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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 22.1912

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Heft 1
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Trog, Hans: Josef Victor Widmann
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https://doi.org/10.11588/diglit.26494#0039

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Iosef Victvr Widmaim.

war. Aber dem geistlichen Stand hat der Vater doch
nicht entsagt; nur genügte er ihm in der protestantischen
Konfession. Und seine Heimat vertauschte er mit der
freien Schweiz. Als Pfarrerssohn wuchs Josef Victor
Widmann auf. Er selbst sollte in die Fußstapfen des
Vaters treten. Aber er hielt es im Pfarrerrock nicht aus.
Der Sinn war ihm zu weltfreudig gerichtet, und das
Denken ging früh schon nichtkirchliche, untheologische
Wege. Jung in die Ehe getreten, tauschte er bald das
Pfarramt an das Schulamt. Der städtischen Mädchen-
schule in Bern stand er Jahre hindurch mit Hingabe vor.
Dann vertrieb ihn orthodore Angstlichkeit von den,
Posten. Er kam den Kirchlichen doch gar zu frei vor.
So ward Widmann zum Journalisten, vom Jahre 1880
an. Jm „Bund", dem er bis zum Tode treu blieb, und
dem er weit über die Schweizer Grenzen hinaus An-
sehen verlieh, wartete er des Feuilletons mit vorbildlicher
Treue.

Schon in jungen Jahren war Widmann mit Ent-
zücken in der heiteren Fabulierwelt Ariosts heimisch
geworden. Die reiche, behaglich strömende Stanzenform
wuchs ihm ans Herz. Die epische Dichtung „Der
Wunderbrunnen von Js" erschien 1871 unter dem
Pseudonym Messer Lodovico Ariosto Helvetico. Eine
Anzahl von Widmanns reizvollsten, anmutigsten Dichtun-
gen wandelt in diesem Aeichen — 'Bin der Schwärnier,
Die Königsbraut, Der Aelter. Die frohe österreichische
Sonnigkeit seines Temperaments entfaltet sich in diesen
kleinen Epen mit ihren munteren Digressionen voll ent-
zückender Grazie. Von dieser guten Laune sind auch
manche der für daü von ihm verwaltete Ieitungsfeuilleton
entstandenen Erzählungen erfüllt. Wie dort die Verse
mit ihrem Reimschmuck sich leicht und gefällig ein-
stellten, so floß auch seine Prosa klar und durchsichtig
dahin, wie ein munter und mühelos dahinfließender
Bach, dessen Uferrand freundliche Blumen farbig be-
sticken.

Nicht auf die Tiefe hin wollcn diese Erzeugnisse
untersucht sein; die sonnige Anmut ist ihr Lebensrevier,
und sie huldigen der guten alten Marime, „lachend das
Wahre zu sagen". Au diesen Wahrheiten gehört etwa,
daß Jugend zu Jugend gehört und nicht durch das be-
gehrliche Alter getrennt werden soll. „Und immer ist
der Mann ein junger Mann, der einem jungen Weibe
wohlgefällt", hat Goethe den Versen seines Nausikaa-
Fragmentes anvertraut.

Aber dieser Josef Victor Widmann hat die Welt bei
aller warmen Genußfreudigkeit doch nicht leicht ge-
nommen. Das Theologiestudium hat ihn zur Prüfung
des Gottesbegriffes hingeleitet. Und dabei ist^der von
der christlichen Kirche gelehrte gute Vater im Himmel
nicht glimpflich davongekommen. Das große Problem
türmte sich auf: Wie kommt so unendlich viel Leiden in
die Schöpfung? An die Zweckmäßigkeit der Welteinrich-
tung im Sinne des „ruchlosen" Optimismus oder der
göttlichen Weisheit und Güte zu glauben, das brachte
Widmann nicht über sich. Jn welcher Richtung er die
neue Orientierung seines Denkens suchte, zeigte das
Epos „Buddha" von 1869. Jn der Einsamkeit sucht der
indische Königssohn, der angesichts des unendlichen
Menschenleides auf den Thron Verzicht leistet, Gott,
und er findet ihn nicht. Als Buddha kündet er hinfort

die Lehre: Es ist kein Gott! Aber die Mahnung schickt
er dieser grausamen Erkenntnis nach: „Statt nach
Gerechtigkeit zu Gott zu schreien, laßt selbst vom Frevel
uns die Welt befreien"; „nach Gott ini Himmel wird
man nicht mehr fragen, doch in der Brust ein Herz voll
Liebetragen."

