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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (2) — 1920

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Nr. 111 - Nr. 120 (15. Mai - 27. Mai)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44127#0066
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Tageszeitung für Lie werktätige Bevölkerung der Amtsbezirke Heidelberg, Wiesloch, Sinsheim, Eppinger», Eberbach, Mosbach, Buchen, Adelsheim, Boxberg
Tauberbischofsheim und Wertheim.

Bezugspreis: Monatlich einschl. Trägerlohn 3.50 Ml. Anzeigenpreise:
^le einspaltige Petitzeile (36 mm breit) 80 Pfg., Reklame-Anzeigen
M mm breit) r.20 Mk. Lei Wiederholungen Nachlaß nach Tarif.
- . Geheimmittel-Anzeigen werden nicht ausgenommen.
^eschastssiundcn: 8-V-6 Uhr. Sprechstunden der Redaktion: 11 -12llhr.
"»stscheckksni» k'arleruhe Nr. 22572. Tel.-Adr.: Volkszeitung Heidelberg.

Heidelberg, Montag, ^7. Mai ^920
Nr. ^2 » 2. Jahrgang

Derantwortl.: Fürinnereu. äußere Politik, Volkswirtschastu. Feuilleton: Dr.
(8. Kraus; für Kommunales u. soziale Rundschau: Z.Kahn; für Lokales:
O.Geibel; für die Anzeigen: H. Hoffmann, sämtlich in Heidelberg
Druck und Verlag der ilnterbadischen Verlagsanstalt G. m. b. H., Heidelberg
Geschäftsstelle: Schröderstraße 39.
Fernsprecher: Anzeigen-Annahme 2673, Redaktion 2648.


