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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (2) — 1920

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Nr. 181 - Nr. 190 (7. August - 18. August)
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Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung der Amtsbezirke Heidelberg, Wiesloch, Sinsheim, «Appingen, Eberbach, Mosbach, Buchen, Adelsheim, Boxberg

LezugSprelS: Monatlich elnschl. Träaerlohn S.— Mk. Anzeigenpreise:
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Lauberbifchofsheim und Wertheim.
Heidelberg, Samstag, I. August 1V20
Nr. * 2. Jahrgang


Verantwort!.: Fürinnereu. äußere Politik, Volkswirt schäft u. Feuilleton: Or«
E.Kraus: für Kommunales u. soziale Rundschau: I.Kahn>- für Lokale-:
I. V.: I. Kahn; kür die Anzeigen: H. Hoffmann, sämtl. in Heidelberg
Druckund Verlag der llnterbadischsn Verlagsanstalt G.m.b.H., Heidelberg
Geschäftsstelle: Gchröderstraße ZS.
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Warschau strategisch aufgegeben.


Moskaus Antwort an England.
Paris, 6. Aug. -Nach einer Havas-Meldung aus London
ist, wie schon berichtet, die Antwortnote der Sowjeiregierung
e i n- g et r o ff -e n. In der Antwortnote wird gesagt, die Bolsche-
Listen könnten im Augenblick ihre Operationen gegen Polen nicht
aufgeben. Sie sind der Ansicht, daß sowohl aus militärischen
als auch aus rechtlichen Gründen der Vormarsch gerechtfertigt sei.
Es erklärte sich aber bereit, die Verhandlungen über den Waffen-
stillstand und den Friedensvertrag aufzunehmen, sobald die -polni-
schen Delegierten in Minsk ein getroffen sind und sobald
sie den Beweis dafür hätten, daß diese Delegierten die erforderlichen
Vollmachten besitzen, um über den Frieden zu verhandeln.
Die Sowjetregierung erkläre sich außerdem bereit, die volle
Unabhängigkeit Polens zu garantieren und Polen günstige Gren-
zen zu gewähren, aber die Sowjetregierung wolle mit Pole» über
»inen Separatfrieden verhandeln. Die Sowjettegierung erkläre
ferner, daß Krassin und Kamenew Vollmacht hätten, um den
Frieden a b z u s ch l i e ß -e n. Die Sowjetregierung weigert sich
jedoch, den Vertretern der Randstaaten Zutritt zu den Friedens-
verhandlungen zu gestatten.
Ungarisch-französische Militärkonvension gegen Rußland.
Berlin, 7. Aüg. Nach einer Meldung des „B. T." aus
Bitten ist in Gödöllv zwischen dem ungarischen Relchsverwefer HorHy
und der französischen Militärmission der Entwurf einer Militär
ksnvention vereinbart worden, nach der sich Ungarn verpflichtet,
eine Armee von 140 000 Mann aufzustellen, um den Krieg gegen
Sowjetrußland zu eröffnen. Frankreich verpflichtet sich dagegen,
lür Ungarn bei der Botschasterkvnferenz dahin zu winen, daß Un-
garn ein Teil Westungarns und Gebietsteile bei Kaschan und Pretz-
burg zugesprochen werden. Diese Militärkonvention soll in Paris
bereits von der französischen Regierung unterzeichnet worden sein.
Die Verteidigung von Warschau.
Warschau, 6. Aug. Der „Kurjer Warszawski" berichtet:
Der Stadtrat der Hauptstadt Warschau beschloß, einen Rat -ur
Verteidigung der Stadt zu bilden, der aus 11 Personen
bestehen und die Aufgabe haben soll, die Tätigkeit der Bevölkerung
Warschaus zur Verteidigung zusammenzufassen. Gleichzeitig wird
ein Aufruf zur Verteidigung der Stadt erlassen.
Der Empfang der polnischen Delegierten in Baranowitschi war
in gesellschaftlicher Hinsicht einwandfrei. Die Verhandlungen be-
schränkten sich auf eine einzige Konferenz, welche in einem Schlaf-
wagen stattfand. Wie der „Kurjer Warszawski" erfährt, sollen
an der eventuell nach Minsk zu entsendenden Delegation Ver-
bcet-er der- Regierung, des Militärs und -des,'Se-jms teiln-ehmen.
