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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 22.1912

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Heft 11
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Oswald, Josef: Uhland, der Dichter
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https://doi.org/10.11588/diglit.26494#0419

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Uhland, der Dichter.

doch nicht aus ihm einen jener Antiquare, die, gleichsam
mit dem Scharfblick der Eulen begabt, >vie lichtscheu
in die taghelle Gegenwart starren. Aus warmer Liebe
zur heimatlichen Natur und Geschichte war dieser Sinn
erwachsen, aus Stammesenge drang er in die Weite
Les Vaterlandes und darüber hinaus.

Aur Zeit der Befreiungskriege hatte llhland die
unwiderstehliche Gewalt nationalen Empfindens erlebt.
Als der Pulverrauch verflogen war, trat erst recht wieder
die Klaglichkeit der deutschen Verhältnisse zutage. Gab
es da eine schönere Auflucht als der Blick auf den
einstmaligen Poesiefrühling im Vaterlande, dessen Bild,
von den romantischen Dichtern beschworen, schon den
Iüngling cntzündet und zu seinem „Marchen" begeistert
hatte? Jnzwischen kam ein Wandel in den Geist der
Romantik. Jene Dichter hatten im Ganzen nur unvoll-
kommen dic vergessenen und mißachteten Schätze zu
heben vermocht. Mancher war in die Herenküche der
Phantastik, auf die Teufelstanzplätze der Fornüosigkeit
und Formspielerei geraten. Jetzt vermählten sich
Wissenschaft und Romantik. Es begann die Wiedergeburt
des vaterländischen Altertums im Geiste eines kritischen
Verstandnisses. Der dabei entwickelten Forschertatigkeit
Uhlands ist soeben gedacht worden. Die Begabung
dazu aber mußte einen Dichtercharakter voraussetzen, der
>vesentlich ihn von den älteren Romantikern unterschied.

Während diese vielfach in einem Geniewesen sich
gefielen, das sie dem Volke entfremdete, war Uhland
in allen Stücken der echte Sohn seines Volkes, teilhaft
seiner Gaben und Tugenden, nur gesteigert nach Maß-
gabe seines Genius. Um nur eins hervorzuheben: Er
war sein Leben lang ein Musterbürger, ein Vorbild
deutscher Aucht und Sitte. Doch ohne eine Spur von
Aioralistcntuiu, im Gegenteil heiterer Natürlichkeit hold,
offenbarte er dabei eine Freiheit und Anmut des Ge-
mütes, daß Notter den Nagel auf den Kopf getroffen
hat, wenn er von Uhlands „moralischer Grazie" spricht.

Weil des Menschen Eigenart in seiner Dichterwcise
sich auszupragen pflegt, vernimmt man zunächst viel-
leicht mit Erstaunen, welcher große Schweiger Uhland
schon in jungen Jahren, wie bestimmt, klar, kurz und
bündig er schon damals in seinen seltenen Außerungen
gewesen sei. Stellt man sich doch einen lyrischen Dichter
ganz anderö vor. Näher betrachtct, entdeckt man jedoch
manche Ähnlichkeit in seiner Poetenart: Etwa die auf-
fallcnde Unergiebigkeit seiner Lyrik im engeren und
eigentlichen Sinne, so viel Köstliches auch die verhältnis-
mäßig kleine Aahl seiner gefühlvollen Lieder und Ge-
dichte enthält. Ferner die behutsame Dämpfung des
Jndividuellen bei ihm. Denn selbst diese reine Lyrik,
die doch die mitteilsamste der Dichtarten ist und bei
Anderen oft zum unmittelbaren Bekenntnis wird, zeigt
ihn weit mehr darin, wo er eins mit uns als wo er
verschieden von uns ist. Was erfahren wir aus seinen
Liedern Persönlichstes z. B. von seinem Liebesleben?
Allenfalls, daß er nicht der beherzteste, nicht der ent-
schlossenste Liebhaber war. Ein Prachtstück dagegen
wie „Die Abgeschiedenen", auch das „Der Ungenannten"
(wohl seiner späteren Gattin) gewidmete, wird jedem
Glücklichen als ein Ausbruch seiner eigenen lauteren und
tiefen Neigung erscheinen. Das ist aber durchweg bei
Uhlands poetischen Gefühlsäußerungen der Fall und

