Von Friedrich dem Großen.
Verwaltung mit gedenkt, weil sie ein Ausfluß dieser
noch heute Lebendigen gewesen sind; dieses Lebendige,
das sich auf deni Schlachtfelde und in der Verwaltung
auch noch in mancher anderen Weise auswirkt, ist ganz
allgemein: Friedrichs des Großen Persönlichkeit. Per-
sönlichkeit ist mehr als Charakter; als Charakter war
Friedrich der Große pflichteifrig und gerecht, wie selten
einer, aber das eigentlich Merkwürdige und in gewissem
Sinne Ewige an ihm war nun, daß er gerecht und pflicht-
eifrig war als ein überragender Geist, dem das gesamte
Erkenntnismaß seiner Zeit geläufig war, und als eine
Energie, die für ihr Wirken überhaupt keine Grenzen
anerkannte. Friedrich der Große gehört durchaus zu
den seltenen Menschen dieser Erde, die für die übrigen
etwas Dunkles, letzten Endes Unauflösliches und Damo-
nisches haben durch die Universalität ihrer Fähigkeiten
und die oft bis zur Grausamkeit gegen sich selbst gesteigerte
Rastlosigkeit, mit der sie diese Fähigkeiten verwenden;
vielleicht, daß manchem seine Symphonien und Kan-
taten, seine Lehrgedichte, Essays und historischen Werke
nicht wertvoll genug erscheinen, als daß sie ihrem
Schöpfer den Titel eines universalen Geistes verschaffen
könnten; allein wenn nachgeahmt, so sind sie wenigstens
dem Größten der Aeit und mit Größe nachgeahmt, und
als Ausgleich darf doch wohl gelten, daß er sich nicht auf
das Gebiet rein geistigen Schaffens beschränkte, sondern
sein Größtes als Praktiker leistete, der einzig durch die
Macht seiner Persönlichkeit immer neue Heere zusammen-
schweißte und auch vor dem Feinde hielt.
Solche Dämonen der Menschheit, Besessene, in
unmittelbarer Verbindung als andere mit der Welt-
energie, gehen nicht ohne große Wirkungen dahin, und
von der so folgenreichen Eroberung Schlesiens und der
eigentlichen Begründung der preußischen Monarchie hat
Friedrichs Persönlichkeit nicht mehr und nicht weniger
bewirkt, als daß die deutsche Dichtung, die seit Jahr-
hunderten, seit dem frühen Mittelalter nämlich, mehr
oder weniger vertrocknet gewesen war, zu einer neuen
reichen und reifen Blüte kam. Bei den Dichtern seiner
Aeit findet man denn auch die überzeugendsten Zeug-
nisse seiner Größe, und wie ein Felsblock, ihm als Denk-
mal errichtet, steht der berühmte Satz aus Goethes
„Wahrheit und Dichtung" da: „Der erste und höhere
eigentliche Lebensgehalt kam durch Friedrich den Großen
und die Taten des Siebenjährigen Krieges in die deutsche
Poesie". Allerdings könnte es hier einen Augenblick
scheinen, als sei hier der Siebenjährige Krieg selbst als
dichterischer Stoff gemeint, was immerhin eine Art
von Einschränkung wäre, noch bis zu dem Satze: „Die
Preußen und mit ihnen das protestantische Deutschland
gewannen für ihre Literatur einen Schatz, welcher der
Gegenpartei fehlte und dessen Mangel sie durch keine
nachherige Bemühung hat ersetzen können, doch der
folgende wendet sich dann vollkommen ins Allgemeine:
„An dem großen Begriffe, den die preußischen Schrift-
steller von ihrem Könige hegen dürften, bauten sie sich
erst heran". Jmmerhin mag man sich, um ganz das
Naturereignis zu verstehen, das Friedrich für seine
Aeit war, Goethes kurze Darstellung durch die Be-
schreibung ergänzen, die Justus Möser in seiner Schrift
über die deutsche Sprache und Dichtung von dem Deutsch-
