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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 22.1912

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Heft 2
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Ebinghaus, K.: Baukunst und Architektur
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https://doi.org/10.11588/diglit.26494#0066

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eingeschossigen Raum
zu umschließen gehabt
hatte. Damit wäre die
Vorliebe für den grie-
chischen Säulenbau bis
auf unsere Tage weni-
ger eine historische Nei-
gung als die vielbe-
merkte Fähigkeit der
Katze, aus den schwie-
rigsten Situationen im-
mer wieder auf ihre
Füße zu fallen. Tat-
sächlich zeigt sich die
Steinbaukunst etwa
des berühmten Tem-
pels zu Pästrum (trotz
der Künstlichkeit der
inneren Säulenreihe
als Dachträger) für den
Anblick von der glei-
chen Selbstverständlich-
keit wie das Berner-
haus (Abb. 4). Es ist
noch, um bei der Un-
terscheidung zu blei-
ben, Baukunst, und
z>var vollkommene: ein
Rarim ist feierlich uni-
schlossen, und mit sei-
nem Säulenwerk et-
was geleistet, was dem
Stein ohne Künstlich-
keit zugemutet werden
kann.

Jm römischenTem-
pel zu Nimes (Ab-
bild. 6) scheinen diese
Möglichkeiten schon auf
die Spitze getrieben,
indem die Steinsäulen
zu schlanken Stäben
ausgezogen und deren
Funktion durch den
halben Einbau in die
Wand irgendwie be-
eintrachtigt ist. Jmmer-
hin wirkt dieser Tem-
pel noch als ein Meer
von Ruhe gegenüber
etwa dem Hadrians-
bogen in Athen, wo
auf die Torwölbung
unten oben die Fen-
sterpfeiler aufgesetzt
sind und gewissermaßen
schon das ganze ver-
zweifelte Problem der
Renaissance beginnt.
Wenn der Tempelbau
der Madeleine (Abb. 7)

Abb. 7. Portal der Madeleine in Paris.

Aus K. O. Hartmann: Die Baukunfi (Verlag Carl Scholtze, Leipzig).

Abb. 8. Dic Propyläen in München.

Aus K. O. Hartmann: Die Baukunst (Verlag Carl Scholtze, Leipzig).

Abb. 9. Klein-Trianon in Versailles.

Aus K. O. Hartmann: Die Baukunst (Verlag Carl Scholtze, Leipzig).

zu Paris (als direkte
Kopie eines römischen
Tempels von Napoleon
befohlen und erst spä-
ter zu einer Kirche
umgearbeitet) eine so
ausgezeichnete Figur
macht, verdankt er das
einer klugen Beschrän-
kung, während etwa
St. Sulpice in Paris
mit der bekannten
Übereinanderstellung
zweier Säulenreihen
durchaus nicht mehr
als natürliche Baukunst
sondern recht als über-
künstelte Architektur
wirkt. Vielleicht die
witzigste Llnwendung
zweier Gescbosse in
dcr alten Tempelform
scheint Klenze bei den
Propyläen in München
gelungen (Abb. 8);
sieht man genauer zu,
ist es die Verbreite-
rung einer alten ägyp-
tischen Tempelfassade:
das Tor mitten ist zu
einer griechischen Säu-
lenhalle erweitert und
die Pylonen rcchts und
links sind oben zu Ga-
lerien aufgelöst. Das
Auge empfindet zwei
verschicden fundamen-
tierte Geschoßböhen
und fühlt sich sofort
beunruhigt, wenn es
rechts und links an den
Türen die Aweigeschos-
sigkeit erkennt, um sich
gleich wieder damit
zu beschichtigen, daß
es nur Türme sind.
Und wenn wir etwa
der schönen Fassade
von Klein - Trianon
(Abb. 9) eine klassische
Wirkung zuschreiben,
geschieht es sicher
hauptsachlich der vor-
getauschten Eingeschos-
sigkeit wegen, wie ja
überhaupt beim Rokoko
die graziöse Wirkung der
Gartenschlösser (Sans-
souci, Benrath) im-
mer darauf beruht, daß
ein etwaiges Stock-

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