Lageszeitung sür die werktätige Bevölkerung -er Amtsbezirke Heidelberg, Wiesloch, Sinsheim, Sppingen, Sberbach, Mosbach, Buchen, Adelsheim, Boxberg
Tauberbifchofsheim und Wertheim.
>» . ".-717' ""'''MsMII!
Z-zugspreis: Monatlich einschl. Träasrlohn s — Mk. Anzeigenpreise:
die einspaltige petitzsile (36 mm breit) so pfg., Reklame-Anzeigen
M mm breit) 2.20 Mk. Bei Wiederholungen Nachlaß nach Tarif.
- Gehcimmittel-Anzeigen werben nicht ausgenommen.
AeMäftsftunden: 8-'/,s Uhr. Sprechstunden der Redaktion: 11 -12 tthr.
ff»Ntzh«tt»nto Karlsruhe Nr. 22-27. Tel.-Adr.: Volkszeitung Heidelberg.
Heidelberg, Donnerstag, IS. Juli 1V20
Nr. 161 » 2. Jahrgang
Derantworti.: Fiirinnereu. äußere Politik, NokkSwirtschastu. Feuilleton: Or.
E.Kraus? für Kommunales u. soziale Rundschau: Z. Kahn,- für Lokale«:
O.Geibeli für die Anzeigen: H. Hoffmann, sämtlich in Heidelberg
Druck und Verlag der llnterda bischen Verlagsanstalt G. m. b.H., Heidelberg
Geschäftsstelle: Schröderstraße 39.
Dar Rätesystem.
Von Heinrich Ströbe'
Heinrich Ströbel, den Die Unabhängigen in» Novem-
ber 1918 zum leitenden preußischen Minister machten, der also
damals bei ihnen bas größte persönliche Vertrauen genoß,
wurde von seinen Steglitzer Genossen aus der bl. S. P. kurzer-
hand hmausgeworfen, weil ihnen die von ihm vertretenen Auf-
fassungen nicht paßten. Die Leser wir- es interessieren, bi«
Ansichten näher kennen zu lernen, für id-ie man Henle aus der
ll. S. P. hinausgeworfen wird. Die folgenden Ausführungen
find mit Genehmigung des Verfassers vom „Vorwärts" einem
seiner Bücher entnommen, „Die deutsche Revolution. Ihr Un-
glück und ihre Rettung", das demnächst im „Firn"-Verlag er-
scheinen wird.
Der Idee, Demokratie und Räteorganisation mtteinarrder zu
vewinben, und zu verschmelzen, standen und stehen alle jene Links-
svzialisten ablehnend gegenüber, die erst von der Verwirklichung des
„reinen" Rat ege dankens die Realisierung des Sozialis-
mus erwarteen. Liner der rutsch red rasten Verfechter des Räie-
iyfrsms und der Rätediktatur ist neben Däumig der Leipziger Re-
dakteur Kurt Geyer, dessen Argumentation hier kurz wiedergege-
ven sei. Der Sozialismus, sagt Geyer, kann niemals durch Parla-
Wentsdeschlüsie durchgesetzt oder sonstwie von einer Demokratie de-
kretiert, sondern nur durch das proletarische Machtinstrument der
Aä'teorgomisation durchgefiihrt werden. Diese Ratevrganisüiio»
rnuß aus zwei Körperschaften bestehen: de» Arbeiterräten
als der politische« Herrjchastsorganisatlvn Des Proletariats,
^ie De» Gesetzgebung»- urch Verwaltungsapparak des Stüates zu
Übernehmen und den Widerstand der herrschenden Klaffe zu brechen
bat, und den Betriebsräten, die die spezifisch wirtschaftlichen
Mnkttonen M erfüllen haben. Diese Betriebsräte „müssen das
v»echt Haden, Einblick in die kleinsten Einzelheiten Der Betriebe zu
nehmen". „Der gesamt« Betrieb, feine Rentabilität, Die Verteilung
ces Gewinns M die Unternchmer, Dir Aktionäre, aus ReservrfoÄs,
-ur Erweiterung der Produktion, alles das mutz Den Betriebsräten
und damit Der Arbeiterschaft Der Betriebe dis in die kleinsten Ein-
zelheiten offen!legen. ... Ts ist erforderlich, daß die Betriebsräte
Acht nur mltbeitimmcn,, sondern entscherDende» Einfluß auf
die Betriebe erhallen. Sie rnriffen entscheiden können über die Ent-
lohnung der Arbeiter, über die Einstellung und Entlassung von Ar-
bitern. Der entscheidende Einfluß mutz sich überhaupt auf alle Be-
triebsfragen erstrecken. Sie müssen entscheidende Worte zu sprechen
haben in der Frage des Ausbaues Der Steigerung der Produktivi-
tät der Betriebe."