des Maingaus

„An alle!"
Heidelberg, den 17. Mai.
So ist der Wahlaufruf der U.S.P. überschrieben, der also
«nch an die Wählerschaft der S.P.D. ergeht. So schwer es uns
lallt, manchen überhitzten Demagogien dieses Flugblatts gegenüber
kaltes Mut zu bewahren, zwingen wir ans nachstehend doch leiden-
lchaftslos und rein sachlich das Wesentlichste -von dem hervor-
zuheben, was wir aus dem überspannten Dokument! mitunterschreiben
und was wir unbedingt verwerfen müssen.
Wir sind glücklich, die ersten drei Absätze über die furchtbaren
Schäden, welche der Menschheit durch das Kriegstreiben „der alten
herrschenden Klaffen" überall freventlich verursacht worden sind,
selbstredend vollauf unterschreiben zu können!
Was die Nationalversammlung betrifft, müssen wir erinnern,
daft die beschleunigten Wahlen zu ihr Ende 1918 von einer groben
Mehrheit des Reichskongreffes der Arbeiter- und Soldatenräte
beschlossen wurden; wobei ein entsprechendes Wahlrecht dafür
bürgte, bah die Parteischichtung der Nationalversammlung im we-
sentlichen mit der damaligen Parteischichtung und mit dem Willen
des gesamten deutschen Volkes übereinstimme. Gleichviel also, ob
der U.S.P.D. das Wirken einer solchen Nationalversammlung
su „jedem ihrer Beschlüsse" mißfiel oder, wie es bei der S.P.D.
der Fall ist, nur teilweise unbefriedigt ließ, -haben alle -bisher
unternommenen Usurpationsversuche, sich dem Willen der National-
versammlung gewalttätig entgegenzustemmen, ihre Aussichtslosigkeit
bewiesen. Autokratien und Diktaturen liegen in den politischen
Psychologien des Ostens, während die westeuropäische Bölkerfamilie,
Su der auch das deutsche Volk gehört, auf die Dauer eben zum Par-
lamentarismus neigt. Diese Auffassung des Grundcharakters der
pvlitischen Volksseele in Deutschland wird die S.P.D. veranlassen,
den Willen des kommenden Reichstags ebenfalls zu respektieren;
weil sie einen -erfolgreichen Kampf für das Proletariat auf die
Dauer nur mit dem Stimmzettel für möglich hält. (Gerade der
Falt von Bayern, den der Wahlaufruf der U.S.P.D. merkwürdiger-
weise zu Lasten der Nationalversammlung bucht, beweist die schli-eß-
llch unausbleibbaren Erscheinungen eines Bodens, auf welchem in
vntiparlamrntarischer Richtung herumexperimentiert worden ist...)
Wenn also der Wahlaufruf der -U.S.P.D. behauptet, die Entschei-
dung im- Kampfe zwischen Arbeit und Kapital würde „nicht durch
de» Stimmzettel herbeigeführt" werden, und die Beteiligung der
US.P.D. an den Wahlen geschehe „nur" zu Zwecken einer
»Heerschau" (der vermuteten Truppen zu künftigen Bürger-
kriegen? . . .), so kann ihr die S.P.D. auf diesem Wege der Her-
beiführung einer dann unausbleiblichen Reaktion (siehe auch Un-
garn, z. B. . . .-nicht folgen!
Der Wahlaufruf stellt dann aufs Konto der Nationalversamm-
lung -die Verluste an proletarischen Leben, die gelegentlich der bis-
herigen antiparlamentarischen Usur-pationsversuche entstanden. (Die
nus der Lust gegriffene Statistik dieser Revolutionsverluste, die -nach
dem Wahlaufrufe „nach Zehntausenden zählen, sind, nebenbei
bemerkt, mehr als aufs fünffache übertrieben.) Obschon wir diese
Verluste beweinen und natürlich weit davon entfernt sind, gewisse
Noskeiaden zu rechtfertigen, müssen wir doch darauf Hinweisen, daß
diese Verluste nur ein harmloses Kinderspiel in Vergleich zu den-
lenigen vorstellen, welche z. B. dem russischen Proletariat durch den
Antiparlamentarismus (Auseinanderjagung der Konstituante) in
seinen Bürgerkriegen entstanden sind und noch blusig fortdauern, um
die Machtmittel der Sowjetregierung zu behaupten und um dieselbe
bvr einer Ohnmacht zu schützen, die der Wahlaufruf der U.S.P.D.
der deutschen Regierung Vorwirft . . . Dieser Wahlaufruf behaup-
wt, hex Stimmzettel sei kein ausschlaggebendes sozialistisches Kam-pf-
wtttel; er betont die „verbleibende Notwen-digkei" eines wohl an-
ders gearteten „harten und zähen Ringens" im Kampfe der Klaffen
untereinander; er will „Heerschau" der Truppen dieses Klaff-en-
"UHens halten. Unwillkürlich entsteht der Gedanke, die U.S.P.D.
empfehle, dem deutschen Proletariat, die Kampfmethoden von Sow-
I-etrutzland sich anzueignen und also auch die entsprechenden Verluste
"schs zu scheuen . . . Wenn indessen unter Echtsozialismus und unter
Svziciltreue vor allen Dingen eine Schonung des Ledes und der
Wohlfahrt der Proletarier zu verstehen sei, so möchten wir fragen:
Wer sind eigentlich die „Scheinfozialisten" und die .Sozialverräter",
o>e im Wahlaufrufe erwähnt werden?? . . . Sind es die parla-
mentarischen Sozialisten oder die antiparlamentarischen?? . . . (Der
ästwPaufruf macht, nebenbei- bemerkt, der parlamentarischen Regie»
äum Vorwurf, -daß durch ihre Flucht der im -ganzen
viertägige Kapp-Putsch ohne Blutvergießen erledigt wor-
j " Pär, E sie also zur Vermeidung -der Flucht lieber Prole-
taner-Blut vergießen lasten?! . . .)
Der Wahlaufruf führt eine lange Liste diverser wirtschaftlicher
Plagen an, die als Folgen des fast fünfjährigen Weltkrieges -ent-
standen sind, und deren die parlamentarischen Regierungen Deutsch-
Psids binnen kaum anderthalb Jahren unter dem Drucke der feind-
llchen Forderungen des Auslands und bei den vielen innerlichen
Störungen durch Ufurpasionsversuche noch nicht Herr werden konn-
stn. Folgt denn hieraus, daß eme antiparlamentarische Regierung
'M Geiste der U.S.P.D. es imstande gewesen sei? Wenn jemand
wegen jahrelangem, gesundheitsschädlichem, wüstem Treiben auf
lchwerem Krankenlager darniederliegt und die Aerzte nur lang
' ? m die Atem- und Magenbeschwerden des Patienten sowie seine
Fieberhall-uzinationen und Tobsuchtsanfälle zu bannen imstande sind,
Mas soll man zu einem Kurpfuscher sagen, der als rasche und radi-
kale Genesung etwa eine Pilgerreise zum Heiligen Vater
vonMoskau befürwortet? . . . Man- kann ihn nur fragen: bist
M schon im dortigen proletarischen Schlaraffenland gewesen, hast du

