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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (2) — 1920

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Nr. 141 - Nr. 150 (22. Juni - 2. Juli)
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Mwttz, Sie Belastungen sind recht schwer, <rb»r er muß
auch berücksichtigt werden, daß dis bisher bezahlten 48 e-
meindeüinlagen mitinbegriffen sind. Ferner steigt
bekanntlich die Steuerfreigrsnze mit der Zahl der Kinder.
Ein Familienvater z. B. mit Frau und 6 Kinder kann
6000 Mk. in Abzug bringen und nur den überschießenden
Teil des Einkommens muß er versteuern.
Deutlich zeigt sich beim Einkommensteuergesetz der Ein-
fluß der Sozialdemokratie; er würde sich in sozialer Hinsicht
noch besser ausprägen, wenn die Unabhängigen mit
ihrer Negationspolitik nicht hemmend gewirkt
hätten. Die U.S.P.-Leute sind die allerletzten, die das
Recht haben, sich zu entrüsten. Oder wollen sie etwa dem
Volke plausibel machen, dis Steuern wären gerechter ge-
worden, wenn die bürgerlichen Parteien diese Gesetze allein
gemacht hätten? So wollen es ja dis Herren der U.S.P.
haben. Möglichst schlimm sollen sich die Verhältnisse ge-
stalten, damit ihr ParLeisüppchs« tüchtig brodelt, mag auch
das Land darüber zugrunde gehen. Praktisch mit-
helfen, daß es besser «nrd, wollen sie nicht.
In Köln fand dis vorige Woche eine Versammlung
der Betriebsratsvorsttzenden und Obleute sowie der Gewerk-
schaftsvorstände aller Richtungen statt, die sich nut dem
Steuerabzug beschäftigte. Nach einem Referat des dortigen
Bürgermeisters (Liess, der in eingehender Weise die ganze
Finanzreform beleuchtete und einer sachlichen Aussprache,
wurde folgende Entschließung angenommen:
Die am 24. Juni im großen Saale des Volkshauses
versammelten Vertrauensleute aller Gewerkschaftsrichtungen
erklären folgendes:
„Infolge der Deutschland durch den verlorenen Krieg
auferlegten ungeheuerlichen Lasten ist eine starke Erhöhung
der Einkommensteuersätze eingetreten. Die Arbeiter und
Angestellten sind bereit, zu ihrem Teil die erhöhten Lasten
zu tragen. Sie verlangen aber, daß eine gleichmäßigere
Verteilung auf alle Volkskreise stattfindet und die Arbeiter
und Angestellten nicht über Gebühr belastet werden. Der
Steuerabzug muß so gestaltet sein, daß dieLebensbedinguugen
der Arbeitnehmer sichergestellt sind. Der jetzigen Teuerung
entsprechend, sind die Abzugssummen feftzusetzen. Deshalb
verlangen die Versammelten, daß die Reichsregierung die
in Betracht kommenden Bestimmungen dementsprechend
ändert, um einen gerechten Lohnabzug in die Wege zu
leiten. Eine Erhöhung der abzugsfähigen Sätze um 100
Prozent ist dringend geboten rind durch dis tatsächlichen
Verhältnisse voll berechtigt.
Das Reichsministerium wird ersucht, sämtliche Finanz-
ämter im Reich auzuweisen, die Bestimmungen des 26
des Steuergesetzes in sozialer Weise in weitgehendem Sinne
zur Anwendung zu bringen. Ferner soll die Natural-
verpflegung beim Steuerabzug einer sofortigen Nachprüfung
unterzogen werden und der Termin bis nach dem 1. August
d. Js. verlegt werden.
Die Naturalverpflegung darf nicht über ein Viertel
des Satzes zur Erhebung kommen, der von den einzelnen
Gemeinden festgesetzt wird."
Die Veranstaltung zeigt, daß da, wo man keine partei-
politischen Nebenabsichten hat, zu dieser Frage auch sachlich
Stellung genommen werden kann.

NS


ang'merkt, am liebsten hält s' mich gleich grabwegs von Hinterwal-
hen nach Langsndvrf a'schickt. Sie kanns nit erwarten, baß mich
her Alte steht und- ich selber wär nit wenig neugierig auf ihn. Ja,
(nein liebe Leni, mit dein Brief karriolt wohl der Postbvt schon die
Straßen vorauf, den hol ich nimmer ein; aber hint'nach mag ich dort
sein, eh' d' nur ein Gedanken davon hast. Was? HZg ging wohl?
