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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (2) — 1920

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Nr. 181 - Nr. 190 (7. August - 18. August)
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Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung der Amtsbezirke Heidelberg, Wiesloch, Ginsheim, Eppingen, Eberbach, Mosbach, Buchen, Adelsheim, Boxberg
Tauberbischofsheim und Wertheim.

Bezugspreis: Monatlich einschl. Trägerlohn S.— Mk. Anzeigenpreise:
Oie einspaltige Petitzeile (36 mm breit) 80 pfg., Reklame-Anzeigen
(SZ mm breit) 2.ro Mk. Lei Wiederholungen Nachlaß nach Tarif.
Geheimmittel-Anzeigen werden nicht ausgenommen.
Geschäftsstunden: 8 —'/,6 Uhr. Sprechstunden der Redaktion: 11—12 Uhr.
Postscheckkonto Karlsruhe Nr. 22S7I. Tel.-Adr, - Volkszeitung Heidelberg.

Heidelberg, Mittwoch, August 1920
Nr. 184 * 2. Jahrgang

Verantwort!.: Für innereu. äußerepolitihVolkswlrtschaftu. Feuilleton: O>
S.Krau-! für Kommunales u.sozale Rundschau: I. V.:O.Ge!beh für
Lot.: S. Geibeli für dir Anzeigen: H. Hoff m ann, sämti. in Heidelberg
Druck und Verlag der llnterbadischen Derlagsanstalt G. m. b.H., Heidelberg
Geschäftsstelle: Gchröderstraße 3S.
Fernsprecher: Anzeigen-Annahme 2673, Redaktion 2648.

Entspannung der Lage?
Loyd Georges Erklärungen.

Der Krieg im Osten.
Die militärische Lage.
Berlin, 11. Aug. Der Norbftügel der polni-
en Arme e, der die verantwortungsvolle Aufgabe hätte. War-
im Norden zu decken, ist, wie ein Telegramm Her „Vofsischen
Heilung" von der ostpreußischen Grenze besagt, unter dem Druck
vor vierten russischen Arn,er in Auflösung. Von dem ersten und
kaukasischen Artilleriekorps begleitet, haben hier die 12.,
fo-'M!». 54. russische Division die vordere Linie überschritten. Sie
fumr sich z weitere Infanteriedivisionen und das 3. kauka-
-^^ulleriekorps. Die Stoßrichtung ist gegen Thv r n
serichtet, Hagegen ist die frühere deutsche Grenze im Kreise
«vidau noch nicht von den russischen Patrouillen -über-
> ch r 11 t e n.
. Die Entscheidungsschlacht zwischen Ostrolenka und dem Bug
fl^int von den Polen nicht angenommen AU sein. Die Kämpfe,
N>><e. Ostrolenka stattgefunden haben, haben zu einem polnischen
stankt Ehrt. Die polnischen Truppen werden von Osten aus
brwni ' über Sokolow sind die Russen vvrwärtsge-
baden hier den Bug überschritten. Weiter im Süden
^..ch Vormarsch gegen die sehr geschwächten polnischen
günstig. Mit dem Einmarsch der bolschewistischen Kaval-
j den polnischen Korridor ist jede Stunde zu rechnen, da es
^'"'ch uninöglich ist, die Nordflanke offen zu lassen.
M. .E .,Times" melden aus Warschau: Nordwestlich von
Ha»»« " bei Moblin (Norvogeorgiewsk) das polnische
konzentviert. Das schwere A r t i l le r-i e f e ue r
deer lonzcntr-iert. Das schwere A r t l l l e r i e f e u e r an
beständig in Warschau zu hören.
im Hl a vH» Mlawa verteidigen sich die polnischen Truppen
^bgefecht gegen die russische Kavallerie. Die rus-
" ^«-v-mrmee ist in den letzten Tagen außerorbenMch verstärkt
verfügt über etwa 60 000 Mann Infanterie und
T -'M Mann Reiterei. Dagegen scheinen die Polen ihre
aus dem Korridor abzuziehen, da sie eine
widigung dieses Gebietes nicht mehr für möglich halten.

