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In Genf
tritt morgen die zweite sozialistische Internationale
zusammen. In Genf wird aber auch in kurzem ein
Kongreß der Staaten über die Wiedergutmachungs-
frage und damit über Deutschlands wirtschaftliche
Zukunft entscheiden. Trotzdem wird das letzte Wort
über Deutschlands Schicksal die internationale Ar-
beiterschaft sprechen. Wer die Zukunft verstehen will,
mutz die Ereignisse vom sozialistischen Standpunkt
aus verfolgen. Darum muß jeder Abonnent der
„Volkszeitung"
werden. — Genosse», Gewerkschaftskollege«! Werbt
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Genf.
Bon Eduard Bernstein
Der internationale Sozialistenkongretz, der morgen in Genf zu-
sammentreten soll, hat eine größere und bedeutungsvollere Aufgabe
zu erfüllen, als irgend eine der ähnlichen Konferenzen der letzten
Jahre. Es soll sich auf ihm entscheiden, ob inmitten der Zerfahren-
heit, die sich unter den Rückwirkungen des Weltkrieges eines großen
Teils der sozialistischen Internationale bemächtigt hat, ein Stamm
von Verfechtern der bisher von ihr hochgehattenen Grundsätze und
Ideen zusammenhält, der stark genug ist, Vertrauen in seine Lei-
stungskraft zu verbreiten und den heute an der zweiten Internatio-
nal« irre gewordenen sozialistischen Parteien mrd Gruppen früher
oder später den Gedanken der Rückkehr in diese oder der Wiederver-
einigung mit ihr als die beste Lösung des Problems der Wiederher-
stellung der Einheit der sozialistischen Bewegung der Kulturwelt er-
scheinen zu lassen.
Die Lage der sozialistischen Internationale ist heute eine ähn-
lich«, wie sie es vor nahezu fünfzig Jahren nach Beendi-
gung des deutsch-französischen Krieges gewesen war. Auch jener
Krieg hat die Wirkung gehabt, eine Spaltung der Internationale
herbeizuführen. Nur waren die Grötzenverhältnisse andere. Wie
der Weltkrieg den deutsch-französifchen Krieg an Umfang der betei-
ligten Massen und an Schärfe der Gegensätze und aufgewühlten
Probleme übertroffen hat, so hat auch der durch ihn verursachte
Konflikt in der zweiten sozialistischen Internationale so viel größere
Masten erfaßt und soviel schärfere Gegensätze auf die Tagesord-
nung gefetzt als der Konflikt von 1870/71 in der ersten sozialisti-
schen Internationale.
Im letzten Grunde freilich liegt dem heutigen Streit auf dem
Gebiet der Auffassung des politischen Kampfes der Arbeiterklasse
derselbe Gegensatz zugrunde, wie dem Streit von 1871/72.
Was damals Michael Bakunin Marx und dem Londoner
Generalrat der Internationale gegenüber verfocht, verfechten beute
die Bolschewisten Lenin und Genossen denjenigen Soziali-
sten gegenüber, welche in der sozialistischen Internationale dir von
Marx für diese ausgestellten Grundsätze auch weiterhin in Geltung
erhalten wollen.
Marx hatte der Internationale den möglichst weiten
Rahmen geben wollen, der mit der Anerkennung des Klassen
kampses der Arbeiter und der Verpflichtung auf diesen verträglich
war. Anders Bakunin. Ihm, dem Angehörigen des despo-
tisch regierten Rußland, das eine proletarische Klassenbewegung
überhaupt noch nicht hatte, fehlte jenes Vertrauen in die sozusagen
selbsttätige Erziehungskrast des Klasfenkampses der Arbeiter, und
was er damals in Italien und der französischen Schweiz, wo er sich
Vorzugsrveise aufhiett, vor sich sah, war auch nicht geeignet, ihm
etwas davon rinzuflößrn. So verlegte er sich umgekehrt darauf,
eine Bewegung zu schaffen, welche die mangelnd innere Kraft durch
ein möglichst radikales Programm ersetzte. Er gründete den Bund
der sozialistischen Demokratie („Alliance de la democratie sozialiste")
mit dem Ziel, die radikalen Elemente der Internationale zu dem
Zweck zusammenzufassen, dieser eine seine» Ideen entsprechenden
Haltung und Politik auszudrängen. Das Jahr 1872 sah eine ähn-
liche F a hn e »flucht aus der zum Londoner Generalrat
haltenden Internationale sich vollziehen, wie wir sie
heute gegenüber der zweiten Internationale vor sich gehen sehen.
Nachträglich haben viele jener lleberläuser ihren Irrtum ein-
gesehen und osfen eingestanden.
