
auf der langen Strecke von dem feinen „Teelied" bis
zu dem derben „Metzelsuppenlied", von dem heiteren
Phantasiestück „Unstern" bis zu dem köstlichen Holz-
schnitt „Schwäbische Kunde"? Nur dies sei erwähnt,
daß sein Humor uns das Ferne, Abgetane mancheö
Stoffes vergessen läßt, daß er Befremdliches uns be-
freundet. Man denke an die aus dem Kerner-Revier
stammende „Geistcrkelter". Schade, daß dieser humo-
ristische Reichtum sich nicht an einer großen Komposition
entfalten konnte, wie Uhland sie mit dem „Fortunat"
geplant, doch nicht vollendet hat. Seine ausgezeichneten
schwäbischen Porträtisten sind freilich anderer Meinung.
Vischer schreibt: „Dieses Fragment ist eine Perle, wenn
man die Kunstform vom Gehalte trennt, eine sehr
bedenkliche Erscheinung, wenn man sie, wie billig, nicht
trennt." Er spricht von der sprunghaften Ariostischen
Manier, von dem Mutwillen in Behandlung ernster
Dinge, der einem Wieland, aber nicht einem Uhland
angestanden hätte. Merkwürdig. Goethe hat gemeint:
„Solange Poesie Poesie, Gold Gold und Kristall
Kristall bleiben wird, wird Oberon als ein Meisterstück
poetischer Kunst geliebt und bewundert werden." Nach
den beiden Gesängen zu schließen, wäre „Fortunat"
das rechte Gegenbild dazu geworden mit aller Kontrast-
wirkung eines solchen: Ein Unikum gleich diesem, ein
humoristisches Epos, wie es uns fehlt trotz der zahl-
reichen Versuche, die gemacht worden sind. Uhlands
Dramen, so viel sie auch von seinem Dichtergeiste ent-
halten, wären entbehrlicher gewesen. I. Oswald.
ie Kunst der Reisebeschreibung.
Nichts wäre irrtümlicher als anzunehmen,
daß die Liebe, die doch die menschliche Grund-
funktion ist, sich in der Liebe zum Menschen oder wohl
gar zum anderen Geschlechte erschöpfte. Die Liebe zum
Menschen mag der stärksten, der glutvollsten Steigerung
fähig sein, die Liebe mag um so kühler, ferner und
fremder werden, je weiter sich der geliebte Gegenstand
in seiner organischen Form von der des Menschen ent-
fernt, als Blume etwa in seinem Blute erkaltet, als
Kristall in seiner Form erstarrt, als Wasser sich in seiner
Form erweicht: Liebe verbindet den Menschen auch mit
allem übrigen, was eristiert. Er liebt die Blume und
liebt die Frucht, er liebt das Tier und liebt den Berg,
er liebt die See und liebt die Luft, er liebt das bunte
Leben in der Stadt mit der Fülle seiner farbigen Einzel-
heiten, er liebt ein schönes, das soll hier nur heißen:
ein Haus, das seinem Aweck entsprechend geformt und
also wirklich ein Haus ist, wie er den silbernen oder
bronzenen Brieföffner auf seinem Schreibtisch liebt,
der ihm seinerseits auch teuer ist.
All das, was sich so von dem Menschen erschauen
und ertasten, erlauschen, erschmecken und mit dem
Geruchssinn erraffen läßt, das faßt sich ihm zum Bilde
der „Welt", zu jenem „Weibe Welt" zusammen, das,
aus Landschaft und Ortschaft und deren Bewohner-
schaft vereint, nach Ländern und Landschaften geteilt,
mit den Einzelfrauen als seinen glühendsten Lebens-
punkten nicht minder schön und verführerisch vor seinen
Sinnen prangt, als das menschliche Weib. Und mit der
Liebe zu diesem Weibe steht es nicht anders denn mit
der Liebe zum menschlichen Weibe: Das Werkzeug,
mit dem er die fremde Gestalt überhaupt erst wahr-
nimmt, sind die Sinne, weshalb die Voraussetzung
jeder Liebe — und die Liebesfähigkeit kann sehr
verschieden entwickelt sein — kräftige und geübte Sinne
sind. Aber alles Sinnliche ist nur ein Symbol, wie
ja auch die Liebe des Mannes nicht eigentlich diesen
oder jenen Reizen des weiblichen Körpers um ihrer
selbst willen gilt, so sehr sie sich an die hängt: Diese
äußeren sinnlich erfaßbaren Dinge sind ihm Chiffren,
sind ihm Versprechungen der in der Frau beschlossenen
Lebensmöglichkeiten, mit denen sie ihn beglücken kann.
So ist auch, was der Mensch, dieses lebendige Wesen,
an dem Weibe Welt liebt, das Leben, wie es sich in
seinen milliardenfach differenzierten Lebensformcn,
Lebensideen ausdrückt und ihn selbst zur Lebensform
unter Lebensformen, zur Lebensidee unter Lebens-
ideen macht.
Der Liebe zur Frau wird gemeinhin ein Kind, und
auch der Liebe zum Weibe Welt wird der Norm nach
ein Kind; doch gibt es daneben in beiden Bereichen
eine Form der Liebe, aus deren Umarmung kein neues
Leben heryorgeht, so daß sie sich Selbstzweck bleibt,
und so dürfen wir hier wie da zwischen einer Liebe
des Fruchtbaren und einer Liebe des Unfruchtbaren,
des Genießers, des Abenteurers unterscheiden. Die
fruchtbare Liebe setzt eine Art ehelichen Verhältnisses
zwischen den Liebenden voraus, und alle Ehe beruht
wieder auf einem geheimnisvollen Akt der Selbst-
bescheidung und der Konzentration der Liebenden;
Z88