Die Forderungen der Entente.
Haag, 10. Aug. Aus London wird gemeldet: Daily News
Meiden, daß im Anschluß an den Plan der Minsker Verhand-
lungen Vorschläge folgenden Inhalts nach Moskau gesandt
wurden: 1. Die russischen Fribdensbedingungen sind sofort und voll-
ständig bekanntzugeben. 2. Die Konferenz wird sich von Anfang
an auf die Hauptprobleme, die für den Waffenstillstands-
abschluß entscheidend sind, beschränke n. 3. Demzufolge wer-
den Versuche gemacht, innerhalb von 24 Stunden zu
einerUebereinkunftzu gelangen, die einen sofortigen Waf-
fenstillstand ermöglicht. 4. Es wird ein a u s fü h r l i ch e s Pro-
to k o l l über di« Konferenz veröffentlicht werden.
Entspannung der Lage?
Berlin, 11. Aug. (Priv.-Tel.) Dem „Bett. Tagen!" wird
oerichtet, daß in den Beziehungen der Alliierten zu Rußland auf
Grund der neuesten Mitteilung der Moskauer Regierung durch
Vermittelung ihrer Londoner Vertreter «ine Entspannung einge-
tretsn sei. Das Verdienst komme vor allem dem Vorschläge Lloyd
Georges zu, die VerhaMungen fortzusehen, um einen neuen
Krieg z« verhindern
Keine Truppensendrmgen der Entente.
Amsterdams. Aug. Der „Tele-graas" erfährt aus Hoche
von aut unterrichteter Seite, es besteh« Grund anzunchmen, daß
die Alliierten beschlossen hätten, Polen durch technische Rat-
geber, durch Munitionssendungen und möglicherweise durch einig«
Maßnahmen zur See zu unterstützen, nicht aber durch die
Entsendung von Truppen. Die Konferenz zwischen
den polnischen und russischen Vertretern werde am Mittwoch in
Minsk stattfinden. Kamenew und Krassin werden in
London bleiben, um die englische Regierung über di« Besprechungen
m Minsk auf dem laufenden zu halten.
Die Haltung England«.
Loudon, 11. Aug. Gestern gab Lloyd George im Unter-
baus unter Anwesenheit von Kamenew und Kassin die Erklärung
über die Krise im Osten ab. Er wurde in weitgehendem Maß«
dem Rechtsstandpunkt Sowjetrußlands gerecht, verlangte aber die
Unabhängigkeit d«s ethnographischen Polens. Für den Fall, daß
die Konferenz in Minsk ergebnislos verlaufe, werde ein wirtzchaft-
Druck ans Rußland ausgeiibt werden. Schließlich betonte
Llody Georg«: „Werm wir die revolutionäre russische Regierung
blockieren, so geschieht es nicht wegen ihres revolutionären Charak-
«rs, sondern weil sie nicht mit uns zusammenarbeiten will, um den
«neben zu sichern. Wenn Rußland den Frieden mit uns nötig hat,
w kann es ihn erhalten. Die Londoner Konferenz ist ja gerade Vor-
schlägen worden i» der Absicht, einen solchen Frieden herbeizu-

