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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (2) — 1920

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Nr. 171 - Nr. 180 (27. Juli - 6. August)
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Tageszeitung für die werttätige Bevölkerung der Amtsbezirke Heidelberg, Wiesloch, Sinsheim, (Appingen, Sberbach, Mosbach, Buchen, Adelsheim, Doxberg
Tauberbifchofsheim und Wertheim.

Bezugspreis: Monatlich einschl. Trägerlohn S.— Mk. Anzeigenpreise:
Die einspaltige Petitzeile sZ6 mm breit) 8V pfg., Reklame-Anzeigen
lv3 mm breit) 2.20 Mk. Lei Wiederholungen Nachlaß nach Taris.
Geheimmittel-Anzeigen werben nicht ausgenommen.
Geschäftssiunden: 8- '/,6 Uhr. Sprechstunden der Redaktion: 11 -12tthr.
Postscheckkonto Karlsruhe Nr. 22Z27. Tel.-Adr.: Volkszeitung Heidelberg.

Heidelberg, Samstag, Alt. Juli ^920
Br. ^25 » 2. Jahrgang

Derantwortl.: Fürinnereu. äußere Politik, Volkswirtschaftu. Jeuilleton: Dr.
E.Krausi fürKommunales u. soziale Rundschau: I.Kahn,- für lokales:
V.. Z-Kahn, für die Anzeigen: H. Hoffmann, sämtl. in Heidelberg
DruckundVerlag derllnterbadischen Derlagsanstalt G.m.b.H., Heidelberg
Geschäftsstelle: Gchröderstraße ZS.
Fernsprecher: Auzeigen-Annahme 2673, Redaftion 2648.

UM MkS M dkl WMSÜk
WtllMS.
Von Saly Erünebaum-Karlsmhr.
Heute vor 6 Nahem würbe Jean Iaurds, -er grobe
französische Sozialist und pazifistische Staatsmann ermordet.
Die Anerkennung seiner Bedeutung ist in so hohem Matze eine
Selbstverständlichkeit geworden, daß man für ihn wie für alle
Großen -er Menschheit nur wünschen mutz, er möge „weniger
erhoben uns fleißiger gelesen" werben.
Gleich groß als Rechner und Massenführer wie Äs Politiker
MH Pazifist, hat sich -er am 31. Juli 1914 ermordete Sean Sau-
res einen nicht minder groben Namen als Schriftsteller geschaffen,
der -in seinen Werken sowohl Bannerträger rote Organisator der
sozialistischen Idee war. Gegenüber den großen bahnbrechenden
Kritikern der kapitalistischen Gesellschaftsvvdnung ist es hierbei vor
Älem ein Verdienst, die aufbauenden Wege zur sozialistischen Ge-
sellschaftsordnung zu weisen, die er mit friedlichen Mitteln, wie sie
sich organisch aus der Entwicklung des Kapitals ergeben, zu
begehen, suchte. Diese Marschlinie verbindet ihn mA den v. Vvll-
Mar-Bernstein-Fraük m Deutschland, den Ramsay-Mac-donald,
Keir Hardie N England, während er von Karl Marx, dem er
die Verbindung des sozi-alistischan Gedankens mit dem Proletarier-
leben als „das entscheidende Verdienst" -nachrühmt, die Forderung
auf Aufhebung der Kliasienunterschiede durch Uebertragung des Be-
sitzes der Lebens- und Produktionsmittel an die „allgemeine Ge-
nossenschaft der vereinigten Bürger" übernimmt. Gleich Karl
Marx verwirklicht sich ihm der Sozialismus „durch -die Zunahme
des Proletariats, das sich mit ihm verbindet". So „bedeutsam und
inhaltsreich" diese Antwort auch ist, sie „genügt nicht mehr", denn
„in dem Matze, wie sich die proletarische Macht verwirNcht, ver-
körpert sie sich in bestimmten Formen: dem allgemeinen Wahl-
recht, der Gewerkschaft, -der Genossenschaft und in den verschicden-en
Formen der öffentlichen Macht und des deino-kratischsn Staates"
als Träger des neuen SLaatsKLbaulrirs mit dem Mllrn der über-
wältigenden Mehrheit des Volkes im Hintergrund:
„Nene großen sozialen Wandlungen, die man Revolutionen
nennt, können nicht oder können- nicht mehr das Wer-k einsr Minorität
sein. Eine revolutionäre Minorität, sei sie noch so klug und noch so
energisch, reicht nicht aus, wenigstens nicht in der modernen Gesell-
schaft, um die Revolution durchzu-führen. Sie bedarf der Mithilfe,
dos Beitritts der Majorität — der ungeheuren Majorität. Das ist
bei der Revolution von 1789 klar ersichtlich. Sie ist nur darum aus-
gebrochen, sie hat nur -darum ihren Zweck erreicht, weil -die ungeheure
Majorität, man könnte wohl sagen: nahezu die Gesamtheit des'Volkes
sie wollte. Tine Klasse, die aus der Demokratie hervorgegangen ist
und die statt sich dem Gesetze der Demokratie anzupassen, ihre Dikta-
tur über die ersten Tage der Revolution hinaus -fortfetzt, wäre bald
nichts anderes, als eine Räuberbande, die auf -einem Gebiet lagert
und die Reichtümer des Landes mißbräuchlich aufzehrt."
