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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (2) — 1920

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Nr. 111 - Nr. 120 (15. Mai - 27. Mai)
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Heidelberg, Mittwoch, 19. Mai 1920
Nr. 114 * 2. Jahrgang

Bezugspreis: Monatlich einschl. Trägerlohn 3.50 Mt. Anzeigenpreise:
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Geschäftskunden: 8-'/,« Uhr. Sprechstunden derNedaktion: 11-12 llhr.
Pvstsche >?or «ü Karlsruhe Nr. 22577. Tel.-Adr.: Volkszeitung Heidelberg.

Derantwortl.: Für innereu. äußerepolitik,Volkswirtschaftu. Feuilleton: Or.
E.Kraus; für Kommunales u. soziale Rundschau: Z.Kahn; für Lokales:
O.Geibel; für die Anzeigen: H. Hoffmann, sämtlich in Heidelberg
Druck und Verlag der ilntcrbadischen Verlagsanstalt G. m. b. H., Heidelberg
Geschäftsstelle: Schrodcrstraße 3S.
Fernsprecher: Anzeiqen-Annahme 2673, Redaktion 2618._

für die werktätige Bevölkerung der Amtsbezirke Heidelberg, Wiesloch, Sinsheim, Eppinger», Eberbach, Mosbach, Buchen, Adelsheim, Boxbrrg
Tauberbifchofsheim und Wertheim.

Zur Ernährungsfrage.
Teilweiser Verzicht auf die Zwangswirtschaft.
Nur die Brotrativnierung bleibt wie bisher ausrecht erhalten.
Aus dem Reichsernährungsministerium wird berichtet:
,,, Im Reichstag sand am Samstag abend unter den: Vorsitz des
--cichsministers für Ernährung und Landwirtschaft, Dr. Her m e s,
?me Beratung der Ernährungsminister der Länder
«ber die zukünftige Getreide-, Kartoffel- und Fleisch-
Bewirtschaftung statt. Grundsätzlich stimmte die Versamm-
lung den Ausführungen des Neichsministers zu, baß mit allen Kräs-
"u duhin gestrebt tperden müsse, die Zwangswirtschaft so bald wie
jeglich überflüssig zu machen, und daß der beste Weg hierzu eine
'«ikräsiige Förderung der Landwirtschaft sei.
Hinsichtlich der Getreidebewirlschastung wurde vom Reichs-
minister für Ernährung und Landwirtschaft der Entwurf einer
N e ich sgetr e ideo rdn ung für die Erme 1920 vorgelegt.
Dieser hält sür Brotgetreide an dem bisherigen Bewirtschaftungs-
lvstem fest, weil mit Rücksicht aus die Sicherung der Volksernährung
e.Me Lockerung des Zwangssystems in diesem Jahre noch nicht mög-
lich erscheint. Ferner wird der Hafer wieder in die Zwangsbewirt-
ichastung einbezvgen, da die Freigabe des Hafers zu großen ttnzu-
"äglichkeiten, auch hinsichtlich der Bewirtschaftung von Brotgetreide
geführt hat. Dagegen sollen Hülsenfrüchte freigelassen werden.
Die Versammlung stimmte diesem Entwurf im wesentlichen zu.
wit Ausnahme des Vertreters einer Regierung, der für das Um-
lagesystem eintrat.
Für die Kartoffelbewirtschaftung wurde ein vom
Reichsausschuß der Deutschen Landwirtschaft zusammen mit dem
Großhandel und dem Deutschen Städtetag ausgearbeiteter Plan
dorgelegt. Dieser Plan, dessen ursprüngliche Gestalt im Reichs-
Ministerium für Ernährung und Landwirtschaft mit Rücksicht auf die
Sicherung der Volksernährung wesentliche Aenderungen erfahren
Natte, bezweckt die Ersetzung der Zwangswirtschaft durch ein S y -
nein von Lieserungsverträgen, und zwar soll auf die
Zwangswirtschaft verzichtet werden, wenn die Land-
lvirtschast auf diesem Wege bis zum 1. August 1920 120 Mil-
lionen Zentner zur Sicher st ellung des Bedarfs der
Arsorgungsberechtigten Bevölkerung zur Verfügung stellt. Dieser
Plan fand in der Versammlung geteilte Ausnahme. Ein Teil
nuninte der Vorlage zu, während die Vertreter einiger Regierungen
starke Bedenken dagegen geltend machten. Es besteht jedoch begrün-
de Hofsnmrg, auf diesem Gebiete entsprechend den gemeinsamen
Dünsche» der Laichwirtschaft und des Deutschen Städtetages durch
vag vorgeschlagene System eine Milderung der Zwangs-
wirtschaft schon in diesem Jahre herbeigeführt werden kann.
.. Hinsichtlich der F l.e i s ch b e w i r t s ch ast u n g erklärte sich
"je Versammlung mit der vorgeschlagenen Erhöhung der Viehpreise
"'»verstanden, die dringend notwendig ist, um die Preise für das
"bgelieferte Vieh mit den Produktionskosten in Einklang zu bringen.
. Die Entwürfe Wer die Getreide-, Kartoffel- und Fleischbewirt-
lchaftung werden in der nächsten Woche dem Reichsrat und dem 6.
Ausschuß der Deutschen Nationalversammlung zur Genehmigung
Unterbreitet werden.

