Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 22.1912

DOI Heft:
Heft 10
DOI Artikel:
Schmitt, Carl: Don Quijote und das Publikum
DOI Artikel:
Hesse, Hermann: In Singapore
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.26494#0380

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Don Quijote und das Publikuin.

dieser Unterscheidung bewußt zu werden, um nicht in
ein vielleicht geistreiches, aber boden- und endloses Ge-
rede zu verfnllen, wie man es oft zu hören bekommt,
wenn der Redner sich nicht damit zufrieden gibt, an der
Erzählung seine Freude zu haben oder in dem Roman
eine vortreffliche Parodie zu sehen.

Der Standpunkt des Publikums ist der des Erzählers
Cervantes. Das ist das Jmponierende und Großartige
an dem Buch, daß es seinen Helden sieht, wie das Pu-
blikum ihn sieht, und daß gerade in einer solchen Dar-
stellung die unendliche Überlegenheit über die Bewertung
des Publikums und dessen Lachen liegt. Don Quijote
ist im Roman ein durchaus guter und edler Mensch;
sein Verhalten zu Dulzinea ist von einem Ernste, der
trotz aller Lächerlichkeit der Situationen ergreifend ist;
und nicht, weil man den armen Narren bemitleidet,
sondern weil eine menschliche Größe darin erkennbar
wird. Das weiß das Publikum nicht. Der Künstler
Cervantes aber hat es nicht als wertvoll hervorgehoben,
obwohl er es weiß, und darin ist der große Humor
des Werkes zu suchen. Carl Schmitt.

Singapore.

Von Hermann Hesse.

Wenn aus der Flasche, die mein Boy eben öffnet,
ein turmhoher Jfrit empor rauchte und mir die Er-
füllung dreier Wünsche gewährte, so würde ich ohne
Besinnen sagen: Gesund sein, eine schöne junge Ge-
liebte bei mir haben, und über zehntausend Dollars
verfügen.

Alsdann würde ich eine Rikscha nehmen und einen
Ertra-Rikschakuli für die Pakete, und würde in die
Stadt fahren, die ersten paar tausend Dollars lose in
der Tasche. Jch würde nicht auf die bettelnden Kinder
hören, die sich zum Entsetzen meiner Schönen mit dem
leidenschaftlichen Ausruf: ,,0 kntkiki-, inz-kntkikr!" um
mich drängen. Dem kleinen elfjährigen Chinesenmädchen
hingegen, das täglich vor den Hotels seinen fliegenden
Handel mit Spielsachen betreibt, würde ich einen Dollar
schenken. Sie ist, wie gesagt, elf Jahre alt, und ihr
Wuchs und Aussehen ist noch weit kindlicher und minder-
jähriger; dennoch geht sie ihrem Straßenhandel schon
seit sechs Jahren nach. Sie hat mir das selbst erzählt,
doch würde ich es nicht weiterberichten, wenn nicht ein
alter Singaporer es mir bestatigt hätte. Das kleine,
schmächtige Mädel hat das süße Kindergesicht, das
hübsche Chinesen oft bis zum Alter bewahren, aber sie
hat gescheite, kühne Augen und ist vermutlich das hoff-
nungSvollste und smarteste Chinesenkind von Singapore,
was sie auch sein muß, denn es leben scit fünf Jahren
vier Menschen von ihrer Arbeit, und ihre Mutter geht,
so oft sie kann, Sonntags zum Hasardspiel nach Johore.
Die Kleine trägt einen wundervollen Aopf, schwarze
weite Hosen und eine verschossene blaue Bluse, und
es wird dem ältesten Überseer nicht gelingen, sie beim
Feilschen und Scherzen einen Augenblick in Verlegen-
heit zu bringen. Leider hat sie noch sehr wenig Kapital
und noch keine Marktübersicht, aber das wird kommen

und vielleicht ist es auch nur reine Klugheit von ihr,
daß sie gerade mit Kinderspielsachen handelt, solange
ihr leichtes Kinderfigürchen und ihr glattes Kinder-
gesicht diesen Handel suggestiv unterstützen. Später
wird sie mit Gegenständen handeln, die von wohl-
habenden jungen Herren gebraucht werden, dann wird
sie heiraten und ihr Geschäft in Porzellan, Bronzen
und Altertümern machen, und schließlich wird sie nur
noch spekulieren und Geld verleihen und die Hälfte
ihres Vermögens in ein wahnsinnig lururiöses Privat-
haus verbauen, wo in viel zu vielen Aimmern viel zu
viele Lampen brennen, wie es des Chinesen Freude
ist, und wo der riesige Hausaltar von Gold funkeln wird.

Sie soll also ihren Dollar haben, und nachdem sie
ihn ohne Erstaunen und ohne vielen Dank eingesteckt
hätte, würden wir gegen die High-Street hin fahren.
Erst würde ich noch in einer Seitenstraße beim besten
Rottangflechter halten lassen und für mich und meine
Liebste je einige Liegestühle bestellen, die beste Arbeit
aus dem fehlerlosesten und biegsamsten Material, jeder
Stuhl unseren Körpermaßen bequem angepaßt und
mit einem kleinen Teegestell, einem kleinen Bücher-
kästchen, einem Aigarettenbehälter und Spaßes halber
mit einem schönen, feingeflochtenen Vogelkäfig ver-
sehen.

Jn der High-Street würden wir zuerst bei einem
indischen Juwelier vorfahren. Diese Leute haben zu
viel Verbindung mit Europa und verstehen kaum mehr,
ihre Sachen so naiv und edel zu fassen wie früher, sie
arbeiten nach englischen und französischen Dessins und
beziehen aus Jdar und Pforzheim; aber ihre Steine
sind meistens sehr schön, und mit Geduld und Sorgfalt
würde ich sicher sein, mindestens ein edles goldenes
Armband mit Rubinen und eine dünne zarte Halskette
mit bleichen bläulichen Mondsteinen zu sinden. Aeit
hätten wir ja genug, und die Händler mögen in Asien
sein wie sie wollen, jedenfalls ist ihre Aeit und Geduld
und Höflichkeit unermessen, und du kannst ruhig zwei
Stunden lang einen Laden besehen und nach allen
Waren und Preisen fragen, ohne etwas zu kaufen.

Lachend würden wir dann einen chinesischen Laden
betreten, wo vorne Blechkoffer und Aahnbürsten, im
nächsten Raum Spiel- und Papiersachen, im nächsten
Bronzen und Elfenbeinschnitzereien, und im hintersten
alte Götter und Vasen zu haben sind. Hier dringt der
europäische Operettenstil nur bis in die Mitte des Ma-
gazines, weiter innen gibt es wohl noch Jmitationen
und Fälschungen, aber die Formen sind echt, und sie
drücken alles aus, was ein Chinese fühlen kann, von
der eisigsten Würde bis zum tollen Vergnügen an
wildester Groteskerie. Hier würden wir einen eisernen
Elefanten mit erhobenem Rüssel kaufen, zwei oder drei
alte Porzellanteller mit grün und blauen Drachen oder
Pfauen und ein altes Teeservice, rotbraun und golden,
mit Familien- und Kriegerszenen der alten Heldenzeit.

Dann würden wir in einen von den japanischen
Läden gehen. Der Schwindel ist hier am größten,
und wir kaufen weder Silber noch Porzellan, weder
Bilder noch Holzschnitte, aber eine Menge spielerischer
kleiner Sachen von geringem Wert: kapriziöse Fächer
aus dünnstem Holz, kleine duftende Holzschachteln mit

Z50
 
Annotationen