Pan?" — —
(Fortsetzung kelat.t

Kommunales.
" Die Städtische Besotdungsordnung, die in der morgigen Sitzung
des Burgerausschusses beraten wird, gehört zu einer der wichtigsten Bor-
lagen. Daß eine Neuregelung der Gehaltsverhältnisse notwendig ist,
wird niemand bestreiten, jedoch die ganze Ausgestaltung der Besoldungs-
ordnung macht es der Sozialdemokratie etwas schwer, dieser ihre
Zustimmung zu geben, aber nachdem bas Reich und die Staaten die
glichen Gehaltssätze haben, kann eine grundlegende Regelung vorerst
nicht mehr vorgenommen werden. Tine derartige Aeuderung wurde auch
die Vorlage aus Wochen hinaus verschleppen, wodurch den Beamten die
notwendige Erhöhung ihrer Bezüge, die sie gerade jetzt bedürfen, aus
diese Feit yorenthallen wird. Die Ungerechtigkeit der Besoldungsord-
nung liegt hauptsächlich darin, daß einzelne das Vielfache von
b e m haben, was andere bekomme n. Wir vertreten nicht den
Standpunkt, daß alle das gleiche Gehalt erhalten sollen, aber die Diffe-
renzen der einzelnen Gruppen sind ganz gewaltig. Das Einkommen eines
Beamten setzt sich künftig aus drei bzw. vier Posten zusammen: Grund-
gehalt, Ortszulage, Teuerungszulage und gegebenenfalls Kinderzulagc.
Die Grundgehälter müssen entsprechend der Vorbildung und Ver-
antwortlichkeit abgestuft werden, -dagegen ist es unangebracht, daß man
auch in den Ortszulagen in ein und derselben Stadt zwischen 1600
bis 4000 Mk. abftuft und zu allen Gehältern und Ortszu-
schlag gleichmäßig 50 Prozent Teuerungszulage gc°
tvLhrt. Die Ungerechtigkeit zeigt sich in folgendem Vergleich: Der Au-
sangsgehalt eines Beamten in einer größeren Stadt setzt sich wie folgt
zusammen:
Gruppe 1: Grundgehalt 4000 Mk, Ortszuschlag 1600 Mk., 50 Proz.
Teuerungszulage L800 Mk., zusammen 8400 Mk.
Gruppe 2: Grundgehalt 8400 Mk., Ortszuschiag 3200 Mk., 50 Proz.
Teuerungszulage 5800 Mk.. zusammen 17 400 Mk.
Ls wäre der Differenzierung Genüge getan mit einem Gehaltsunber-
schied von 4000 Mk., statt mit 9000 Mk. Dieses Verhältnis entsteht
lodigüch durch -hie einheitliche SOprozrn-tjge Gewährung der Teuerungs-
zul-kxeN. DI« Städte und Gemeinden haben früher eine droiglioderige
Abstufung brr Teuerungszulage festgesetzt, das mehr dem Gerechtigkeits-
sinn Aspräch als das jetzige System.
Lsönso muß auch betont werden, 'daß die Bürgermeister-
aehälier ganz erheblich in die Hohe geschnellt sind, so -aß man sich
kragen muh, ob nicht durch die Bewilligung der Gehälter die Grenze des
VerkintwoMchen überschritten wird.
Diese Anze Besoldungsfrage hat in Kreisen der Bürgerschaft ziem-
lich Auffchfn erregt hnd so mancher gute Spießer gibt m Eingesandts in
bei bürgerlichen' Presse seinem lebhaftes Unwillen ßber -die Neuregelung
per Beamtengebälter zum Ausdruck. Bei di<er Kritik wird in Sielen
Fällen das fachliche Maß überschritten, und auf Einrichtunaen gehetzt,
gegen die män mis irgendeinem bestimmten Grunde ein Mißfallen hat.
vn diesem Sinne hat „Ein Bürge r" in einem Eingesandt im „Heid.
