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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 22.1912

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Heft 2
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Bab, Julius: Wahrheit und dramatische Dichtung
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https://doi.org/10.11588/diglit.26494#0079

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Wahrheit und dramatische Dichtung.

Duß Leute von literarischem Rang und Ruf so
ahnungslos oder so skrupellos nach einer bedeutenden
Kunstform fassen, scheint mir nicht eben ein erfreuliches
Zeichen unserer ästhetischen Kultur. Jn diesem Sinne
ist auch Heinrich Manns theatralischer Versuch nicht
erfreulicher. Er schreibt zwar nicht einsach ein Undrama
wie Wassermann, aber er schreibt dafür ein Theaterstück
von vorvorgestern. Ein Stück von Dumas fils und
Sardou, voribsensche Gesellschaftsdramatik. Das macht,
Heinrich Mann, der in der epischen Form doch zuweilen
ein Meister ist, weil er gewisse Beziehungen zwischen
Mensch und Welt mit jener ganz beherrschten Leiden-
schaft anschaut, die den Erzahler macht, hat die Leiden-
schaft des Dramatikers, die eine Gestalt, und aus der
Gestalt ein Schicksal setzt, garnicht. Er kommt zum Theater,
um ein Problem zu erörtern, und sucht sich Gestalten und
Situationen dazu; deshalb müssen seine Menschen dauernd
in gefühllähmender Weise ihr eigenes Problem dis-
kutieren, und die Situationen sind nicht mehr als Jllu-
strationen, Sammlungen allzu drastischer und allzu
passender Beispiele. So entsteht das Dumassche Thesen-
stück in seiner antidramatischen, pseudotheatralischen
Unart neu. — Allerdings hat Heinrich Mann in diese
alten schon so glücklich vergesscnen Schläuche einen neuen
Wein gegossen. Sein dreiaktiges Drama „Schau-
spielerin"* ist inhaltlich von größtem Jnteresse; mit
einer nahezu todesmutigen Energie dringt es in das
gefährlichste Seelenproblem der heutigen Menschen ein,
schildcrt (am Schulfall des Scharispielers) den Untergang
der sozialen Eristenzmöglichkeit durch impressionistische
Wahrheitswut, der Persönlichkeit durch die entfesselte
Sensibilität, des Lebens durch das Bewußtsein. Jene
romantische Auflösung dcs Menschen, die Hofmannsthal
in seinen Gedichten und in seinen Scheindramen nur
lyrisch besingen konnte, hat hier jemand in ihrer furcht-
baren Realität als ein Geschehnis zu gestalten versucht.
Das scheint mir eine Tat. Es ist freilich mit künstlerisch
so schwachen Mitteln geschehen, daß kein Werk, sondern
höchstens eine Anregung bleiben wird. Heinrich Manns
Erlebnis war nicht im dramatischen Sinne echt, weil es
nicht an der nachspielbaren Vision lebendigcr Mcnschen
orientiert war; an sich, als Werk, als dichterischer Ver-
such ist es bedeutend, weil es menschlich echt ist, weil
es in einer tiefen und leidenschaftlichen Beziehung zu
unserer Wahrheit steht.

Und damit steht Heinrich Manns Versuch freilich
weit über den Bühnenprodukten, bei denen nun die
dramatische Desorganisation sich in einer tieferen Schicht
vollzogen hat, Werke, deren äußere Beziehungen zum
Theater in der schönsten Ordnung sind, die sogar sehr
lebhaft mit der sinnlichen Vervollständigung durch den
Schauspieler rechnen, und die nur an sich als Dichtungen
nicht genug innerer Wahrheit enthalten, um überhaupt
wiegen zu können. Dazu gehören ja die sogenannten
erfolgreichen Theaterstücke jeder Epoche zum aller-
größten Teil. Und man kann nur hin und wieder ein
besonders in den Vordergrund gedrängtes Eremplar
als Beispiel herausgreifen, um zu zeigen, daß hier wieder
einmal Schein für Wesen genommen wird, daß ein

* Als Buch bei Paul Cassirer. Berlin; gespielt im „Theater
an der KLniggrätzerstraße" in Berlin.