Frankfurt heute morgen 4 Uhr geräumt.
Stellung von Geiseln verlangt.
Frankfurt a. M, 16. Mai. Wie die französischen
Behörden den hiesigen Amtsstellen heute früh mit-
teilten, beginnt dieRäumungFranksurts und des Main-
g a u e s am Mont a g, den 17. Mai, früh um 4 Uhr. Um wäh-
rend der Räumung unliebsamen Vorfällen vorzubeu-gen, forderten
die französischen Behörden für Montag früh die Stellung von
Geiseln, und zwar von Regierungsrat Lotz mann, Ober-
bürgermeister Voigt, Polizeipräsident Ehrler, Stadtvervrd--
netenvorsteher Hopf, Stadtrat Dr. Rumpf und Stadtverord-
neter Lien. Außerdem muß eine Bürgschaftssumme von
1 Million Mark hinterlegt werden. Wie wir hören, erhielt
die Polizei einen erheblichen Teil der ihr von den Franzosen- vor
einer Woche abgenommenen Gewehre zurück.
Die offizielle französische Mitteilung.
Paris, 16. Mai. General Rollet, der Chef der inter-
alliierten militärischen Kontrollkommission, bestätigte offi-
ziell, daß die deutschen Streitkräfte in der neutralen Zone die
vorgesehene Zahl nicht überschreiten. Infolgedessen hat Marschall
Foch den Befehl- gegeben, -die neu besetzten Gebiete
zu verlassen und die Besatzungstruppen an die ehemalige
Grenze des Brückenkopfes zurückzuführen. Die Rückzugsbewegung
wird Montag, den 17. Mai, stattfinden.
Die verfassunggebende Versammlung des
Freistaats Danzig.
Danzig, 17. Mai. Bei den gestern vorgenommenen
Wahlen zur verfassunggebenden Versammlung erhielten:
Deutsche Volkspartei 34, Sozialdemokratie 19, Unab-
hängige 21, freie wirtschaftliche Vereinigung 12, Zentrum 17,
Deutschdemokraten 10, polnische Partei 7 Sitze.
Landtagsmahlen in Braunschweig.
Braunschweig, 17. Mai. Bei den gestern im Frei-
staat Braunschweig abgehaltenen Wahlen zur Landesver-
sammlung wurden nach den vorliegenden nichtamtlichen
Ermittlungen in der Stadt Braunschweig abgegeben:
Sozialdemokratie 8128, Landeswahlverband (Bürgerliche
ohne Demokraten) 27244, Deutschdemokraten 6818, Kom-
munisten 1691, U. S. P. 28031. Bei den letzten Landtags-
wahlen im Dezember 1918 entfielen auf: Sozialdemo-
kratie 3166, Landeswahlverbano 14719, Deutschdemokraten
18124, U.S.P. 23071; die Kommunisten hatten keine
eigene Liste aufgestellt.
sDieses Wahlergebnis in Braunschweig bedeutet eine
gewaltige Niederlage der demokratischen Partei zugunsten
des bürgerlichen Rechtsblocks.j
Das Ergebnis der Schweizer Völkerbunds-
abstimmung in der Schweiz.
Bern, 16. Mai. In der heute stattgehabten Volksabstim-
mung wurde ber Beitritt der Schweiz zum Völkerbund mit 41V 000
gegen 320 OVV Stimmen beschlossen. Die Stimmbeteiligung betrug
durchschnittlich 80 Prozen.
Die Ergebnisse der einzelnen Kantone.
(Priv.-Tel. der Franks. Ztg.)
Zürich, 16. Mai. Obwalden 1802 ja, 1267 nein,
Luzern 18532 ja, 14353 nein, Uri 1008 ja, 3410 nein,
Schwyz 2499 ja, 8285 nein, Niedwalden 1391 ja, 1014
nein, Glarus 2289 ja, 4520 nein, Zug 2845 ja, 3145 nein,
Solothurn 9819 ja, 15024 nein, Basel-Stadt 10686 ja,
12030 nein, Schaffhausen 4360 ja, 6557 nein, Appenzell-
Außerrhoden 5564 ja, 5377 nein, Appenzell-Jnnerrhoden
1266 ja, 1270 nein, Thurgau 16221 ja, 11445 nein, Tessin
15174 ja, 2849 nein, Neuenburg 23022 ja, 4135 nein.
Zürich, 46280 ja, 66887 nein, St. Gallen 24302 ja,
28482 nein, Graubünden 11933 ja, 8846 nein (60 kleine
Gemeinden fehlen noch), Aargau 18014 ja, 33182 nein,
Genf 24500 ja, 5100 nein, Bern 65443 ja, 56014 nein.
Zürüch, 16. Mai. Abstimmungsergebnisse aus den
noch ausstehenden Kantonen: Wallis 14294 ja, 4429 nein,
Waadt 63284 ja, 4800 nein, Freiburg 20080 ja, 6101 nein,
Basel-Land 5545 ja, 9141 nein.