ein weiterer Grund seiner Volkstümlichkeit. Schlicßlich
finden wir aüch insofern die Sprödigkeit des Menschen
im Dichter wieder, als das spezifisch-lyrische Element
bereits das viel reicher fließende, dem Gegenständlichen
genäherte lyrisch-epische Element anzeigt. Statt sein
eigenes Jch sprechen zu lassen, läßt er gern die Emp-
findungen einer vorgestellten Person uns belauschen,
eines Hirten, Kriegskameraden usf., wobei ihm einige
seiner berühmtesten Würfe gelingen.

Eine briefliche Notiz von 1809 lautet: „Meine
Poeterei verliert sich beinahe ganz in die Balladen . . .
Das Buch der Balladen wird auch das größte werden
von den dreien, in die ich meine Gedichte geteilt."
Anders ist es auch in der Folge nicht geworden. Bei
diesem starken epischen Einschlag erinnern wir uns
seines geschichtlichen Geistes. Freilich >var Uhland so
sehr Poet, daß er am liebsten sich in dem Nachbarreich
von Historie und Erfindung hielt. Denn das ist ja —
ästhetisch gewertet — der unvergleichliche Vorzug der
Sage vor der Geschichte, daß sie nichts mehr von der
rohen Wirklichkeit enthält, woraus sie geboren ward,
daß in ihren bunten, oft fabelhaften Bildern einzig
jene Wahrheit lebt, die schon Poesie ist, dic der Poet
nur kunstgemaß zu formen braucht. So hat Uhland,
einmal über das erste Stadium seiner Romantik hinaus,
das idealisierte Mittelalter mit seinen melancholischen
Harfnern, Königssöhnen, Schäferinnen und dergleichen
mehr und mehr vertauscht gegen die alten gegebenen
Sagen, Aeiten entstammend, „deren Geistesrichtung
wesentlich eine poetische war", wie er in der Abhand-
lung über die deutschen Volkslieder bemerkt. Da kam
zum Nächsten das Fernste: Schwäbischem, Deutschem,
Germanischcm vereinigte er Nomanisches. Den weiten
Bezirk begrenzte auf der einen Seite Anekdotisches aus
der Gegenwart („Die Mähderin"), auf der andern
Antikes („Vir sccorurn", „Die Bildsäule des Bacchus").
Gegenüber all diesen Verschiedenheiten nach Aeit, Oct
und Geist offenbarte sich vollends sein geschichtlicher
Sinn in dem einfühlenden Verständnis, das Dichter
und Historiker auf dem Gipfcl ihrcr Kunst verschwistert.
Es ist der höchsten Bewunderung wert, daß dieselbe
Hand, die uns die herrlichc Symbolik der „Ulme zu
Hirsau" geschenkt, weitab an einem andern Gestade
religiöser Meerestiefen die Perle des „Waller" für seine
Dichterkrone heraufgeholt hat.

Sehr bezeichnend gibt sein historischer Geist sich an
dem Punkte kund, >vo der Dichter zum Politiker wird.
Sonderte ihn diese Eigenschaft, zumal er ein ausge-
sprochener Demokrat war, scharf von seinen roman-
tischen Dichterkollegen ab, so trennte eine nicht minder
breite Kluft ihn von den demokratischen Poeten der
vierziger Jahre. Es war gleichsam eine Freiheit ohne
Fundament, was diese mit Reim und Rhythmus er-
richteten. Uhlands Freiheitsbegriff ruhtc dagegen auf
konservativer Grundlage. Wiederherstellung des staats-
rechtlichen Verhältnisses, das zwischen Fürst und Volk
bestanden, bevor despotische Willkür es aufgehoben
hatte, kurzum das „alte gute Recht" lautete in den
Verfassungsstreitigkeiten seiner Heimat die Partei-
forderung, deren poetischer Anivalt er wurde. Er er-
klärte Varnhagen ausdrücklich, daß seine Lieder „im
Gcgensatz nicht bloß zu dcn eigentlich schlecht Gesinnten,

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