Heute ist es nicht wesentlich anders als damals. Auch heute
spielen Stimmungen eine viel größere Rolle als sachgemäße, den
Streitfragen aus den Grund gehende Ueberleguugen. Wir wissen,
rin wie verschwommenes Bild in dieser Hinsicht unsere Unab-
hängigen darbieten. Anderwärts sieht es jedoch durchaus nicht
wesentlich anders aus: Liest man zum Beispiel das Protokoll der
Osterkonferenz der britischen Independent Labour Party
(I. L. P.), auf der mit 529 gegen 114 Stimmen die Loslösung von
der zweiten Internationale beschlossen wurde, so wird man bei de-
nen, welche für die Loslösung sprachen, die widerspruchsvollsten
Meinungen vertreten finden.
In dem Augenblick, wo ich dies schreibe, liegen noch keine w -
Heidelberg, Freitag, 30. Juli 4920
Nr. 474 * 2. Jahrgang
schöpfenden Nachrichten über den Verlauf des Kongrestes der
Moskauer Internationale vor, wissen wir noch nicht,
ob es zu einem Kompromiß der strengen Moskauer Richtung mit
den Parteien des halben Weges geführt hat oder diesen letzteren von
den ersteren der Eintritt nur gegen die vorbehaltlose Unterschreibung
des Moskauer Programms gestattet wird. Wie dem aber auch sei,
jo haben wir jedenfalls mit der Wahrscheinlichkeit des Zustande-
kommens der Internationalen Konferenz zu rechnen, die von den
französischen Sozialisten und den deutschen Un-
abhängigen in Aussicht genommen worden ist und schon die
Zustimmung der Sozialisten verschiedener anderer Länder, darunter
die britische I. L. P., erhalten hat. Auf ihr soll der Zusammen-
schluß aller wahrhaft revolutionären Sozialisten beraten werden.
Die Genfer Konferenz wird vorher zusammentreten. Wie soll
sie sich im Hinblick auf sie verhalten? Ich bin der Ansicht, daß sie
nichts Besseres tun kann, als das Festhalten an den
Grundsätzen aussprechen, die die zweite Internationale die
ganzen Jahre ihres Bestehens über als die Leitgedanken ihres
Kampfes auf ihre Fahne geschrieben und in die Praxis zu über-
führen gesucht hat. Das klingt konservativ, ist es aber nicht. Denn
diese Leitgedanken schreiben keine ein für allemal und für alle Län-
der festgelegte Methode und Taktik des politischen Kampfes vor.
Sie anerkennen, daß der Fortgang der Entwicklung neue Formen
und Methoden des politischen Kampfes und der sozialistischen Ar-
beit möglich und notwendig macht und behalten den Parteien wie
der Internationale selbst das Recht vor, für die plastische Anwen-
dung der Leitsätze diesen Veränderungen gemäß normative Bestim-
mungen zu treffen, welche sich als notwendig erwiesen haben, die
Bewegung auf der Höhe der Entwicklung zu halten. Wenn Ver-
stöße gegen den Geist der Leitgedanken und der bisher beschlossenen
Normativbestimmungen vorgekommen sind, so beweist das nichts
gegen deren Güte und die Notwendigkeit der sie aufrechterhaltenden
Organisation.
In Gens werden Anklagen wegen solcher tatsächlich oder ver-
mutlich begangenen Verstöße zur Sprache kommen. Ich zweifle
nicht, daß sie in echt sozialistischem Geiste ihre Erledigung
finden werden, daß scharf in der Sache, solange begangene Fehler
sestzustellen sind, unparteiisch im Urteil und zielbewußt in den Fol-
gerungen für die Gefamtbewegung die Richtschnur der Konferenz
bei ihrer Behandlung sein wird. So ist man in früheren Jahren
verfahren, so soll es auch jetzt sein. Je mehr die Genfer Konferenz
sich fest zeigt in der Hochhaltung der Grundsätze der alten Inter-
nationale, um so größere Dienste wird sie der Gesamtbewegung
leisten.
Heute sind die Geister weithin in Verwirrung geraten, vielfach
gkLUbt man mit neuen Formeln das erreichen zu können, für besten
AMhtverwirklichung man irrigerweise die alten Leitsätze verantwort-
lich macht. Da gilt es zu zeigen, daß nicht an diesen es lag und
liegt, wenn das erstrebte noch nicht verwirklicht ist, daß sie ihre
Werbekrast und ihren Wert als Wegweiser noch nicht eingebüßt
haben. Genf hat zu zeigen, daß in diesen Tagen
des Tastens und Suchens der Stamm noch da ist,
derseinen Kompaß nichtverloren hat
Erhöhung des Kohlenvreises gegen die
Regierung.
