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Heidelberg, Samstag, -LS. Mai 2920
Nr. 222 * 2. Jahrgang
Verantwort!.: Fürinnereu. äußerepolitik,Volkswirtschaftu.Feuilleton: Or
E. Kraus, für Kommunales u. soziale Rundschau: J.Kahm für Lokales:
O.Geibel; für die Anzeigen: H. Hoffmann, sämtlich In Heidelber-
Druck und Verlag der ilnterbadischen Verlagsanstalt G. m. b. H., Heidelberg
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Generalprobe für den Völkerbund.
Die Schicksalstrmde der Schrseiz.
Kr. Herb e lberg, 15. Mai.
„In der Erwägung, daß es zur Förderung der Zusammenarbeit
öer Nationen und zur Gewährleistung von Frieden und Sicherheit
zwischen ihnen darauf ankomntt,
gewisse Verpflichtungen eingehen, nicht zum Kriege zu schreiten,
in aller Oefsentlichkeit auf Gerechtigkeit mrd Ehre beruhende
Beziehungen zwischen den Völkern zu pflegen,
die von nun an als Regel für das tatsächliche Verhalten der Re-
gierungen anerkannten Vorschriften des Völkerrechts genau zu
beobachten,
die Gerechtigkeit herrschen zu lassen und alle vertragsmäßigen
Verpflichtungen in -en gegenseitigen Beziehungen der organi-
sierten Völker gewissenhaft zu beobachten,
nehmen die hohen vertragschließenden Teile diesolgendeAkte
an, dieden Völkerbund stifte t."
Mess Sätze bilden die Einleitung der Völkerbundsakte, die den
ersten Teil des Versailler Fried ensvertragcs bildet. Am morgigen
Maisonntag wird die nachbarliche Schweiz durch Volksabstimmung
SU entscheiden haben, ob sie als ursprüngliches Mitglied diesem
Völkerbund beitreten will, nachdem sowohl der Bundesrat ein-
stimmig als auch National- und Ständerat mit überwiegender Mehr-
heit den Beitritt beschlossen haben.
Wir haben wiederholt in der „V olkszeitung" zum Völ-
kerbund Stellung genommen, seine Licht- und Schattenseiten erörtert
und vor allem seine realpolitische Bedeutung für Deutschlands Zu-
kunft dargelegt. (Vgl. des. Nr. 11. 2. Ihrg., vom 14. Ian. 1920.)
Wenn wir auch der Auffassung sind, daß die morgige Volksabstim-
-nung zunächst eine ureigene Angelegenheit des Schweizervolkes ist,
we es mit sich selbst auszumachen hat, so ist das Ergebnis dieser
Abstimmung doch darüber hinaus von allgemeiner weltpolitischer
Bedeutung: vor allem ist es auch für die Fragen der deutschen Po-
litik von größtem Interesse, das für und wider kennen zu lernen, das
von den einzelnen Schweizer Parteien morgen in die Abstimmung
geworfen wird
Der Bundesrat wendet sich in einem Aufruf an seine „ge-
treuen, lieben Eidgenoffen" und fordert sie auf, für den Beitritt
Lum Vökkerbund zu stimmen. Er erklärt, „daß ein ablehnender
Entscheid des Volkes -dem Gedeihen der Schweiz, der Eintracht im
Lande und dem Ansehen unserer Heimat im Ausland eine nicht wie-
der gutzumachmdei) Schaden -ufügen würde". In pathetischen
Worten" weist der Bundesrat auf die Bedeutung des Völkerbundes
sür die kommende Weltorganisation und den Weltfrieden hin, sowie
darauf, daß der Völkerbund jetzt schon vierfünftel der ganzen Mensch-
heit umfaßt und daß die Stunde des Beitritts bald auch für die
schlagen werde, die ihm heute noch nicht angehören.
Die Stellung zur Abstimmung ist innerhalb der einzelnen Par-
teien keine einstimmige und eindeutige. Vom Bürgertum sind es
besonders die klerikal-agrarischen sowie die militä-
rischen Kreise, die morgen mit Nein stimmen werden. Zu ihnen
gesellt sich der ganze kleine Mittelstand, der vom Allen nicht los-
kommen kann und alles so erhalten möchte, wie es vor dem Krieg
war. Sie fürchten für die Freiheit und LlnabhLngigkeit ihrer
Schweizer Heimat, wenn sie sich einem größeren weltpolitischen
Ganzen ein gliedern. Dazu kommen alle möglichen Gründe lokaler
Krrchturmspolitik, die ja überall gerade in diesen Kreisen ihre stärkste
Wurzel hat.
