Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (2) — 1920

DOI Kapitel:
Nr. 161 - Nr. 170 (15. Juli - 26. Juli)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.44127#0386
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung der Amtsbezirke Heidelberg, Wiesloch, Sinsheim, Eppingen, Eberbach, Mosbach, Buchen, Adelsheim, Boxberg
Tauberbischofsheim und Wertheim.


Lczuaspreis: Monatlich einschl. Trägerlohn s — Mk. Anzeigenpreis«:
Die einspaltige Petitzeile (36 mm breit) 80 pfg-, Reklame-Anzeigen
(9Z mm breit) 2.20 Mk. Bei Wiederholungen Nachlaß nach Tarif.
Geheimmittel-Anzeigen werden nicht ausgenommen.
Geiibäftsstunben: 8—'/,6 llhr. Sprechstunden der Redaktion: 11—12 Uhr.
vofifcheckfonloKarlsncheNr.22sir. Tel.-Adr.: Doikszeltung Heidelberg.

Heidelberg, Donnerstag, 22. Juli 1920
Nr. 167 * 2. Jahrgang

Verantwort!.: Fürinnereu. äußerepolitik,Volkswirtschaft».Feuilleton: Dr-
G.Krans: für Kommunales u. soziale Rundschau: Z.Kahn/ für Lokale«:
O.Gelbel, für die Anzeigen: H. Hoffmann, sämtlich in Heidelberg
Druck und Verlag der Unterbadischen Verlagsanstalt G.m.b.H.,He!delberg
Geschäftsstelle: SchrSderstraße 39.
Femsprecher: Anzeigen-Annahme 2613, Redaktion 2648.