Die Delegation wird abreisen, sobald die Sowjetregierung auf die
polnische Note eine befriedigende Antwort gibt.
Warschau aufgegeben.
. Berlin, 7. Aug. (Priv.-Trl.) Wie dem „B. T." aus Kö-
yHÄerg i. Pr. gemeldet wird, sind die Polen an der Nordfrvnt
p^ter zuriickaegangen und halten jetzt die vorbereitete Linie Thor-
iele-Krakow-Puiilski. Da die bei Modetin vorbereiteten Steilungen
nordwestlich von Marschau liegen, steht im übrigen fest, daß die
Polen Warschau bereits strategisch aufgegeben haben
Der Fortgang der Kämpfe.
- Warschau, 6. Aug. Generalstabs-bericht vom 5. Aug.:
Aördlich Ostrolenka sind Kämpfe im Bereiche von Mifzynec im
«Mttge. Zwischen Oftrslenka und dem Bug hielten unsere Abtei-
sUngen im Bereiche von Lz-ernin und Ostrom heftige Angriffe des
Feindes auf. Nördlich Droh-icyn und Brest-Litowsk führten unsere
Sestern begonnenen Gegenangriffe zur Zurückwerfung des Feindes
aus das nördliche Bugufer. Die Kämpfe waren -außerordentlich
erbittert. Die Abteilungen der 14. gr-oßpolnischen Division taten
uch dabei besonders hervor. Heftige Angriffe des Feindes im
Aauni-e von Brest-Litowsk und weiter nördkich zwangen unsere Ab-
'Vlungen zum Verlassen von Morawice und Tere-spol. Die Kämpfe
den Besitz dieser Ortschaften dauern noch an. Die Kämpfe
w*Wch Brody dauern fort. Brody wurde von den Bolschewisten
Zöllig ausgeraubt. Am Serech wurden bolschewistische Angriffe
"»gewissen. Die weiteren Gegenangriffe der ukrainischen Abteilrrn-
8en ritt wickeln sich günstig.
Niederlage der Russen im Kampf gegen Wränget.
,. Konstantinopel, 5. Aug. General Wran-gl telegra-
phiert, daß die Rote Armee, die seinen Vormarsch aufzuhalten
zWscht-e, völlig geschlagen worden sei. Sie habe mehr als
X) Gefangene, 39 Geschütze, 150 Maschinengewehr«, -vier Pan-
'"tüge, fünf Panzerautos und eine große Maste Kriegsmaterial
unsren. Die Verfolgung wird fortgesetzt.
(Hierzu ist zu bemerken, daß das Kampfgebiet im Süden- Ruß-
zur Zeit wohl als Nebenkriegsschauplatz anzusprechen ist. 'Die
Scheidung fällt zunächst in Polen selbst.)
Die englische Arbeiterpartei gegen eine Intervention in Polen.
London, 6. Aug. Der Sekretär der englischen Arbester-
kartei, Henderson, sandte an alle Ortsgruppen Englands ein
chamm, worin es heißt: „Wegen der sehr drohenden Möglich-
st der Ausbreitung des polnisch-russischen Krieges ersuche ich alle
"Lgrupprn dringend, Kundgebungen zu organisieren, um gegen

eine Intervention und das Aussenden von Soldaten und
Munition für Polen zu protestieren und folgende Forderungen äuf-
zwstellen: Friedensverhandlungen, sofortige Aufhebung der Blockade
und Wiederherstellung der Handelsbeziehungen. Die Resolutionen
in diesem Sinne sind an den Premierminister und die Presse zu
senden."
Sowjetregierung in Ostgalizien.
Berlin, 7. Aug. (Priv.-T-el.) Nach der „Vossischen Ztg."
ist nach in Wien eingetrvffe-nen Meldungen -bereits in Ostgali-
zien eine Sowjetregierung eingesetzt worden, die das Eigentum
der Industriellen und Großgrundbesitzer beschlagnahmt hat.
Die 2. Internationale für Demokratie gegen
Diktatur.
