Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 22.1912

DOI Heft:
Heft 5
DOI Artikel:
Schäfer, Wilhelm: Berliner Eindrücke
DOI Artikel:
Benedix, Peter: Die Schönheit der Maria Weinzierl, [1]: eine Erzählung
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.26494#0193

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
finden, da sie ja ihrer Natur nach erzahlt werden kann.
Leider sind wir vor lauter Buchstaben davon abge-
kommen, an den Ursprung und eigentlichen Sinn
»nserer Erzählung zu denken — weshalb sich auch das
ineiste, was unsere sogenannten Novellisten machen, im
besten Fall vorlesen, selten erzählen läßt.

Emil Milan ist nun — und er scheint mir das einzige
lebende Eremplar in Deutschland zu sein (vom Nachwuchs
abgesehen, unter dem Ludwig Hardt sehr gerühmt wird)
— ein wirklicher Erzähler: einer, der sich vor ein Publikum
hinsetzen und eine Geschichte erzählen kann. Wer das
nie hörte, ahnt garnicht den Reiz, der darin liegt, auf
einmal die Worte aus ihrem Scheinleben im Buch zu
wirklichem Leben im Satz und Sprachklang erlöst zu
hören. Und zwar nicht nur bei kurzen Vortragsstücken,
sondern bei umfangreichen Novellen, z. B. der „Frau
Fönß", die Milan zri einem unvergeßlichen Eindruck
macht, wie er auch der im Buchdruck so spröden Kleist-
schen Prosa den fließenden Drang wiedergibt, aus dem
sie geschrieben wurde.

Daß Milan nebenbei ein Sprachkünstler von seltener
Meisterschaft ist, wird der Laie vielleicht eher merken,
wenn er Gedichte spricht; er hangt ihnen nichts von dem
an, was man als Rezitation in einer Stufenleiter vom
unnötigen bis zum falschen oder süßlichen Pathos kennt,
er heult und jammert und spektakelt nicht: er spricht,
spricht die Worte nach ihrer klanglichen Schönheit und
ihrer sinnlichen Bedeutung, die Sätze nach ihrem melo-
dischen Fluß und ihrer rhythmischen Verschlingung: alle
äußere Stimmungsmache bleibt fort, aber innen heraus
wachst dann die schlichte, klare Stimmung der Verse.
Wo ich auch diesen Meister hören könnte, ich würde nicht
aufhören, ihm nachzusehen: solch eine Seltenheit ist das,
was er gibt.

-i- -i-

-i-

Eine andere Bemerkung scheint mir noch mitteilens-
wert und ich bringe sie gern zum Schluß, weil sie diese
etwas zufällige Darstellung insofern abrundet, als sie
dem altfränkischen Charakter der Stadt eine vielen un-
erwartete menschliche Seite zufügt: Die besprochene
Versammlung in Sachen der Schillerstiftung fand in
einem kleinen Hotel der Dorotheenstraße statt, in das
ich ohne solchen Anlaß kaum hinein gegangen wäre.
Wenn ich bedenke, was für Lokalitäten bei uns am
Rhein für mindere Anlässe gewählt werden, kann ich
darin nur den Beweis bescheidener Lebensgewohnheiten
sehen, der sich dem Aufmerksamen allerorts in Berlin
aufdrängt. Wie auch der eingeborene oder doch ein-
gewachsene Berliner durchaus nicht jener großmäulige
Reichshauptstädtler ist, den man aus dem „Gebürge"
oder von der See kennt. Es steht mit ihm ähnlich wie
mit dem Pariser, der inmitten seiner glänzenden Welt-
kapsel sehr oft als ein rührender Kleinbürger lebt. Es
scheint den Deutschen in Berlin wie im Ausland zu gehen:
sie schießen im Eifer, die Sitten eines Landes anzu-
nehmen, immer etwas übers Ziel hinaus, womit nicht
nur scherzhaft behauptet werden soll, daß der unsym-
pathische Berliner sehr oft ein durch den Berliner Groß-
stadtspektakel zu laut gewordener Provinzler sei.

W. Schäfer.

ieSchönheit der MariaWeinzierl

Eine Erzählung von Peter Jerusalem

Jnmitten einer weisen und fruchtbaren Ebene liegt
auf einem Hügel, zur Seite eines alten Marktfleckens,
ein freundliches und anniutiges Schlößchen, das einst
den Fürsten des Landes als Sommerresidenz diente,
nun aber still und von allem frohen Lärm verlassen nur
mehr einen alten Verwalter und seine junge Tochtcr
beherbergte. Dem Vater, als einem treuen und ver-
dienten Soldaten, war dieses Amtchen übertragen
worden, bei dem er seine Blumen und Gemüse pflegen
und in Frieden scine lange Pfeife rauchen durfte,
während die Tochter mit einer Magd deni kleinen Haus-
wesen vorstand, und ein Knecht im Hof und Stalle
nach dem Rechten sah.

Sie bewohnten beide gemeinsam einige Räume im
ersten Stocke des Schlosses, während das Erdgeschoß
ein kleines Museum voller Bilder und seltener Alter-
tümer enthielt, und mehrere Aimnier des zweiten
Stockwerkes an Fremde abgegeben wurden, die im
Sommer den angenehmen Aufenthalt in der freien
Natur dem bewegten Leben der nahen Stadt vorzogen.
Diese Zimmer gingen auf den von hohen Buchen und
alten Linden bestandenen Park hinaus und gewährten
dem Beschauer nach Süden einen schönen Blick in das
weite Land, das hinter den Türmen der entfernten
großen Stadt durch die blaue Kette der schneebedeckten
Berge begrenzt wurde.

Den schönsten und größten dieser Räume bewohnte
ein junger und vcrmögender Herr, der sich Hanns van
Hees schrieb und sich wie ein Dichter kleidete und ge-
bärdete, während die gegenübergelegene Wohnung
seit einigen Tagen an einen Musiker vergeben war,
dessen Nachbarschaft nicht ohne einige Bedeutung blei-
ben sollte.

Der junge Dichter, der schon den zweiten Sommer
in diesem Schlosse verlebte, war nicht so sehr durch die
Lieblichkeit der Gegend als durch die Schönheit der
siebzehnjährigen Maria Weinzierl, jener Tochter deö
Verwalters, angelockt und zur Wiederkehr verleitet
worden, und er verehrte und liebte sie, indem er viel-
strophige Gedichte mit kunstvollen Buchstaben auf
handgeschöpftes Büttenpapier malte und diese Blätter
in echtes Pergament binden ließ. Er sprach darin von
ihren dunklen Augen und ihrem braunen Haar, schil-
derte die Anmut ihres Ganges, ihrer Bewegungen
und den zarten Reiz ihrer Stimme und gab ihr den
Namen Beatrice, den er allein von allen Wörtern mit
einem großen Anfangsbuchstaben schrieb und zwischen
zwei Gedankenstriche setzte, die zahlreich in diesen Dich-
tungcn vorkamen und überall die stimmungsvolle Weihe
seiner Empfindungen ausdrücken sollten. Und wie er
sich nur in gewählten und bedeutenden Worten bewegte,
so kleidete er sich auch in ausgesuchter Weise, indem
seine schlanke Gestalt von einem hellgrauen Beinkleid,
einer gelben Weste und einem dunkelblauen Nocke
bedeckt war, und eine schwarze Binde den hohen Kragen
umhüllte, der das blonde Haupt seines Trägers sich in
einer Art neigen und drehen ließ, als bewege er sich
 
Annotationen