Politische Uebersicht.
Die Gewerkschaft der Unternehmer.
,. Das Großkapital rüstet sich zum Endkampf. Es spannt
?'e letzten Kräfte an. Stinnes versucht die deutsche Presse mit
k'»en Millionen zu kaufen. Nun tritt auch der von dem Industrie-
u«d Handelskapital gegründete Hansabund auf den Plan. Er ver-
'"cht so viel Vertreter des Großkapitals, wie es ihm
Nur möglich ist, in den neuen Reichstag hineinzubringen und hat
stch zu diesem Zweck schon eine ganze Reihe Vertreter der
Deutschen Volkspartei und der Demokratischen
Partei, deren Haltung ja nie ganz entschieden ist, ge-
sichert. Um recht mächtig aus 'dem Wahlkampf hervor geh en zu kön-
nen, suchen die Großkapitaliften immer neue Summen in
'hrenWahlfonds fließen zu lassen. So verschickt der Hansa-
dund jetzt einen Aufruf an seine Mitglieder, färben Wahl-
-»mpf einen einmaligen Beitrag von mindestens 300
Markzu entrichten.
Achtung, Arbeiter! Seht Euch vor!
Laßt Euch von dem deutschen Großkapital
"'cht an die Wand drücken! Zeigt, daß kräftiger als der
Ulkssack der ernste Wille und die arbeitende Hand des Proletariats

Die deutsche Wirtschaftskommission in Paris.
, Zum Vorsitzende »der deutschen Wirtschafts-
' omnrissio n, die zum Zwecke von Verhandlungen nach Paris
«dgereift ist, wurde von der deutschen Regierung Geheimrat
Deutsch, Direktor der Allgemeinen Elektrizitätsgesellschaft (A. E.
d.) ernannt. Direktor Deutsch hat sich nach Paris begehen.
Ausnahmezustand und Reichslagswahl.
Berlin, 17. Mai. (W.B.) Der R e i ch s m i n i ste r des
.Ariern richtete an die auf Grund des Ausnahmezustandes ein-
Atzten Regierungskommissare nachstehenden Erlaß: Mit Nück-
<'Ht auf die bevorstehenden Neichslagsmahlen wurde erwogen, ob
in einem großen Teil des deutschen Reiches noch bestehende
sPbNahmezustaNd aufgehoben werden könne. Nach reiflicher Prü-
erscheint dies mit Rücksicht auf die gHamte wirtschaftliche und
i.Wsche Lage n i ch t a n g ä n g i g. Die Wahlagstawn darf jedoch
d.' nesfaUs eingeschränkt werden. Deshalb ersuche ich.
s Versammlungs- und Zeitungsverboten u n b c d i n g l av z u-
tzP e n, soweit nicht eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche
liechest und Ordnung vorliegt. Auch -sind alle auf diesen Ge-