Von diesen Gesichtspunkien ausgehend, entwickelte James
Perspektiven -er Entwicklung, wobei er scharf -mit der Katastrophen-
theorie abr-echn-et:
„Nicht durch den unvorhergesehenen Stotz politischer Aktionen
wird bas Proletariat zur Macht gelangen, sondern durch die methodi-
sche und legale Organisation seiner eigenen Kräfte unter dem Gesetz
der Demokratie und es allgemeinen Stimmrechts. Nicht durch Zu-
sammenbruch der kapitalistischen Bourgeosie, sondern durch das Er-
starken des Proletariats wird die kommunistische Ordnung sich allmäh-
lich in unserer Gesellschaft einführen. Ich wage zu behaupten, datz
der Arbeiterklasse, um im Staate eine bedeutende Kraft zu sein, heute
nur eines mangelt, nämlich die Erkenntnis, wie viel sie durch eine
planvolle Aktion innerhalb der Demokratie vermag. Diejenigen, die
abwechselnd von dem -Stimmzettel und der Flinte sprechen, -LftjeMgcn,
die jo nach der ougenblicklicheen -Gunst und Ungunst -des allgemeinen
Stimmrechts ihm änvertrauen oder mißtrauen, stören durch die Zu-
sammenhanglosigkeit ihren Stimmungen den Vormarsch der Partei."
Nicht etwa um opportunistischen AugeM-icks-erfo-lgeu rr-achzu-
larifen, befürwortet dabei James eine Po-liÄk -der planmäßigen -all-
mählichen Reformen, sondern -es -geschieht aus der Situativn
der Arbeiterklasse 'heraus, aus dem Zwange -der ökonomischen- Ver-
hältnisse:
„Die Arbeiterklasse drängt nach Reformen, ich meine nach baldi-
gen, unmittelbaren Reformen. Sie -bedarf ihrer, um zu leben, um
nicht unter der Last niedergedrückt zu werden, um mit festen Schritten
-der Zukunft entgegensetzen. Nicht allein, weil wir alle leben müssen,
aber nur leben können, indem sie produzieren, nicht allein, weil eine
äußerste Ueberspannung des Kampfes auf die Dauer -die moralischen
Kräfte erschöpfen würde, greifen notwendigerweise gütliche Abkommen
und Verträge Platz sondern auch weil die beiden -in Fehde liegenden
Klassen ein wesentliches Interesse daran haben, die Zukunft der Pro-
duktion zu schonen, von der in der kapitalistischen Gesellschaft der Pro-
fit der einen und Arbeitslohn der anderen abhängt und von der in
der kommunistischen Gesellschaft das Wohl aller abhängen wird."
