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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 22.1912

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Heft 10
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Benn, Joachim: Gräfin Bustrupp, [2]: Novelle
DOI Artikel:
Schmitt, Carl: Don Quijote und das Publikum
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https://doi.org/10.11588/diglit.26494#0378

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Gräfin Bustrupp.

daß der Graf Nachricht von ihrer Absicht bekommen habe
und nun auch den militarischen Glückwunsch verhindere,
da sie nicht mehr dem Regimente angehöre. Durch die
Gardine hindurch sah sie freilich gleich darauf, wie mitten
durch den gestörten Kreis der Musiker der Haustüre
zu eben ein Körper getragen wurde, der mit einem
Osfiziersmantel bedeckt war. Wahrend sie sich noch einen
losen Rock überwarf, lief sie schon an das Bett im Neben-
zimmer, das sie unbenutzt fand, und legte dort die
Kissen zurecht; dann eilte sie weiter durch den Flur an
die Treppe, dem Zuge entgegen. Aber noch bevor sie
die Trager erblickte, stürmten zwei scltsam bleich und
übernachtig aussehende Kameraden ihres Gatten herauf
und meldeten ihr mit mühsamer Fassung, was gcschehen
sei: Der Graf habe sich in der Nacht zu Pferde nach
Hause aufgemacht, weil er den Abendzug versäumt und
doch der erste hätte sein wollen, der ihr am Morgen
gratulierte; abgestürzt sei er ihnen lebend aber in tiefer
Betäubung entgegengebracht worden, als sie mit dem
Auge nachkamen.

Unter solchen Umständen konnte die Gräfin nicht
abreisen, sondern mußte ihre Koffer wieder öffnen lassen
und übernahm die Pflege des Gestürzten, der eine
schwere Gehirnerschütterung erlitten hatte; es dauerte
Tage, bis er wieder bei klarem Bewußtsein war.
Jn den langen Wochen, die er danach noch liegend
verbringen mußte, enger zusammen, als selbst in der
Zeit der frühen Ehe, kamen sie sich dann näher als je
zuvor: Wie vor der Hochzeit einst sie, schilderte jetzt
er ihr mit aller Offenheit manches aus seiner Ver-
gangenheit; dabei bekam sie Einblick in manches,
was ihr bis dahin verborgen geblieben war, so daß sie
dem Manne nicht mehr wie bisher als Beleidigte und
Geschädigte gegenüberstand, sondern etwas von dem
Unterschiede begriff, der nun einmal seit jeher zwischen
Mann und Frau gesetzt ist. Wenn er wieder und wieder
mit der Beteuerung schloß, wie geborgen er sich an
ihrer Seite nun fühle, und mit halben Worten dazu
andeutete, daß er selbst nach seiner Hochzeit noch mehr
als einmal belehrt worden sei, daß sie allein seine Ge-
fährtin sein könne, konnte ihr schon manchmal scheinen,
als könnten die Leiden der vergangenen Monate nur
dazu dagewesen sein, damit sie ihr Glück tiefer und
verständiger empfande. Als sich herausstellte, daß er
noch auf längere Aeit hinaus vom Dienste befreit
bleiben müsse, wcil er eine seltsame Gedächtnisschwäche
zurückbehalten hatte, ging sie schließlich mit ihm auf
Reisen, und als er wieder zurückkehren konnte, dachte
sie nicht mehr daran, ihn zu verlassen.