Genf, 5. Aug. Heute nachmittag wurde das politische
SystemderSozialdemvkratie behandelt. Der Kongreß
stellt sich auf -den Boden der Demokratie und des Parlamentaris-
mus. Die entscheidenden Sätze der Resolution lauten:
„Das Verjagen des kapitalistischen Systems, welches im Kriege wie
in der bisherigen Friedrnszeit seine Unfähigkeit zur Besserung der kapi-
talistischen Verhältnisse gezeigt hat, macht die Uebernahme der politischen
Macht durch die Arbeiterklasse zu einer historischen Notwendigkeit. Zu
den Arbeitern rechnen wir nicht nur die Handarbeiter, sondern auch die
Kopfarbeiter, die Wissenschaftler die selbsttätigen Bauern und Handwer-
ker, also diejenigen, welche körperlich und geistig in produktivem Sinne
tätig sind. Di« Vorbedingung der Möglichkeit für die Eroberung dieser
Macktt ist ein genügendes Maß von Einigkeit «nd Verständnis der Ar-
beiterklasse für die Anwendung ihrer politischen und gewerkschaftlichen
Kampfmittel. Der.Kongreß verwirft die Melbsdeu L-er Gewalt and des
Tcrr.es. Bon der Anwendung der direkten Aktion in entscheidende»
Konflikten mit den imperialistischen und großkapitalistischen Mächten kann
die Arbeiterklasse allerdings nicht absehen. Das Bestreben jedoch, den
wirtschaftlichen Streik systematisch in revolutionäre Bewegungen umzu-
wandeln, muß aufs entschiedenste verurteilt werden. Das politische Sy-
stem der Arbeiterklasse findet seinen Ausdruck in dem sozialistischen
Staate, besten Hauptaufgabe die systematische Sozialisierung der Gesell-
schaft ist. Seine politische Organisation soll sich nicht aus der Diktatur,
sondern aus der Demokratie aufbauen. Seine historische Ausgabe ist, diese
Demokratie zur völligen Entwicklung zu bringen. Alle Anstrengungen
der Arbeiterklasse und ihrer gewerkschaftlichen und genossenschaftliche» Tä-
tigkeit sollen sich zusammen mit ihrer politischen Aktion aus die Bildung
demokratischer Einrichtungen richten, welche die immer wachsende Selbst-
betätigung der Gesellschaft ermöglichen."
Im Namen der beustcbew Delegation sprach Scheide-
mann
Die Schlußsitzung des Bergarbeiterkongresses.
Genf, 6. Aug. Der internationale Bergarbeiterkongreß hielt
henke vormittag feine letzte Sitzung ab. Auf Vorschlag der engli-
sche« Delegation würbe bi« Errichtung eines permanenten inter-
nationalen G e n e r a ls ek r e t a r i a t s beschlossen. Hue (Deutsch-
land) begründete eine Resolution, die die Verteilung der Kohlen
und anderer Rohstoff« auf internationalem Wege regelt, und zwar
soll mit dieser Aufgabe das internationale Arbeitsam: betraut wer-
den, dessen Direktor Thomas -den Verhandlungen des Kongresses
beigewohnt hatte. Hue begründet die Resolution -damit, baß die
internationale Kohlennot nicht nur eine Folge der verringerten
Kohlenförderung sei, sondern- noch viel mehr eine Schuld -der
schlechten Verteilung. So müsse z. B. die Bevölkerung
der Stadt G e n f den Do-sipelzentner amerikanischer Kohle mit 27
bis 30 Franken bezahlen gegenüber 4 bis 6 Franken vor dem Kriege,
und zwar für eine Kohle, die an den deutschen rm-d belgischen Koh-
lenbergwerken vorbeigehe. Dies treffe aber nicht nur auf die Kohle,
sondern auch auf andere wichtige Rohstoffe zu. Eine gerechte
internationale Regelung könne da viel ausgleichen. Thomas als
Leiter des internationalen Arbeitsamtes dankt für das Vertrauen
des Bsrgarbeitertongresses durch -Urbertragung dieser Aufgabe und
spricht die Zuversicht aus, daß die in Frage kommenden Negierun-
gen sich diesem Vorschlag nicht verschließen werden. Die Resolution
Hue (Deutschland) auf Einrichtung eines internationalen- Kohlen-
bureaus wurde dem -internationalen Komitee zur entsprechenden
Weitergabe überwiesen.