Mit dem vagn Verlangen nach Reformen, in dem einseitige
„radikale" oder auch „praktische" Agitationsn-a-luren ihre volle Bs-
-fri-sdigupg finden, ist es jedoch -einer positiven Schöpferg-e-st-aft wie
staurds nicht getan: gerade die Anhänger einer konstanten Ent-
wicklung zum Sozialismus sind verpflichtet, „mit der bestimmte«
Klarheit zu- sagen, welcher gesellschaftlichen Form -sie dis Menschen
1Mb Dinge Zufuhren Wollen und durch welche Einrichtungen und
Gesetze" sie ihr Ziel -erreichen woll-e-n-. 8n „Theorie und Praxis"
-gleich gut zu Hause, entwirsi er -in.scharfen Umrissen ein delailli-er-
't-es Reformprogramm, bas aus den sozialistischen Einschlägen der
Kapitalistischen WirsschastsorL-nung -io kommunistischen Wirtschafts-
formen in langsamer steter Entwicklung heraus-wachsen sieht. Da
man infolge -er Unbestimmtheit des kapitalistischen Eigentums die
mittleren und kleineren Besitzer „nur durch präzise -und fein a-bge-
stufte, ihr Interesse vollkommen wahrende Umfor-münigen dafür ge-
winnen kann, -einer Umwandlung -des 'ka-pftal-Wschen- Eigentums -in
ein sozialistisches Eigentum zuzustimmen, -wird die Majorität öer
Volksgenossen die letzten Stufen des kapitalistischen Systems nicht

eher abbrechen, als bis das Fundament der sozialistischen Ordnung
tzÄsgt worden ist und -das neue 'Gebäude den Menschen einen
Schuh -wirb bieten können". Eine falsche Methode ist deshalb noch
Iaurtzs der revolutionäre Generalstreik, -her. bi« Arbeiter ohne wei-
teres vom Bergwerk, von den Fabrik Besitz ergreifen läßt, da sie
damit nm, „einen Leichnam vor sich haben, denn das Bergwerk,
die Fabrik sind nur tote Körper, wenn die ökonomische Zirkulation
und di« Prvbüktion- eingestellt sind": „die Lokomotiven anhal-ten,
die Schiffe unbeweglich machen, den Maschinen die Kohlen versa-
gen, — das heißt: an die Stelle des einheitlichem- und allgemeinen
Lebens der Ration das zerstreute Leben unzähliger örtlicher Grup-
pen setzen". Deshalb -mutz sich der Einfluß der- Arbeiterklasse auf
Staat und Wirtschaft organisatorisch -verstärken:
„Beim Budget müssen durch den Einfluß der Demokratie und
-es Proletariats dw Klassenausgaben nach Möglichkeit -eingeschränkt
werden, div Ausgaben zum gemeinschaftlichen Nutzen erhöht und ein
immer größerer Teil der öffentlichen Einnahmen zur Befreiung der
'Arbeiterklasse verwendet werden. Was wird die bereits begonnene
soziale Revolution machen, wenn sie am Endziel ihrer Entwicklung an-
gelangt sein wird? Sie wird ohne Zweifel eine ganz neue Eigen-
bumsordn-ung schaffen: an Stelle des bürgerlichen und kapitalistischen
Eigentums wirb sie bas Gemeineigentum an den Produktionsmitteln
setzen. Aber in Hinsicht aus die expropriierten Individuen kann es
sich sehr wohl nur um eine Veränderung der Eigentumsform handeln.
Nichts hindert uns, anzunehmen, datz die heutigen Besitzer des Eigen-
tums beispielsweise für eine bestimmte Periode eine Anweisung auf
die Erzeugung der kollektivistischen Produktion erhalten. Wenn e:st
-die kapitalistischen Anlagen, Bergwerke und Eisenbahnen, verstaatlicht
sind, wird die Arbeiterklasse ein großes Interesse -daran haben, daß
die gewerkschaftlichen Organisationen in -diesen Betrieben dem Staate
bei der Verwaltung und der Kontrolle der neuen öffentlichen Dienste
beigeordnet werden. Sie wird ein -großes Interesse daran haben, zu
verlangen, baß ein Teil der Aktien bei -jedem Unternehmen rechtmäßig
-en Arbeitelovgamsationen reserviert werde, damit endlich nach und
nach das Proletariat bis zum ZeMrum der kapitalistischen Macht vor-
bringen und damit aus der alten- die neue Gesellschaft erstehen möge
mit jener unwiderstehlichen Macht, revolutionärer- -Evolution, von der
Marx gesprochen hat. Es wird notwendig sein, daß die Arbeiterklasse
als Gesamtheit in den Berwaltungsräten der Aktiengesellschaften und
bei der Festsetzung der Dividende durch ihre Verbände aller Grade
vertreten wird. Dann wird der Weg gebahnt sein, der etappenweise
zu einer vollständigen Sozialisierung führen kann."
