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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 22.1912

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Heft 4
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Schmidkunz, Hans: Straßennamen
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https://doi.org/10.11588/diglit.26494#0154

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Straßenmime».

beidcn Fällcn aber schadet der Pictat die spätere Un-
kenntnis des NamcnSursprungs, zumal wenn der Eigen-
name mit eineni Gattungsnamen zu verwechseln ist.
Man denke z. B. an den künftigen Eindruck von Straßen-
namen, die von einem berühmten Herrn Fischer odcr
Foerster abgeleitet sein würden!

Nun gibt es dagegen zwei Mittel. Das eine ist die
Anbringung von Gedenktafeln, welche die Grenzjahre
des Lebens der verewigten Person und ihre Haupt-
bedeutung künden. So ist es z. B. in Dresden und jetzt
in Charlottenburg; auch Stadt-Adreßbücher geben sich
neuerdings diese Mühe. Wo einmal eine solche Eigen-
namen-Nomenklatur besteht, dort wird dieser Kommentar
ausnahmslos zu einer Notwendigkeit.

Der andere Schutz gegen die angedeutete Ver-
wechslung und Vergessung ist die Hinzufügung des Vor-
namens und manchmal auch noch eines Titels zu dem
Aunamen. So haben wir nicht nur die Richard-Wagner-
Straßen (die durch die Weglassung des ersten Binde-
striches zu Straßen werden, die anscheinend selber einen
Vornamen tragen, wie es sonst mit Recht etwa eine
Kleine Kirch-Gasse gab), sondern auch eine Prinz-Louis-
Ferdinand-Straße oder dgl.; und wir müssen gefaßt
sein, einmal auch eine Wirkliche-Geheime-Ober-Regie-
rungsrat-Friedrich-Schulze-Straße zu bekomnien.

Als ob wir an den Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-
Kirchen nicht schon genug hätten! Als ob es für den münd-
lichen und schristlichen Verkehr so ganz gleichgültig wäre,
wenn man sich auf der Zunge und auf dem Briefpapier
mit derlei Ansprüchen an Atem und an Tinte herum-
schlagen muß! Als ob es nicht hoch an der Aeit wäre,
solche Läppereien als das hinzustellen, was sie sind, und
endlich einmal mit ihnen aufzuhören!

Schreiber dieses wollte stets resigniert auf das Wvrt
in dieser Sache verzichten. Aber nun las er in einer
Aeitungsnotiz vom 28. April 1911 folgendes:

Wilmersdorf. Neue Benennungen haben
mehrere Straßen Wilmersdorfs erhalten: die Wohlauer
Straße heißt von jetzt ab Eisenzahnstraße, die Brieger
Straße erhält den Nanien Albrecht-Achilles-Straße,
die Liegnitzer Straße den Namen Cicerostraße und
die Schlesische den Namen Nestorstraße.

Mit Müh' und Not hat man sich in Stadtteilen, in
denen alles neu ist, in die ungeläufigen und motivlosen,
jedenfalls künstlichen Straßennamen eingelebt und muß
nun mit noch mehr Mühe umlernen, bis künftig ein
Stadtvater wiederum den Straßen-Unitauf-Koller be-
kommt und eine abermalige Umbenennung durchsetzt.
Die Unruhe und die Unsicherheit, die dadurch in unser
psychisches Verhältnis zur Stadt eindringen, werden doch
nicht wettgemacht durch etliche Vorteile, die eine solche
Umtause im Gefolge haben mag.

Das angeführte Beispiel ist noch eines der leidlichsten.
Jene vier Straßen in der Berliner Nachbar-Großstadt
Wilmersdorf sind nur die Fortsetzungen von vier anderen
Straßen, die bereits den jetzt jenen Straßen zugedachten
Namen tragen. Aber warum geschieht es nicht umge-
kehrt? Warum werden nicht die Albrecht-Achilles-
Straßen-Bewohner von ihrem Namen erlöst und in
gemütlichere Brieger-Straßen-Bewohner umgewandelt?
Grund: jene Wilmersdorfer Gegend („Ortsteil Halen-

sce") hat für sich bereits ein „Markgrafen"-Viertel ein-
gcrichtet und soll es wohl möglichst konsequent durch-
geführt bekommen.

