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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 22.1912

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Heft 3
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Mühlestein, Hans: Buonarotti: drei Gedichte
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Schmid Noerr, Friedrich Alfred: Das Lächeln des Gottes
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https://doi.org/10.11588/diglit.26494#0119

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Doch da, iiicht lang, durchsickert's inich wie Wind,
ich blicke nicht und bin doch nicht inehr blind —
durch tausend Poren saug ich Räumlichkeit...
nun öffn ich meine Augeniore weit:

Und jetzt bricht's Wände, frißt sich durchs Gestein,
hoch wölbt's die Brust mir, Schichten fallen ein,
Raum wird es, rauschend stürzt ein Strom,
in tausend Kreisen weitet's mich zum Dom...

Jetzt, wo ich formbegrenzt, gebiet ich Halt,
ich faß des Raumes Strom mit Formgewalt!
Jetzt, meine Bildnerseele, halte aus,
leg dich in jede Falte dieses Baus!

Spürst du's, wie cs von ausgeruhter Macht
sehnend, zu satt, in den Gelenken kracht?

Wie würden sie gewaltig sich auftun

dem Gott, der niederstiege, königlich zu ruhn! —

Jetzt halte still, jetzt stirb und werde Stein,
sonst stürzt, o Seele, dein Gewölbe ein ...

Nun bist du tot für aller Menschheit Drang,
doch frei und schön für ein Jahrtausend lang!

as Lächeln des Gottes.

Von F. A. S ch mi d-No e rr.

Auf der Grabcnböschung droben, da, wo der grob
beschotterte Hohlweg in die Landstraße einmündet, steht
ein Birnbaum.

Unter dem überhängenden Rasenfilz, aus der unter-
waschenen Lehmwand hervor, tasten seine alten, halt-
suchenden Wurzeln wie augenlose Schlangen umher
und umklammern blindlings und zufrieden ein schief-
gesunkenes Steinkreuz, an dem ein Christus hängt.
Flechten und Moos haben ihrerseits gegen diesen Bund
nichts einzuwenden gehabt und überwuchern Wurzel-
werk und Stein, ohne groß Unterschiede zwischen beiden
zu machen.

Kreuz und Gekreuzigter sind das mitleidswürdige
Meißelstück eines nüttelalterlichen Bauernsteinmetzen,
dessen Frömmigkcit ani jüngsten Tag Mühe haben wird,
sciner Kunst vor Gottes Richterstuhl Verzeihung zu
erwirken.

Der fromme Birnbaum indessen, der solcherweise des
Erlösers Bildnis liebevoll aufrecht erhält, hat mir in
spateren Jahren stets Gestalt und Antlitz gehabt:

Jch sehe im weiten, grünwallenden Mantel vornüber-
geneigt den milden Joseph von Arimathia.

Aber damals, als ich noch ein umherstrolchender
Lausbub und ein ansehnlich geübter, kecker Flurdieb
war, besaßen Kruzifir und Birnbaum für mich noch
keine ästhetische Anziehungskraft.

Der graugrün umsponnene Stein hatte meine Teil-
nahme, weil er alt war. Sehr alt. Und weil ich die
gotisch verschnörkelten Buchstaben der Votivtafel durch-
aus nicht zu entziffern vermochte. Konnte das nicht
eine jener geheimnisvollen Jnschriften sein, die dem-

Das Lächeln des Gottes.

jenigen, der den Schlüssel dazu wüßte, vergrabene
Drachenschätze anzeigen?

Fromme, unwissende Hände hatten vor Jahren
aus dem dicken Schorf das schlechte Heilandsbild säuber-
lich herausgekratzt und den Sandstein mit zweifelhafter
Fleischfarbe, mit Gold und grellem Blau gläubig und
bunt genug bemalt. Die geduldige Flcchte hatte sich
auch damit abgefunden und inzwischen von neuem
angefangen, sich Risse und Sprünge anzuschaffen, von
denen aus ein maßvolles und umsichtiges Wachstum
sich in Bescheidenheit bewerkstelligen ließ.

JnmittelS, der Birnbaum darüber trug zu seiner
Aeit die besten Geißhirtle weit und breit. Wenn das ein
zwölfjähriger Spitzbube sagt, so wird es damit wohl
scine Richtigkeit haben.

Es war im Herbst; und die Geißhirtle waren reif.

Scharfbegrenzte Regenwolken fegten, vom West-
sturm gehetzt, über die paar Flecken und Risse am Himmel,
durch die das blaue Himmelsauge manchmal mit langen,
goldenen Sonnenwimpern plötzlich herniederblinzelte.

Solch ein Wettcr ist gut, um in harmloser Rück-
sichtslosigkeit gegen Wams, Gesundheit und Schuhe
über die aufgeweichten Stoppelfelder zu stampfen.

Und außerdem waren die Geißhirtle reif. Der Birn-
baum winkte von ferne.

Die Gegend lag ausgestorben. Nur ein schrciendcr
Rabe strich hoch durch die tränende Nebelluft. Ein
Strolch wie ich. Nun kreiste er mit schrägen Schwingen
über dem Baum, äugte scharf ins Land, und als er sah,
daß es menschenleer war, rief mich der Galgenvogel an,
stärkte mir den Mut mit höhnischem Krächzen und
segelte im Sturm von dannen.

Die Birnen im nassen Laubwerk glänzten. Schwer
neigten sich die Aweige unter der köstlichen Last.

Ein paar Sprünge noch über Bruchland, ein letzter,
sichernder Blick in die Runde; dann schürften Muttcrs
Sorgenhosen an der nassen, moosigen Birnbaumrinde
empor.

Und jetzt auf den hängenden Ast hinaus: Ruckweise.
Den bedrohlich knarrenden Weg entlang: Vorsichtig.
Mit frostblauen Fäusten ein Griff ins volle Laub: Und
dann zappelten ein paar lehmige Rohrstiefel in der Luft,
baumelten hin und wider und faßten endlich auf dem
Kleeackcr Grund. Der straffgebogene, starke Ast federte
unwillig auf und ab. Ei, in was für eine diebische
Gelegenheit war er da geraten! Was half der Ärger?

Er mußte ausharren und mußte erleben, wie Frucht
um Frucht mit leisem Stielbruch und fein sauber dcr
Reihe nach ihren grünen Schlupfwinkeln entrissen
ward. Meine Taschen schwollcn zu unförmlichen
Wülsten.

Mit einemmal, ganz von ungefähr und mittcn in
der eifrigsten Ernte, streifte mein Blick das Marterbild
zu meinen Füßen.

Etwas Heißkaltes überlief mich.

Der schwere Ast entrauschte meinen Händen und
sein zorniger Tropfenregen übersprühte mich, ohne daß
ich es achtete. Jch sah nach dem Steinkreuz. Dcr
Christus, der daran hing, lächelte. Er blickte mich, ein
wenig von unten herauf, an und lächelte ganz still.
Und ein Sonnenband, das schräg durch die Wolken
 
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