Diese Kompetenzen Der Betriebsräte fallen nur durch zen-
trale Organisationen Der Betriebsräte beschränkt werden
könne«, durch Bezirtsbetrivbsräte von einzelnen Indu-
stkiegruppen, Die aus sich heraus wieder Zentralbetrsebs-
käte sür jede Industriegruppe wählen. „Diese zentralen In-
dustrieräte,-von denen jeder einen Industriezweig überblicken und
entscheidend beeinflusien wird, müssen schließlich aus sich hemus
kirren Zentra! wirtschaftsrat für das gesamte Reich bil-
de». Dieser wird Dan» die oberste wirtschaftliche Instanz der ge-
samte» deutschen Volkswirtschaft bilden. Erdnuß in enge Bezie-
hUirge« treten zu der Zentrale der Arbeiterräte. Bei ihm wich Dass
gesamte statistische Material über die gesamte deutsche Produktion
Mammenlaufen. Er wird die Möglichkeit habe», die gesamte Pro-
duktion zu überblicken und zu organisieren und die Produktion dem
TefelWaftsdodars cmzupassem"*)
Wie diese „großzügige Organisation im einzelnen durchznfuh-
P.n" sei, das erklärt Kurt Geyer „neben der grundsätzlichen
Einführung dieses Rätesystems und der Fest stellung seiner Be-
-ugnisst sür „eine Frage zweiten Ranges". Und auch Däumig er-
klärt immer wieder. Daß sich das alles schon von selbst ergeben
Arche: „Da die Räteorganisation Das Kind revolutionärer Epoche«
stt, wich sie niemals fix und fertig in fchön parqgraphierten Satzun-
gen m Erscheinung treten", lind weiter: „Im Rätesystem soll zu-
nächst Diktatur des Proletariats organisatvrifch vor-
bereitet werden. Zum zweiten soll mit ihm Die politische Macht
Akampft und zum dritten nach ersolgtem Siege der Diktatur des
»roletariats im Wirtfchaftsprvzeß wie im Staatsapparat durch-
yeftthrt werden."**) Däumig sowohl wie Geyer und die anderen
unabhängigen Propagandisten des Rätesystems rechnen also mit
Wem Entwicklungsprozeß von keineswegs geringer
Aauer. Erst wenn durch ein allmählich aufzubauendes Räke-
Mern die politischen uriv wirtschaftliche» Vorbedingungen dazu ge-
aasten Wochen sind, kann ihrer Meinung nach die Diktatur des
Proletariats verwirklicht werden. Angesichts dieses Erkenntnis
bleibt es nur unverständlich, warum man sich dann, und gerade im
Svgenvärtigen Wahlkampf zur Reichslagswahl am 6. Juni, über
Diktatur und Rätesystem so heftig ereifert! Denn das Bekenntnis
ium Rätesystem und zur Diktatur des Proletariats wich nicht nur
scharfes UtfteSschekdungsmerkmal zwischen Unabhängigen und
^echtssozialrsten hersorgehobe», sondern auch nachdrücklich von den
««abhängigen Kandidaten zur Nationalversammlung gefordert. Ja,
A Richtung Dämnig-Stöcker-Koenen hätte gar zu gern die KanDi-
u«ten auch auf die Verpflichtung festgelegt, im Fälle ihrer Wahl die
^«mentarische Tätigkeit nicht zu positiver Arbeit, sondern zur
*°«D»tage des Parlamentarismus und der Demokratie zu benutze»
Ueberspannmeiten, denen die gemäßigteren Vorstandsmitglieder
''«e Zieh, Ledebvur mck> Lrispien allerdings entgegeiigetreten sind.