land gibt, das auf eine große Tat wartet. Diese Schrift
stammt freilich erst aus dem Jahre 1781, denn für Möser
war der Siebenjährige Krieg kein so aufrüttelndes Er-
eignis, wie für Goethe, eine Tat, die ein Volk elektri-
sieren mußte, viel eher Friedrichs Erlaß zugunsten des
Müllers Arnold, der angeblich falsch verurteilt wordea
war; aber Goethes Urteil genügt ja wohl auch. Justus
Möser beginnt also den hierher gehörigen Teil mit der
Sentenz, daß große Empfindungen, wie sie für eine
große Dichtung nötig seien, nur bei großen Begeben-
hnten entständen, und beginnt denn, seine Zeit nach
großen Begebenheiten abzusuchen: er findet, daß der
Staat unter der Wache stehender Heere maschinenmäßig
seinen Gang grhe; daß dem Einzelnen Dienst und Gelehr-
samkeit Selbstzweck geworden seien und nicht Mittcl
zu einem höheren Endzweck; daß die Frauen nur noch
ordentliche Gefühle hervorriefen, anstatt heroischer
Leideaschaften; daß der glücklich noch erbaltene Awei-
kampf der letzte kümmerliche Rest leidenschaftlicher
Rache sei, und erhebt sich in dem wahrhaftigsten Pathos
des bekümmerten Vaterlandsfreundes zu den rhetorischen
Fragen: „Kann die schlaffe Seele eben das, was die
hochgestellte wirken? — Müssen wir nicht bei unserm
bestandig kalten Blut vor dem Wagstücke schaudern,
das dem Manne auf dem Ozeane keine einzige Uber-
legung kostet?" —
Damit ist wirklich mit erschütternder Deutlichkeit das
Leid einer ganzen Epoche ausgesprochen: Jm Rokoko,
im Zeitalter der Aufklärung, war das Blut der Menschen
kalt geworden; das Leben war vom Herzen des Menschen
binaufgestiegen in den Kopf, so daß jede menschliche
Lebensbetätigung, selbst die der Seele, daß auch die
Religion, die Liebe, die Poesie eine zerebrale Ange-
legenheit geworden war. Für ein Volk von der siarken
Sinnlichkeit und der differenzierten Geistigkeit des fran-
zösischen bedeutete das, daß das Leben mitsamt der
Liebe und der Poesie eine sehr formenschöne und elegante,
aber im Grunde kaltherzige und sehr skeptische Spielerei
geworden war, die moralisch betrachtet eine Auflösung
aller alten Grundsätze darstellte, aber hohe sinnliche
Genüsse vermittelte; für ein Volk von der Biederkeit,
Tüchtigkeit und Bürgerlichkeit des deutschen bedeutete
diese, daß das Leben über alle Begriffe abstrakt-moralisch,
trieblos und trocken geworden war, wenn auch nicht alle
Formweise und Auflösungserscheinungen fehlten. Diese
eng, trieblos und kalt gewordene Welt nun ging in dem
Augenblick zugrunde, als Friedrich der Große nicht
lange nach seinem Regierungsantritt ganz plötzlich die
geschmückten Säle seiner Schlösser mit dem Glanze der
Kirche, dem philosophischen Geplauder, dem Klang der
Flöten, den Büchern und den Schreibfedern verließ und
an der Spitze eines Heeres an die schlesische Grenze
rückte. Was ihn so zu handeln hieß, war nicht mehr das
Hirn; das hätte ihm eher solches Wagnis abgeraten,
überhaupt die Roheit der Menschenschlachterei ver-
urteilt, die für jeden Aufklärer der Krieg einzig und allein
war. Was Friedrich den Großen in den Krieg trieb, war
nach seinen eigenen Worten alles andere als Überlegung,
nämlich: „sein Alter, das Feuer der Leidenschaften, der
Wunsch nach Ruhm, selbst Neugier, endlich ein dunkler
Jnstinkt", und damit war überhaupt für eine neu ein-
