Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein
— 22.1912
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https://doi.org/10.11588/diglit.26494#0435
DOI Heft:
Heft 12
DOI Artikel:Schäfer, Wilhelm: Ernst Isselmann
DOI Seite / Zitierlink:https://doi.org/10.11588/diglit.26494#0435
Ernst Jffelmann.
Studie.
der organischen Auflösung aller Licht- und Schattenmassen in ihre sarbigen Bestandteile. Wer etwa
mit den sogenannten Lokalfarben der Alten den sarbigen Aufbau seiner Bilder heute noch ver°
suchen wollte — es gibt auch solche naturfremde Käuze — der würde sich nicht nur außerhalb der
Entwicklung stelleN/ also mehr oder weniger ein Archaist sein, sondern sich auch der stärksten Wir-
kungSmöglichkeiten berauben.
Nun sehen wir freilich heute genügend jugendliche Pinsel an der Arbeit, ihre sarbigcn Kom-
positioncn ohne Rücksicht aus die recht hinderliche Naturanschauung zu stellen. Da es sich bei der
farbigen Harmonie natürlich nicht um Lehrweisheiten der Naturanschauung, sondern um Natur-
gesetze handelt, die auch ohne die Kontrolle des Naturvorbildes zu erfüllen sind, können die Resultate
solcher Eigenmächtigkeit je nach dem Geschmack des Einzelnen zur Vortrefflichkeit gelangen. Wer
beispielsweise ein scharfeö Chromgelb in seine Palette sitzt, von hier auS die Komplementärfarbe
sucht, das heißt also die Farbe, die ihr daS Gleichgewicht hält, und wer auf diesem Zweiklang alle
Übergängc und Zwischcntöne dcr Skala zu finden weiß, und sie mit Geschmack und Gefühl ver-
wendet, dcffen Gebilde können in sich künstlerische Lösungen von Rang sein, auch wenn sie aller
Ersahrung der Naturanschauung widersprechen. Nur wird man diese Lösungen in das kunstgewerb-
liche Gebiet verweisen müssen, als gemalte Teppiche etwa, letzten GrundeS als sormale Spielereien,
die den wirklichen Lebensgrund verloren haben.
Alle große Wirkung der Kunst, oder richtiger alle Wirkung großer Kunft beruht aber auf der
AuScinandersetzuug einer Persönlichkeit mit der Umwelt, es ift überall dcr Kampf zwischen dem Ich
und dem Du, wobei jeder einzelne gewissermaßen als Vorkämpfer den Widerstand der Materie bezwingt,
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Studie.
der organischen Auflösung aller Licht- und Schattenmassen in ihre sarbigen Bestandteile. Wer etwa
mit den sogenannten Lokalfarben der Alten den sarbigen Aufbau seiner Bilder heute noch ver°
suchen wollte — es gibt auch solche naturfremde Käuze — der würde sich nicht nur außerhalb der
Entwicklung stelleN/ also mehr oder weniger ein Archaist sein, sondern sich auch der stärksten Wir-
kungSmöglichkeiten berauben.
Nun sehen wir freilich heute genügend jugendliche Pinsel an der Arbeit, ihre sarbigcn Kom-
positioncn ohne Rücksicht aus die recht hinderliche Naturanschauung zu stellen. Da es sich bei der
farbigen Harmonie natürlich nicht um Lehrweisheiten der Naturanschauung, sondern um Natur-
gesetze handelt, die auch ohne die Kontrolle des Naturvorbildes zu erfüllen sind, können die Resultate
solcher Eigenmächtigkeit je nach dem Geschmack des Einzelnen zur Vortrefflichkeit gelangen. Wer
beispielsweise ein scharfeö Chromgelb in seine Palette sitzt, von hier auS die Komplementärfarbe
sucht, das heißt also die Farbe, die ihr daS Gleichgewicht hält, und wer auf diesem Zweiklang alle
Übergängc und Zwischcntöne dcr Skala zu finden weiß, und sie mit Geschmack und Gefühl ver-
wendet, dcffen Gebilde können in sich künstlerische Lösungen von Rang sein, auch wenn sie aller
Ersahrung der Naturanschauung widersprechen. Nur wird man diese Lösungen in das kunstgewerb-
liche Gebiet verweisen müssen, als gemalte Teppiche etwa, letzten GrundeS als sormale Spielereien,
die den wirklichen Lebensgrund verloren haben.
Alle große Wirkung der Kunst, oder richtiger alle Wirkung großer Kunft beruht aber auf der
AuScinandersetzuug einer Persönlichkeit mit der Umwelt, es ift überall dcr Kampf zwischen dem Ich
und dem Du, wobei jeder einzelne gewissermaßen als Vorkämpfer den Widerstand der Materie bezwingt,
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