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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 22.1912

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Heft 9
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Benn, Joachim: Gräfin Bustrupp, [1]: Novelle
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https://doi.org/10.11588/diglit.26494#0336

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Gräsin Bustrupp.

jeder Stunde zu ihr hingezogen fühlte; und endlich bei
ihr, mußte er beglückt durch die Beobachtung ihrer
zierlichen Bewegungen und das Hinhorchen auf ihre
zierlichen Worte sie sich immer wieder als Gattin in-
mitten einer zärtlich eingerichteten Wohnung denken. —
Allein wenn nicht sonst, so hatte den Offizier das Leben
der letzten Jahre doch darüber belehrt, daß er gewiß
einer Frau bedurfte, die fein und vornehm geartet war,
doch darüber hinaus, nicht anders als ein Rassepferd,
wie er es liebte, noch von einem feurigen Willen gleich-
sam schäumend ersüllt war. — Nachdem er erst einmal
dem Argwohn in sich Platz gegeben hatte, ob solche
Frau in diesem empfindlichen Wesen verborgen sein
könne, sah er seinen Plan deshalb nur noch als eine Ver-
suchung an, der er nicht erliegen dürfe: Er blieb endlich
unter harter Kraftanstrengung in ihrem Elternhause
ganz aus und zwang sich, um sie sich aus dem Kopse
zu schlagen, täglich noch nach dem Dienste zu anhaltender
theoretischer Arbeit, die sein praktisches Wissen ergänzte
und ihm allmählich den Ruf eines Offiziers von Be-
gabung und Iukunft eintrug. Daneben besuchte er häusiger
als zuvor das Theater und trat in der Folge auch mehr-
fach in ein näheres Verhältnis zu Schauspielerinnen
und Sängerinnen. Gelegentlich kaufte er ein Rennpferd,
das ihm weit unter dem wirklichen Werte angeboten
wurde, und nach einem unerwartet glücklichen Erfolge
vertauschte er es so glücklich, daß er von seinen Gewinnen
eine Weile sorglos leben und einem alten Wunsche
entsprechend sogar zum ersten Male eine größere Reise
unternehmen konnte, wieder von einer eleganten
Frau begleitet. Doch waren diese Einnahmen allesamt
unregelmäßig und unsicher, während sich seine Aus-
gaben immer ungefähr auf einer Höhe halten mußten,
und als er schnell hintereinander einige empfindliche
Niederlagen auf dem Rasen erlitt und auch beim Spiele
verlor, das ihm noch hatte helfen sollen, lag — eben im
Jahre 1908 — die einzige Rettung, die es für ihn
noch gab, darin, daß er sich schleunig einem Mädchen
auö reichem Hause verband. —

Da die weitere Umgebung der Garnison reich an
Großgrundbesitzern und Fabrikherren war, hielt der
Leutnant während der Wochen vor der winterlichen
Gesellschaftszeit mit zwei Freunden darüber Rat, um
wen er sich bewerben solle. Standhaft wies er es dabei
zurück, irgend eines der jungen Mädchen auch nur in
Betracht zu ziehen, die eben zum ersten Male in der Ge-
sellschaft erscheinen würden, ungeachtet der Mittel,
über die mehrere von ihnen verfügten, schreckte aber
auch immer wieder vor der Verbindung mit einem von
denen zurück, die schon länger eingeführt waren, weil
sie ihm zumeist reizlos erschienen. So neigte er zu dem
Entschlusse, sich einer Dame zu nähern, die, sieben-
undzwanzigjährig, auf einer italienischen Reise einige
Sommer vorher eine leidenschaftliche Auneigung zu
einem italienischen Marineoffizier gefaßt haben sollte,
und, weil er ihr versagt wurde, in der Heimat die
zahlreichen Huldigungen nun sehr ruhig und kühl hin-
nahm: Da erinnerte man sich noch eines Hauses, das
sich in diesem Winter dem gesellschaftlichen Verkehr
öffnen sollte, da eine erwachsene Tochter vorgestellt
werden mußte, die gleich der Mutter über die gewöhn-

liche Aeit hinaus in einem französischen Stift erzogen
worden war.