Die Verwirklichung dieses kühnen Refor-mprogramms
— das in mancherlei Hinsicht wie so manch -anderer Gedanke des
großen Sozialisten der Entwicklung der deut,schm Republik parallel
läuft — erfolgt jedoch „durch den mehr oder minder freiwilligen
Beitritt der Majorität der Nation zu bsn nach und nach von der
sozialistischen Minorität gemachten Re-fvrMvorWägen". Deshalb
beidarf es vor allem neben der Arbeiterschaft der tatkräftigen Mit-
hilfe der Bauern:
„Wenn die Bauern nicht mit uns sind, werden sie gegen uns sein.
Da der Kollektivismus die Mitwirkung der Bauern «zur Vorausset-
zung hat, da z. B. notwendig ist, daß sie bereit sind, ihre Erzeugnisse
an die gesellschaftlichen Vorratsinagazine zu verkaufen, so würde ihr
passiver Widerstand hin-reichen, die Revolution auszuhungern und zu
stürzen. Die Zustimmung der -bäuerlichen Besitzer ist umso notwendi-
ger, als im Verhältnis au ihrer Zahl die Zahl der Großgrundbesitzer
äbmmmt. Aber sie werden ihre Zustimmung keiner plöHl-ichen Bewe-
gung geben, deren Wirkung sie nicht absehen können. Sie werden sic
nur einer Bewegung gewähren, die sie selbst mit geplant haben, die
-durch die stete Vermehrung ihrer Produktionskraft und Verbesserung
ihrer Lebenslage sie über Ziel -und Zweck -er sozialistischen Aktion
Vollkommen beruhigen wird."
Den Rahmen für di-e Verwirklichung -des Sozialismus lie-
fert hierbei die Nation, weshalb der Satz „Die Arbeiter haben
kein Vaterland" dem großen Franzosen nur „«-ine le-idsnschaft!iche
Laune" bedeutet, „die sarkastische Vereinigung der Geschichte selbst
und alles dessen, was die Eigenheit und Kraft der marxistisch««
Dialektik ausmacht"; -er bedeutet ,-den Gedanken der Tirade vp- -
fern". So wird ihm -der Patriotismus verölWd-rn mit der
Idee der Freiheit bei völliger Ausschaltung jeglicher nationalistischen
Geste hehrste Pflicht, die er in der „Neuen Armee" in ein gewaltiges
Vert-eidigu-ngssystsm zu bringen sucht:
„Keine Demokratie, auch nicht die friedenssi-cundlichste, konnte je
Wurzel fassen und sich dauernd behaupten, ohne sich für die nationale
ttnabbängig-keit haftbar zu mache». Keine Nation, auch nicht die
militärisch bestgerüstete, konnte sich konstituieren oder retten, wenn sie
»richt dis zu einem gewissen Grade die revolutionären Kräfte der
Freiheit zu Hilfe rief. Ich bin -immer überzeugt gewesen, daß das
Proletariat in seinem innersten Wesen keiner Lehre des nationalen
Verzichts, der nationalen Knechtschaft zustimmcn kann. Wo immer es
«in Vaterland, das heißt eine historische Kruppe gibt, die sich ihrer
Kontinuität und Einheitlichkeit bewußt ist, da ist jeder Angriff auf die
Freiheit und Unabhängigkeit ein Rückfall in Barbarei. Die Behaup-
tung. die Proletarier, vom Kapital geknechtet, könnten durch Einfall
und Eroberung nicht in schlimmere Knechtschaft geraten, ist kindisch-
Sön'cht."