den behaglichen Wohlstand -und- Frieden des dortigen Proletariats
gesehen und von seinem ü-berflietzenden Milch und Honig gekostet?
Der deutsche „Kommunist" hat wenigstens einen visierten Reisepaß
nach Moskau und kann auf Protektion rechnen. Aber bist du ein
„Unabhängiger", so bist du, aller Anbiederungen- ungeachtet, für
das Moskauer Kardinals-Kollegium nur -ein verpönter Schisma-
tiker und, magst du auch noch so geduldig und schüchtern unter -der
Schimpf-Fuchtel deines deutschen Linksbruders, ohne Widerspruch
zu wagen, dich winden und -drehen, er -denunziert dich doch bei der
Moskauer Großinquisition als lähmenden und gefährlichen Häreti-
ker! . . . Wohin willst du also, unglückselige Tochter der S.P.D..
wenn -er Sowjetmann, in den du dich verliebt hast, von dir nichts

-wissen will? ... Würdest du ins vermeintliche Moskauer Prole«
tarier-Eldvrado gelangen können, so würdest du über die dortigen,
vom Weltkrieg, von den Revolutionen und Bürgerkriegen verur-
sachten- wirtschaftlichen Nöte der Proletarier das Memento
mori des bekannten Liedes wehmütig singen hören: „Im Geister-
hauch tönts mir zurück: dort, wo wir nicht sind, dort ist das
Glück!! ..." "
Was im Wahlaufruf der US.P.D. über das „Privateigen-
tum" gesagt ist, können wir mit der einschränkenden Maßgabe ruhig
unterschreiben, daß (wie es unsere Tochterpartei anscheinend auch
meint) es sich hierbei um die Abschaffung des Privateigentumsrechts
nur auf Produktionsmittel (!) handelt. Denn nur diese Ab-
schaffung ist marxistischer Sozialismus, nicht (!) aber die Abschaffung
etwa jeglichen Privateigentumsrechts, wie es die Kommunisten zur
Rekrutierung beutelustiger Mitläufer (vielleicht gegen ihr eigenes
besseres sozialistisches Wissen) gleichsam durchblicken lassen. Di«
Extrabetonung des zitterten grundsätzlichen Unterschieds ist insofern
sehr wichtig, als große Massen des Kleinbürgertums und der Klein-
bauern, die eigentlich über gar keine nennenswerten „Produktions-
mittel" verfügen und auch vom Großkapital nur ausgebeutet wer-
den, hauptsächlich durch das von den Kommunisten -unterhalten«
zweideutige Mißverständnis davon abgehalten werden, ihrs Stim-
men -den sozialistischen Parteien zu -geben.
In diesem Änne geben wir mit Freude und Genugtuung fol-
genden Wortlaut aus dem Wahlaufrufe wieder, den wir mitunter-
schreiben: -
„Zur Arbeiterklasse gehören alle, die nicht von (der
Ausbeutung) derArbeit anderer leben. Arbeiter ist der
Lehrer, Arbeiter ist der im Verkehr und Handel tätige Angestellte
-und Techniker, Arbeiter ist der Wissenschaftler und Künstler, Ar-
beiter ist der Kleinbauer, der selbst den Pflug über den Acker
lenkt. Auch der Kleingewerbetreibende ist Arbeiter. Er lebt in
derselben Abhängigkeit vom Großkapital wie der Besitzlose.
Darum müssen sie alle in unsere Reihen treten und -die sozia -
listische Front stärken." -
Wir bemerken hierzu nur noch, daß oben natürlich nur wich-
tige B e i s p i e l e, nicht aber eine etwa erschöpfende Liste aller der-
jenigen Gesellschaftsschichten und Berufe aufgezählt sind, die, (wenn
sie durch mißverständliche Utopien -diverser Radikalinskis nicht ab-
geschreckt sein würden) zur „sozialistische n" (!) Front gehören
könnten, und zwar mit der freien Wahl, sich je nach Geschmack
entweder zur Mutter- oder zur Tochterpartei der „Sozial d e m v
traten" zu gesellen!
In bezug auf den zitierten „Geschmack" -bei der Wahl mochten
wir allerdings (man verzeihe uns -das „pro domo sua" . . .) damit
die Besprechung des Wahlaufrufes unserer Tochterpartei schließen,
daß wir den Interessenten das kluge französische Sprichwort in Er-
innerung -bringen: „Le mieux est l'enncmi du bien." Auf deutsch
bedeutet es:
Das Bessere ist der Feind des Guten!! . . .