Auch diese Viertel-Benennungen haben ihren Vorteil.
Sucht man in Berlin oder in Schöneberg die Münchener
Straße, so kann man sich ungefähr darauf verlassen, daß
nian sie im sogenannten Bayerischen Viertel findet,
gleichwie die Nestorstraße im Brandenburgisch-Mark-
gräflichen Viertel. Aber da halten wir wieder bei der
Künstlichkeit. Jedes solche Viertel erweckt das Gefühl,
daß dort wirklich eine räumliche Verbindung mit Bayern
und hier in der Tat eine räumliche und zeitliche Ver-
bindung mit den historischen Markgrafen bestehe (was
höchstens in einer dem Grunewaldsee noch näher ge-
legenen Gegend eine genügend anschauliche Basis haben
würde).

Jn Wien, einer für derlei Künstlichkeiten sonst nicht
ebcn geeigneten Stadt, wurde vor kurzem der „Parkring"
in „Kaiser-Wilhelm-Ring" umgetauft. Gebührende
Achtung dem darin liegenden Eifer für das Andenken
an einen nahestehenden Gast! Aber warum konnte es,
wenn schon ein Doppel-Bindestrich-Namen nötig war,
nicht eine neu angelegte Straße sein?! „Parkring" —
Jdeal eines Straßennamens! Jst schon „Ringstraße"
eine naturwüchsige Straßenbezeichnung, so ist die Be-
nennung ihres einen Teiles nach dem an ihm gelegenen
prächtigen Stadtpark erst recht unmittelbar gerecht-
sertigt und hat noch obendrein das Verdienst, nicht
etwa „Stadtpark-Ring" zu heißen. Wie vertraut mußte
ein solcher Name mit seiner Kürze und mit dem
Freudebringenden seines Jnhaltes den Einwohnern ge-
worden sein!

Gerade in Wien wird aber (s. „Neue Freie Presse"
16814,15. Juni 1911, S. 12) auch geklagt, daß Straßen
nach berühmten Persönlichkeiten nur in versteckten und
entlegenen Gegenden benannt werden, während in den
zentraleren Gegenden „nichtssagende, bedeutungslose"
Namen wie Alleegasse, Operngasse und selbst Rathaus-,
Reichsratsstraße usw. entbehrt werden können. Es ist
wirklich ein psychologisches Rätsel, wie jemand so un-
psychologisch denken kann. Und überdies hält er eine
Rathaus- oder Kasernengasse dann für berechtigt, wann
das Rathaus oder die Kaserne nicht mehr besteht! So
droht denn auch eine Umtaufe der ihm so unsympa-
thischen Heugasse in eine Prinz-Eugen-Straße. Recht
hat der Mann allerdings mit seinem Protest gegen die
gleich oder ähnlich lautenden Bezeichnungen in ver-
schiedenen Stadtteilen (was für Wien ja noch ver-
fehlter ist, als für das Spreebabel, das eine gleiche Ver-
wirrung hauptsächlich nur der Vielzahl seiner Gemeinden
zu danken hat, die doch wohl auf so und so viele Berliner-
straßen ein Anrecht haben und den neuen „Iweck-
verband" vielleicht auch hierin einen „Awecklosigkeits-
verband" sein lassen).

Über die Unsitte des plötzlichen Umtaufens alt-
bekannter Straßen wird selbst aus dem argentinischen
Buenos Ayres geklagt (wie der „Berliner Lokal-An-
zeiger" 461 vom 10. September 1911 in einem Artikel
„Das südamerikanische Berlin" berichtet). —

Um all den von uns hier angedeuteten, jedoch lange
noch nicht erschöpften Verdrießlichkeiten zu entgehen,
 
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