, Zum schneidigen und mutigen Vorkämpfer für den Völker-
bund hat sich durch Beschluß der überwiegenden Mehrheit die f rei -
Nnni g-demokratische Parier gemacht. In mächtigen
Volksversammlungen -hat sie in allen größeren Städten die Not-
bes Eintritts in den Völkerbund dargelegt; alle fort-
' -iV,.^n>artsdrängen-deu Kreise von Handel und Industrie
elnschlreßltch der Intellektuellen haben sich ihr angeschlossen. Wohl
kennt man die llnvollkommenheiten die Schattenseiten und Gefah-
ren des Versailler Völkerbundes. Aber: „Eg ist gerade die Mission
»er Neutralen, einzutreten und im Bund laut die Stimme zu er-
heben, fiir die Vernunft und kür die Völkerversöhnuna." Mit
bresen Worten hat der demokratische Nationalrat F o r rer auf der
Völkerbundstagung in Olten seine bejahende Stellung überzeugend
dargetan. Aufs schärfste wandte sich Nationalrat Frey sn Zürich
stegen alle die bürgerlichen Kleingläubigen, die zaghaft abseits stehen
bleiben wollen: „Die wahren Gründe ihrer Zurückhaltung, ihrer
Ablehnung sind ein Ni chthe ra u sko m me n oder N-icht-
herauswollen aus der Vergangenheit."
, Von ganz besonderem Interesse ist für uns die Haltung der
Schweizer Sozialdemokratie. Sie hat sich aus ihrem
Parteitag gegen den Eintritt m den Völkerbund entschlossen und
demgemäß für die morgige Abstimmung die Parole Nein! ausge-
Seben. Sicher mcht, wie die bürgerlichen Kleingläubigen, weil sie
etwa aus der Vergangenheit nicht heraus will. Im Gegenteil! Sie
b>ill einen gerechten, demokratischen Weltbund aller Völker, in-ter-
Nationales Schiedsgericht uff. Aber hinter diesem Ideal scheint ihr
der Versailler Völkerbund so stark zurückzublekben, daß sie für ihn
"ur ein Nein hat. Im Einzelnen legt die Partei in Nr. 110 des
"V olksrecht" vom Mittwoch, den 12. Mai, die Gründe für ihr
Nein dar. „W ir v erw erfen d enSchein, umdasWe-
sen zu retten"; darum sollen die Sozialdemokraten dagegen-
stimmen All« Mängel des Versailler Völkerbundes werben ge-
Kißelt, seine Undemokratie, seine Verbindung mtt dem Länder- und
Alkerschacher des Friedensvertrags, die Gefährdung der Schwerer
Neutralität seine Gewaltpolitik usf. Vor allem, aber w,^ hr«
fozwle Frage in den Vordergrund gestellt, deren Losung „die S r e
Zerkoalition die sich jetzt Völkerbund nennt, mcht zustande-
vringt"
Ein Gewaltstreich der Sowjetregierung.
Kopenhagen, 13. Mai. Nachrichten aus Moskau zufolge
hat der Rat der Volkskommissare die kettenden Mitglieder des Vor-
standes der Zentralorganisation der kooperativen Gesellschaften"
verhaftet und gleichzeitig die Vertreter der Korporation in London
ihrer Stellungen enthoben.
Das „Komitee fiir die Wiederaufnahme der Handelsbeziehun-
gen mit Rußland", das kürzlich in Kopenhagen gegründet wurde,
kündigt an, daß es bis zum Eingang weiterer Nachrichten die in
Kopenhagen und anderswo stattsindenden Verhandlungen über Wie-
deraufnahme der Handelsbeziehungen mit Rußland verschiebt, da
diese Verhandlungen auf der Grundlage einer Zusammenarbeit mit
den kooperativen Gesellschaften stattfinden sollten.
Offenbar erblickt Moskau in der Fortsetzung der Verhandlungen nach
den -ergebnislosen Bemühungen des Sowjetkommissars Krassin einen
Hochverrat, zumal die Sowjetregierung behauptet, daß di« polnische
Offensive von der Entente unterstützt werde. Dieser Standpunkt wird
auch gegenüber dem Völkerbund vertreten.
Polnischer Terror in Oberschlefien.
Berlin, 14. Mai. In Oberschlefien scheinen die Polen di«
Zeit für gekommen zu «lachten, um offensiv nicht nur gegen -di«
Deutschen, sondern auch, wenn es nicht anders geht, gegen die En-
tente vorzugehen. Je mehr auch bei ben polnisch sprechenden Tei-
len der oberschlesifchen Arbeiterschaft zu der Erkenntnis kommt, daß
es um ihre Zukunft bei den Polen jedenfalls schlechter bestellt sein
dürfte, als bei Deutschland, um se mehr scheint in Warschau der
Wille,zu -erstarken, Obersch-leslen mit Gewalt an sich zu reißen, weM
es auf dem Wege der Abstimmung nicht gelingen sollte. Aus die-
sem Grunde sind in den letzten Monaten die polnischen und militäri-
schen Geheimorganisationen in Oberschlefien eifrig gefördert und an
der oberschlesischen Grenze auffallend viel regulär« polnische Trup-
pen verteilt worden. Auch die Entenkommifsion in Oppen scheint
die Oberschlesien drohende Gefahr zu erkennen, und sich der Ansicht
nicht länger verschließen zu können, -daß durch das terroristisch« Vor-
gehen der Polen unter Führung Warschaus die Oberschlesien betref-
fenden Bestimmungen des Friedensvertrages ernstlich gefährdet
werden. Es liegt nicht im Interesse Deutschlands die Stellung der
Entent-ekommission, di« für die Ausführung des Friedensvertrages
verantwortlich ist, noch mehr zu erschüttern. Unser Streben muß
darauf gerichtet fein, di« Volksabstimmung in Oberfchlesien ficher-
zustellen.