sinnlich wirksames, geistig sinnloses Arrangement von
alten Kulturwerten statt eines neuen Kulturwerks, statt
der Aussprache unseres noch unerhörten Lebens gefeiert
wird. Von solcher Art ist das neu erschienene Drama
des ruhm- und preisgekrönten Dramatikers Ernst
Hardt: „Gudrun".*

Hier ist nicht jene Leidenschaft am Werke, die das
neue Leben in die Welt setzt. Hier steigt kein schöpferischer
Geist zu den Müttern,um einen neuen glühenden Schlüssel
des Daseins heraufzubringen. Ein wenig gefühlvoll,
nicht ganz geschmackvoll, sehr wenig gedankenvoll wird
das Vorhandene, das Vorgeformte gesehen, empfunden,
gewählt, gemischt. Die höhere Kochkunst, die allerlei
Reizvolles für den Gaumen bietet. Aber die Seele
hungert. — Die mittelalterliche Gudrun steht ganz und
gar auf dem ritterlichen Standesbewußtsein, auf dem
Geist ihrer Kaste. Es ist die Ehre der Sippe, die in ihr
lebt, und die Pflicht des Adels, die sie erfüllt, und diese
Pflicht heißt Treue. Jndividuelle Regungen spielen
da fast gar keine Rolle. Ob sie den Bräutigam Herwig
liebt oder den Räuber Hartmuth haßt, das entscheidet
nichts: die Ehre einer Königstochter entscheidet und
befiehlt, den Heimischen Treue zu halten, den Fremden
Trotz zu bieten. Für diese großartige starre Geste einer
alten Kultur hatte Hardt irgend ein Nachgefühl. Au-
gleich aber hatte er ein lebhafteres Nachgefühl für den
Reiz und Wert des Jndividuellen, wie ihn neuere
Kulturen ausgeprägt haben. So „modernisierte" er
Gudrun; er macht jetzt alles Wesen daraus, daß sie ihren
Räuber Harmuth in Wahrheit liebt und ihm dennoch
trotzt. Damit zerstört er die ruhige Großheit der alten
Fabel, die auf einem ganz außerindividuellen Jnteresse
erbaut ist. Und er zeigte doch keinen mehr elementaren
Sinn für die neuere Lebensform, denn der Heroismus
eines als Jndividuum begriffenen Wesens dürfte ja
wahrhaftig nicht darin bestehen, einem ungeliebten
Manne treu zu bleiben, und dem einen, den individuelle
Wahl uns als rechte Ergänzung unserer Persönlichkeit
anzeigt, bis in den Tod zu trotzen. Aber hier sind
eben nur mit auswählendem Geschmack zwei wirksame
Momente aus ganz verschiedenen Welten — die Groß-
artigkeit unpersönlichen Standesbewußtseins, der Reiz
höchst persvnlichen Gefühlslebens — zusammengestellt;
so kann nichts Geeintes, nichts Notwendiges, kein Organiü-
mus entstehen.

Keineswegs schwieriger, nur ein wenig zeitraubender
wäre es, an den Lebenszellen, am Sprachlichen dieses
Dramas aufzuzeigen, wie überall eine wählerische Nach-
empfindung, kein notwendiges Grundgefühl am Werk
ist, wie das konventionelle Jambendeutsch mit mittel-
alterlichen, kleistischen und vor allem hofmannsthalischen
Aieraten besteckt ist, wie alle Bilder arbeitsam hinein-
gesetzt, statt im Drange einer Leidenschaft gewachsen
sind, wie ein angestrengtes Metrum, kein freierRhythmus
diese ganze Wortmasse vorwärts wälzt. Hier ist nichts zu
spüren von der persönlichen mittlerlosen Welterfahrung,
die einem Dichter die Schwungkraft leiht, seinen Atem
beflügelt, daß seine Worte ein Strom werden, der uns
zu neuen Ufern trägt. Hier hat sich jemand kostümiert,
um in erinnerungsvollen Gewändern recht eindrucksame,

* AlL Buch im Jnsel-Verlag; gespielt überall.

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