, Daß Dav vielumstrittene Rätesystem einstweilen nicht viel mehr
«'b/ine Idee, eine Theorie ist, wird gerade von Den Vor-
^Wern dieser Theorie zugegeben, die sich an« gcündttchften und ge-
->r^„ Mastesten mit ihr bejchästigt haben. So von den NattonÄ-
und Wirtschaftspolitikern, die im April 1!>2V unter dem
rat-.-''VNrtschastliches Kampsbuch für Betriebs-
* ein« Sammlung von Abhandlungen über Das Rätesystem
Gever, Sozialismus und Rätesystem.
t Di« Revolution. Unabhängiges Jahrbuch 1920
veröffentlichten. Diese Verfasser, di« sämllich Anhänger des Rate-
systems und sozusagen Rätespeziaiiste» sind, warnen einhellig vor
leichtfertigen und plumpen Rätekvnstrukkionen. Sv schreibt Ernst
I aic o bk: „Einer Erörterung der Form Des Ratesystems mutz vor-
ausgeschickt werden, datz hier naturgemäß nicht ausgezeigt werden
soll, zu welchem Gebände sich die heutigen spärlichen Ansätze ent-
wickeln werden. Die dazu notwendige Sehergabe ist bislang noch
nirgends festgestellt worden. Das Rätesystem wird schwerlich in
Kürze ein fix und fertiges Gebäude darstellen, sondern sich immer
mit der Entwicklung der Revolution verbessern." Friedrich M.
Minck warnt gleichfalls, ans der Räterdee ein Rätesystem zu- ma-
chen: „Ein konstruiertes, erdachtes Rätesystem kann niemals die
Räteidee verwirklichen." Und M ü l l er -N e uhqu s schreibt über
die Sozialisier« ng Der Wirtschaft: „Wann dieser ileber-
gang aber eintrelen wiüd. Das hängt Davon ab, ob es gelingt, in die
breiten Mafien des Volkes diejenigen Kenntnisse hineinzutrageN' die
notwendig sind, um geeignete und ungeeignete FÄhrer in
Produktion und Wirtschaft zu unterscheiDen." Um praktische
Vorarbeit für den Aufbau der wirtschaftlichen Räteovzanffakisn zu
leisten, hatte der Berliner Bollzugsrat einen Entwurf
des Räteaufbanes Kusgoarbektet, der dir industrielle Erzeugung nach
neuen großen Rerchsgruppen gliederte. Mer gerade »»»» diesem
praktischen Vorschlag behauptet Minck, daß er eine arge Unkenntnis
der Vielseitigkeit und Der wahren inneren Zusammrichäyge der
deutschen industriellen Produktion beweise: „Nnr ein Ignorant
kann sich anmatzen, den Aufbau der sozialistisch«« Produktton mit
ein paar Federstrichen abzutun. Wir müssen ... lernen, datz unsere
erste und wichtigste Aufgabe ist, uns eine gründliche Kenntnis des
gesamten Wirtschaftslebens anzueignen."