Internationale Arbeiterfolidarität.
Amsterdam, 14. Mai. Wie „Telegraaf" aus London
meldet, haben die englischen Hafenarbeiter beschlossen, kein Schiff
zu laden, das Kriegsmaterial nach einem mit der russischem Räte-
regierung verfeindeten Lande führt. Infolgedessen mutzte «in eng-
lisches Schiff, das Kanonen und Munition für die polnische Regie-
rung an Bord hatte, die Kriegsvorräte wieder ausladen, um an-
ders Ladung übernehmen zu- können. '
Bevorstehende Räumung des Warngaus.
Paris, 15. Mai. General Rollet ließ bekannt geben, daß
gemäß der begonnenen Kontrollarbeiten vora-pszusehen ist, daß di«
deutschen Truppenbeftänd« in der neutralen Zone als mit der am
8. 8. 19 festgelegten Zahlen übereinstimmend anerkannt werden
müßten. Infolgedessen ersucht Marschall Doch den General De-
goui-te, einen Offizier feines Stabes nach Kassel zu kommandieren,
um mit der deutschen Regierung über die Einzelheiten b«r Räumung
der seit dem 10. 4. neu besetzten Zone seitens der französischen Trup-
pen zu unterhandeln. Die Räumung wird durchgeführt werden, so-
bald die Ergebnisse der Kontrollarbeiten offiziell bekannt find.
Die italienische Ministerkrise.
R v m, 14. Mai. Scialoja ist hier angekommen. Der König
empfing die vier Kammerpräsidenten. Caspari wirb sich nicht wei-
gern, an einem Konzentrationsministerium teilzunehmen. Nach dem
„Torrieve d' Italia" soll Giolittß darüber beraten haben, ein Kon-
zentartivnskabinett zu bilden, im das Willensstärke Männer eintreten
sollen, di« bereit sind, sich sür das Wohl des Landes zu opfern.
Meda gab die gleiche Erklärung ab.
Kampf ums Deutschtum.
Berlin, 14. Mai. Gegen die InteMationalisierung der 2.
Avne protestierten in Südschleswig LI 866 Personen durch Unter-
schrift unter folgender Erklärung: Der Schleswig-Hol-steinbund und
die Unterzeichner protestieren gegen die Bestrebungen, die 2. und 3.
Zone zu internationilsieren -und zu einem Freistaat zu machen. Nach
dem Friedensvertrag ist durch die Abstimmung am 14, 3. über das
Schicksal der schleswigholsteinschen 2. Zone und damit Flensburgs
-endgültig entschieden worden. Jede ander« Regelung lehnen wir
Schweswig-Holsteiner als Rechtsbruch und Vergewaltitzung ab. Die
Unterzeichner erklären, daß sie bei Deutschland bleiben wollen.
Der Banlbeamtenstreik.
Berlin, 15. Mai. Die Einigungsverhandlungen in der
Bankbeamtendewegung sind, wie die Morgenblätter melden, end-
gültig als gescheitert -anzusehen. Infolgedessen ist es bereits in einer
großen Anzahl von Städten im Reiche zum Ausstand gekommen.
Ueber 50 000 Bankangestellte sollen sich schon im Streik befinden.
Nach den bisherigen Vorgängen besteht kein Zweifel darüber, daß
auch die Berliner Bankangestellten in den Streik einlreten werden.
Heute Vormittag wird eine gemeinsame Sitzung der Vorstände des
Allgemeinen Verbandes -der deutschen Bankbeamten und des Deut-
schen Bankbeamtenvereins stattfinden. Nachmittags wird sodann
die Berliner Bankbeamt-enschaft zu dem Streik in einer Versamm-
lung entscheidend Stellung nehmen.
Daß aber auch innerhalb der Schweizer Sozialdemokratie di«
Stellung zum Völkerbund nicht eindeutig klar ist, beweist ein Aus-
satz, den Gen. Prof. Ragaz am 5. und 6. d. M. -i-m „Volks-
recht" veröfentlicht hat und hinter dessen Gedanken sicher eine ganze
Reihe Parteigenossen stehen. Er hält die offiziell« Stellungnahmr
der Partei für „falsch und verhängnisvoll". Er zeigt,
daß im Friedensvertrag zwei Welten miteinander ringen: die alte
Welt der militärischen Macht- und Siegerpolitik und eine neu«
Welt der pazifistischen Gerechtigkeit. Die erster« wirft sich aus in
den Lasten und Bedingungen, die im Vertrag den unterlegenen
Mächten auferlegt worden sind; letzter« in der Völkerbundsakte. In
dieser lebt der Geist einer neuen Zett. Auch Gen. Ragaz kennt
die Mängel des jetzigen Völkerbundsstatuts; dasselbe ist aber nm
ein Anfang und hat neben vielen Schattenseiten auch recht viele
Lichtseiten und wertvolle Fortschritte. Letztere legt er im einzelnen
dar. Ganz falsch wäre es nach ihm, vom Völkerbund eine Hem-
mung -des sozialistischen Klassenkampfes zu befürchten. Dieser, der
sich auf das klassen-bewußte Kopf- und Handarbeiterproletariat stützt,
kann und wird sich neben und im Völkerbund fortsetzen. Er.richtet
an seine Parteigenossen die Gewiffensfrage: „Können wir es ver-
antworten, als Sozialisten den Versuch der Verhinderung eines
neuen Weltkrieges vereiteln zu helfen?