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Verwaltung mit gedenkt, weil sie ein Ausfluß dieser
noch heute Lebendigen gewesen sind; dieses Lebendige,
das sich auf deni Schlachtfelde und in der Verwaltung
auch noch in mancher anderen Weise auswirkt, ist ganz
allgemein: Friedrichs des Großen Persönlichkeit. Per-
sönlichkeit ist mehr als Charakter; als Charakter war
Friedrich der Große pflichteifrig und gerecht, wie selten
einer, aber das eigentlich Merkwürdige und in gewissem
Sinne Ewige an ihm war nun, daß er gerecht und pflicht-
eifrig war als ein überragender Geist, dem das gesamte
Erkenntnismaß seiner Zeit geläufig war, und als eine
Energie, die für ihr Wirken überhaupt keine Grenzen
anerkannte. Friedrich der Große gehört durchaus zu
den seltenen Menschen dieser Erde, die für die übrigen
etwas Dunkles, letzten Endes Unauflösliches und Damo-
nisches haben durch die Universalität ihrer Fähigkeiten
und die oft bis zur Grausamkeit gegen sich selbst gesteigerte
Rastlosigkeit, mit der sie diese Fähigkeiten verwenden;
vielleicht, daß manchem seine Symphonien und Kan-
taten, seine Lehrgedichte, Essays und historischen Werke
nicht wertvoll genug erscheinen, als daß sie ihrem
Schöpfer den Titel eines universalen Geistes verschaffen
könnten; allein wenn nachgeahmt, so sind sie wenigstens
dem Größten der Aeit und mit Größe nachgeahmt, und
als Ausgleich darf doch wohl gelten, daß er sich nicht auf
das Gebiet rein geistigen Schaffens beschränkte, sondern
sein Größtes als Praktiker leistete, der einzig durch die
Macht seiner Persönlichkeit immer neue Heere zusammen-
schweißte und auch vor dem Feinde hielt.
Solche Dämonen der Menschheit, Besessene, in
unmittelbarer Verbindung als andere mit der Welt-
energie, gehen nicht ohne große Wirkungen dahin, und
von der so folgenreichen Eroberung Schlesiens und der
eigentlichen Begründung der preußischen Monarchie hat
Friedrichs Persönlichkeit nicht mehr und nicht weniger
bewirkt, als daß die deutsche Dichtung, die seit Jahr-
hunderten, seit dem frühen Mittelalter nämlich, mehr
oder weniger vertrocknet gewesen war, zu einer neuen
reichen und reifen Blüte kam. Bei den Dichtern seiner
Aeit findet man denn auch die überzeugendsten Zeug-
nisse seiner Größe, und wie ein Felsblock, ihm als Denk-
mal errichtet, steht der berühmte Satz aus Goethes
„Wahrheit und Dichtung" da: „Der erste und höhere
eigentliche Lebensgehalt kam durch Friedrich den Großen
und die Taten des Siebenjährigen Krieges in die deutsche
Poesie". Allerdings könnte es hier einen Augenblick
scheinen, als sei hier der Siebenjährige Krieg selbst als
dichterischer Stoff gemeint, was immerhin eine Art
von Einschränkung wäre, noch bis zu dem Satze: „Die
Preußen und mit ihnen das protestantische Deutschland
gewannen für ihre Literatur einen Schatz, welcher der
Gegenpartei fehlte und dessen Mangel sie durch keine
nachherige Bemühung hat ersetzen können, doch der
folgende wendet sich dann vollkommen ins Allgemeine:
„An dem großen Begriffe, den die preußischen Schrift-
steller von ihrem Könige hegen dürften, bauten sie sich
erst heran". Jmmerhin mag man sich, um ganz das
Naturereignis zu verstehen, das Friedrich für seine
Aeit war, Goethes kurze Darstellung durch die Be-
schreibung ergänzen, die Justus Möser in seiner Schrift
über die deutsche Sprache und Dichtung von dem Deutsch-