Danach wäre also festzustellen, DciZ das Rätesystem, das
in der Agitation der deutschen Linksunäbhängizen und Kommunisten
eine jo große Rolle spielt, keineswegs ei»en unmittelba-
ren, sofort funktionsfähigen Ersatz der Demokrat«'«
und des Kapitalismus darstellt! Die logische Folgerung ist, daß es
nicht von heute auf morgen improvisiert, son-
der n e r st atz lm ä h l ich a u f g e b a u t w e rd r n k a n n. Dann
ist aber auch nicht Zn bestreite!,, daß die Demokratie und mindestens
anfehnliche Reste des heutigen Wirtschaftslebens vorläufig Mr
nicht entbehrt werde», können. Nach Däumig ist ja dw Dik-
tatur des Proletariats erst dann möglich, wenn sie durch das Räte-
ystem organisatorisch hinlänglich vorbereitet fit, und das Rätesystem
ll «Wiederum kann erst durch die praktische Betätigung im Ä»rt-
ichaftsprozetz ei» lebensfähiges und Lragfähiges Gebilde werden.
Aber selbst wenn die deutsche Arbeiterklafie heute schon die poli-
tisch« Diktatur erobern könnte: au eine durchgreifende Soziali-
sierung der Produktion wäre gerade nach Ansicht der deutschen
Rätetheorettker nicht eher zu denken, als bis sich das Proletariat
mit seinen schwierigen und komplizierten wirtschaftlichen Funktionen
hinlänglich vertraut gemacht hätte. A,«ch Kautsky sagt ja in dein
Jahrbuch „Die Revolution": Le weniger wir uns heute den Luxus
von Lehrgeld erlauben dürfen, desto notwendiger wird es, jede
Sozialisierung genau vorzubereitsn. Nichts ökonomisch ruinöser
als die überhastete, jchablvnenhaf 1 e Manier der Sozia-
lisierung, wie sie in Rußland und Ungarn vorgenommrn
wurde. Es wäre bei unserer Armut auch Doppelt notwendig, über-
all dort, wo sozialisiert wird, jene Sekte besonders stark hervrrtrsten
zu lassen, die sozialistische Arbeit produktiver machen als die kaNtÄi-
stijche, und andererseits alles zu vermeiden, was jene Arbeit unpro-
duktiver machen könnte."
Kautskys Warnung vor einer Nachahmung der russischen So-
zialisierungsmechoden «st um so begründeter, als in Deutsch-
land Industrie und Handel einen ganz andern An-
teil an der Volkswirtschaft und einen unendlich viel größeren Pro-
zentsatz der Gejamtbevölkerung umfassen, als in den, Agrar'-ntd Rutz-
ia-'d. Bereits im Jahre 1967 waren in den gewerblichen Betrieben
allein 14 348 666 Personen beschäftigt. Während heute in brr gan-
zen Industrie Sowjetrutzlands nicht viel mehr als eine hatbe Mil-
lion Arbeiter beschäftigt sein sollen, gab es in Deutschland schon vor
13 Jahren — eine neuere Berufs- und Gewerbezählung liegt
nicht vor — allein in der Metallverarbeitung Mch Maschmsnindu-
strie wett über doppelt so viel Arbeiter. In den Betrieben mit mehr
Äs 5V Arbeiten, ,vckren annähernd 4^ Millionen Personen beschäf-
tigt. Der deutschen Sttrdtbevölkerung gehörten 1919 66 v. H. der
ganzen Bevölkerung an, der Lanobevölkerung 40 v. H. Mehr als
ein Fünftel der Bevölkerung wohnte in Städten mit mehr als
106 006 Einwohner», 34,2 v. H. in Städten mit mehr Äs 28 000
Einwohnern. Jede wettere Störung der ohnchin so schwer zerrütte-
ten Volkswirtschaft, jede Verzögerung ihres Wiederaufbaues müßte
deshalb ungeheure Katastrophen über das deutsche Bott bringen.
Die englischen Gewerkschaften zur irischen
Frage.