Nicht, als ob die Gräfin, bis ins Jnnerste befriedigt,
nun niemals mehr von der Erfüllung von Begierden
geträumt hätte, die sie tief in sich spürte: Sie stand
noch mehr als einmal in nächtlicher Stunde an dem
Fenster, von dem aus sie damals hatte den Grafen auf
einer Bahre herbeibringen sehen, und grübelte, die
Hände ineinander gekrampft, mit zusammengeschobenen
Brauen, was ihrem Leben fehle. Aber ihr schien, als
ob daü als das ewige Feuer unseres Lebens zu »nserem
Wesen gehöre; dazu hatte sie erkannt, wieviel sie schon
an einem Gatten besaß, der aufschauend zu ihr bestrebt
war, immer mehr mit ihr zu verwachsen, selbst wenn er

sich seine Augehörigkeit zu ihr von Aeit zu Aeit von
neuem beweisen mußte. So wuchs die Gräfin Bustrupp
immer mehr zu einer Frau herauf, die um ihrer
reifenden Schönheit willen bewundert, um ihre an
Größe grenzende Gesinnung verehrt wurde. Und wenn
später, als ihr Gatte zu höherem Range aufgestiegen
und in die Residenz berufen war, bedeutende Männer
und Frauen ihr Haus suchten, so war sie es wohl, die
sie heranzog, doch kam mancher von ihnen fürderhin
auch um dessentwillen, an dessen Seite sie stand und
neben den sie gehörte.

oir Quijote und das Publikum.

Don Quijote ist, um einen Ausdruck Schellings
zu gebrauchen, eine „mythologische Figur" ge-
worden. Bei allen Völkern westeuropäischer Kultur ist
die Vorstellung von einem Ritter trauriger Gestalt
lebendig, einem sonderbaren Narren, der auf seinem
Klepper Rozinante gegen Windmühlen losreitet, sich
niit seinen Hirngespinsten herumschlägt und zu feiner
Dulzinea ein unklares, aber höchst lächerliches Verhältnis
hat. Diese landläufige Auffassung des Don Quijote
hat in ihrer geschichtlichen Entstehung und Entwicklung
nichts mit den zahllosen Jnterpretationen von Cer-
vantes' Roman zu tun; sie knüpft vielmehr nur an
wirkungsvolle Situationen an, um dann nach eigenen
Gesetzen weiter zu wachsen. Trotzdem aber liegt in dem
legendären Don Quijote eine Deutung des Romans,
die deshalb besonders wichtig ist, weil das mythenbildende
Subjekt, das hier kurz als das Publikum bezeichnet sei,
seinem Helden gegenüber mit größter Selbstverständ-
lichkeit auf dem Boden des normalen Menschenverstandes
steht, um davon aus den armen Hidalgo und verrückten
Phantasten laut zu verlachen. Der Ansicht scheint ja
auch Cervantes zu sein, wenn er immer wieder kopf-
schüttelnd bedauert, wie sich Vernunft und Verrücktheit
bei seinem Helden abwechseln. Denn der Künstler
Cervantes bleibt mit bemerkenswerter Sicherheit auf
diesem Boden des normalen Menschenverstandes; er
kokettiert an keiner cinzigen Stelle nnt einer ironischen
Objektivität und gewinnt dadurch den soliden Standpunkt,
von dem aus er in Ruhe erzählen kann, ohne in der Luft
schwebend sich ins Einzelwitzige oder in ein geistreiches
Flimmern zu verlieren. Ein derartiger Standpunkt
hat nichts mit einer Parteinahme des Cervantes für
den gesunden Menschenverstand zu tun in dem Sinne,
als käme es im Roman nur darauf an, ein Erempel
vor Augen zu führen, einen durch unmäßige Lektüre
von Ritterromanen verrückt gewordenen Narren dar-
zustellen. Gewiß, das wollte Cervantes auch. Viel-
leicht war es ihm (wenigstens beim ersten Teile) sogar
die Hauptsache, wenn man die psychologische Moti-
vierung zum Niederschreiben des Romanes betrachtet.
Hier aber kommt es auf das Werk an, das seine besonderen
Maßstäbe und Gesichtspunkte verlangt. Die eifrige
Lektüre von Ritterromanen bedeutet in dem Roman
des Cervantes die notwendige psychologische Erklärung;
sie ist ein wichtiger Umstand für die kulturhistorische
Betrachtung von Don Quijote als einem Vertreter des

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