Togcbl." die Gelegenheit benützt, um gegen -die „v o l k ss ch ä d i ge n-
b etz".Einrichtungen wie Ortskvhlenstell«, Berleidungsstelle, Nahrungs-
priltelaml, Wohnung»- und Mieteinigungsamt, und zum Schlüsse durfte
kchürlich die Erwerbslsfenfürsorge nicht fehlen, seinen Kropf ausgeschüttet
und verlangt, daß difte Einrichtungen alsbald-v e rsch w in d« n. Die
Motive des „Bürgers" «ul so rasche Befeitig-ung dieser notwendi-
gen Einrichtungen sind bei ihm nicht aus die Bcsoldungsfrage
rurückzuführen, sonder» da liegen ganz einseitige Interessen zu
Grunde. Es ist bekannt, daß seit Wochen Md Monaten eine be-
stimmte Gruppe aus puren -Profitintereffen gegen einige dieser
Einrichtungen Hetzen, da ihnen die Gelegenheit zur schrankenlosen Aus-

! powerung der Massen zum Teil genommen ist.
i Die sozialdemokratische Stab t verordnete nfrak-
tion hat in der gestrigen Sitzung Stellung zur Besoldungsordnung ge-
nommen und faßte folgende Entschließung: Die sozialdemokratifche
Fraktion sieht in der Methode des SOprozensigen Teüerungszuschlages
ein-e schematische, sozial ungerechte Methode, die einen Bruch mit der
Gehaltsregelung des letzten Jahres -bedeutet. Die -sozialdemokratische
Fraktion beantragt daher folgende Resolution:
Es wird Protest gegen den schematischen Teuerungszuschlaa von
50 Prozent eingelegt, der eine Verschleierung -der Progression bedeutet.
Es wird die Erwartung ausgesprochen, -daß bei der künftigen Regelung
Teuerungszuschläge, sei es in den Grundgehältern, sei es gesondert, jeden-
falls progressiv ausgebaut werden.
Aus Stadt und Land.
Gegen den LeberrsirrttLs!wucher.
Der gestrige Protest gegen den Lödensmittelwucher ist, -wie wir
bereits gestern gemeldet -haben, ohne jeglichen Zwischenfall ver-
laufen. Nachdem der Markt zu den festgesetzten Preisen ausverlauft
war, was sehr schnell zu verzeichnen -war, bewegte sich die Arbeiter-
schaft im geschlossenen Demvnstrationszug pach dem Bezirksamt.
Hier begaben sich hie Betriebsräte und Vertrauensleute, ferner
Vertreter des Gewerkschastskarlells, zu Herrn Oberamtm-änn M ü l -
l e r, um mit diesem zu verhandeln, Mittel und Wege zu finden, die
bei der Bekämpfung des Lebensmittelwuchers den nötigen Erfolg
versprechen.
Zunächst ergriff Kollege Engelhard- das Wort, der in
klarer und sächlicher Weise den Zweck der Demonstration ausei-n-
andersetzte. Die Bevölkerung der Stadt Heidelberg, Arbeiter und
Bürger können die Preise für Obst und Gemüse nicht mehr auf-
bringen. Dieser Preistreiberei muß energisch Einhalt geboten wer-
den. Zunächst muß die Versorgung Heidelbergs sichergestellt Wer-
den, um dieses zu erreichen, werden wir mit dem Verband des Ver-
kchrspersonals in Verbindung treten und diese ersuchen, kein Obst
und -Gemüse mehr zu befördern. Die Preise müssen an jedem
Markttage untcr Hinzuziehung einer Vertretung der Arbeiterschaft
geprüft werden. Lin großer Mißstand besteht auch in den- Lebens-
mittelgeschäften, die ungleiche Preise verlangen, auch -hier muß Ab-
hilfe geschasst werden. Die Lohnerhöhungen der Arbeiterschaft
haben leinen Zweck mehr, denn sie stehen in keinem Einklang zur
Preistreiberei. Ferner verlangt die Arbeiterschaft, daß die Mehl-
schiebungen, die sich hier ereigneten, schnellstens vor dem Wucher-
gericht abgeurteilt 'werden. Ueberhaupt muß darauf geachtet wer-
den-, daß Vergehen gegen die übermäßige Preistreiberei schnellstens
vor dem Wuchergericht abgeurteilt werden. Engelhard konnte fest-
stellen, daß man mit der vorgenommenen Maßnahme au-f dem
Wochenmarkt bei einem großen Teil -der anwesenden La-ndwirts-
sraucn Verständnis gefunden habe. 'Sollte man nicht die nötigen
Maßnahmen treffen können, so mutz di« Arbeiterschaft zur Selbst-
hilfe greifen und eventuell noch an die 'Besetzung der Ortschaften
gehen, damit keine Ware herüusgeht.