Sitzung des Reichskvhleurats.
Berlin, 30. IM. In seiner gestrigen Sitzung nahm der
große Ausschuß des Kohlenrats in Verbindung mit dem Reichs-
tohlrnverdand Stellung zu dem Abkommen von Spa sowie zu der
Resolution des Reichswirtschaftsrates. Ein oom Kohlenkommissar
voraelrgter Plan über die Ablieferung der 2 Millionen Tonnen -u-n-d
die notwendigen Einsparungen des Kohlenverbrauchs wurden ein-
gehend diskutiert.
Berlin, 29. Juli. Im Anschluß an die heutige Sitzung
des Reichskohlenrates sand eine Tagung des Reichskohlenvrrbandes
und des Reichsausschusses des Reichskohlenrates statt, die sich be-
sonders mit dem Anträge -des Rheinisch-Westfälischen Kohlensyndi-
kates auf Erhöhung der Kohlenpreise um 25 Mk. für die Tonne
ab 1. August d. I. ausschließlich der Kvhlensteuer befassen sollte.
Diese 25 Mk. setzen sich aus folgenden drei Posten zusammen:
1. 14 Mk. für die Tonne zugunsten verstärkter Hcimstä-rtenbauten,
2. 9 Mk. zur Uebernahme der für Ium anläßlich der Lohnsteige-
run-gen einstweilen von Reich hergegebenen 4)4 Mk. pro Schicht
für Lebensmittelbonds, 3. um 1,80 Mk. bzw. 2 Mk. zrr Rückzahlung
der unter Ziffer 2 genannten schon ausgegeben-en Beträge an das
Reich. Staalssekretä: Hirsch teilte -dazu mit, daß das Kabinett sich
mit der Frage beschäftigt habe und zu folgendem Ergebnis gekom-
men sei: Die allgemeinen Interessen lasten zur Zeit eine Kohlen-
,reiserhöhung nicht zu. Wird sie beschlossen, so werden wir gegen
diesen Beschluß den gesetzlichen Einspruch erheben. Indessen erklärt
ich die Ncichsrrgierung bereit, für den Bergarbeilcr Heimstättenbau
sofort 300 Millionen Mk. im Wege des Kredites bcrei'zustcllen und
aus die Rückzahlung her unter Punkt 3 genannten Beträge zu ver-
zichten-. Dis -verbleibenden 9 Mk. werden die Zechen vom 1. Aug.
a-n- selbst ohne Preiserhöhung tragen können, -und zwar aus drei
Gründen: 1. weil die Materialprcise in den letzten Monoton, stark
yesunk-en sind und sich damit eine Ermäßigung der Selbstkosten er-
gibt,'2. weil die Förderung stark gestiegen ist und auch dadurch die
Selbstkosten sinken würden und 3. weil die meisten Zechen bisher
schon große Gewinne -aus Nebenbetri-eben -erzielt hätten. Räch
eingehender Aussprache wurde angenommen, -daß die Preiserhöhun-
gen zu Punkt 1 und 3 durch das Angebot der Regierung er-
ledigt sei. — Ein Antrag, 23 Mk. Preiserhöhung pro Tonne zu
beschließen, wurde abgel-ehnt. Ein weiterer Antrag, angesichts des
Angebotes des Heimstättenkredites die noch verbleibenden 9 Mk.
Preiserhöhung zu fordern, fand Annahme. Staatssekretär Hirsch
legte daraus -im Auftrage der Reichsregierung Einspruch ein. Es
wurde ein kleiner Ausschuß aus Arbeitnehmern, Arbeitgebern -und
einem Verbraucher gewählt, der idem Staatssekretär morgen den
Verantwort!.: Fürinnereu. Sußerepolitik,Volkswirtschaft u. Feuilleton: Dr
E. Kraus, für Kommunales u. soziale Rundschau: I.Kahn, für lokales:
I, Ä.: 5. Kahn, für die Anzeigen: H. Hoffm ann, sämtl. in Heidelberg
Druck und Verlag der ilnterbadischen Derlagsanstalt G. m. b.H., Heidelberg
Geschäftsstelle: Gchröderstraße ZS.
Fernsprecher: Anzeigen-Annahme 2673, Redaktion 2648.
Standpunkt der Bergbauinterestenten darlegm soll. Schließlich san-
den noch Verhandlungen statt, die auf eine Ermäßigung der Braun-
kvhlenpreise hinzielen. Diese Verhandlungen dauern noch an.
Großer Sieg der Unabhängigen!
Deutfchnationale Regierung in Mecklenburg.