Die polnischen Friedenrparlamenläre.
Amsterdam, 10. Aug. „Telegraaf" meldet aus London,
die polnischen Parlamentäre hätten gestern abend die russischen
Linien passiert.
Die russischen Bedingungen.
Rotterdam, 10. Aug. Der Londoner Korrespondent des
„Manchester Guardian" erfährt, daß wenn Polen den auf der Kon-
ferenz von Minsk gestellten Forderungen für den Vorfrieden nicht
im voraus zustimme, so würden die WaffenMlstandsbedingungen
sehr schlimm ausfallen; wenn Polen sich dagegen den Vorfriedens-
bedingungen unterwerfe, so würden die WafstnstillstandsbeHmgun-
gen weniger hart ausfallen. Di« -grundsätzlichen Bedinann-gen,
welche Polen vorgelegt würben, seien folgende:
Das polnische Heer wirb auf Friedensfuß gebracht. Polen
nimmt kein Kriegsmaterial irgendwelcher Art von den Entente-
mächten an.
Die russische Regierung wird dafür d«r polnischen- Regierung
versprechen, daß Polen günstigere Grenzen erhalten wird, als die
durch den- Obersten Rat festges-eh'en. Weitere Bedingungen sind
nach dem „Manchester Guardian": Freier Handelsverkehr durch
Polen und eine Amnestie für politische Verbrecher.
Ungarn zur Hilfe für Polen bereit.
Kopenhagen, 10. Aug Nach einem Telegramm der
„Bettingske Tidenbe" aus Warschau meldet die polnische Presse
aus Mi->»isi^c.elert Ou-e«», vag )>> r>i,e -'s
ungarischen Parlaments eingetrvffen ist, die die Grüße des
ungarischen Volkes überbringen soll mit der Versicherung, daß di«
ungarische Nation bereit sei, Polen zu Hilfe zu kommen.
Ungarn könne Zehntausende von Männern Polen zu Hilfe seNd«n,
außerdem Munition und Lazarette.
Zwei Richtungen in Rußland?
Kopenhagen, 11. Aug. „Berlingske Tidenbe" meldet
aus Helfin-gfvrs, aus dort eing-etroffenen russischen Zeitungen gehe
hervor, daß di« bolschewistischen Blätt«r in Petersburg gegenüber
Polen eine weit schärferen und unversöhnlicheren Ton anschlagen,
als die Regierungsvrgane in Moskau. Die Petersburger
Blätter fordern, daß das bürgerliche Polen vollständig vernichtet
werde und daß Warschau besetzt werden müsse. Dis Moskauer
Blätter dagegen erklären, daß die Sowjetregierung sehr wohl mit
einem bürgerlichen Polen Frieden schließen könnte und daß es im
Hinblick auf die allgemeine Weltlage nur wünschenswert wäre, wenn
dies geschehe.
Die russisch-polnische Angelegenheit im
englischen Unterhaus.
London, 9. Aug. (Unterhaus.) Ueber die russisch-polnische
Angelegenheit wurden zahlreiche Anfragen an Bonar Law ge-
richtet, welcher bekanntgab, der Premierminister werde morgen ein«
Erklärung abgeben. Es bestehe nscht die mindeste Gefahr, daß das
Haus sich einem Kriege gegenübersehen werde, ohne daß vorher
nicht genügend Gelegenheit zur Erörterung der Lage gegeben ge-
wesen sei. Clynes fragte, ob dies so aufzufassen sei, daß keine
Vordereituiwgen für kriegerische Maßnahmen getroffen werden?
Bonar Law entgegnet«, das hänge davon ab, was inan unter solchen
Maßnahmen verstehe. In Erwiderung auf eine andere Anfrage
bemerkte Bonar Law, der Premierminister habe in den letzten
Wochen ausdrücklich dargelegt, daß wir unseren gegenwärtigen
Schritt aus Besorgnis dafür unternehmen, daß die Bolschewisten
die Unabhängigkeit Polens verachten könnten, und um unser Mög-
lichstes zu tun, damit Polen vernünftige Friedensbedingung-on
erhalt«
Amerika und Rußland.
Paris, 10. Aug. Havas meldet aus Washington: Di«
Presse veröfsenÄlcht einen Bericht des Staatsdeparte-
ments bezüglich des russisch-polnischen Konfliktes. Diese Erklä-
rung stellt fest, daß die jetzige russische Armee eine bolschewistische
sei, denn an der Spitze der russischen Regierung stehe Lenin. In
Wirklichkeit sei es aber doch -ein-e russische Armee, deren
Gsneralstabschef Brussilow sei, der unter dem zaristischen Re-
gime -eine Rolle spielte. In seiner Umgebung befänden sich andere
Generäle des Zarenreiches wie P 0 lswanvw und Kur 0 par °
k i n. Die Russen hegten keine Eroberungsabsichten und man könne
erwarten, daß sie die Souveränität Polens nicht anlasten wollen.
Dir amerikanische Politik wünsche dir Gebiete Rußlands zu schützen,
dis das russische Volk feine inneren Angelegenheiten geordnet hat.
Sie hoffe, daß dadurch die Wiederherstellung der Ordnung in Ruß-
land beschleunigt werbe
Haag, 9. Aug. „Rastern Service" meldet aus Tokio:
Der Bruch zwischen der amerikanischen und der japanischen Schiff-
fahrt ist nunmehr endgültig. Japan ist nur bereit, seine Tarife in
Uebereinftimmung mit den amerikanischen Tarifen unter gewissen
Bedingungen zu erhöhen. Die Amerikaner haben darauf chie Be-
sprechungen abgebrochen und sich freie Hand Vorbehalten.