Die StreMage in Frankreich.
Paris, 17. Mai. Di« streikenden Eisenbahner
in Nantes haben heute morgen beschlossen, die Arbeit morgen
früh wieder auszunehmen. Die Mechaniker des
Depots von St. Cyr werden die Arbeit am Donnerstag morgen
wieder aufnehmen.
Paris, 18. Mai. Die Besitzer der Metallwarenfabriken
-haben bekanntgegeben, daß, wenn die Arbeiter- die Arbeit nicht so-
fort wieder aufnehmen, sie sich veranlaßt sehen, ihre Fabriken zu
schließen, da sie ihre Oesen nicht in Brand lassen
könnten.
Die Kammer und der Streik.
Paris, 18. Mai. Die Kammer verwies den Gesetzentwurf
über die Reorganisation der Eisenbahnen an die
Kommission für öffentliche Arbeiten und eröffnete sodann die von
der Regierung sofort angenommene Diskussion der Interpel-
lation über den Streik.
Die Haltung Polens wird von den alliierten
Regierungen gebilligt.
Wien, 18. Mai. Nach Mitteilungen des polnischen Ge-
sandten Sareta an Pressevertreter hat der polnische Außenminister
Patek auf seiner Reise nach Paris, San Remo und Rom bei den
leitenden Staatsmännern volles Verständnis für die Hal-
tung Polens gegenüber Sowjetrußland gefunden. Der polnische
Vormarsch werde als notwendige Maßregel gewürdigt
Patek habe in Rom und Paris den Standpunkt vertreten, daß Polen
die Wiederherstellung seiner Grenzen von 1772 wünsche. Sareta
teilte ferner mit, Polen fei neuerlich zu Friebensverhandlungen be-
reit und bestehe nicht weiter auf Borysow als Verhandlungsort.
In der Danziger Frage würde Polens Verlangen nach Durchfüh-
rung des Versailler Vertrages Rechnung getragen. Günstig
stehe auch die Frage bezügl. Preußisch-Schlesien, wo die polnische
Regierung die A ufh e b u ng d e r de u ts ch e n S i ch e rh e i ts-
weh r e n im Plebiszit-Gebiet und die Regelung "der Kohlenfrage
wünsche. Zur Konferenz in Spaa werden Vertreter Po-
lens hinzugezogen werden.
Transportverweigerung von Kriegsmaterial.
Mailand, 18. Mai. Die Eisenbahner von Brescia
weigerten sich, einen von Frankreich kommenden Zug mit Kriegs-
material, das für Bukarest bestimmt war, weiterzuleiten, da es
sicher sei, daß das Kriegsmaterial zum Kampf gegen Sowjetrußland
Verwendung finden solle.
Die Frage der Kabinettsbildung in Italien.
Mailand, 18. Mai. Die Blätter bestätigen, daß die Be-
mühungen Bonomis, ein Kabinett zu bilden, vergeblich
waren. Der König hat daraufhin Nitti mit der Neubildung
des Kabinettes beauftragt. Der „Avanti" hält auch diesen Versuch
für aussichtslos. Die leitenden Kreise machten zurzeit einen Zer-
setzungsprozeß durch. Der Ausweg liege allein inNeuwahlen.
Rom, 18. Mai. In den Wandelgängen des Monte Citorio
erklärt man, der mit der Neubildung beauftragte bisherige Minister-
präsident Nitti beabsichtige, ohne Hast vorzugehen, bis er sich die
Mitwirkung der Personen, die er in Aussicht genommen habe, ge-
sichert habe. Bisher ist noch keine Nachricht über Annahme oder
Ablehnung irgendeiner angegangenen Persönlichkeit bekanntgewor-
den. Nitti hat übrigens noch -kein Angebot gemacht und steht noch
in den Vorbesprechungen mit den einzelnen Parteiführern
über die hauptsächlichsten Tagesfragen begriffen. Er wird morgen
seine Beratungen fortsetzen. Seine Freunde sind überzeugt, daß
seine Sondierungen zu einem günstigen Ergebnis führen und daß
es dem ehemaligen Ministerpräsidenten gelingen werde, ein solides
Ministerium auf ausgezeichneter Grundlage zu bilden.
Der Vertreter des internationalen Arbeits-
büros, Albert Thomas in Italien.
Rom ,17. Mai. Der Direktor -des Internattonalen Ar-
beitsbureaus, Albert Thomas, der sich in Rom aufhieit, um mit
dem Völkerbundsrat über diese Organisation angehende Fragen zu
beraten und die italienische Organisation um ihre Unterstützung zu
ersuchen, hielt im Beisein des Königs und vieler Hervorrigender
Persönlichkeiten im Ackerbau-Institut eine Rede über den Cha-
rakter und die Ziele der internationalen Arbeitsorganisation, die auf
demokratischer Grundlage aufzubauen sei. Arbeitgeber und Arbeit-
nehmer seien vertreten. Wenn bis jetzt noch kein internattonales
Parlament bestehe, so bestehe doch eine Vereinigung, die Entwürfe
ausarbeite, die sodann der Abstimmung des Parlaments eines jeden
einzelnen Landes unterbreitet würden. Die Texte der Verträge
gelten im Grunde genommen als starke politische und soziale Mittel,
hinter der die Organisation stehe. Eine große Zahl von Bestrebun-
gen der Arbeiter, die während des Krieges formuliert wurden und
schon jetzt das Bestehen der Arbeitskommission sicherten, die durch
den Vertrag und die gegenwärtige Organisation errichtet wurde. Es
sei nicht zu verheimlichen, daß man unter schwierigen Bedingungen
in Europa arbeite, das durch den Krieg aus dem Geleise geworfen
worden sei und wo man die vor 1911 erstrebte Einheit schwerlich
wiederfinden werde. Das Bureau habe die Pflicht, die Unruhen,
die gegenwärtig alle Nationen heimsuchten, wissenschaftlich zu unter-
suchen, was dauernd durchgeführt werden könne. Auch müsse cs
dazu beitragen, die furchtbaren Probleme, von denen die Zivili-
sation abhäirge, zu lösen und die Notwendigkeit erkennen, daß die
Produktion nur dadurch gehoben werden könne, wenn die Rechte
des Arbeiters und des Produzenten anerkannt würden. Das in
Versailles und Washington ausgearbciiete Gesetz stellte eine Charta
der Arbeit dar, die man hochachten und erhalten müsse, sie allein
könne der Welt Produzenten mit neuen» Geist geben, wie ihn die
Zivilisation brauche. Der Redner wurde warm beglückwüifcht.