Ter Reichssusschutz für Auswärtige
Angelegenheiten über Spa.
Berlin, 20. Juli. Rach Eröffnung der Sitzung des Aus-
schusses für auswärtige Angelegenheiten durch den Vor-
sitzenden Stresemann und nach Annahme zweier Anträge, von denen der
cine die möglichst sofortige Einberufung des Reichstags, der andere
die Oesfentlichkeit der «Ätzungen mit Ausnahme der besonders vertrau-
lichen Punkt« fordert, führte der Reichsminister des Aeutzeren, Dr. Si-
tu o n s, u. a. folgendes aus:
Bei der Behandlung der m i l täriscy en und Kohlenfragen
war auf seilen der Gegner die Grundlage: die Androhung der Besetzung
des Ruhrgebiets. Es war Frankreich schon in San Remo, Boulogne und
Brüssel gelungen, von England und Italien die Zustimmung für die Be-
setzung zu erlangen. Rechtlich hat die deutsche Delegation immer den
Standpunkt vertreten, datz die W 17 und 18 Annex II, Teil 8 sich nur
auf eine wissentliche Vernachlässigung und ein Zurückbleiben in der Er-
füllung der Vertragspflichten im Zusammenhang mit den Wiedergut-
machungsverpflichtungen beziehen. Diesen Standpunkt hat die deutsche
Delegation auch in <Ä>a vertreten unl ist von ihm auck nicht durch die
Unterzeichnung der Vereinbarungen abgewichen. Sie hat sich auch zu
cirer solchen Abweichung ohne Zustimmung des Reichstags nicht für be-
rechtigt gehalten. Die deutsche Unterschrift deckt die sogen. Droh-
klausel nicht, eine Tatsache, die von Lloyd George ausdrücklich an-
erkannt wurde.
In der militärischen Frage wurden die von deutscher Seite vorge-
st'Ggenen Fristen für die Verminderung der Reichswehr und die Durch-
fü ung der Entwaffnung einfach nicht angenommen. Immerhin
i ad die im Friedensvertrag enthaltenen Fristen zu unseren Gunsten er-
heblich, wenn auch nicht genügend verlängert worden. Boi den. Gefahren,
Ist der Einmarsch in das Ruhrgebiet bedeutet hätte, konnte der Abbruch
d.> Verhandlungen wegen der militärischen Fragen nicht verantwortet
: erben. Aus diesem Standpunkt heraus erfolgte die Unterzeichnung des
Protokolls.
Bei der Behandlung der Ko Hk en frage wurde zunächst
iste Beratung zwischen den Sachverständigen abgclehnt, dann aber
rch einer Erklärung der Vertreter der Bergarbeiter und der Bergwrks-
w.r!?.lwhmer eine Verha n -d l u n g s b asis geschaffen. Unser Angebot
«wer sukzessiven Steigerung, anfangend mit 1,1 Millionen Tonnen monat-
lich und endigend mit 1,8 Millionen Tonnen, wurde abgelehnt. Not-
wendig war aber, «ine Besserung dec Lebenshaltung der Bergleute im
Zusammenhänge mit der Kohlenfrage herbeizuführen. Die Alliierten gaben
da: n von 8,4 Millionen Tonnen auf 2 Millionen nach. Der Inlands-
preis der 'Kohle die auf dem Landweg? geht, wird auf das Wiedergut,
machungskonto gutgeschrieben. Deutschland erhält ferner eine Prämie
von fünf Goldmark für die Tonne und die Differenz zwischen dem In-
lands- und Weltmarktpreis für Deutschland als Vorschutz eingeräumt.
Deutschland hat so die Möglichkeit, die sich aus der-Prämie und den
Vorschüssen ergebenden Summen zur Besserung der Lebenshaltung der
Beralcute zu verwenden. Das in der Kohlenfrage verfügbare Zahlen-