Seine Freunde vermochten ein Lächeln nicht zu
unterdrücken, als sie bei dem Auftauchen dieses Planes
des riesigen Fabrikgebäudekompleres ihres Vaters ge-
dachten, der, zu den alten freiherrlichen Familien des
Landes zählend, nach dem Verkaufe seiner Güter in
das großzügige moderne Erwerbsleben eingetreten
war und mehr Verbindung mit Jndustriellen und Bank-
leuten hatte, als mit der offiziellen Welt. Denn der Graf,
rangältester Leutnant und von gutem Namen, elegant,
doch bei seinen dreißig Jahren schon etwaS gealtert
und an Gold noch ärmer als an Haaren, brachte offenbar
nicht allzuviel mit, was in den Augen dieses Mannes
Wert haben mochte. Gerade in diesem Iweifel jedoch
lag für den Offizier ein Anreiz, und er war nicht nur
äußerlich tadellos hergerichtet, als er, mit dem ganzen
Offizierkorps zu einem Tee mit Tanz geladen, als
dritter oder vierter zum Antrittsbesuch erschien, sondern
seine Augen glänzten auch unter der erhöhten Stirne
frisch, und seine Lippen lachten vor den sehr gepflegten
Iähnen wie in der frühen Dienstzeit. Er fühlte schnell,
daß er gefiel, und versuchte, den Eindruck zu verstärken,
allein er vergaß es, als die Tochter hinzutrat: Er hatte
inzwischen gehört, daß sie dreiundzwanzig Jahre alt sei,
aber fie erschien ihm in Bewegung und Blick persönlich
reif wie eine Frau von siebenundzwanzig Jahren;
sie hatte eine tiefe Stimme, und sein erster Gedanke
ihr gegenüber war, sie müsse einen schmalen schimmern-
den Panzer tragen oder vor einer Menschenmasse die
Frauenrolle in einer griechischen Tragödie sprechen.

Er erhielt schon bei der ersten Gesellschaft mehrere
Tänze von ihr, hatte eine längere Unterhaltung mit
ihrer Mutter und eine kurze mit ihrem Vater und folgte
bald darauf mit einem einzigen Kameraden einer Ein-
ladung zum Abendessen im engsten Familienkreise.
Diese Einladung wiederholte sich, und man verabredete
gemeinsame Spazierritte, bei denen er öfters mit dem
jungen Mädchen ein Paar bildete, während ein in der
Nähe begüterter, viel mit philosophischen Studien bc-
schäftigter Vetter von ihr, der fast zum Hause gehörte,
in solchem Fall neben ihrem Vater ritt. Weiterhin
traf er sie noch bei mannigfaltigen Veranstaltungen
und merkte überall, wie sehr sie ihn bevorzugten, aber
ganz plötzlich schlug er verschiedene Einladungen ihrer
Eltern unter Vorwänden aus und das Messer an der
Kehle überlegte er beim Dienste, beim Mahle auf
forcierten Ritten und zu Hause, ob es vorzuziehen sei,
sich durch einen Schuß beiseite zu bringen, oder in Eile
ein Schiff zu besteigen und einen anderen Erdteil auf-
zusuchen: Seitdem er vermuten durfte, daß seine Werbung,
mindestens bei Mutter und Tochter, Gehör finden würde,
und im selben Maße, als sein Einblick in das innere
Leben des Mädchens sich vertiefte, wuchs in dem Grafen
nämlich eine Scheu, es an sich zu knüpfen, weil sich ihm
das Bewußtsein davon aufdrängte, daß in seinem Leben
Schmutz gewesen war. Er hatte wohl begriffen, daß
sie an ihm eine gewisse unbekümmerte Stärke verehrte
und aus einem kühnen Geiste heraus darauf vertraute,
daß sie selbst genug Aartheit und Reinheit besitze, um
ihn zu ergänzen, manchmal hoffte er es mit ihr; aber

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