Der Kongreß faßte weiter eine Entschließung über die Kin-
derernährung, analog der vom Sozialiftenkongretz in dieser
Frage beschlossenen Resolution-. Des weiteren drückte der Kongretz
in einer Entschließung sein« Ansicht dahin aus, daß zur Erreichung
des Zieles der Nationalisierung resp. der Sozialisierung
der Bergwerke alle Mittel angewendst werden müßten, des-
glcichen zur Verbesserung des Arbeitseinkommens. Als Endziel
bekannte sich der Kongreß zum internationalen Generalstreik, dessen
Grundlagen vor feiner Verkündung durch den internationalen Berg-
arbette rausschuß zu prüfen feien. Zur Krietzssraa-e äußerte der Kon-
greß die gleiche Ansicht, wie der internationale Sosialistenkvngretz,
nämlich daß die Wiederkehr eines Verbrechens, wie des großen
W-Mrieges^ der.eine Schmach -der Menschheit darstell-e, Mit allen
Mitteln zu verhindern sei, vornehmlich durch -den internationalen
Streik. Die Annahme dieser letzten Entschließung erfolgte einstim- ,
m-ig unter langan-dauerndem Beifall. Die Versammlung erhob sich
mir dem Rüfe: „N ieder mi t d e m Krieg!" und stimmte die
Internationale an. Nachdem- ein neuer Exekutivausschuß bestellt
Wörden war, dem zwei Franzosen, vier Engländer, -drei Deut-
sche (Hue, Witzmann und Im-busch), zwei Belgier, je ein O-ester-
.r-eicher, Ungar, Pole und Luxemburger, sowie zwei Tschechen und
vier Amerikaner angehvren, schloß Präsident Smistie den Kongreß. I

Krieg und Frieden im Osten.
Von Karl Kautsk y.
So verschieden auch die Ansichten der Sozialisten über -iS
bolschewistischen Methoden sind, in dem einen Punkt« stimmen sie
alle überein, es mit Freuden zu begrüßen, daß es Rußland gelang,
sich des polnischen Angriffs und der Feindseligkeiten der Entente
zu erwehren.
Ts war ja klar, daß die Mächte, die Krieg gegen Sowjetruß-
iand führten, es nicht taten, um -die Rechte der Demokratie gegen-
über der Autokrane geltend zu machen. Die bürgerlichen Republi-
kaner Frankreichs hatten nicht -das mindeste Bedenken getragen, mit
der zaristischen Autokratie nicht nur Frieden zu halt«», sondern sehr
Bedürfnisse zu schließen. Und wenn sie jetzt Krieg gegen die
russische Republik führen, geschieht es nicht zum mindesten deshalb,
weil sie ihr die 20 Milliarden erpressen wollen, die -sie nach Ruß-
landt gesandt, um den Zar«n instand zu setzen, sein Volk Niederhal-
ten zu können.
Sowjetrußlan-b wurde von den bürgerlichen Regierungen- be-
kämpft, weil sie es als eine proletarische Machtposition
betrachteten und weil seine siegreiche Behauchung das Selbstgefühl
des Proletariats aller Länder stark zu erhöhen versprach, während
sie von einer gewaltsamen Niederwerfung der Sowjetrepublik ein
Erstarken der internationalen Reaktion gegen das Proletariat er-
warten durften.
Aus den gleichen Gründen -haben sich die Sozialisten aller
Länder und aller Richtungen, auch solche, denen di« bolschewistischen
Methoden als höchst unheilvoll erschienen, im Ostkrieg einmütig
auf die Seite des bedrohten Sswjrtruhland gestellt.
Sein Sieg bedeutet zweifellos eine gewaltige Steigerung des
Kraftbewnßtseins der Lohnardeiterfchaft in der ganzen Welt und
damit eine erhebliche Forderung ihres Klaffenkampfer.
Nicht minder freudig ist die kraftvoll« Selbstbehauptung
Rußlands deshalb zu begrüßen, weil sie bezeugt, daß „eine Grenze
hat die Tyrannenmacht" der Ententesieger. Jede kontrollose Dikta-
tur führt zu Maßlosigkeiten und schließlich zu den unerträglichen
und verderblichsten Verhältnissen, auch wenn ihr Ausgangspunkt
-völlig einwandsfrei, ja -hochwillkommen ist. Darum erschien uns
-als die einzige wünschenswerte Form der Beendigung des Welt-
krieges «in Friede der Verständigung zu sein. Seine Beendigung
durch einen den Gegner zerschmetternden Sieg schien uns grauen-
voll, wer immer der Sieger sein mochte.