material konnte nicht in allen Punkten als stichhaltig angesehen werden,
weil sine größere Ausnützung der Braunkohle möglich erschien und außer-
dem ein Teil der Steinkohle den allgemeinen Zwecken entzo-
gen wurde.
Der Reichsminister betonte ausdrücklich, daß nicht die Drohung, die
immer wieder durch das Erscheinen Fochs und Wilsons erneuert wurde,
ihn eingeschüchteut habe, datz vielmehr die Ueberzeugung, datz der Ein-
marsch schon vor der Konferenz in Spa definitiv beschlossen
war, ihn zu seiner Haltung veranlaßte.
Am Schlüsse wies der Reichsminister nochmals darauf hin, daß dl«
.Konferenz von Spa kein Erfolg für Deutschland gewesen ist.
Kritik der Sozialisten.
Abg. Bernstein kritisierte die Behandlung der militä-
rischen Fragen in Spa und trat für sine möglichst schnelle
Umgestaltung der Reichswehr ein, die eine Wiederbelebung des Mi-
litarismus unmöglich mache. In der Kohlenfrage habe er den Ein-
druck, die Delegation habe nicht mehr durchsetzen können. Die Ge-
fahr des Einmarsches srizugrosz gewesen, als daß man sie hätte
riskieren sollen. Daß der Einmarsch verhüte» wurde, fei zu begrüßen.
Der heutige Bericht wirke beruhigender als die bisherigen Mittei-
luiigen in der Presse. Aus den Verschiebungen der Kohle müßten
weitgehende Folgerungen gezogen werden. Die Kohlen müßten jo
schnell wie möglich sozialisiert werden. Die Konferenz in
Spa sek eine Etappe und die dortigen Verhandlungen bedeuteten
einen Schritt vorwärts.
Abg. Ledebour erklärte, in vielen Punkten könne er dem
Minister recht geben. Die Besetzung des Ruhrgebiets unter irgend
einem Vorwand mußte vermieden werden. Die Ablehnung der
Unterzeichnung der Einmarschformel genügt zur Währung unseres
Rechtsstandpunktes. Er befinde sich hier in voller Ueberein-
stimmung mit der Auffassung der Neichsregierung. Er fragt,
ob der Minister für den Fall von inneren Unruhen einen Appell
an die Entente gerichtet habe. Auch er forderte die Sozialisierung.
Simons weist die Darstellung, er habe den von Ledebour ange-
führten Appell an die Entente gerichtet, nachdrücklich zurück. Weiter stellt
er fest, daß er für die Berufung von Stimres verantwortlich sei. Slimes
sei nicht Vergangenheit, sondern Gegenwart und Tatsache. Er sei der
wesentliche Repräsentant der Bergwerksbesitzer, wie Hue der ivesentliche
Repräsentant der Bergarbeiter sei. Diese Repräsentanten der Entente
vv. mführen, sei notwendig gewesen.
Berlin, 21. Juli. Der Ausschuß für auswärtige An-
gelegenheiten setzte heute nachmittag seine Verhandlungen fort.
Abg. Spahn wies darauf hin, datz auch bei der Auslegung >des
Frstdcnsvertrages die Rechtsfrage von Bedeutung sei. Bezüglich der
Möglichkeit, das verlangte Koylenquantum zu liefern, ist der Redner der
Remung, -datz der Versuch zur Lieferung gemacht werden mutz und bei
allieiligem gutem Willen Erfolg haben könne. Die Haltung der Delegation
billigt der Redner.
Abg. Stresemann gibt der Kommission zur Erwägung, von einer
Bcfchlutzfasjuttg abzujohen und das Votum dem Plenum des Reichstags
zu überlassen. Der Redner erörtert eingehend die Kohlenfrage.
(Fortsetzung folgt.)