für Versammlungen, die Vorlegung von Flugblättern vor ihrer Ver-
öffentlichung usw. aufzuheben. Eine völlig unparteiische
Stellungnahme allen politischen Parteien gegenüber ist unbe-
dingt geboten.

Eine neue unerhörte Herausforderung deutfchnationaler Studenten.
Professor Hugo Sinz heim er, der bekannte sozialdemokra-
tische Parlamentarier, Mitglied der Nationalversammlung und des
Untersuchungsausschusses, hielt in der Frankfurter Universität seine
Antrittsvorlesung. Dabei kam es zu einem Tumult unter
dem Auditorium. Eine Gruppe deutschnational gesinnte: -Studenten
versuchte fortgesetzt die Vorlesung zu unterbrechen, indem getrampelt
und mit dem Stock auf den Tisch geschlagen wurde. Schließlich aber
gelang es der Mehrheit der Zuhörerschaft, die Ruhestörer zum
Schweigen zu bringen. Mit Bezug auf diese Vorgänge ist eine
Erklärung der deutschnationalen Studenten-
schaft erschienen, in der es u. a. heißt: „Wir sind erbitterte Geg-
ner des Herrn Sinzheimer und werden jede Gelegenheit wahr-
nehmen, diesem Gefühl Ausdruck zu geben. Wir versagen ihm
unbedingt und ohne Rücksicht auf seine etwaige Bedeutung als Wis-
senschaftler nach der lächerlichen, um nicht zu sagen unwürdigen
Rolle, dis er als „homo politicus" in unserem Vaterlande
gespielt hat, jede persönliche Achtung. Wir empfinden seine Be-
rufung zum Lehrer an der Frankfurter Universität als Beleidigung
der nationalen Studentenschaft.
Es vergeht jetzt keine Woche, ohn« daß die Regierungshetze 'd«r
Rechtsparteien solche Exzesse verhetzter deutschnationaler Korps-
studenten zeitigt. Diese Frankfurter Lausbuberoi gilt dem Unter-
suchungsausschuß der Tatsache, daß die neue deutsche Republik es
gewagt hat, liebgewordene „Helden" des alten Systems als Schul-
dige an unserem! Elend vor ihren Richterstuhl zu ziehen. Man wun-
dere sich nicht, wenn die Kluft zwischen Student und Arbeiter, zwi-
schen Hochschule und arbeitendem Volk immer größer wird und wenn
unsere Arbeiter eines Tages ihre Steuergrsschen einer Institution
verweigern werden, die sich immer deutlicher zu einer Hochburg der
Reaktion auswächst.