Schwerin (Mecklenburg), 28. Juli. Die „Mecklen-
burgische Zeitung" meldet: Bei der heutigen Wahl des
Ministeriums in Mecklenburg-Schwerin wurde gewählt zum
Ministerpräsidenten Professor Dr. Reincke-Bloch (deutsch-
national) mit 28 Stimmen, 32 weiße Stimmzettel wurden
abgegeben. Im Anschluß daran erfolgte auf deutschnationalen
Antrag die Wahl der Minister. Gewählt wurden Amts-
gerichtsrat Erythropel zum Minister des Innern, Fabrik-
besitzer Dettmann-Güstrow zum Finanzminister, Ober-
landesgerichtsrat Walther Schmidt-Rostock zum Justiz-
minister, Oekonomierat Steinmann-Lalchow bei Plaue
zum Landwirtschaftsminister, Professor Dr. Reincke-Bloch
zum Unterrichtsmmister.
Dies Resultat ist ein neuer Erfolg der glorreichen
Abstinenzpolitik der Unabhängigen, die zusammen mit
Sozialdemokratie und Demokraten- eine Mehrheit bilden
konnten, sich dessen aber standhaft geweigert und so den
Deutsch-nationalen in den Sattel geholfen haben
Wir gratulieren zum Siege!
Arbeiter gegen Arbeiter!
Wie die Berliner Morgenblätter melden, haben infolge
der Weigerung der Danziger Hafenarbeiter, polnische
Munitionsschiffe zu entladen, die polnischen Arbeiterverbände
beschlossen, die Gütersperre über Danzig zu verhängen-
Der gesamte Güterverkehr aus dem früheren westpreußischen
Gebiet nach Danzig stockt daher bereits vollständig.
Die internationalen Konferenzen.
Paris, 29. Juli. (W.B.) Nach einer Meldung der
Agentur „Fournier" aus Genf, ist der Generalsekretär des
internationalen sozialistischen Büros Camille Huysmans
schon in Genf eingetroffen. Er habe die Absicht kundgegeben
sein Amt als Sekretär des internationalen sozialistischen
Büros niederzulegen, um sich vollständige Aktionsfreiheit
innerhalb der sozialistischen Partei vorzubehalten. Er glaubt,
daß in der Frage der Verantwortlichkeit sich die Deutschen
konzillant zeigen werden. Nur eure Frage scheint ihm
schwierig zu sein, die der Einheit. Aber er ist der Ansicht,
daß dieses Ziel sich auch in drei bis vier Jahren erreichen
lassen werde.
Berlin, 30. Juli. (Priv.-Telegr. aus den Berliner
Morgenblätter.) Einer Meldung des Berl. Lok.-Anzg. aus
Genf zufolge haben sich zur Teilnahme der am Montag
beginnenden internationalen Bergarbeiterkonferenz
70 Engländer, 36 Deutsche, 25 Franzosen, 15 Belgier, ein
Oesterreicher und ein Ungar angepreldet. Auf der Tages-
ordnung stehe der von den Engländern eingebrachte Nationa-
lisierungsvorschlag der Bergwerke in allen Staaten und
zwei deutsche Vorschläge betreffend eine internationale Ver-
teilung der Kohle und die Einführung des Sechsstundentags.
Der Krieg im Osten.
Schwere Waffenstillstandsbedingungen?
Berlin, 29. Juli. Die russischen Waffenstillstands-
vorschläge an die Polen find nach einer Meldung der
„T.-U." aus Kiew folgende: Polen gibt Wilna, Minsk,
Grodno und Cholin heraus. Polen liefert das ge-
samte Kriegsmaterial an Rußland ab, sowie 7V°/<,
des EisenLahnmaterials.
Die Sowjetverfassung wird für die Dauer eines
Jahres in Polen eingeführt. Pole« bestimmt dann
selbst seine neue Verfassung. Polen wird für die
Dauer von fünf Jahren militärisch besetzt. Alsdann
werden die polnischen Salz und Kohlengruben an
Rußland übertragen.
Kein Einstellen der Offensive.
Berlin, 29. Juli. Nach Nachrichten, die an hiesigen
militärischen Stellen eingelausen sind, machen die Russen
im Norden und Süden noch immer Fortschritte. Am 28. Juli
standen sie schon vor Bialystok, südöstlich hatten sie die
Polen bis an den Narew zurückgedrängt und belagerten
die Stadt Narew. Sie dürften inzwischen wohl schon den
Narew überschritten haben. Aus allen- ersieht man, daß
die Rote Armee einstweilen an die Einstellung der Offensive
nicht denkt.
