Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 22.1912

DOI Heft:
Heft 7
DOI Artikel:
Ammann, R.: Farbige Plastik
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.26494#0256

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Farbige Plastik.

Beherrschung. Ein Drang zum Stil ist bereits erkenn-
bar, ja die Gefahr einer schematischen, besonders einer
archaisierenden Stilisierung nicht zu verkennen. Jch
möchte hier besonders an die Münchener Plastik er-
innern. Und hier ist nur e i n Ausweg möglich, den
sein malerisch (oder vielmehr: sein dekorativ) emp-
sindendes Gewissen den Bildhauer weisen wird: Er
muß das alles Wesen der Form erkennende und be-
herrschende plastische Empfinden durch die Farbe stützen,
starken und steigern. Triebe er zum Aweck größerer
künstlerischer Wirkung die Formausbildung noch höher,
so landete er wieder beim Barock, nicht anders, als es
nach Michelangelo und teilweise durch ihn auch geschah.
Damit begänne der Tanz aller plastischen Stile aufs
neue, und die Forderung
der Polychromie würde
darüber in alle Ferne hin-
ausgeschoben.

* *

Um nur mit einigen
Worten aufs Historische zu
kommen, so sei bemerkt,
daß die ersten Anzeichen
des Verzichts auf farbige
Behandlung der Skulp-
turen etwa im 2. Jahr-
hundert n. Chr. sich finden.

Sie mußten natürlich in
einem bestimmten Ersatz
der preisgegebenen farbi-
gen Wirkung bestehn. Jn
der Aeit der römischen
Kaiser (unter Hadrian) zeigt
sich nun bei Marmorpla-
stiken fürs erste eine starke
Glättung der Oberfläche;
bei den Augen finden wir
die halbrunden Andeutun-
gen der Augensterne, erst
leicht eingegrabene Ver-
tiefungen, später ausge-
sprochene Löcher in Halb-
mondform. Auch in den
Haaren zeigen sich tiefe
Gänge, die die Massen
der Form nach teilen und
Schatten in diese bringen sollen. Wie dürftig der
Ersatz der Farbe durch solche plastische Hilfsmittelchen
war, ist ohne weiteres einleuchtend; vielleicht läßt sich
die Abkehr von solch bedeutendem Wirkungsmittel
durch das allmähliche Vordringen des nazarenischen
Geistes erklären, der, als aller Sinnenfreudigkeit ab-
hold, auch alle Reizmittel der Sinne verschmähen
mußte, mit dcnen die antike Weltanschauung sich Aus-
druck, Geltung und Herrschaft geschaffen hatte. Was
wir aus schon christlicher Aeit an Plastik besitzen,
kommt entweder über schwächliche Nachahmung der
Griechen oder über Kopistenarbeit nicht hinaus; die aus-
gesprochenste, sinnenfällige Kunst, die Skulptur, wurde,
wenigstens als Nachbildung der Natur, überflüssig oder

sie flüchtete sich in die Kirchen, wo Form und Farbe
mystisch-religiösen -Zwecken dienen und zu diesem Be-
huf sich vom „Naturalisnius" der Antike lösen und in
den strengen Stilismus byzantinischer und romanischer
Kunst pressen lassen mußten. Wenn nun die Tradition
der Farbigkeit ganz geschwunden war und die später^aus-
gegrabenen antiken Skulpturen keine Farbe mehr zeigten
oder doch nur geringe Reste, so ist damit auch'einiger-
maßen erklärlich, daß die Künstler der Renaissance von
der Polychromie absehen zu müssen glaubten, wennschon
gerade jene hohe Kunstepoche aus inneren wie außeren
Gründen die Farbigkeit als eine Hauptforderung der
Plastik hätte aufstellen sollen. Denn es ist erstaunlich,
daß sie aus Resten der Bemalung auf Autaten von

Barbaren schließen konnten,
wo ihr eigener, so schöpfe-
rischer wie kritischer Geist
sie zu ernsterem Nachsinnen
hätte bewegen und zur
Polychromie führen müs-
sen. Statt daß uns diese
Aeit eine auf einen Jrr-
tum gegründete Tradition
schuf, hätten wir gerade
von ihrem neuschaffenden
revolutionären Geist die
„Wiedergeburt der w a h-
ren antiken Kunst" erhofft,
jene Rückkehr zur Natur,
die nicht Forni und Farbe
als unzusammengehörig
trennte, sondern ihre Un-
löslichkeit betonte und
darin eine Steigerung der
künstlerischen Wirkung sah.
Um nun aber die Majolika,
die wegen ihrer besonderen
Technik hier nicht in Be-
tracht komnien soll, hier
auszuscheiden: wie wenig
Polychromes haben wir
aus dieser großen Epoche?
Einige wenige Madonnen-
reliefs, zu deren farbiger
BehandlungReniiniszenzen
oder ihre nahe Verwandt-
schast mit Staffeleibildern
vielleicht Anregung geben nwchten; dann noch jene
einzige berühmte Porträtbüste (des Donatello), den
Niccolo da Uzzano, die durch ihre Technik eine Wir-
kung tut, wie wohl kein einziges gemaltes Bildnis sonst.
(Sie zeigt zugleich, daß über der Einführung der Be-
malung keineswegs die Form vernachlässigt werden
darf; im Gegenteil: diese muß die Grundlage für die
Farbe und ganz auf sie berechnet sein; Kopien des
Niccolo in Bronze beweisen, welche Vollkommenheit
Donatello auch in der plastischen Form dieser Büste
erstrebt und erreicht hat.)

Gegen dieses eine farbige Werk, das obendrein dem
untergeordneten Gebiet des Porträts angehört, steht das
ganze Heer der feierlichen Großplastik in zuckerweißer

Franz Löhr. Frauenbüste (Gips).

2Z2
 
Annotationen