Wir können uns restlos mit den Gründen des Gen. Nagaz
einverstanden «Mären; auch wir halten das Rein! -er Schweizer
Sozialdemokratie am morgigen Tage fiir falsch. Weil man di«
Taube auf dem Dache nicht bekommen kann, gibt man auch den
Spatzen in der Hand preis. Der Beschluß unserer Schweizer Par-
tei scheint seine Wurzeln in einer rein mechanischen Auffassung vom
Werden des Sozialismus und des Klassenkampfes zu haben; sie
stehen daher auch sonst in allen Fragen mehr auf Seiten der deut-
schen Unabhängigen und Kommunisten, als bei uns. Daher auch
die Absage an die Mette Internationale. Das liegt alles in einer
und derselben Linie. Sie wollen gegen den bürgerlich-kapitalistischen
Völkerbund den sozialistischen. Aber so einfach verläuft die Ge-
schichte des Sozialismus nicht; sie geht durch die bürgerlichen, kapi-
talistischen Gesellschaftsformen hindurch, um sie mit Hilfe des sozia-
len Klassenkampses zu höheren, sozialistischen Organisationsformen
umzugestalten. Aus dieser Erkenntnis heraus Haden sich auch die
Sozialdemokraten Hollands und Schwedens sowie -di« Arbeiter-
partei Englands unter H e n d e r s o n- f ü r den Völkerbund erklärt.
Mit Spanung erwarten wir das Resultat der Schweizer Volks-
abstimmung. Im Interesse der organischen Entwicklung zum demo-
kratischen Weltsozialismus erwarten wir ein« Mehrheit
für den Völkerbund!
Politische Ueberficht.
Der Reichskohlenrat.
Am Dienstag, den 11. Mai, trat der Reichskohlenrat zu einer
Sitzung zusammen, um den Bericht -des Generaldirektors Kongo-
L e r über den Gesamtfö-rderungsertr-ag an Steinkohlen in den letzten
Monaten entgegenzunehmen. Demnach beträgt die Förderung der
Monate Januar, Februar, März — abgesehen von den Wirkungen
der politischen Wirren, die in der Arbeitseinstellung im Ruhrgebiet
sich während des letztgenannten Monat» fühlbar machten — unge-
fähr 62—67 Prozent des durchschnittlchen Ertrags
eines Monats vom Friedensjahr 1913. Die Kohlenförderung
in Oberschlesien steht günstiger da, weist sie doch den Prozentsatz
von 72—76 Prozent der Frlsdensförderung auf.
Die Bewirtschaftung des Gesamtertrags verteilte sich wie folgt:
Die Menge, die zur- Ausfuhr gelangte, sofern sie nicht durch die
Zwangsablieferungen an die Entente erfolgt, ist sehr gering; ihre
Absatzgebiete sind Holland, Dänemark und die Schweiz. Dagegen
können- sich einige für den Export arbeitende Industrien erlauben,
die teure amerikanische Kohle für ihre Betriebe zu ver-
wenden. Allerdings find dem hohen Preis entsprechend (3V—35
Dollar die Tonne, nur die Fracht bis Rotterdam einschließend) die
Lieferungen von Bedeutung nur für die kleinsten Kreise der
Industrie.
Die Versorgung des inneren Bedarfs für Eisenbahn
Gasan st alten, Elektrizitätswerke und den Haus-
brand der Landwirtschaft -und Kleingewerbe muß
immer noch mit den bisherigen Einschränkungsmahnahmen aufrecht-
erhalten werden. Doch ist man gewillt, für die Belieferung des
Hausbrandes, die nur die Hälfte der 1918 vorgesehenen Ratton
erreichte, Sorge zu tragen.
Im Verlauf der weiteren Sitzung wurde ein Antrag einer Re-
gierung auf Herabsetzung der letzten Kohlenpreiseihöhung einge-
bracht. Bei der sich dabei entwickelnden Preisdebatte wurde einer-
seits auf die Lohnsteigerung der Bergarbeiter hin-
gewiesen, die zu den Schichtgeldern- von 45 Mk. -eine Zulage von
etwa 9 Mk. beanspruchen, wodurch die Kohle pro Tonne um 18 Mk.
verteuert wird; anderseits auf die Bereitwilligkeit der U n -
ternehmer hingew-iesen, die jede Lohnerhöhung mit einer gleich-
zeitigen Preiserhöhung beantworten. In diesem Sinne fiel
dann auch eine die Preisfrage behandelnde nachstehende Entschlie-
ßung aus:
Die Kohlenpreise bestehen zu weitaus größtem Teile aus Lohn-
kosten und Materialkosten. Auch die häufigen Preiserhöhun-
gen -der letzten Zeit waren, abgesehen von den Zuschlägen für Bcrg-
mannswohnstätten und Beschaffung von Lebensmitteln für die Berg-
leute, verursacht durch Materialpreissteigerungen. Diese wiederum
waren verursacht durch bas Sinken der Kaufkraft des -Geldes und die
Teuerung aller Lebensbedürfnisse als Folgeerscheinung unserer zu ge-
ringen Gütererzeugung. Im Interesse der Gesurwung un-
serer Wirtschaft muß die Kokicnsörderung als die Grunvlag«
Tauberbischofsheim und Wertheim.