Berlin, 29. Juli. Nach einer Warschauer Meldung
setzen die Bolschewisten ihre Offensive trotz der bevorstehenden
Waffenstillstandsoerhandlungen fort. Breft-Litowsk und
Lemberg sind stark bedroht und die Uebergabe dieser beiden
Städte ist nur noch eine Frage der Zeit. Der Rückzug
der Polen ist allgemein. Auf der ganzen Front wird heftig
gekämpft
Tauberbischofsheim und Wertheim.
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tritt morgen die zweite sozialistische Internationale
zusammen. In Genf wird aber auch in kurzem ein
Kongreß der Staaten über die Wiedergutmachungs-
frage und damit über Deutschlands wirtschaftliche
Zukunft entscheiden. Trotzdem wird das letzte Wort
über Deutschlands Schicksal die internationale Ar-
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Genf.
Bon Eduard Bernstein
Der internationale Sozialistenkongretz, der morgen in Genf zu-
sammentreten soll, hat eine größere und bedeutungsvollere Aufgabe
zu erfüllen, als irgend eine der ähnlichen Konferenzen der letzten
Jahre. Es soll sich auf ihm entscheiden, ob inmitten der Zerfahren-
heit, die sich unter den Rückwirkungen des Weltkrieges eines großen
Teils der sozialistischen Internationale bemächtigt hat, ein Stamm
von Verfechtern der bisher von ihr hochgehattenen Grundsätze und
Ideen zusammenhält, der stark genug ist, Vertrauen in seine Lei-
stungskraft zu verbreiten und den heute an der zweiten Internatio-
nal« irre gewordenen sozialistischen Parteien mrd Gruppen früher
oder später den Gedanken der Rückkehr in diese oder der Wiederver-
einigung mit ihr als die beste Lösung des Problems der Wiederher-
stellung der Einheit der sozialistischen Bewegung der Kulturwelt er-
scheinen zu lassen.
Die Lage der sozialistischen Internationale ist heute eine ähn-
lich«, wie sie es vor nahezu fünfzig Jahren nach Beendi-
gung des deutsch-französischen Krieges gewesen war. Auch jener
Krieg hat die Wirkung gehabt, eine Spaltung der Internationale
herbeizuführen. Nur waren die Grötzenverhältnisse andere. Wie
der Weltkrieg den deutsch-französifchen Krieg an Umfang der betei-
ligten Massen und an Schärfe der Gegensätze und aufgewühlten
Probleme übertroffen hat, so hat auch der durch ihn verursachte
Konflikt in der zweiten sozialistischen Internationale so viel größere
Masten erfaßt und soviel schärfere Gegensätze auf die Tagesord-
nung gefetzt als der Konflikt von 1870/71 in der ersten sozialisti-
schen Internationale.
Im letzten Grunde freilich liegt dem heutigen Streit auf dem
Gebiet der Auffassung des politischen Kampfes der Arbeiterklasse
derselbe Gegensatz zugrunde, wie dem Streit von 1871/72.
Was damals Michael Bakunin Marx und dem Londoner
Generalrat der Internationale gegenüber verfocht, verfechten beute
die Bolschewisten Lenin und Genossen denjenigen Soziali-
sten gegenüber, welche in der sozialistischen Internationale dir von
Marx für diese ausgestellten Grundsätze auch weiterhin in Geltung
erhalten wollen.
Marx hatte der Internationale den möglichst weiten
Rahmen geben wollen, der mit der Anerkennung des Klassen
kampses der Arbeiter und der Verpflichtung auf diesen verträglich
war. Anders Bakunin. Ihm, dem Angehörigen des despo-
tisch regierten Rußland, das eine proletarische Klassenbewegung
überhaupt noch nicht hatte, fehlte jenes Vertrauen in die sozusagen
selbsttätige Erziehungskrast des Klasfenkampses der Arbeiter, und
was er damals in Italien und der französischen Schweiz, wo er sich
Vorzugsrveise aufhiett, vor sich sah, war auch nicht geeignet, ihm
etwas davon rinzuflößrn. So verlegte er sich umgekehrt darauf,
eine Bewegung zu schaffen, welche die mangelnd innere Kraft durch
ein möglichst radikales Programm ersetzte. Er gründete den Bund
der sozialistischen Demokratie („Alliance de la democratie sozialiste")
mit dem Ziel, die radikalen Elemente der Internationale zu dem
Zweck zusammenzufassen, dieser eine seine» Ideen entsprechenden
Haltung und Politik auszudrängen. Das Jahr 1872 sah eine ähn-
liche F a hn e »flucht aus der zum Londoner Generalrat
haltenden Internationale sich vollziehen, wie wir sie
heute gegenüber der zweiten Internationale vor sich gehen sehen.
Nachträglich haben viele jener lleberläuser ihren Irrtum ein-
gesehen und osfen eingestanden.