Emir Feisal kapituliert.
, Voirut, 21. Juli. (W.B.) Der Emir Feisal hat die
m dem Ultimatum des Generals Gourand gestellten Be-
dingungen angenommen.

Beratung der Ministerpräsidenten.
Berlin, 21. IM. (Amtlich.) Vormittags fand unter der
Leitung des Reichskanzlers ein« Sitzung der Ministerpräsidenten der
Länder statt, die einer Aussprache über die Beschlüsse von
Spa gast. Der Reichskanzler eröffnete die Besprechung mit einer
Begrüßung der erschienenen Herren und erteilte dem Reichsminister
des Auswärtigen das Wort zur Berichterstattung. An den Vortrag
d«s Ministers des Aeußeren schlossen sich Darlegungen des Reichs-
wehrministers über militärische Fragen und des Reichsmimsters des
Innern über technische Fragen der Entwaffnung. Der Be-
richterstattung folgte eine mehrstündige Aussprache. Dabei kam von
den verschiedensten Seiten die Sorge über die schweren militärischen
Bedingungen zum Ausdruck, die uns von der Entente angesichts
unserer schwierigen politischen Lage auferlegt sind. Ebenso wurden
die Lasten des Kohlenabkommens für unsere Arbeiterschaft
und für unsere Industrie sehr ernst beurteilt. Gleichwohl wurde
anerkannt, daß die Delegation in Spa nicht in der Lage war, andere
Ergebnisse zu erzielen. Es wurde nachdrücklich darauf hingewiesen,
daß alles darangeseht werden müsse, den Verpflichtungen des
Abkommens gerecht zu werden. Außer den Mitgliedern des
Reichskabinetts nahmen an der Konferenz teil der preußische Mi-
nisterpräsident Braun, der preußische Staatssekretär -Eöhre, der
bayerische Gesandte von Preger, der sächsische Ministerpräsident
Buck, der sächsische Gesandte Dr. Koch, der württembergische Staats-
präsident Hieber, der württembergische Gesandte Hildenbrand, der
badische Minister des Innern Remmele, der badische Gesandte Dr.
Nieser, der hessische Staatsrat Dr. Mathias, der hamburgische Bür-
germeister Diestel, der hamburgische Senator Dr. Schramm, der
niacklenburgisch-schwerinische Ministerpräsident Tischbein, der braun-
schweigische Minister Antrick, der braunschweigische Gesandte Boden,
zugleich für Anhalt, der oldenburgische Ministerpräsident Tantzen,
der oldendurgische Staatsminister a. D. Scheer, zugleich für Schaum-
burg-Lixpe, der bremische Bürgermeister Dr. Spi-lta, der bremische
Senator Dr. Nebelthau, der lippische Landespräsident Drake, der
lübecksche Senator Dr. Neumann, der mecklenburgisch-st-relitzsche
Staatsminister Freiherr von Rcibnitz, der mecklenburgisch-stresttzsche
StaarsiniMster Krüger und der waldecksche Ministerlüldirektor Sachs.
Deutsches Weißbuch über Spa.
Berlin, 21. Juli. (Pr'wat-Telegr.) Dem Reichstag
soll bei seinem Zusammentritt am Montag, wie der L.-A.
mitteilt, bereits ein Weißbuch der Neichsregierung vor-
liegen, mit dessen Fertigstellung bis Ende dieser Woche zu
rechnen ist. Dieses Weißbuch wird auf Grund der Proto-
kolle von den Sitzungen in Spa die Erklärungen der
Deutschen und der Gegenseite enthalten. Aus ihnen wird
ersichtlich werden, was für eine Bedeutung unsere Unter-
schrift hat. Die Neichsregierung steht nach wie vor auf dem
Standpunkt, daß unser Vermerk „sous reserve de 'Article sept"
die Unterschrift null und nichtig macht, ein Standpunkt, der
den völkerrechtlichen Sätzen der Haager Konferenz entspricht.
Es wird auch aus dem Protokoll der Wortlaut der Er-
klärung von Lloyd George über die oberschlesische Kohle
festgestellt werden können.
Politischer Mißbrauch eines Gefangenen-
Transportes.
Berlin, 21. Juli. Von zuständiger Stelle wird mit-
geteilt: Die österreichische Regierung steht bekanntlich in
Verbindung mit Sowjet-Rußland zwecks Austausch der beider-
seitigen Kriegsgefangenen. Sie hat im Zusammenhang
damit vor kurzem an die deutsche Regierung das Ersuchen
gerichtet, die noch in Österreich internierten kriegsgefangenen
Russen durch Deutschland nach Rußland zurückbefördern zu
dürfen. Die deutsche Regierung hatte dazu ihre Zustimmung
im allgemeinen erteilt und es wurde nunmehr ein Trans-
port von 108 Männern und 8 Frauen über Bodenbach nach
Stettin befördert. Dort machte der österreichische Offizier
der den Transport führte, die Mitteilung, daß sich hoch-
politische Persönlichkeiten auf dem Transport befänden.
Schon vorher war durch ein österreichisches Korrespondenz-
büro verbreitet worden, daß Bela Kuhn mit mehreren Be-
gleitern nach Deutschland abgeschoben"rvorden sei. Da die
deutsche Regierung auf Anfrage des österreichischen Gesandten
in Berlin ausdrücklich erklärt hatte, daß ihre Zustimmung
sich nur auf den Durchtransport von Kriegsgefangenen
beziehe und es somit grundsätzlich nicht gestattet war, andere
Personen, insbesondere politisch Verfolgte, wie Bela Kuhn,
mit durchzutransportieren, mußte der österreichische Transport
in Stettin angehalten werden. Nach den Regeln des
Völkerrechtes war der unter österreichischer Leitung und
Bewachung stehende Transport als exterritorial anzusehen.
Eine Aussonderung der politischen Persönlichkeiten vckn den
Kriegsgefangenen stand daher der deutschen Behörde nicht
zu. Vielmehr mußte der ganze Transport, da er entgegen
der Vereinbarung zusammengestellt war, nach Oesterreich
zurückgeleitet werden. Die Rückbeförderung des Trans-
portes ist bereits im Gange. Die deutsche Regierung be-
dauert, daß durch das Vorgehen der österreichischen Regierung
die Heimkehr der russischen Kriegsgefangenen verzögert
wird. Sie wird die Heimkehr dieser Gefangenen mit größter
Beschleunigung bewirken, sobald die österreichische Regierung
ihr nachweist, daß der neue Transport der Vereinbarung
entspricht.