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Generalprobe für den Völkerbund.
Die Schicksalstrmde der Schrseiz.
Kr. Herb e lberg, 15. Mai.
„In der Erwägung, daß es zur Förderung der Zusammenarbeit
öer Nationen und zur Gewährleistung von Frieden und Sicherheit
zwischen ihnen darauf ankomntt,
gewisse Verpflichtungen eingehen, nicht zum Kriege zu schreiten,
in aller Oefsentlichkeit auf Gerechtigkeit mrd Ehre beruhende
Beziehungen zwischen den Völkern zu pflegen,
die von nun an als Regel für das tatsächliche Verhalten der Re-
gierungen anerkannten Vorschriften des Völkerrechts genau zu
beobachten,
die Gerechtigkeit herrschen zu lassen und alle vertragsmäßigen
Verpflichtungen in -en gegenseitigen Beziehungen der organi-
sierten Völker gewissenhaft zu beobachten,
nehmen die hohen vertragschließenden Teile diesolgendeAkte
an, dieden Völkerbund stifte t."
Mess Sätze bilden die Einleitung der Völkerbundsakte, die den
ersten Teil des Versailler Fried ensvertragcs bildet. Am morgigen
Maisonntag wird die nachbarliche Schweiz durch Volksabstimmung
SU entscheiden haben, ob sie als ursprüngliches Mitglied diesem
Völkerbund beitreten will, nachdem sowohl der Bundesrat ein-
stimmig als auch National- und Ständerat mit überwiegender Mehr-
heit den Beitritt beschlossen haben.
Wir haben wiederholt in der „V olkszeitung" zum Völ-
kerbund Stellung genommen, seine Licht- und Schattenseiten erörtert
und vor allem seine realpolitische Bedeutung für Deutschlands Zu-
kunft dargelegt. (Vgl. des. Nr. 11. 2. Ihrg., vom 14. Ian. 1920.)
Wenn wir auch der Auffassung sind, daß die morgige Volksabstim-
-nung zunächst eine ureigene Angelegenheit des Schweizervolkes ist,
we es mit sich selbst auszumachen hat, so ist das Ergebnis dieser
Abstimmung doch darüber hinaus von allgemeiner weltpolitischer
Bedeutung: vor allem ist es auch für die Fragen der deutschen Po-
litik von größtem Interesse, das für und wider kennen zu lernen, das
von den einzelnen Schweizer Parteien morgen in die Abstimmung
geworfen wird
Der Bundesrat wendet sich in einem Aufruf an seine „ge-
treuen, lieben Eidgenoffen" und fordert sie auf, für den Beitritt
Lum Vökkerbund zu stimmen. Er erklärt, „daß ein ablehnender
Entscheid des Volkes -dem Gedeihen der Schweiz, der Eintracht im
Lande und dem Ansehen unserer Heimat im Ausland eine nicht wie-
der gutzumachmdei) Schaden -ufügen würde". In pathetischen
Worten" weist der Bundesrat auf die Bedeutung des Völkerbundes
sür die kommende Weltorganisation und den Weltfrieden hin, sowie
darauf, daß der Völkerbund jetzt schon vierfünftel der ganzen Mensch-
heit umfaßt und daß die Stunde des Beitritts bald auch für die
schlagen werde, die ihm heute noch nicht angehören.
Die Stellung zur Abstimmung ist innerhalb der einzelnen Par-
teien keine einstimmige und eindeutige. Vom Bürgertum sind es
besonders die klerikal-agrarischen sowie die militä-
rischen Kreise, die morgen mit Nein stimmen werden. Zu ihnen
gesellt sich der ganze kleine Mittelstand, der vom Allen nicht los-
kommen kann und alles so erhalten möchte, wie es vor dem Krieg
war. Sie fürchten für die Freiheit und LlnabhLngigkeit ihrer
Schweizer Heimat, wenn sie sich einem größeren weltpolitischen
Ganzen ein gliedern. Dazu kommen alle möglichen Gründe lokaler
Krrchturmspolitik, die ja überall gerade in diesen Kreisen ihre stärkste
Wurzel hat.
, Zum schneidigen und mutigen Vorkämpfer für den Völker-
bund hat sich durch Beschluß der überwiegenden Mehrheit die f rei -
Nnni g-demokratische Parier gemacht. In mächtigen
Volksversammlungen -hat sie in allen größeren Städten die Not-
bes Eintritts in den Völkerbund dargelegt; alle fort-
' -iV,.^n>artsdrängen-deu Kreise von Handel und Industrie
elnschlreßltch der Intellektuellen haben sich ihr angeschlossen. Wohl
kennt man die llnvollkommenheiten die Schattenseiten und Gefah-
ren des Versailler Völkerbundes. Aber: „Eg ist gerade die Mission
»er Neutralen, einzutreten und im Bund laut die Stimme zu er-
heben, fiir die Vernunft und kür die Völkerversöhnuna." Mit
bresen Worten hat der demokratische Nationalrat F o r rer auf der
Völkerbundstagung in Olten seine bejahende Stellung überzeugend
dargetan. Aufs schärfste wandte sich Nationalrat Frey sn Zürich
stegen alle die bürgerlichen Kleingläubigen, die zaghaft abseits stehen
bleiben wollen: „Die wahren Gründe ihrer Zurückhaltung, ihrer
Ablehnung sind ein Ni chthe ra u sko m me n oder N-icht-
herauswollen aus der Vergangenheit."