Heute ist es nicht wesentlich anders als damals. Auch heute
spielen Stimmungen eine viel größere Rolle als sachgemäße, den
Streitfragen aus den Grund gehende Ueberleguugen. Wir wissen,
rin wie verschwommenes Bild in dieser Hinsicht unsere Unab-
hängigen darbieten. Anderwärts sieht es jedoch durchaus nicht
wesentlich anders aus: Liest man zum Beispiel das Protokoll der
Osterkonferenz der britischen Independent Labour Party
(I. L. P.), auf der mit 529 gegen 114 Stimmen die Loslösung von
der zweiten Internationale beschlossen wurde, so wird man bei de-
nen, welche für die Loslösung sprachen, die widerspruchsvollsten
Meinungen vertreten finden.
In dem Augenblick, wo ich dies schreibe, liegen noch keine w -
Heidelberg, Freitag, 30. Juli 4920
Nr. 474 * 2. Jahrgang
schöpfenden Nachrichten über den Verlauf des Kongrestes der
Moskauer Internationale vor, wissen wir noch nicht,
ob es zu einem Kompromiß der strengen Moskauer Richtung mit
den Parteien des halben Weges geführt hat oder diesen letzteren von
den ersteren der Eintritt nur gegen die vorbehaltlose Unterschreibung
des Moskauer Programms gestattet wird. Wie dem aber auch sei,
jo haben wir jedenfalls mit der Wahrscheinlichkeit des Zustande-
kommens der Internationalen Konferenz zu rechnen, die von den
französischen Sozialisten und den deutschen Un-
abhängigen in Aussicht genommen worden ist und schon die
Zustimmung der Sozialisten verschiedener anderer Länder, darunter
die britische I. L. P., erhalten hat. Auf ihr soll der Zusammen-
schluß aller wahrhaft revolutionären Sozialisten beraten werden.
Die Genfer Konferenz wird vorher zusammentreten. Wie soll
sie sich im Hinblick auf sie verhalten? Ich bin der Ansicht, daß sie
nichts Besseres tun kann, als das Festhalten an den
Grundsätzen aussprechen, die die zweite Internationale die
ganzen Jahre ihres Bestehens über als die Leitgedanken ihres
Kampfes auf ihre Fahne geschrieben und in die Praxis zu über-
führen gesucht hat. Das klingt konservativ, ist es aber nicht. Denn
diese Leitgedanken schreiben keine ein für allemal und für alle Län-
der festgelegte Methode und Taktik des politischen Kampfes vor.
Sie anerkennen, daß der Fortgang der Entwicklung neue Formen
und Methoden des politischen Kampfes und der sozialistischen Ar-
beit möglich und notwendig macht und behalten den Parteien wie
der Internationale selbst das Recht vor, für die plastische Anwen-
dung der Leitsätze diesen Veränderungen gemäß normative Bestim-
mungen zu treffen, welche sich als notwendig erwiesen haben, die
Bewegung auf der Höhe der Entwicklung zu halten. Wenn Ver-
stöße gegen den Geist der Leitgedanken und der bisher beschlossenen
Normativbestimmungen vorgekommen sind, so beweist das nichts
gegen deren Güte und die Notwendigkeit der sie aufrechterhaltenden
Organisation.
In Gens werden Anklagen wegen solcher tatsächlich oder ver-
mutlich begangenen Verstöße zur Sprache kommen. Ich zweifle
nicht, daß sie in echt sozialistischem Geiste ihre Erledigung
finden werden, daß scharf in der Sache, solange begangene Fehler
sestzustellen sind, unparteiisch im Urteil und zielbewußt in den Fol-
gerungen für die Gefamtbewegung die Richtschnur der Konferenz
bei ihrer Behandlung sein wird. So ist man in früheren Jahren
verfahren, so soll es auch jetzt sein. Je mehr die Genfer Konferenz
sich fest zeigt in der Hochhaltung der Grundsätze der alten Inter-
nationale, um so größere Dienste wird sie der Gesamtbewegung
leisten.
Heute sind die Geister weithin in Verwirrung geraten, vielfach
gkLUbt man mit neuen Formeln das erreichen zu können, für besten
AMhtverwirklichung man irrigerweise die alten Leitsätze verantwort-
lich macht. Da gilt es zu zeigen, daß nicht an diesen es lag und
liegt, wenn das erstrebte noch nicht verwirklicht ist, daß sie ihre
Werbekrast und ihren Wert als Wegweiser noch nicht eingebüßt
haben. Genf hat zu zeigen, daß in diesen Tagen
des Tastens und Suchens der Stamm noch da ist,
derseinen Kompaß nichtverloren hat
Erhöhung des Kohlenvreises gegen die
Regierung.