Von diesem kühnen Weltanschauungsgedicht geht
eine direkte Linie zu den beiden nach Form und Jnhalt
so eigenartig schönen Dichtungen: der Maikäferkomödie
und dem Heiligen und die Tiere. Die Qual der Tier-
welt im Kampf ums Dasein unter dem ehernen Gesetz
des Rechts des Stärkeren bildet den Ausgangspunkt der
beiden satirisch-lyrischen Gedichte in lose dramatischer
Form. Aber in Beiden wird zum Schluß der Blick auf
das Problem alles Lebens überhaupt gelenkt. Gewiß:
dunkel ist aller Kreatur Geschick, in den Tod mündet
alles; aber auf dem Wege zu dem finstern Aiel blüht
die Schönheit. „Schön ist ihr Aauberwort. Auf schönen
Schein ist sie geschaffen, der uns wohl gefällt", so preist,
dem Sterben nahe, der Maikäferkönig die Welt. „Wer
Leben je erfuhr, muß dennoch danken, daß ihn der
Hauch berührte, der ein Nichts aus dumpfem Schlafe
weckt." Und als die Doppelfrucht des Lebens werden
bezeichnet: „die süße Lust und all das bittre Leid".
Jm Heiligen und die Tiere erklärt selbst der Erzengel
Michael dem Heiligen: „die letzten Dinge sind auch uns
verhüllt... Und Tod auch bricht der Himmelsaugen
Glanz." Aber: „ein Sterben, ja — doch auch ein jung
Erwachen von Frühlingssonnen ist ....ein Weinen,
ja — doch auch ein Wonnelachen aus Augen, die mit
gotdnem Licht beschenkt." Und wieder tönt — der
Erzengel Raphael ist der Verkünder — dcr Preis der
Schönheit, wie sie in holdseligen Frauen Fleisch ge-
worden ist. Also: des Problems Lösung ist auch dem
Heiligen nicht beschieden, wohl aber die Einsicht in das,
was uns Menschen ansteht: „Sich selber treu sein und
unschuldig bluten."

Dieser vom Dank für die schöne Welt, trotz alledem
und alledem, hold umkränzte Pessimismus war Josef
Victor Widmanns Weltanschauung, oder, wenn mans
bescheidener benennen will, seine Weltstimmung. Iu
einem Fluch der Welt brachte es die im letzten Grunde
doch so unendlich sonnige Natur des Dichters nicht.
Und wir sind die Letzten, ihn darob zu schelten. Jn eine
helle, klare Fabulierwelt treten wir bei Widmann. Er
empfand die Tragik, aber er war kein Tragiker. Man
siehts in seinen Dramen. Das Feinste, Rundeste geben
da doch die kleinen Sachen, eine köstliche Geistreichheit
wie „Lysanders Mädchen" etwa, oder der artige boc-
cacceske Scherz mit elegischen Untertönen „Der greise
Paris", und noch seine letzte dramatische Arbeit, „Der
Kopf des Krassus", gibt sich als eine historische Groteske.
In der „Muse des Aretin" steckt manche Konfession, aber
als sonderlich tragisch vermögen wir doch den Konflikt
zwischen Beruf und Neigung, zwischen — sagen wirö
gerade heraus — Journalist und Dichter bei diesem
Aretin nicht zu empfinden. Und schließlich: I. V. Wid-
mann selbst hat diesen Konflikt für seine Person gelöst.
Das Metier des Kritikers, mit fast beispielloser Aus-
dauer und Treue ausgeübt, hat ihn nicht der Musc ent-
fremdet. Auf seinen zahlreichen Reisen genoß er in vollen
Iügen, was von Schönem und Charaktervollem in

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