, Von ganz besonderem Interesse ist für uns die Haltung der
Schweizer Sozialdemokratie. Sie hat sich aus ihrem
Parteitag gegen den Eintritt m den Völkerbund entschlossen und
demgemäß für die morgige Abstimmung die Parole Nein! ausge-
Seben. Sicher mcht, wie die bürgerlichen Kleingläubigen, weil sie
etwa aus der Vergangenheit nicht heraus will. Im Gegenteil! Sie
b>ill einen gerechten, demokratischen Weltbund aller Völker, in-ter-
Nationales Schiedsgericht uff. Aber hinter diesem Ideal scheint ihr
der Versailler Völkerbund so stark zurückzublekben, daß sie für ihn
"ur ein Nein hat. Im Einzelnen legt die Partei in Nr. 110 des
"V olksrecht" vom Mittwoch, den 12. Mai, die Gründe für ihr
Nein dar. „W ir v erw erfen d enSchein, umdasWe-
sen zu retten"; darum sollen die Sozialdemokraten dagegen-
stimmen All« Mängel des Versailler Völkerbundes werben ge-
Kißelt, seine Undemokratie, seine Verbindung mtt dem Länder- und
Alkerschacher des Friedensvertrags, die Gefährdung der Schwerer
Neutralität seine Gewaltpolitik usf. Vor allem, aber w,^ hr«
fozwle Frage in den Vordergrund gestellt, deren Losung „die S r e
Zerkoalition die sich jetzt Völkerbund nennt, mcht zustande-
vringt"
Ein Gewaltstreich der Sowjetregierung.
Kopenhagen, 13. Mai. Nachrichten aus Moskau zufolge
hat der Rat der Volkskommissare die kettenden Mitglieder des Vor-
standes der Zentralorganisation der kooperativen Gesellschaften"
verhaftet und gleichzeitig die Vertreter der Korporation in London
ihrer Stellungen enthoben.
Das „Komitee fiir die Wiederaufnahme der Handelsbeziehun-
gen mit Rußland", das kürzlich in Kopenhagen gegründet wurde,
kündigt an, daß es bis zum Eingang weiterer Nachrichten die in
Kopenhagen und anderswo stattsindenden Verhandlungen über Wie-
deraufnahme der Handelsbeziehungen mit Rußland verschiebt, da
diese Verhandlungen auf der Grundlage einer Zusammenarbeit mit
den kooperativen Gesellschaften stattfinden sollten.
Offenbar erblickt Moskau in der Fortsetzung der Verhandlungen nach
den -ergebnislosen Bemühungen des Sowjetkommissars Krassin einen
Hochverrat, zumal die Sowjetregierung behauptet, daß di« polnische
Offensive von der Entente unterstützt werde. Dieser Standpunkt wird
auch gegenüber dem Völkerbund vertreten.
Polnischer Terror in Oberschlefien.
Berlin, 14. Mai. In Oberschlefien scheinen die Polen di«
Zeit für gekommen zu «lachten, um offensiv nicht nur gegen -di«
Deutschen, sondern auch, wenn es nicht anders geht, gegen die En-
tente vorzugehen. Je mehr auch bei ben polnisch sprechenden Tei-
len der oberschlesifchen Arbeiterschaft zu der Erkenntnis kommt, daß
es um ihre Zukunft bei den Polen jedenfalls schlechter bestellt sein
dürfte, als bei Deutschland, um se mehr scheint in Warschau der
Wille,zu -erstarken, Obersch-leslen mit Gewalt an sich zu reißen, weM
es auf dem Wege der Abstimmung nicht gelingen sollte. Aus die-
sem Grunde sind in den letzten Monaten die polnischen und militäri-
schen Geheimorganisationen in Oberschlefien eifrig gefördert und an
der oberschlesischen Grenze auffallend viel regulär« polnische Trup-
pen verteilt worden. Auch die Entenkommifsion in Oppen scheint
die Oberschlesien drohende Gefahr zu erkennen, und sich der Ansicht
nicht länger verschließen zu können, -daß durch das terroristisch« Vor-
gehen der Polen unter Führung Warschaus die Oberschlesien betref-
fenden Bestimmungen des Friedensvertrages ernstlich gefährdet
werden. Es liegt nicht im Interesse Deutschlands die Stellung der
Entent-ekommission, di« für die Ausführung des Friedensvertrages
verantwortlich ist, noch mehr zu erschüttern. Unser Streben muß
darauf gerichtet fein, di« Volksabstimmung in Oberfchlesien ficher-
zustellen.
Internationale Arbeiterfolidarität.