Nochmals das Motu proprio
des Papstes.
Kr. Heidelberg, 11. Aug.
Unser Leitartikel „Eine neue Kampfansage Roms gegen den
Sozialismus" ist der unterbadischen Zentrumspr-esse ordentlich auf
di« Nerven gefallen. In mächtigen Kampfartikeln find das „M 0 s -
bacher Volksblatt" und der „Pfälzer Bote" hinter-
einander gegen uns auf den Plan getreten. Aber alles, was sie
Vorbringen, zeigt uns nur, daß wir das päpstliche Motu pr-optto
richtig verstanden haben und bestärkt uns nur in unserer Auffassung;
wir halten unsere Ausführungen nach wie vor vollinhaltlich aufrecht.
So wenig wie Rom, so wenig haben di« beiden Zentrums-
blätter die tieferen ökonomischen und sozialen Ursachen und Ten-
denzen des Sozialismus erfaßt. Wenn gar der „Pfälzer Bote"
den Unterschied von Zentrum und Sozialdemokratie darin sieht, daß
wir das kapitalistische System durch die „Gewaltherrschaft
zügelloser Massen", jenes aber durch ein« „vernünftig« und
versöhnliche Neuordnung im Geiste christlichen Gemeinschaftssinnes"
ersetz! wissen w-ollen, so ist das ein« bewußte Entstellung der ganzen
sozialdemokratischen Politik (stehe Kongreß der 2. International«
in Genf!). Ja, wird man fugen, 'das stimmt doch aber für den
Bolschewismus! Gut, dann soll man sagen, was man meint, dann
soll man aber nicht Bolschewismus und Sozialismus gleichjetzen!
Beide Blätter nehmen Bezug auf die Enzyklika „Rerüm no-
varum" Leos, XIII, Wir kennen- diese Enzyklika recht gut und well
wir sie kennen und weil Benedikt XV. selbst -auf sie Bezug nimmt,
gerade darum,haben wir unseren Artiekl geschrieben. Vom Urheber
jener Enzyklika stammen nämlich folgende Sätze (Epistl. Gntzykl.
Ouamqu-am pluries):
„In Anbetracht dieser Sachlage müssen die Armen und alle, die
von der Frucht ihrer Arbeit leben müssen, von einem erhabrnere»
Gefühle der Billigkeit (d. i. der sozialen Gerechtigkeit) beseelt sein:
wenn ihnen nämlich die Gerechtigkeit auch ertaubt, sich aus ihrer Not-
lage herauszuarbeiten, um eine bessere Lebenslage zu schasse», so ist
es irvsry oürcy bw EerechtWeil uns ourch die Vernunft selbst ver-
boten, die Ordnung umzufivtzen, welche von der göttlichen Vorsehung
selbst so eingerichtet worden ist. Ja, es ist sogar ein törichter Rat,
zur Gewalt zu schreiten und Verbesserungen auf dem Wege von Auf-
lehnung und Aufruhr herbeizuführen; denn diese tragen höchstens und
in den meisten Fällen nur dazu bei, noch die unangenehme Lage zu
verschlimmern, die sie beseitigen wollte». Wenn indes die Armen ver-
nünftig vorgehen wollen, so sollen sie nicht aus die törichten Vorspiege-
lungen von Volksauswieglern achten, sondern mehr auf das Beispiel
und den Schuh des hl. Joseph und aus die mütterliche Liebe der Kirch«
vertrauen, welche von Tag zu Tag sich immer mehr ibrer annimmt."
Die zur Klassenkenntms gereifte Arbeiterschaft -glaubt eben nicht
mehr, daß die Gesellschaft der kapitalistischen Ausbeutung ein«
„gottgewollte Ordnung" -ist; sie kämpft gegen -sie mit allen Mitteln,
wenn es sein muß, mit Gewalt. Und sie glaubt dabei in christliche-
rem Grifte zu handeln als diejenigen, die christliche Aussöhnung mii
der „gottgewollten Ordnung" predigen. Gott fei Dank gibt es her-
vorragende christliche Theologen, die derselben Ansicht sind wie wir,
