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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 22.1912

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Heft 7
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Walzel, Oskar: Zacharias Werner und der Rhein
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https://doi.org/10.11588/diglit.26494#0267

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Zachanas Wemer und der Rhein.

schen, daß sein wahres Verdienst historisch-kritisch an-
erkannt bleibe. Denn freilich wird es jetzt dergestalt
mit Hymnen umräuchert, daß zu befürchten ist, es werde
bald wieder so verdüstert vor den Augen des Geistes
dastehen, wie es ehemals, vom Lampen- und Kerzen-
ruß verdunkelt, den leiblichen Augen entzogen ge-
wesen."

Natürlich denkt man bei diesen Worten Goethes
an Werners Brief. Da muß gleich dem Dombild zu-
liebe Raffael schlecht gemacht werden. Das höchste
Lobesprädikat, das Winckelmann einst den Kunst-
werken der Antike gespendet hatte, „edle Einfalt und
stille Größe", wendete Werner sofort auch hier an.
Gewiß war es ja seine Art, „mit Hymnen zu umräu-
chern", was er bewunderte. Und daß er sich nicht nur
Goethe gegenüber zu überspannten Wendungen erging,
bezeugt sein Tagebuch. Am 1. Juli 1809 widmete er
hier dem Dombilde eine Würdigung von sechs eng-
gedruckten Seiten. Wie im Briefe an Goethe gedenkt
er der Worte Dürers und zieht die Parallele mit der
Sistina, die zwar „kolossaler und göttlicher" sei, aber
an Adel, Aartheit, süßem, erhabenem Ernste und schönem
Ebenmaße dem Dombilde nachstehe. Er schilderte aus-
führlich die einzelnen Figuren: Marias Augen sind
ganz gesenkt, ihr Mund „fest geschlossen, wie im stillen
demütigen Einsaugen des Gottes, zu dessen Empfäng-
nis sie gewürdiget worden, versenkt, wodurch die ganze
Gestalt in betreff der anbetenden Weisen, die sie gar-
nicht anblickt, den göttlichsten Stolz erhält". Von dem
Christkind) „mit Füßchen und Händchen wie von Elfen-
bein gedrechselt, mit Härchen wie von goldner ge-
krauselter Wolle") heißt es: „Es ist nicht möglich, mehr
Adel, mehr göttlich Vornehmes zu haben, als der Blick,
mit dem der König der Könige diesen alten König an-
blickt, und sein himmelblaues, den göttlichsten Trost
göttlich edel aussprechendes, herrlich zartes Augenpaar,
es ist über aller Beschreibung." So geht es weiter von
Gestalt zu Gestalt: Ursula, „ein zartes, blondes, himm-
lisches Köpfchen mit einem Kranze, blaß, schämigt und
in süßem Versenken in ihr frommes, zartes Gefühl und
Vergessen alles andern"; der heidnische Prinz Comenius:
„ein himmlischer, blonder, blauäugiger Junge"; der
rechte Flügel hat es ihni überhaupt angetan, „mehr als
jedes andere Kunstwerk, da er ganz eigentlich alle Ge-
stalten enthält, zu deren Aeichner mich Gott und Schick-
sal, was eins ist, berufen haben, nämlich die sich ver-
göttlichende irdische Liebe mit ihren Attinentien, der
Unschuld und der Kirche, der Jüngerschaft und Meister-
schaft". „Nein," ruft er zum Schluß, „dieses Gemälde
hat nicht seinesgleichen. Es sind darin alle Mysterien
der Liebe, die Meisterschaft, die Jüngerschaft, Weisheit,
Kunst, Jungfräulichkeit, Heldentum, kurz alle Blüten der
göttlichen Menschheit mit den Tiefen der vermensch-
lichten Gottheit im tiefsten Einklang dargestellt, eine
Welt wie in Mozarts ,Don JuaiU, und wenn ich die
Kunstwerke nennen soll, die mich in meinem Leben
am tiefsten ergriffen, mir die nächste Ahndung der
Gottheit aufgeschlossen haben, so sind es diese sieben:
der Apollo vom Belvedere, Mozarts ,Don Juan^,
Shakespeares ,Romeo und Julie^, Goethens ,Faust^,
der Kölner Dom, Raffaels Heiliger Sixtus in Dresden
und diese Kölner Anbetung der Weisen."