Amsterdam, 14. Mai. Wie „Telegraaf" aus London
meldet, haben die englischen Hafenarbeiter beschlossen, kein Schiff
zu laden, das Kriegsmaterial nach einem mit der russischem Räte-
regierung verfeindeten Lande führt. Infolgedessen mutzte «in eng-
lisches Schiff, das Kanonen und Munition für die polnische Regie-
rung an Bord hatte, die Kriegsvorräte wieder ausladen, um an-
ders Ladung übernehmen zu- können. '
Bevorstehende Räumung des Warngaus.
Paris, 15. Mai. General Rollet ließ bekannt geben, daß
gemäß der begonnenen Kontrollarbeiten vora-pszusehen ist, daß di«
deutschen Truppenbeftänd« in der neutralen Zone als mit der am
8. 8. 19 festgelegten Zahlen übereinstimmend anerkannt werden
müßten. Infolgedessen ersucht Marschall Doch den General De-
goui-te, einen Offizier feines Stabes nach Kassel zu kommandieren,
um mit der deutschen Regierung über die Einzelheiten b«r Räumung
der seit dem 10. 4. neu besetzten Zone seitens der französischen Trup-
pen zu unterhandeln. Die Räumung wird durchgeführt werden, so-
bald die Ergebnisse der Kontrollarbeiten offiziell bekannt find.
Die italienische Ministerkrise.
R v m, 14. Mai. Scialoja ist hier angekommen. Der König
empfing die vier Kammerpräsidenten. Caspari wirb sich nicht wei-
gern, an einem Konzentrationsministerium teilzunehmen. Nach dem
„Torrieve d' Italia" soll Giolittß darüber beraten haben, ein Kon-
zentartivnskabinett zu bilden, im das Willensstärke Männer eintreten
sollen, di« bereit sind, sich sür das Wohl des Landes zu opfern.
Meda gab die gleiche Erklärung ab.
Kampf ums Deutschtum.
Berlin, 14. Mai. Gegen die InteMationalisierung der 2.
Avne protestierten in Südschleswig LI 866 Personen durch Unter-
schrift unter folgender Erklärung: Der Schleswig-Hol-steinbund und
die Unterzeichner protestieren gegen die Bestrebungen, die 2. und 3.
Zone zu internationilsieren -und zu einem Freistaat zu machen. Nach
dem Friedensvertrag ist durch die Abstimmung am 14, 3. über das
Schicksal der schleswigholsteinschen 2. Zone und damit Flensburgs
-endgültig entschieden worden. Jede ander« Regelung lehnen wir
Schweswig-Holsteiner als Rechtsbruch und Vergewaltitzung ab. Die
Unterzeichner erklären, daß sie bei Deutschland bleiben wollen.
Der Banlbeamtenstreik.
Berlin, 15. Mai. Die Einigungsverhandlungen in der
Bankbeamtendewegung sind, wie die Morgenblätter melden, end-
gültig als gescheitert -anzusehen. Infolgedessen ist es bereits in einer
großen Anzahl von Städten im Reiche zum Ausstand gekommen.
Ueber 50 000 Bankangestellte sollen sich schon im Streik befinden.
Nach den bisherigen Vorgängen besteht kein Zweifel darüber, daß
auch die Berliner Bankangestellten in den Streik einlreten werden.
Heute Vormittag wird eine gemeinsame Sitzung der Vorstände des
Allgemeinen Verbandes -der deutschen Bankbeamten und des Deut-
schen Bankbeamtenvereins stattfinden. Nachmittags wird sodann
die Berliner Bankbeamt-enschaft zu dem Streik in einer Versamm-
lung entscheidend Stellung nehmen.
Daß aber auch innerhalb der Schweizer Sozialdemokratie di«
Stellung zum Völkerbund nicht eindeutig klar ist, beweist ein Aus-
satz, den Gen. Prof. Ragaz am 5. und 6. d. M. -i-m „Volks-
recht" veröfentlicht hat und hinter dessen Gedanken sicher eine ganze
Reihe Parteigenossen stehen. Er hält die offiziell« Stellungnahmr
der Partei für „falsch und verhängnisvoll". Er zeigt,
daß im Friedensvertrag zwei Welten miteinander ringen: die alte
Welt der militärischen Macht- und Siegerpolitik und eine neu«
Welt der pazifistischen Gerechtigkeit. Die erster« wirft sich aus in
den Lasten und Bedingungen, die im Vertrag den unterlegenen
Mächten auferlegt worden sind; letzter« in der Völkerbundsakte. In
dieser lebt der Geist einer neuen Zett. Auch Gen. Ragaz kennt
die Mängel des jetzigen Völkerbundsstatuts; dasselbe ist aber nm
ein Anfang und hat neben vielen Schattenseiten auch recht viele
Lichtseiten und wertvolle Fortschritte. Letztere legt er im einzelnen
dar. Ganz falsch wäre es nach ihm, vom Völkerbund eine Hem-
mung -des sozialistischen Klassenkampfes zu befürchten. Dieser, der
sich auf das klassen-bewußte Kopf- und Handarbeiterproletariat stützt,
kann und wird sich neben und im Völkerbund fortsetzen. Er.richtet
an seine Parteigenossen die Gewiffensfrage: „Können wir es ver-
antworten, als Sozialisten den Versuch der Verhinderung eines
neuen Weltkrieges vereiteln zu helfen?