Kollege Pastötter vertritt -die Ansicht, datz die heute mor-
gen festgesetzten Preise für Obst und- Gemüse bleiben müssen. Die
Preisbildung muß auf eine andere Grundlage gestellt werden, denn,
heute ist es keinem Arbeiter möglich, die Preise zu bezahlen. Die
Selbsthilfe ivar die einzige Lösung. Die Stellung der Arbeiterschaft
wirb die sein müssen, Handschuhsheim zu besuchen, damit hier nichts
hinauskomme.
Oberamtmann Müller spricht sein Bedauern aus, daß man
keine Höchstpreise festfetzen kann, da die Zwangsbcwirtschaftu n g für
Obst und Gemüse aufgehoben sei. Das einzige Mittel, was dem
Konsumenten zur Verfügung steht, ist in den Käuferstreik zu treten.
Die Klagen sind berechtigt, denn auch alle Beamten, spüren die
Preistreiberei am eigenen Leibe. Es liegt aber auch im Interesse
der Bauern, die Sache nicht auf die Spitze zu treiben.
Assessor Weißmann verspricht sich erst den richtigen Er-
folg, wenn der Abbau -der Zwangswirtschaft einheitlich im ganzen
Reiche vor sich geh«. Von- den örtlichen Eingriffen verspricht er sich
nicht viel.
Kollege Klein verzeichnet es als eine Ungeheuerlichkeit, daß
man in Berlin die Heidelberger Kirschen billiger kauft als hier am
Platze. Wenn eben hier die Behörden versagen, mutz die Arbeiter-
schaft zur Selbsthilfe greifen. Es ist «ine feftstchende Tatsache, daß
große Bauernkveise von einer Geldgier ergriffen sind.
Kslle Eichblatt betont, daß die Löhne in keinem Verhältnis
stehen. Wenn wir zu einer Gesundung kommen wollen, mutz man
bas Lebet an der Wurzel fassen. Die Lage ist kritisch. Er vertritt
die Ansicht, daß man bei der Regierung mehr Fachleute hören soll.
Nach weiteren Bemerkungen verschiedener Redner beschloß man
einstimnüa, ein-e Kommission zu wählen, bestehend aus Arbeitern
der einzelnen Fabriken, die dann schnellstens mit Vertretern des
Bezirksamtes, der Stadt, der Landwirtschaft und des Hausfrauen-
vereins zufammentritt, wo «ine Aussprache stattfinden und die Richt-
linien gegeben werden sollen, wie 'der allgemeinen Preistreiberei
Einhalt geboten wird. Gleichzeitig -werden Schritte unternommen,
um in den Nachbarstädten ebenso vorzugehen. Die erste Schmig
fa"d bereits heute morgen im Bczirksratssaale statt. Inzwischen
ist auch das Ministerium von den hiesigen Vorgängen unterrichtet
worden.
Nach Verkündigung des Ergebnisses der Verhandlungen an die
vor dem Bezirksamt harrenden Demonstranten bewegte sich der
Zug nach dem Ludwigsplatz, wo er sich dann auflöste.
Die Betriebsräte der einzelnen Fabriken und die Vertreter des
Eewerlschaftskartells begaben sich in das „Deutsche Haus", wo die
ganze Angelegenheit nochmals einer eingehenden Aussprache unter-
zogen rKurde. Zum Schlüsse wurde die Kommission gewählt, di«
aus folgenden Kollegen besteht: Schmitt, Eich blatt, Rup-
recht, Heiler, Frei, Gartner, Stumpf, Paftötter.
vom GewerkfchaMkartell Engelhard, Bartmann und
Klein, ferner iM> Geibel als Vertreter der Presse.