Nus diesem iiefinnerl-ichen Patriotismus heraus bekämpft
Iaucks mit dem ganzen Schwung ssin-es gewa-ltiHe-n Tempera-mer-'s
dem Krieg, da er die Umtbhän-Mskst der Rationen aufs schwer-
ste gefährdet Md die organische- Äus-wärtsLNlwickkmg der Mensch-
heit -hemmt. Deshalb stellt der die Zukunft durchdringende pazifi-
stische Staatsmann seiner patriotischen Kenntnis zur Se-i-tr den 8n-
kemationaiismus, den Völkerbund, das internationale Schirdsgs-
r.q,.. * verständigen Vaterländer müssen- mit intei-natisnalem
Geist du cchdrungen werden; unter -em Schuhe -es Weltfriedens muß
durch die vereinten Kräfte der Arbeiter aller, Länder die Entwicklung
-der sozialen Gerechtigkeit gesichert werden. Aber Demokratie und
Nation bleiben die wesentlichen -Grundbedingungen jeder weiteren und
döberen Entwicklung. Nur durch den freien Bund autonomer Nativ-
mm die alle Gewoitstreiche verdammen und sich allgemeinen Rechts-
normen unterwerft», kann die nwnschliche Einheit verwirklicht werden.
Aber das ist nicht die Abschaffung der Vaterländer, sondern ihre Ver-
edlung."
Sa hat Jean James dem aufbauend-en Sozialismus ein Te-
stamM -von EMgke-ilsheh-eukung hinterlassen, Hessen a-lkm-äh-

^hch e Vollstreckung mit -unbeugsamer- Tatkraft und woitschauenb
frischem Reformgeist gemäß seinem Sinne eine sich konsta-nd fort-
s-etzende Aufgabe der Sozialisten, aller Länder sein müßte, da dies
gleichzeitig -der einzige Weg ist, Europa und seine Kultur vor
der Götterdämmerung zu retten.

Militärgerichtsbarkeit und allgemeine Wehr-
pflicht aufgehoben.
... Berlin, 31. Juli. Der Reichstag hat -en Gesetzentwurf
über die Abschaffung-er allgemeinen Wehrpflicht
in allen drei Lesungen angenommen. Die Deutjchnationalen und
emige Mitglieder der Deutschen Volkspartei haben dagegen ge-
stimmt. Bei der Beratung kam es zu stürmischen Auseinander-
setzungen Mischen der Rechten und -er äußersten Linken.
Der Gesetzentwurf, die Aufhebung der Militärge-
richtsbarkeit betr., wird in 3. Lesung mit mehr als Zwei-
drittelmehrheit angenommen.
Herabsetzung der Braunkohlenpreise.
Berlin, 30 Juli. In einer bis in die späten Abendstunden
dauernden Sitzung beriet -der Reichskohlenverband zusammen mit
dem großen Ausschuß -des Reichskohlenrates gestern über die Her-
absetzung der Bra unk ohl-c nprei s e. Nach einer unter
dem Vorsitz des Staatssekretärs Dr. Hirsch abgehaltenen Vor-
besprechung beschlossen beide Körperschaften, den Preis für das
mittel- und ostdeutsche Revier bei Briketts um 19 Mark j« Tvn-ne,
bei R-ohbraunkohle um 9 Mark je Tonne herabzus-etzen, für das,
rheinische Gebiet den Preis für Briketts um 12 Mk., für Roh-
braunkohl-e um 6 Mk. herabz-uminöern. Hierzu kommen- für die
Verbraucher noch 20 Prozent -der obigen Beträge, welche -an Koh-
lensteu-er gespart werden. Der Beschluß bedeutet «ine Herabsetzung
der Braunkvhlenpreise um etwa 12 bis 15 Prozent und stellt einen
erheblichen Fortschritt auf dem Wege -des -allgemeine» Preisab-
baues dar.
Der Reichswirtschaftsrat zur Aufhebung der
Zwangswirts ch aft.