Wir können uns restlos mit den Gründen des Gen. Nagaz
einverstanden «Mären; auch wir halten das Rein! -er Schweizer
Sozialdemokratie am morgigen Tage fiir falsch. Weil man di«
Taube auf dem Dache nicht bekommen kann, gibt man auch den
Spatzen in der Hand preis. Der Beschluß unserer Schweizer Par-
tei scheint seine Wurzeln in einer rein mechanischen Auffassung vom
Werden des Sozialismus und des Klassenkampfes zu haben; sie
stehen daher auch sonst in allen Fragen mehr auf Seiten der deut-
schen Unabhängigen und Kommunisten, als bei uns. Daher auch
die Absage an die Mette Internationale. Das liegt alles in einer
und derselben Linie. Sie wollen gegen den bürgerlich-kapitalistischen
Völkerbund den sozialistischen. Aber so einfach verläuft die Ge-
schichte des Sozialismus nicht; sie geht durch die bürgerlichen, kapi-
talistischen Gesellschaftsformen hindurch, um sie mit Hilfe des sozia-
len Klassenkampses zu höheren, sozialistischen Organisationsformen
umzugestalten. Aus dieser Erkenntnis heraus Haden sich auch die
Sozialdemokraten Hollands und Schwedens sowie -di« Arbeiter-
partei Englands unter H e n d e r s o n- f ü r den Völkerbund erklärt.
Mit Spanung erwarten wir das Resultat der Schweizer Volks-
abstimmung. Im Interesse der organischen Entwicklung zum demo-
kratischen Weltsozialismus erwarten wir ein« Mehrheit
für den Völkerbund!
Politische Ueberficht.
Der Reichskohlenrat.
Am Dienstag, den 11. Mai, trat der Reichskohlenrat zu einer
Sitzung zusammen, um den Bericht -des Generaldirektors Kongo-
L e r über den Gesamtfö-rderungsertr-ag an Steinkohlen in den letzten
Monaten entgegenzunehmen. Demnach beträgt die Förderung der
Monate Januar, Februar, März — abgesehen von den Wirkungen
der politischen Wirren, die in der Arbeitseinstellung im Ruhrgebiet
sich während des letztgenannten Monat» fühlbar machten — unge-
fähr 62—67 Prozent des durchschnittlchen Ertrags
eines Monats vom Friedensjahr 1913. Die Kohlenförderung
in Oberschlesien steht günstiger da, weist sie doch den Prozentsatz
von 72—76 Prozent der Frlsdensförderung auf.
Die Bewirtschaftung des Gesamtertrags verteilte sich wie folgt:
Die Menge, die zur- Ausfuhr gelangte, sofern sie nicht durch die
Zwangsablieferungen an die Entente erfolgt, ist sehr gering; ihre
Absatzgebiete sind Holland, Dänemark und die Schweiz. Dagegen
können- sich einige für den Export arbeitende Industrien erlauben,
die teure amerikanische Kohle für ihre Betriebe zu ver-
wenden. Allerdings find dem hohen Preis entsprechend (3V—35
Dollar die Tonne, nur die Fracht bis Rotterdam einschließend) die
Lieferungen von Bedeutung nur für die kleinsten Kreise der
Industrie.
Die Versorgung des inneren Bedarfs für Eisenbahn
Gasan st alten, Elektrizitätswerke und den Haus-
brand der Landwirtschaft -und Kleingewerbe muß
immer noch mit den bisherigen Einschränkungsmahnahmen aufrecht-
erhalten werden. Doch ist man gewillt, für die Belieferung des
Hausbrandes, die nur die Hälfte der 1918 vorgesehenen Ratton
erreichte, Sorge zu tragen.
Im Verlauf der weiteren Sitzung wurde ein Antrag einer Re-
gierung auf Herabsetzung der letzten Kohlenpreiseihöhung einge-
bracht. Bei der sich dabei entwickelnden Preisdebatte wurde einer-
seits auf die Lohnsteigerung der Bergarbeiter hin-
gewiesen, die zu den Schichtgeldern- von 45 Mk. -eine Zulage von
etwa 9 Mk. beanspruchen, wodurch die Kohle pro Tonne um 18 Mk.
verteuert wird; anderseits auf die Bereitwilligkeit der U n -
ternehmer hingew-iesen, die jede Lohnerhöhung mit einer gleich-
zeitigen Preiserhöhung beantworten. In diesem Sinne fiel
dann auch eine die Preisfrage behandelnde nachstehende Entschlie-
ßung aus:
Die Kohlenpreise bestehen zu weitaus größtem Teile aus Lohn-
kosten und Materialkosten. Auch die häufigen Preiserhöhun-
gen -der letzten Zeit waren, abgesehen von den Zuschlägen für Bcrg-
mannswohnstätten und Beschaffung von Lebensmitteln für die Berg-
leute, verursacht durch Materialpreissteigerungen. Diese wiederum
waren verursacht durch bas Sinken der Kaufkraft des -Geldes und die
Teuerung aller Lebensbedürfnisse als Folgeerscheinung unserer zu ge-
ringen Gütererzeugung. Im Interesse der Gesurwung un-
serer Wirtschaft muß die Kokicnsörderung als die Grunvlag«