W«nn heute die Großmächte der Entente finden, daß ihre
Diktatur auf erfolgreichen Widerstand stößt und -daß sie nicht aller
-Welt ihre Launen nach Belieben diktieren können, so wird -das sehr
stark dahinwirken, sie zur Selbstbesinnung zu bringen und die Oppo-
sition in ihren eigenen Reihen gegen ihr« ebenso sinn- wie -maßlose
Politik zu verstärken.
Wenigstens -dann wird dies der Fall sein, wenn nicht di« Rus-
sen ihrerseits ebenfalls dem Siegertaum-el verfallen und «inen un-
billigen Frieden zu erzwingen suchen.
Gelänge es, im Osten zu einem vernünftigen Frieden zu kom-
men auf der Basis, die von den Bolschewiks in Zimmerwald selbst
proklamiert worden war, der der Selbstbestimmung der Völker,
dann könnt« endlich eine Aera -es Weltfriedens und des Ausstiegs
-aus dem Kriegselend beginnen.
Allzu rasch darf man sich freilich diesen Ausstieg nicht vorstel-
len. Auf dir Massen von Lebensmitteln und Rohstoffen aus Ruß-
land, die uns so oft verheißend in Aussicht gestellt wurden, ist noch
lange nicht zu rechnen. Da ist die russische Wirtschaft und nament-
lich das russische Verkehrswesen zu sehr ruiniert und desorganisiert.
Krassin bürste mit seiner jüngst veröffentlichten Erwartung recht
behalten, wonach ec- noch drei Jahre dauern wird, daß die russischen
Städter hungern und frieren, und zehn Jahr«, bis Rußland seine
alte Produktion wieder erlangt hat.
Wohl aber dürfte -der Fliedenszustand dazu führen, daß groß;
und wertvolle Teile des autzenrussifchen Proletariats aufhvren, ihr«
Kräfte in Versuchen zur Nachahmung des russischen Vorbildes zu
erschöpfen, die erfolglos bleiben muffen und die Arbeiterschaft nur
lähmen und schwächen.
Heute ist es fast unmöglich, die volle Wahrheit über Rußland
zu erfahren. Abgeschnitten von uns durch den Kriegszusta-nd, hat
es keine andere Press« -als die der Regierung. In den -öffentlichen
-Versammlungen -dürfen nur Redner auftreten, die von 4lr Behörde
dazu die Genehmigung erlangt haben. Wer sich oppositioneller
Regungen verdächtig macht, ebenso -wi-e jeder Fremde, wird polizei-
lich bewacht und in seinen Bewegungen dirigiert — wie -ist es -da
dem Ausland möglich, die reine Wahrheit übett Rußland zu erfah-
ren! Der aufmerksame Beobachter vermag sie zwar schon -aus den
Musterungen der russischen Regierungspartei zu entnehmen, aber
die große Oessentlichieit verlangt direkter« Ausschlüsse.
Ist der Friede da, dann gestaltet sich -der Verkehr Rußlands
-mit dem Ausland freier. Er muß rasch zun-ehmen und in dem glei-
chen Matze sich mehr jeder Kontrolle entziehen. Zahlreich« West-
europäer werden nach Rußland -auswandern, wo man qualifizierte
-Arbeitskräfte braucht, und wo sie eine Verbesserung ihrer Lage er-
warten. Ihre Erfahrungen -allein werden genügen, -die Wahrheit
über Rußland zu zeigen.
Anderseits werden mit steigendem internationalem Verkehr die
Arbeiter Rußlands wieder di« Wahrheit über di« Lag« der Genos-
sen im Ausland erfahren. Der steigende Verkehr und die Entwick-
lung der Industrie.werden Arbeiter und Bauern im russischen Reich
wieder zu größerem politischen Interesse und zu größerer politischer
KraftentwickluN'g bringen, -ihre Opposition gegen die heutigen Be-
schränkungen ihrer politischen Betätigung wird wachsen und sie wird
-umso sicherer «ine dieser Schranken nach der anderen unwirksam
machen und das Reich mit demokratischem Geist erfüllen, als gleich-
zeitig der Kriegszustand aufhört, der stets der Diktatur von Militär
und Bureaukratie im günstigsten gewesen ist.
So wird in Rußland wie im übrigen Europa -das Wachstum
 
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