Berlin, 31. Juli. Der Unterausschuß des Reichswirtschafts-
rates für Landwirtschaft und Ernährung beschäftigte sich in seinen
beiden ersten Sitzungen am 28. und 29. d. M. mit der Frage der
Bewirtschaftung der Kartoffeln uck> des Fleisches. Die
Regierung hatte dem Ausschuß einen Entwurf einer Verordnung
zur Begutachtung vorgelegt, die als Uebergangsmaßnahme und zur
Vorbereitung der freien Vieh- und Fleischwirsschaft die Aufhebung
der Fleijchkarte Vorsicht, die durch örtliche Kundenlisten ersetzt wer-
den soll. An Stelle der Kundenlisten soll auf Wunsch einzelner
Lätcherregierungen aber auch dir Einführung der Gemeindesleisch-
karte zulässig sein. Der Verordnungsentwurf schlägt ferne» vor,
die Flerschversorgung der Selbstversorger dadurch zu verbessert -aß
in Zukunft nicht mehr die Gewichtsmenge, sondern ganze Schlacht-
tiere als BerechnungsgruMage der Selbstversorgerrationen zuge-
lassrn werden können. Daneben sind noch einige andere Bestim-
mungen zur Erleichterung für die Selbstversorgung mit Fleisch vor-
gesehen. Der Ausschuß- -er sich nur gutachtlich zu äußer» hatte,
erklärte sich mit großer Mehrheit gegen die Verordnung. Sein»
Hauptbedrnken war, daß durch dis Annahme der Regierungsver-
ordnung, dis eine wettere Belieferung der Gasthöfe vorsieht, eine
starke Bevorzugung derjenigen Kreise eiutreten muß, die in
den Gasthöfen ihre Mahlzeiten einnehmen. Zwar besteht die-
ser Zustand tatsächlich heute schon, ihn aber gesetzlich festzulegen, er-
schien dem Ausschuß bedenklich. Die Aussprache, die sich nicht nur
auf die vorliegende Verordnung beschränkte, sondern auch eingehend
die Gründe für und wider die Fortdauer der Zwangswirtschaft er-
örterte, endete mit der Annahme eines Beschlusses, wonach das Gut-
achten des Ausschusses auf Aufhebung der Zwangswirsschaft nach
einigen Monaten bei vorläufiger Beibehaltung -er Fftischkarte
lautet: Die Aushebung soll erst erfolgen, wenn gewisse Uebergangs-
maßnahmrrr. wie die Schaffung von Fleischreserve», die Einfuhr
von Fnüer-niteln und der Abschluß von Lieferungsverträgen -durch-
geführt worden seien. — Bezüglich der Kartoffe! wirtschaft
wurde die Aufhebung drr Bewirtschaftung der Herbstkartoffeln ein-
stimmig beschlossen. Auch hier wurde jedoch die Aufhebung der
Zwanaswirtschaft an die Bedingung geknüpft. Laß die Gemein-
den durch Abschluß von Lieserungsverträgen ein Quantum von 35
Millionen Zentrier» für dis städtische Bevölkeruilg sicherstellen und
daß außerdem Vorsorge für wettere Kartojfelreserven, womit etwa
enttretende Notstände bekämpft werden können, getroffen werden.
Die Fabrikation von Kartoffelstöcken und Kartoffelstärke soll im
kommenden Winter in -er bisherigen Weise fortgeführt werden,
weil auch dadurch Kartoffelreserven gesichert werden. — Der volks-
rftsschafttiche Ausschuß des Neichswirsschasisrares hat den hier be
nudelten Beschlüssen seines Unterausschusses für Ernährung und
Volkswirtschaft in seiner heutigen Sitzung die erforderliche Geneh-
migung erteilt.
Zrvsite und dritte Internationale.
Rotterdam, 30. Juli. Aus Loliövn wird gemeldet: Dir
Unabhängige Arbeiterpartei hat die Antwort des Vollzugsaus-
schusses- der- Dritten IniernationÄe auf verschiedene Fragen betref-
fend die Bedingungen für den Anschluß an bi-e Moskauer Inder-
national-e -erhaften. Moskau sagt, -der Kommumsmus könne kn
England nicht ohne blutige Revolution verwirklicht werden. Die
Arbeiter mühten daher auf einen schweren Bürgerkrieg -v-orbereilet
sein!. In einer Anmerkung zu der Antwort sagt Ramsay Maodo-
n-a-ld, die Dritte Internationale und- die Unabhängige Arbeiterpartei
in England seien wie Wasser und Oel -und -würden sich nie-nra-ls mit-
einander vermischen
 
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