land gibt, das auf eine große Tat wartet. Diese Schrift
stammt freilich erst aus dem Jahre 1781, denn für Möser
war der Siebenjährige Krieg kein so aufrüttelndes Er-
eignis, wie für Goethe, eine Tat, die ein Volk elektri-
sieren mußte, viel eher Friedrichs Erlaß zugunsten des
Müllers Arnold, der angeblich falsch verurteilt wordea
war; aber Goethes Urteil genügt ja wohl auch. Justus
Möser beginnt also den hierher gehörigen Teil mit der
Sentenz, daß große Empfindungen, wie sie für eine
große Dichtung nötig seien, nur bei großen Begeben-
hnten entständen, und beginnt denn, seine Zeit nach
großen Begebenheiten abzusuchen: er findet, daß der
Staat unter der Wache stehender Heere maschinenmäßig
seinen Gang grhe; daß dem Einzelnen Dienst und Gelehr-
samkeit Selbstzweck geworden seien und nicht Mittcl
zu einem höheren Endzweck; daß die Frauen nur noch
ordentliche Gefühle hervorriefen, anstatt heroischer
Leideaschaften; daß der glücklich noch erbaltene Awei-
kampf der letzte kümmerliche Rest leidenschaftlicher
Rache sei, und erhebt sich in dem wahrhaftigsten Pathos
des bekümmerten Vaterlandsfreundes zu den rhetorischen
Fragen: „Kann die schlaffe Seele eben das, was die
hochgestellte wirken? — Müssen wir nicht bei unserm
bestandig kalten Blut vor dem Wagstücke schaudern,
das dem Manne auf dem Ozeane keine einzige Uber-
legung kostet?" —
Damit ist wirklich mit erschütternder Deutlichkeit das
Leid einer ganzen Epoche ausgesprochen: Jm Rokoko,
im Zeitalter der Aufklärung, war das Blut der Menschen
kalt geworden; das Leben war vom Herzen des Menschen
binaufgestiegen in den Kopf, so daß jede menschliche
Lebensbetätigung, selbst die der Seele, daß auch die
Religion, die Liebe, die Poesie eine zerebrale Ange-
legenheit geworden war. Für ein Volk von der siarken
Sinnlichkeit und der differenzierten Geistigkeit des fran-
zösischen bedeutete das, daß das Leben mitsamt der
Liebe und der Poesie eine sehr formenschöne und elegante,
aber im Grunde kaltherzige und sehr skeptische Spielerei
geworden war, die moralisch betrachtet eine Auflösung
aller alten Grundsätze darstellte, aber hohe sinnliche
Genüsse vermittelte; für ein Volk von der Biederkeit,
Tüchtigkeit und Bürgerlichkeit des deutschen bedeutete
diese, daß das Leben über alle Begriffe abstrakt-moralisch,
trieblos und trocken geworden war, wenn auch nicht alle
Formweise und Auflösungserscheinungen fehlten. Diese
eng, trieblos und kalt gewordene Welt nun ging in dem
Augenblick zugrunde, als Friedrich der Große nicht
lange nach seinem Regierungsantritt ganz plötzlich die
geschmückten Säle seiner Schlösser mit dem Glanze der
Kirche, dem philosophischen Geplauder, dem Klang der
Flöten, den Büchern und den Schreibfedern verließ und
an der Spitze eines Heeres an die schlesische Grenze
rückte. Was ihn so zu handeln hieß, war nicht mehr das
Hirn; das hätte ihm eher solches Wagnis abgeraten,
überhaupt die Roheit der Menschenschlachterei ver-
urteilt, die für jeden Aufklärer der Krieg einzig und allein
war. Was Friedrich den Großen in den Krieg trieb, war
nach seinen eigenen Worten alles andere als Überlegung,
nämlich: „sein Alter, das Feuer der Leidenschaften, der
Wunsch nach Ruhm, selbst Neugier, endlich ein dunkler
Jnstinkt", und damit war überhaupt für eine neu ein-
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