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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 22.1912

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Heft 3
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Hamann, Richard: Die Malerei der Restaurationszeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.26494#0113

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Die Malerei der Restaurationszeit.

Jch möchte gern mich frei bewahren,
verbergen vor der ganzen Welt,
auf stillen Flüssen möcht ich fahren,
bedeckt vom schattgen Wolkenzelt.

Von ferne sehn, wie Herden weiden,
wie Blumen wachsen immer neu,
wie Winzerinnen Trauben schneiden,
wie Schnitter mähn das duft'ge Heu;

Und nichts genießen als die Helle
des Lichts, das ewig lauter bleibt,
und einen Trunk der frischen Welle,
der nie das Blut geschwinder treibt.

1819 erschien Schopenhauers Welt als Wille und
Vorstellung, die Philosophie der Resignation, der Ab-
tötung des Willens, desselben Willens, den Fichte zum
Prinzip der Welt gemacht hatte, und des Aufgehens
im Anschauen der reinen Formen, der platonischen
Jdeen.

Die Befreiung des Jndividuums hatte in politischer
wie sittlicher Beziehung zum Anarchismus geführt, aus
der die Zeit keinen Ausweg fand als in der Rückkehr zu
den bindendsten Formen mittelalterlicher Art, zur
katholischen Kirche und zum christlich - absolutistischen
Staatswesen. Ein Aeitalter schlimmster Reaktion bricht
heran, und dessen Kunst ist die Kunst der Nazarener,
eine Kunst, die glaubte, alles, was das 18. Jahrhundert
an Aufklärung und Bereicherung des Jndividuums ge-
bracht hatte, über Bord werfen zu können und im Ver-
trauen auf alte, fremd gewordene Jnstitutionen den
Geist einer langst vergangenen Kunst heraufbeschwören
zu können. Merkwürdigerweise hat man gerade diese
Epoche der Malerei Romantik genannt, obwohl jetzt so
ziemlich von allem, was die ältere Romantik in ihr Pro-
gramm geschrieben hatte, das Gegenteil die Zeit erfüllte.
Die Romantik war beruflos, heimatlos, international.
Jetzt betet man zu Heiligen um einen festen Lebens-
beruf, am liebsten den des Priesters. Hatte man anfangs
international alle Grenzen literarischer und politischer
Nationalität geöffnet, so empfand man jetzt vater-
ländisch bis zurDeutschtümelei. Die Jllustration deutscher
Dichtungen, Fausts, der Nibelungen ist die Folge davon
in der Kunst. Einst skeptisch oder poetisch-mystisch in
religiöser Hinsicht, wird man jetzt bigott, und sticht nicht
nur aus ästhetischen Gründen Anschluß an den Glauben,
der dem Jndividuum am wenigsten Zweifel und eigene
Gedanken gestattet. Es beginnt ein allgemeines Katho-
lischwerden. Das Anlehnungsbedürfnis ist so stark, daß
man sich seiner Person ganz entäußerte. Auch im
Porträt tritt dementsprechend immer mehr eine Er-
starrung der Aüge ein. Blöde und entgeistet schauen uns
zuweilen die Aüge aus nazarenischen Porträts an.
Während die Romantik die Gefühle komplizierte, alles
Geheimnisvolle, Vielfältige liebte, sucht man jetzt das
Schlichte, Einfache und Volkstümliche im Märchen, im
Volkslied, im Jdyll, in Volkssitten und Gebräuchen,
und in der Schlichtheit und Ungelenkheit der prä-
raffaelischen Kunst. Fra Angelico wird das Vorbild
dieser christlichen Einfaltssucher. Ritterlichkeit und Treu-
herzigkeit schien in mittelalterlichen Typen verwirklicht,
und wenigstens im Bilde oder in der Literatur glaubte
man diese Lebensformen des Ritters wieder auserstehen
lassen zu müssen.