Auch die übrigen, in dem Briefe an Goethe genann-
ten Gemälde (sie finden sich jetzt, durchaus anderen
Meistern zugeschrieben, in der Pinakothek zu Mün-
chen) sind in Werners Tagebuch, das in Köln tatsächlich
zu einem räsonierenden Bücherkatalog wird, ausführ-
licher behandelt, freilich in bescheidenerem Maße als das
Dombild. Am hochtönenden Epithetis ist kein Mangel;
Raffael wird noch ein andermal zum Vergleiche herbei-
bemüht. Drollig ist es, daß Werner bei dem von An-
tonius zertretenen Teufelchen im Tagebuch nicht an sich
und seine „englische Mystik" („englisch" bedeutet hier,
älterem Sprachgebrauch entsprechend, natürlich engel-
haft) denkt, sondern an den giftigen Goetheschmäher
Garlieb Merkel, daö Aielblatt der Satire so Goethes
wie der Romantik; beide reimen Merkel auf Ferkel.

Wer indes näher zusieht, erkennt sofort, daß Werners
wortreiche Konfession lediglich Friedrich Schlegels Äuße-
rungen übertreibt. Was er über das Kölner Dombild
sagt, ist Iug für Aug auf Schlegel zurückzuführen: zu-
nächst der leitende Gesichtspunkt, der Vergleich mit der
Sistina. Dem Künstler rühmte Friedrich Schlegel nach:
„So allein wie Raffael, der Maler der Lieblichkeit, unter
den Jtalienern steht, so einzig ist dieser unter den Deut-
schen. Die Mutter Gottes, mitten auf dem Throne
sitzend, von einem langen, dunkelblauen, mit Hernielin
gefütterten Mantel umflossen, wird wohl jeden, der sie
gesehen, an die Raffaelsche Madonna in Dresden
erinnern müssen, durch die königliche Hoheit der etwas
mehr als lebensgroßen Gestalt und durch die ganz über-
irdische idealische Schönheit des Gesichts." Der Reich-
tum an ausdrucksvollen und vollendet ausgearbeiteten
Köpfen gemahnte Schlegel an Raffaels Transfiguration.
Wenn mithin Werner die einzelnen Figuren zu charak-
terisieren und zu deuten sucht, folgt er lediglich eineni
Winke seines Vorgängers, der ihn auch auf den Stim-
mungsgegensatz der „freudigen Hoheit des Hauptbildes"
und der „wehmütigen Umgebung" hinweist, die jeneni
in den beiden Flügeln ersteht. Ja, Werners Worte über
Ursula sind schon bei Schlegel vorweggenommen, der
in Ursulas rührender Stellung und in dem blassen Ge-
sicht ihr Märtyrertum angedeutet findet. Weitere Be-
lege der Beeinflussung Werners durch Schlegel ergeben
sich leicht auch bei einem flüchtigen Vergleiche.

Friedrich Schlegels Endurteil lautet: „Jn einem
Werk wie dieses liegt die ganze Kunst beschlossen; und
etwas Vollkommeneres, von Menschenhänden gemacht,
kann man nicht sehen." Gewiß heißt das den Mund
etwas vollnehmen; und doch, wie begreiflich ist solche
Apotheose! Raffaels Sistina war den Romantikern
von Anfang an der Gipfelpunkt italienischer Malerei
gewesen. Mehr und mehr hatten sie dann — Friedrich
Schlegel immer voran — der deutschen Malerei gerecht
zu werden gesucht. Da erschien dem immer stärker zu
religiöser Kunst Neigenden das Werk Locheners. Was
er bisher bei den alten deutschen Malern vermißt hatte,
die Anmut Naffaels fand er hier endlich wieder. Jn
frischer Entdeckerfreude stellte er Raffael und Lochener
zusammen und scheute volltönende Worte nicht; den-
noch wird, wer Schlegels und Werners Worte vergleicht,
sofort erkennen, wo eine vielleicht irrige, sicher einseitige
aber doch historische Würdigung versucht, wo „mit
Hymnen umräuchert" wird. Und wie Werner dem

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