Ausland.
Der amerikanische Eisenbahnerstret.
Von einem Mitarbeiter wird uns geschrieben:
Einen für die Vereinigten Staaten ganz neuen Charakter hat
der vor wenigen Wochen ausgebrochene Streik -er Eisenbahner ge-
tragen. Das Ziel war dasselbe, das jetzt in Frankreich, vor kurzer
Feit in England verfolgt wurde, die Sozialisierung, die Verstaat-
lichung oder, wie man das dort auch nennt, Nationalisierung zu
erreichen. Sie war in den Vereinigten Staaten während des Krie-
ges als zeitweise Maßnahme eingesührt worden. 1916 hatte Ml-
son bei den amerikanischen Bahnen, die alle Privatbahnen sind, zu-
erst die Berechtigung des Verlangens nach dem Achtstundentag und
nach erhöhter Ueberstundenbezahlung anerkannt, hatte dann im
Kongreß entsprechende Beschlüsse durchgesetzt, schließlich kurz vor
Eintritt der Bereinigten Staaten in den Krieg die Staatskontrolle
über die Bahnen und weiteren Lohnerhöhungen eingeführt. Erst
nach Beendigung des Krieges erzwangen die kapitalistischen Kreise
die Rückgabe der Bahnlinien an die einzelnen kapitalistischen Ge-
sellschaften. Die Eisenbahner aber, deren Mehrheit vor dem Krieg
von einer Sozialisierung nichts wissen wollten, waren durch die
günstigen Erfahrungen mit der Staatskontrolle zum Sozialisierungs-
gedanken bekhrt worden. Doch der diesen Zweck verfolgende rasch
aufflackernde Streik der Eisenbahner endete nach wenigen Tagen
mit ihrer Niederlage. Die Stimmung des Bürgertums, das über-
all die bolschewistische Gefahr sieht, war den Eisenbahnern durch-
aus ungünstig. Auch die Führer der Eisenbahner-Organisationen
hatten von dem unvorbereiteten Streik nichts wissen wollen. Herr
Mitchell Palmer, jetzt bas einflußreichste Mitglied des Wilsonkabi-
netts, ergriff scharfe behördliche Maßnahmen einseitig zu Gunsten
der Kapitalisten. Es bildeten sich bürgerliche lleberwachungsweh-
ren, welche den Streikern mit Ausweisung drohten. Kurz, der
Druck auf die Eisenbahner war so groß, daß sie unterliegen mußten.
Die Folgerung aber, welche die Arbeiterschaft in den Vereinigten
Staaten ziehen wird, kann nur die eine sein: Ob Eisenbahner, ob
Kohlen-, ob Stahl-, ob Textilarbeiter, sie haben alle ein gemeinsames
Klasseninteresse und können es nur vereinigt verteidigen.

Badische Politik.
Die schwarz-weiß-rote Fahne an der Freiburger Universität.
Eine Anfrage an die badische Regierung
Wir lesen in der „Volksmacht":
Die unglaubliche Provozierung der Freiburger Einwohnerschaft
durch das Heraushängen der schwarz-weiß-rotcn Fahnen an der
Universität anläßlich der Re'toratsübergabe ist in der „Volksmacht"
bereits beleuchtet worden. Die Universitäten sind in letzter Zeit
wiederholt als bi« Herde der Reaktion und als Pflegestätten feind-
seliger Gesinnung gegen, die Republik bezeichnet worden. In Frei-
bürg gibt es ein; Anzahl Professoren, die offenbar ihren Ehrgeiz
darein setzen, diesen Rus der Hochschulen zu rechtfertigen; schon wie-
derholt haben sie öffentlich zum Ausdruck gebracht, daß sie aus der
Passivnszeit des deutschen Volkes noch nicht soviel gelernt haben,
daß gerade die professorale oaterlandsparteiliche Politik es war, di«
Deutschland in den Abgrund stürzte. Bedeutet es schon ein großes
Entgegenkommen der Republik, daß sie aus Respekt vor der Wissen-
schaft die Lehrtätigkeit dieser Stützen, des alten. Systems duldet, ob-
wohl es ein offenes Geheim.ns ist, daß in manchem Hörsaal der
deutschnattonale Geist der amnatzlichen lieber Hebung, des Kasten-
dünkels und der feindseligen Gesinnung gegen die^ Republik eine
Heimstätte hat, so bedeutet es aber dock eine unerträgliche Verhöh-
nung der großen Mehrheit der republikanisch gesinnten Bevölkerung.
 
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