Dennoch lebt in diesen scheinbar engen und strengen
Formen der Aeit ein Stück Romantik weiter. Nicht nur,
daß vieles davon schon der älteren Generation poetisch
verklärt erschien und um des ästhetischen Reizes begehrens-
wert, wie vor allem das Mystisch-Berauschende und
Sinnlich-Sprechende des katholischen Kultus. Vor allem
war auch jetzt alles von unbestimmter Sehnsucht erfüllt,
von der Phantasie mit einem lyrischen Iauber umkleidet.
Es war eine Flucht aus der Gegenwart in eine Ver-
gangenheit, die nie Gegenwart werden durfte, sollten
sich diese Romantiker nicht von ihrem Jdeal zurück-
gestoßen fühlen.

Als die Nazarener Overbeck, Pforr, Veit sich in Rom
niedergelassen hatten, fühlten sie sich abgestoßen von
dem kirchlichen Leben in Rom. Dorothea Veit, der
Philipp, ihr Sohn, in Briefen seine Not schilderte, schilt
ihn scherzhaft: „deutsch-rebellisch-katholisch oder catolica-
mente-rebellisch und christianamente-deutsch". Sie ver-
gaßen eben, daß das, was den Katholizismus groß
gemacht hatte, und fähig, den schwankenden Gemütern
einen Halt zu bieten, die Veräußerlichung der Religion
war, die Fassung aller geistigen Bedürfnisse in feste
äußere Formen, die Versinnbildlichung alles Geistigen
durch äußere Symbole, die Entlastung des Gewissens
im System der Beichte und äußeren Buße und die
Großartigkeit einer äußeren Organisation herrscherlicher
Art, die selbst weltlichen Herrschern die Krone streitig
machte. Diese Nazarener aber waren Renegaten, als
verkappte protestantische Pietisten traten sie an diese
Religion heran, überall nach Jnnigkeit und Gemüts-
tiefe suchend, sie waren Mucker und Kopfhänger, denen
die südliche Unbefangenheit eines Gottesdienstes, der
zum Tagewerk gehört, nicht einleuchtete. Muckerisch
und kopfhängerisch ist deshalb ihre Kunst. Wo die Kunst
des Katholizismus mit antiker Sinnenfreudigkeit ihr
Dogma und ihre heiligen Personen bildete, da scheuten
sich diese prüden Pietisten vor den nackten Schultern
eines Modells aus sittlichen Bedenken. Sie waren
mönchisch gesinnt, nicht klerikal, zum Gehorchen, nicht
zum Befehlen geboren, und dementsprechend ist ihre
Kunst nicht katholikos, sondern individuell gefühlsselig,
Perugino und seine schmachtenden Gestalten sind ihr
Vorbild. Nicht himmlische, sondern himmelnde Per-
sonen malen sie. Fra Angelico sahen sie nur die Gefühls-
innigkeit ab, nicht aber die Musik seiner Linien, die
aristokratische Feinheit seiner Aeichnung und Kompo-
sition und das bis zum Raffinement gesteigerte Farben-
gefühl. Dort, wo das katholische Thema einen repräsen-
tativen heroischen Ausdruck verlangte, trugen sie die
Aüge deutsch-bürgerlicher Gemütlichkeit hinein. Als
Philipp Veit eine triumphierende Kirche zu malen hatte,
da malte er ein schüchternes Mädchen, das ein Holzkreuz
wie einen Besen in der einen Hand hält, in der anderen
die Palme wie einen Staubwedel, mit dem sie nicht
umzugehen weiß. Seine Madonna der unbefleckten
Empfängnis ist nur der Schemen einer Gestalt, mit
sentimental geneigtem Kopf, mit Händen, die anatomisch
unmöglich, schüchtern, fast bettelnd, aus dem Mantel
hervorkommen. DerMantelistin schematische,gotisierende
Falten gelegt und jeglichen Schwunges bar.

Erst wenn er ein mütterliches Jdyll mit Kinder-
szenen zu malen hat, dann gelingt ihm etwas Hübsches
 
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