Politische Ueberficht.
Die Wiederaufstellung Erzbergers.
Stuttgart, 14. Mai. W.B.) Der Parteitag der würt-
tembergischen Zentrumspartei wählte Erzberger mit 356 gegen
27 Stimmen bei 3 Enthaltungen wieder zum Kandidaten- für die
Reichstagswahlen.
Ein neues Attentat auf Erzberger.
Mannheim, 15. Mai. Das hiesige „Vvlksblatt" berichtet
aus Eßlingen (Württemberg): Nachdem gestern nachmittag der
frühere Reichsfinanzminister Erzberger vom württemberg-ischen
Parteitag mit glänzender Stimmenmehrheit wieder als Reichstags-
kandidat aufgestellt wir, hielt er am Abend hier eine W ä' ^l e r -
Versammlung ab. Gegen Schluß der Versammlung, die glän-
zend verlaufen war und nur durch sehr erregte Zwischenrufe von
deutsch-nationaler Seite immer wieder gestört wurde,
wurde während der Aussprache eine Bombe durchs Fenster in den
Saal geworfen. Diese fiel aber nicht auf die Bühne, sondern in
einen Gang, wo sie krepierte. Es war ein großes Glück, daß sie
nicht durch das nächste Fenster geworfen worden war, -da sie in
diesem Falle auf der Bühne krepiert wäre und unabsehbares Unheil
angerichtet hätte. Verletzt wurde durch dieses Attentat niemand,
aber nur dem sehr ruhigen und tatkräftigen Eingreifen des Reichs-
tagsabgeordneten Andre gelang es, einigermaßen Ruhe herzustellen
und eine Panik zu verhindern.
Dazu erfährt die "Neue Bad. Landesztg." -von ihrem Sonder-
berichterstatter: . , ...
Eßlingen, 15. Mai. Gestern Freitag abend sprach hier
in Kugels Festsaal Erzberger zwei -Sunden lang vor mehr als
2000 Personen. Sodann begann die Aussprach e. Im Saal
befand sich -eine S p r e n g k o l o n n e, die sich aus auswärtigen
Elementen zusammensetzie. Gegen 2410 Uhr wurde von der Straße
aus durch ein Fenster eine Handgranate geschleudert, die im
Kleiderablageraum platzte und dort große Verheerungen anrichtete.
Auch einige Splitter fielen auf das Podium des Saales. Verletzt
wurde nienrand. Im Saal «mstanb eine große Panik., Alles floh
auseinander. Heute -vormittag wurde als v e r m u tl i ch e r. Al-
te nt äte r ei n Stu tt g a rt e r se rha fte t und -im Laufe des
heutigen Tages werden noch wettere Perhafungen von aus Cutt-
gart hierher gekommenen Personen erwartet. Die Sprengkolonne
und die Attentäter gehören nicht dem ArbeittrslarK-c, sondern rechts-
gerichteten .streifen an.
 
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