London, 14. Juli. Der gestern in WeistmWrr adgchaltMe
GerveÄschaftskongr-ch hatte Die besondere Ausgabe, die Haltung «der
britischen Gewerffchafien gegenüber Irland und Rußland zu er-
wäge«. Der Kongreß nahm Die vom nationalen EisenLahuerven-
baftd eingevrachk Resolution an, worin zu einem Waffenstillstand
zwischen den irischen Parteien achgeforbert wird. Damit Die Morde
und Verbrechen -ein Ende fänden. Ferner wird in >der RefMiiisn
die Zurückziehung der britischen Armee aus Irland verlangt Und
daß die Regierung «ein irisches Parlament einsetzt, wenn Der Waffen-
stillstand hergesMt sei. Wester nahm Der Kongreß eine ResdlNtivn
des BergaöbeiterverbaNdes an, in Dor die Zustimmung der Gewetk-
schaffen über Die Frage des Generalstreiks M Befolgung empföhlen
wich, falls Die englisch« Regierung Die Truppen nicht aus Irland
zurückzicht und A« Herstellung Der Munition zum Gebrauche gegen
Irland nicht eiustellt.
Verschärfung drr Krise. —
Drohendes Ultimatum.
Spa, 14. Iuii. Wie hier verlarstet, wurde bei der heutigen
Zusammenkunft zwischen dem Minister Dr. Simons und Lloyd
George die Kohlenfrage besprachen. Lloyd George bestand mit
Nachdruck aus eine baldige Entscheidung der Deufichen Regierung
Spa, 14. Juli. Die Beratungen Des Kabinetts haben bisher
zu keinem Ergebnis geführt. Ma» erwartet die endgültige Ent-
scheidung morgen.
Berlin, 15. Juli. (Privattelegramm.) Verschiedene Blätter
melden von einem lllttmatrrm, das der deutschen Delegation heute
in Spa von den Alliierten mttgeteilt worden sei und in dem di«
deutsche Entscheidung aus den letzten Vorschlag der Entente in der
Kohlenfrage innerhalb 24 Stunden gefordert mW eine zweisttinDige
Abfahrtszeit aus Spa gegeben fei. Die Mitteilung sei von der
Drohung der Besetzung des Ruhrgebiets begleit^.
Spa, 14. Juli. Das Noutersche Bureau verbreitet folgende
Meldung: Die Alliierten traten heute vormittag 111t Uhr zusam-
«nen. Die Generale Foch und Mc. L i n erstatteten Bericht über
die militärische Lage. Darauf wurde die Zusammenkunft bis 8 Uhr
abends verschoben. In der Zwischenzeit hat kein Verkehr mit den
Deutsche«, stattgefunden und es scheint, daß der Abbruch der Ver-
handlungen unmittelbar bevorsteht und daß die Alliierten Das Rar-
gebiet besetzen werden. Hie italienischen und englischen General»
werden heute abend eintreffen.
Dre Bergarbeiter stehen hinter Hu6.
B O ch!U m, 14. Juli. Die von den Obleuten brr im Berg-
arbosterverband oWanistertsn Betriebsräte, ferner von den Bezirks-
Vertretungen Des BergarbesterverbanDes Md De» Mitgliedern seines
Gesamlvvrstandss bchuchte Konferenz erklärte sich nach einem Refe-
rat Hu-os über Die Vorgänge in Spa eßwevstarchM. Diese Mei«,«
wurde durch eine ernstmMi-g angeiwRmrene ErMmntz Esidrückffch
bekundet.
In einer gestern in Essen ubgchalrenen Sitzung Der Arbests.
kammergruppe Der Arbeiter im RuHrDergbau wume einstimmig ein«
Entlchließuttg gefaßt, in Der gegen ein Diktat Der Entent»
in der Kvhlenfrege protcisttert wird und jedes liebechchich taNo mimen
infolge dieses Dmates -ab'beichnt wivd. Die Arbeiterschaft wülld»
nie ihr Recht auf Freiheit nnd llnctbhängigkeft preisgeben, fsW
wenn die Negierung auf sie schießen würde.
Der Mg. Hue hat sich an Minister Dr. Simons inst eine«»
Telegramm golvanldt, in Dem er die zunchmeüde Unlust Der Berg-
leute, neue Üeberschichten zu fahren, mit der schlechten ErnähiMg
begrünLek un!d besonders auf di« Nachrichten aus Spa, datz Dort
Zwangsmaßnahmen Men Das Ruhrgebiet erörtert iwüvden.