Das Elgkw UWmnz W 6U
Von Dr. E. Krau s.
4. Was nun?
,D>e Wiedergutmachungsfragen und damit die 'Finanz- und
Entschädigungsfragen sind auf der Inferenz von Spa nicht mehr
behandelt worden. Die deutsche Regierung hat einen großzügigen
W l e de r g utm a ch u n g sp l a n vorgelegt; er wurde bereits von
den beiderseitigen- Sachverständigen besprochen und soll der Wieder-
gutmachungskonferenz in Genf als Grundlage ihrer Besprechungen
dienen.
Es liegt uns jetzt noch ob, das Fazit -der Konferenz von Spa
zu ziehen, und zwar sowohl nach der allgemein staatspolitischen als
auch nach der parteipolitischen Seite. Wir dürfen natürlich bei
dieser Beurteilung nicht von einem einseitig deutschen Standpunkt
ausgehen ohne jedes Verständnis für die Interessen und Notwen-
digkeiten der Siegermächte, wir müßen un er Urteil unter einem all-
gemein-weltpolitischen Aspekt fällen; wir müßen dazu die öffentliche
Meinung des englischen, französischen und italienischen -Volkes -her-
anziehen,. die Verantwortungen Lloyd Georges,Millerands und
Sforzas vor ihren Volksvertretungen. Wer auf Grund vereinzelter
Stimmen (Nittis Reden, das Buch von Keynes ufw.) geglaubt -hah
die Politik der Staaten sei bereits zur Erkenntnis der europäischen
SchicksalsMneinfchaft, der Notwendigkeit eines gemeinsamen Wie-
deraufbaues gereiste der verkennt völlig die Gesetze der Psychologie
der einzelnen Bokker. Wer geglaubt hat, der Friedensvertrag von
Versailles sei erledigt man -werde nicht als Sieger mit uns ve»
handeln, sondern als Bruder und Weggenosse uns die Hand rei-
chen, -wer glaubte, man habe so -leicht und schnell die Kriegsschuld
des deutschen und österreichischen Generalstabs, die größenwahn-
sinnige Eroberungspolitik der Alldeutschen und Vaterlandsparteiler,
den Zerstörungsseldzug der deutschen Schwerindustrie und alle -diese
Dinge vergeßen- -der muß von Spa enttäuscht sein. Wer aber Real-
poli.il treibt und alle die psychischen Ponderabilion und Impondera-
bilien kennt, die gerade nach einem solchen Kriege eine ungeheure
Rolle spielen, der muß trotz aller unangenehmen Zwischenfälle,
Drohungen und Einmarschklausoln sagen: Die Konferenz von Spa
war nicht umsonst, sie hat bereits eine Brücke geschlagen über de»
Abgrund, der Sieger und Besiegte trennt, sie ist ein bedeutsamer
Schritt vorwärts zur Revision des Friedensvertrags, zur Gesundung
und Neuorganisation Europas.
Gang abgesehen von der Bedeutung, welche alle die persönlichen
Besprechungen, Konferenzen und Unterhaltungen für die Reinigung
der Haß- und B-lntatmosphäre zwischen- Sieger und Besiegten haben,
konnten wir feststellen, daß das Kohlenadkommen eine bedeutende
Verbesserung und Erleichterung des Friedens-Vertrags für uns be-
deutet. Das begreift man erst ganz, wenn -man sieht, welche Wider-
stände es -gerade in der französischen Presse und Kammer findet.
Poincare, der sicher als guter Interpret des Werkes von Cle-
men-ceau angesprochen werden kann- hält dieses Abkommen einfach
für ein Preisgeben Les Friedens von Versailles. Wir haben zu
zeigen versucht, daß wir auch in der Entwaffnungsfrage mehr Posi-
tives hätten erreichen können, wenn wir uns mehr auf die Sicher-
heitspolizei und weniger auf die reaktionäre Reichswehr sestgelegt
hätten.
Der Weg für die deutsche Politik ist jetzt ganz klar vorgrzeich-
net: wir müßen auf der Bahn der Verständigungspolitik weiter-
schreiten, die wir in Spa beschritten haben, wir müssen alles daran-
setzen, die getroffenen Abmachungen restlos durchzusühren. Dies
gilt zunächst für die Entwafsung; bis zum 1. Oktober muß die
Reichswehr auf 150 000 Mann, bis 31. Dezember auf 100000
Mann abgebaut sein. Bereits gestern ist von einem diesbezüglichen
Gesetzentwurf gemeldet worden, der in -diesen Tagen vom Reichsrat
beraten wird. Das Hauptproblem ist, für diese 100 000 Mann
Arbeitsgelegenheit zu beschaffen; mag es noch so schwer sein, es
müßen Mittel und Wege gefunden werden, an dieser Frage darf die
Revisionsarbeit am Friedensvertrag nicht scheitern. Vor allem muß
verlangt werden, daß die in Betracht kommenden Offiziere das
nötige Verständnis für die Zwangslage Deutschlands aufbringen
und sich nicht von der bereits einsetzenden deutschnatiouaken Hetz-
aktion ins Schlepptau nehmen laßen. Es ist so unendlich traurig,
daß gerade jetzt wieder die sogenannten Nationalen und Konserva-
tiven -die wirtschaftliche und berufliche Notlage der zu entlaßenden
Reichswchrtruppen für ihr Parteiintereße auszunützen suchen, damit
unser Vaterland aufs neue an den Rand des Abgrunds stellend.
Darüber müßen wir uns doch ganz klar fein: jede reaktionär-mili-
taristische Hetze wird die Pläne Fochs und seiner Hintermänner
fördern, das ganze Werk von Spa gefährden und Europa aufs neue
der Rache und Gewaltpolitik größenwahnsinniger Militärs aus-
liefern.
Schwieriger schon wird die Entwaffnung der Einwohner- und
Sicherhestswchren sein. Mer wie man hört — die Beratungen in
Berlin werden ja darüber in den nächsten Tagen Karheit verschaffen
— bedeutet hier Entwaffnung nicht völlige Entlassung, sondern Ent-
kleidung ihres militärischen Charakters und Umbau in eine rem
zivile Ordnungstruppe. Das würde durchaus unseren Forderungen
entsprechen und nicht schwer zu machen sein -bei einigermaßen -gutem
Willen der Beteiligten. .... .
Auch das Kohlenadkommen mutz durchgesührt werden. Es ist
jetzt höchst interessant, aus dem Mund« Dr. Simons zu hören, datz
er sich deswegen noch in letzter Stunde trotz aller Bedenken für die
Unterzeichnung entschieden habe, weil ihm berechtigte Bedenken in
die Richtigkeit der deutschen Sachverstandigen-Gutachten gekommen
sind Man hört hier von ganz eigenartigen Dingen, die dringend
der Aufklärung bedürfen: einmal haben -die Gutachten die deutsche
Vraunkohlenproduktion nicht entsprechend berücksichtigt, sodann sind
in ihnen nicht die Kohlenmengen berücksichtigt worden, die auf un-
lautere Weise der Negierung entzogen und an unrichtige SMen
geliefert werden. Vor allem wird es immer klarer, datz Herr
 
Annotationen