Sitzung des Reichskvhleurats.
Berlin, 30. IM. In seiner gestrigen Sitzung nahm der
große Ausschuß des Kohlenrats in Verbindung mit dem Reichs-
tohlrnverdand Stellung zu dem Abkommen von Spa sowie zu der
Resolution des Reichswirtschaftsrates. Ein oom Kohlenkommissar
voraelrgter Plan über die Ablieferung der 2 Millionen Tonnen -u-n-d
die notwendigen Einsparungen des Kohlenverbrauchs wurden ein-
gehend diskutiert.
Berlin, 29. Juli. Im Anschluß an die heutige Sitzung
des Reichskohlenrates sand eine Tagung des Reichskohlenvrrbandes
und des Reichsausschusses des Reichskohlenrates statt, die sich be-
sonders mit dem Anträge -des Rheinisch-Westfälischen Kohlensyndi-
kates auf Erhöhung der Kohlenpreise um 25 Mk. für die Tonne
ab 1. August d. I. ausschließlich der Kvhlensteuer befassen sollte.
Diese 25 Mk. setzen sich aus folgenden drei Posten zusammen:
1. 14 Mk. für die Tonne zugunsten verstärkter Hcimstä-rtenbauten,
2. 9 Mk. zur Uebernahme der für Ium anläßlich der Lohnsteige-
run-gen einstweilen von Reich hergegebenen 4)4 Mk. pro Schicht
für Lebensmittelbonds, 3. um 1,80 Mk. bzw. 2 Mk. zrr Rückzahlung
der unter Ziffer 2 genannten schon ausgegeben-en Beträge an das
Reich. Staalssekretä: Hirsch teilte -dazu mit, daß das Kabinett sich
mit der Frage beschäftigt habe und zu folgendem Ergebnis gekom-
men sei: Die allgemeinen Interessen lasten zur Zeit eine Kohlen-
,reiserhöhung nicht zu. Wird sie beschlossen, so werden wir gegen
diesen Beschluß den gesetzlichen Einspruch erheben. Indessen erklärt
ich die Ncichsrrgierung bereit, für den Bergarbeilcr Heimstättenbau
sofort 300 Millionen Mk. im Wege des Kredites bcrei'zustcllen und
aus die Rückzahlung her unter Punkt 3 genannten Beträge zu ver-
zichten-. Dis -verbleibenden 9 Mk. werden die Zechen vom 1. Aug.
a-n- selbst ohne Preiserhöhung tragen können, -und zwar aus drei
Gründen: 1. weil die Materialprcise in den letzten Monoton, stark
yesunk-en sind und sich damit eine Ermäßigung der Selbstkosten er-
gibt,'2. weil die Förderung stark gestiegen ist und auch dadurch die
Selbstkosten sinken würden und 3. weil die meisten Zechen bisher
schon große Gewinne -aus Nebenbetri-eben -erzielt hätten. Räch
eingehender Aussprache wurde angenommen, -daß die Preiserhöhun-
gen zu Punkt 1 und 3 durch das Angebot der Regierung er-
ledigt sei. — Ein Antrag, 23 Mk. Preiserhöhung pro Tonne zu
beschließen, wurde abgel-ehnt. Ein weiterer Antrag, angesichts des
Angebotes des Heimstättenkredites die noch verbleibenden 9 Mk.
Preiserhöhung zu fordern, fand Annahme. Staatssekretär Hirsch
legte daraus -im Auftrage der Reichsregierung Einspruch ein. Es
wurde ein kleiner Ausschuß aus Arbeitnehmern, Arbeitgebern -und
einem Verbraucher gewählt, der idem Staatssekretär morgen den
Verantwort!.: Fürinnereu. Sußerepolitik,Volkswirtschaft u. Feuilleton: Dr
E. Kraus, für Kommunales u. soziale Rundschau: I.Kahn, für lokales:
I, Ä.: 5. Kahn, für die Anzeigen: H. Hoffm ann, sämtl. in Heidelberg
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Standpunkt der Bergbauinterestenten darlegm soll. Schließlich san-
den noch Verhandlungen statt, die auf eine Ermäßigung der Braun-
kvhlenpreise hinzielen. Diese Verhandlungen dauern noch an.
Großer Sieg der Unabhängigen!
Deutfchnationale Regierung in Mecklenburg.