Ernähvaugeexposs der deutschen Regierung
in Spa.
Spä, 13. Juli. Der Reichsminister für Ernährung
und Landwirtschaft Hai durch die deutsche Delegation der Kon-
ferenz in Spa nachstehendes Expose über die Ernährungsftag« Deutsch-
lands unterbreitet:
Der Ministerpräsident Millerand hat die Bereitwilligkeit der
alliierten Mächte zum Ausdruck gebracht, mit Deutschland eine Abmachung
über die Lieferung von Lebensmitteln zu treffen, um die Rot der deut-
schen Bevölkerung zu lindern. Das deutsche Volk ist sür diese Bereit-
willigkeit aufrichtig dankbar und begrüßt sie umsomehr, als es ohne diese
Hilfe der alliicrren Mächte dem deutschen Volke nicht möglich fein wird,
den Druck der Unterernährung, der schwer auf ihm lastet und ihm Arbeits-
freude und Arbeitslust nimmt, sowie dir Quelle aller seiner Schwierigkeiten
auf politischem, wirtschaftlichem und sozialem Gebiete ist, zu beseitigen.
Dis Größe dieser Rot ist so dringend, datz wir der Hilfe bedürfen. Das
Expose erläutert diese Notlage dann an Hand eines umfangreichen Zah-
lenmaterials und fährt dann fort:
Als Gesamtergebnis verfügt die deutsche Bevölkerung jetzt über ei»
wesentlich verringertes Quantum an pflanzlichen und tierischen
Lebensmitteln heimischer Erzeugung. Deutschland ist daher gezwungen,
die während des Krieges eingesü'mle Rationierung noch für eine Reihe
von Lebensmitteln fortzuführen. Die Rationen müssen «der so knapp
bemessen werden, datz sie etwa die Hälfte des täglichen Lalvrien-Tasges
eines erivacksenen Menschen bilden. Da Deutschland aber bis heute noch
nicht in die Lage versetzt ist, die fehlenden Lebensmittel in dem erforder-
lichen Umfang aus dem Auslände etnzufübren, so ergibt sich die trattrige
Tatsache, datz
die deutsche Bevölkerung sich noch immer in eine»
Zustande starker Unterernährung
befindet.
Auch die verheerenden Wirkungen der Unterernährung avf den Volks-
körper werden an Hand von genauem Zahlenmaterial dargelegt. Es
heißt dann weiter:
Wie sehr einerseits
das Heranwachsende Geschlecht in seiner
Augenokrast vernichtet
wird, wurde stets anderseits der Zustand von chronischer Unter,
rrnährungder erwachsenen Bevölkerung allgemein, so datz sk
nicht imstande fit, ihre volle Arbeitskraft wieder zu erlan-
gen. Die Folge ist die Unmöalichkeit. dke gegenwärtig durchaus
unbefriedigenden Leistungen iu Industrie und Bergbau zu steigern.
Gerade aus de« Bergarbeiterkreisen häufen sich in der letzten Zeit di«
Klagen über die durchaus unzureichende Ernährung, besonders auch des-
halb, weil wir z. B. gezwungen waren, dem Brotmehl bis auf 80 Prozent
Streckungsmittel beizufügen und auch die Qualität des für die Kranke»
bestimmte« Brotes zu verbessern. Dieser Zustand mutz bei der Bereit-
willigkeit der Arbeiter zur Arbeitsleistung infolge
physischer Unmöglichkeit zu einem neuen
Herab sinken der Kohlenförderung
führe». Hierzu kommt, bah die schwierige Lage, in der sich augenblicklich
die deutsche Industrie befindet, es einem wachsenden Teil der Bevölkerung
unmöglich »nacht, die auf Karten ausgegebenen Lebensmittel sämtlich ab-