genannt seien nur Hohoff, Kral usw. Wir stehen auch weiterhin
zu unserer Ansicht, und wenn auch Papst und Zentrumspr-esse noch
tausendmal behaupten, daß Christentum und Sozialismus sich aus-
schließen!
Bei dieser Gelegenheit hat es das „M 0 sbacher Volks-
blat t" für notwendig gehalten, unser Feuilleton „V 0 m Beker
zumKämpfer" von Nikolaus Osterrotb als Zeichen für unser«
Religions- und Kirchenfeindlichkeit -anzuziehen. Demgegenüber
haebni wir zu erklären, daß literarischen Kunstwerken gegenüber nicht
der einseitige moralphilosophische und religiöse Maßstab angel-egi
werben- darf, der theoretischen Werken gegenüber am Platz« ist.
Wir haben diese köstlich« Biographie eines hervorragenden Partei-
genossen zum Abdruck gebracht, weil sie mit einem nicht zu über-
bietenden Humor den- Entwicklungsgang des enghvrizontalen, unter
der Obhut des Kaplans stehenden Mitglieds des Katholischen Iüng-
lin-gsoereins zum sozialistischen Kämpfer schildert. Wenn dabei da
und dort neben manchem Berechtigten- in der Humorisierung reli-
giöser Dinge zu weit gegangen wird, so machen wir uns das natür-
lich durchaus nickt versönsich zu eigen.
Schließlich feien noch aus -den zahlreichen Zuschriften, die uns
anläßlich des päpstlichen Motu proprios auf den Redaktionstisch
geflogen sind, aus zweien kurze Auszüge mitgetM. Ein dem Katho-
lizismus außerordentlich nah-estchrrlber Pfarrer schreibt uns u. a.:
Wer in den letzten paar Jahren bas Werben einer zu großem Teile
völlig ireuen Sozialpolitik verfolgte, der mochte es angenehm empfinden,
daß von römischer Seite der einseitig konfessionell-parteiische Standpunkt
wenigstens so weit verlassen wurde, -daß sich «ine gemeinsame Grundlage
ergab, auf -der -die päpstliche Partei, als solche hat sich das Zentrum
während der Kriegsjahre z-weiselssici erwiesen, selbst mit der Sozial-
demokratie zu nützlicher und für unser deutsches Volk lebenswichtiger
Arbeit zufammenfi-nben konnte. Wer sich erinnert, wie noch vor zwei
Jahrzehnten in Seminaren und Konvikten die akademische Frage erörtert
-wurde, ob die Sozialdemokraten zu den stillschweigend Lrkvmmunizier-ten
zu rechnen seien, hat die Entwicklung der letzten zwei Jahre mit einem
gewissen Staunen verfolgt. Heute -dürfte es wohl jedem klar sein, wo
die Geprellten zu finden sind. Wenn heute von autorat-iosler Seite dem
Sozialismus der Kamps angösagt wirb, so bedeutet das nichts weniger
als die Stempelung der Zentrumslaktii zu einer rein konfessionellen In-
teressenpolitik, und das Dort vom Mohren, -der seine Pflicht getan,
drängr sich einem wider Willen auf. Die 'Sozialdemokratie wird sich
jedenfalls den Borwurf allzugrvßer Vertrauensseligkeit, i-m besten Falle
ahnungslosen Idealismus kaum ersparen können. Wenns im Zentrum
solche gibt, die „guten Willens sind", so dürfte die neueste päpstliche
Kundgebung auch diesen mehr wie unbequem sein. Die Erfahrung, di«
die Sozialdemokratie nach dieser Kundgebung machen muß, ist bitter,
aber -wer jemals geglaubt bat, baß Rom den fortschreitenden Zeit- un
Bölkerbedürfnissen das Opfer eigener St-ell-un-gnahme zu bringe» gewillt
sei, dürfte nunmehr, hoffentlich für immer, -eines Besseren belehrt sem.
Man hat das Christentum die Religion der Enterbten genannt. Das
 
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