Schwerin (Mecklenburg), 28. Juli. Die „Mecklen-
burgische Zeitung" meldet: Bei der heutigen Wahl des
Ministeriums in Mecklenburg-Schwerin wurde gewählt zum
Ministerpräsidenten Professor Dr. Reincke-Bloch (deutsch-
national) mit 28 Stimmen, 32 weiße Stimmzettel wurden
abgegeben. Im Anschluß daran erfolgte auf deutschnationalen
Antrag die Wahl der Minister. Gewählt wurden Amts-
gerichtsrat Erythropel zum Minister des Innern, Fabrik-
besitzer Dettmann-Güstrow zum Finanzminister, Ober-
landesgerichtsrat Walther Schmidt-Rostock zum Justiz-
minister, Oekonomierat Steinmann-Lalchow bei Plaue
zum Landwirtschaftsminister, Professor Dr. Reincke-Bloch
zum Unterrichtsmmister.
Dies Resultat ist ein neuer Erfolg der glorreichen
Abstinenzpolitik der Unabhängigen, die zusammen mit
Sozialdemokratie und Demokraten- eine Mehrheit bilden
konnten, sich dessen aber standhaft geweigert und so den
Deutsch-nationalen in den Sattel geholfen haben
Wir gratulieren zum Siege!
Arbeiter gegen Arbeiter!
Wie die Berliner Morgenblätter melden, haben infolge
der Weigerung der Danziger Hafenarbeiter, polnische
Munitionsschiffe zu entladen, die polnischen Arbeiterverbände
beschlossen, die Gütersperre über Danzig zu verhängen-
Der gesamte Güterverkehr aus dem früheren westpreußischen
Gebiet nach Danzig stockt daher bereits vollständig.
Die internationalen Konferenzen.
Paris, 29. Juli. (W.B.) Nach einer Meldung der
Agentur „Fournier" aus Genf, ist der Generalsekretär des
internationalen sozialistischen Büros Camille Huysmans
schon in Genf eingetroffen. Er habe die Absicht kundgegeben
sein Amt als Sekretär des internationalen sozialistischen
Büros niederzulegen, um sich vollständige Aktionsfreiheit
innerhalb der sozialistischen Partei vorzubehalten. Er glaubt,
daß in der Frage der Verantwortlichkeit sich die Deutschen
konzillant zeigen werden. Nur eure Frage scheint ihm
schwierig zu sein, die der Einheit. Aber er ist der Ansicht,
daß dieses Ziel sich auch in drei bis vier Jahren erreichen
lassen werde.
Berlin, 30. Juli. (Priv.-Telegr. aus den Berliner
Morgenblätter.) Einer Meldung des Berl. Lok.-Anzg. aus
Genf zufolge haben sich zur Teilnahme der am Montag
beginnenden internationalen Bergarbeiterkonferenz
70 Engländer, 36 Deutsche, 25 Franzosen, 15 Belgier, ein
Oesterreicher und ein Ungar angepreldet. Auf der Tages-
ordnung stehe der von den Engländern eingebrachte Nationa-
lisierungsvorschlag der Bergwerke in allen Staaten und
zwei deutsche Vorschläge betreffend eine internationale Ver-
teilung der Kohle und die Einführung des Sechsstundentags.
Der Krieg im Osten.
Schwere Waffenstillstandsbedingungen?
Berlin, 29. Juli. Die russischen Waffenstillstands-
vorschläge an die Polen find nach einer Meldung der
„T.-U." aus Kiew folgende: Polen gibt Wilna, Minsk,
Grodno und Cholin heraus. Polen liefert das ge-
samte Kriegsmaterial an Rußland ab, sowie 7V°/<,
des EisenLahnmaterials.
Die Sowjetverfassung wird für die Dauer eines
Jahres in Polen eingeführt. Pole« bestimmt dann
selbst seine neue Verfassung. Polen wird für die
Dauer von fünf Jahren militärisch besetzt. Alsdann
werden die polnischen Salz und Kohlengruben an
Rußland übertragen.
Kein Einstellen der Offensive.
Berlin, 29. Juli. Nach Nachrichten, die an hiesigen
militärischen Stellen eingelausen sind, machen die Russen
im Norden und Süden noch immer Fortschritte. Am 28. Juli
standen sie schon vor Bialystok, südöstlich hatten sie die
Polen bis an den Narew zurückgedrängt und belagerten
die Stadt Narew. Sie dürften inzwischen wohl schon den
Narew überschritten haben. Aus allen- ersieht man, daß
die Rote Armee einstweilen an die Einstellung der Offensive
nicht denkt.
Berlin, 29. Juli. Nach einer Warschauer Meldung
setzen die Bolschewisten ihre Offensive trotz der bevorstehenden
Waffenstillstandsoerhandlungen fort. Breft-Litowsk und
Lemberg sind stark bedroht und die Uebergabe dieser beiden
Städte ist nur noch eine Frage der Zeit. Der Rückzug
der Polen ist allgemein. Auf der ganzen Front wird heftig
gekämpft