Lin Gesinnungsfreund schreibt uns:
So wahr ich lebe: So habt Ihr nur »och nie gefallen, Ihr
Heidelberaer Arbeiter; ich möchte jedem die Hand drüben und die
SochaOung aussprechen sür das wohltuend«, herzhafte Stück Volks-
justiz, die Ihr heute auf dem hiesigen Markte praktiziert habt. Des
dürst Ihr versichert sein, datz jeder, der davon erfährt mit derselben
Gesinnung zu Euch steht; denn das SchMerwort: „Wenn der Ge-
drückte nirgends Recht kann finden, wenn unerträglich wird die
Last" usw. ist wieder einmal zur Freude aller Heidelberger in Er-
Wung geaangen. Ein Löffel voll derartiger Rechtspflege ist mehr
wert als ein Kasten voll papieren« Gesetze! Und sie ist billige:
und wirksamer als der ganze kostspielige Apparat von- IurisArei
vom Staatsanwalt bis herunter zum jüngsten Schutzmann! Aber
auch das Verhalten der Polizei sei anerkannt, weil sie so vernunfllg
war die Vollstrecker des Vvlkswillens nicht zu hindern! «ich b-in
von'-Haus aus ein Ba-uernbübchen uH> lasse das Feld, dem ich ent-
sproßt« nicht schelten; aber gerade, weil ich in. gesundem, morali-
schem Klima aufwuchs, freue ich mich über die Korrektur des
Wucherpreises, der heute vorgenommen wurde.
Alles, was nicht Arbeiter ist, hält sich zurzeit auf über die
Hohen StundenlöhM derselben: westn man aber den Erlös von einem
"volljährigen" Obstbaum — insbesondere 'Kirschbaum — durch die
Zahl der darauf verwendeten Arbeitsstunden- teilt, so komip.t ein
Quotient zum Vorschein, welcher sicherlich weit über das Fünfzig-
fache des Arbeiterstundenlohnes geht! Das meiste am Obst ist
NaturgLschenk und Gottcsaabe, zu erarbeiten seitens des Landwirts
gibts nicht viel. Das Obst sällt dem Landwirt ziemlich — fast
völlig mühelos in den Schoß.

Nehmen wir dagegen irgend einen unentbehrlichen Gebrauchs-
gegenstand, z. B. eine Tasse — eine Spiralfeder in -der Taschen-
oder Wanduhr --- oder eine Schreibfeder aus Stahl oder eine Näh-
nadel — welche SWme von Zeit und Arbeit, Geschicklichkeit und
Fleiß ist in solchen Dingerchen! Und wie billig find sie trotz alledem!'
Wie klein istchas, was der Bauersmann zum Werden des Milliar-
densegens aus Obst beisteuert und wieviel« Kräfte sind beim Zu-
standekommen von unbeachteten Gebrauchsgegenständ-e n im Spiel!
Ich schließe: Recht schaffen, recht schaffen macht rechtschaffen!
sei auch ferner Eure Parole! Das verschafft Luch die Sympathie
aller nach dem Satze: Vox populi, vox Dei — des Volkes Summe
ist Gottes Stimme!

Zwei Körbe Nelken.
waren um )H8 Uhr heute früh hie angelieferte Ware auf dem Wcchcn-
maikt und auf dem Markt in Neuenheim war gar nichts vorhanden. —
Was vorauszufehsn war, ist eingetrosstn. — Die Bauern und Händler
sind auf das gestrige Vorgehen der Arbeiterschaft in- den Lieferst:«»! ge-
treten. Sie wollen es offenbar auf eine Kraftprobe ankommen lassen. —
Es ist nur zu hoffen und zu wünschen, daß in der heute früh stattfinden-
den Sitzung, bei der auch Vertreter der Landwirtschaft zugegen sein wer-
den, eine Basis gefunden wird, die sür beide Teile annehmbar ist. —
Die Arbeiter wollen nicht haben, daß die Landwirte nichts verdienen,
das ist eine falsche Auffassung. Ihr Protest richtet sich nur gegen die
übermäßige Preissteigerung und das mit Recht. — Ist es doch einer Ar-
beiterfamilie nicht mehr möglich, trotz des scheinbar großen Verdienstes,
nur das nackte Leben zu fristen. Viel weniger, daß sie sich Kleiber und
Schuhe anschaffen können. Fahren wir so weiter, so haben wir binnen
kurzer Zeit nicht nur ein verhungertes, sondern auch ein zerlumptes Volk.
— Dje Folgen, die daraus entstehen, tragen diejenigen Teile, denen jedes
Verständnis für die Not und Leiden des Volkes abgehen und die die
jetzige Konjunktur ausnützen, nur um ihren Geldbeutel zu füllen. Wir
glauben nicht, datz die Bauern so wenig Verständnis haben und die Ver-
antwortung auf «ch laden werden, die breiten Massen vollständig ins
Elend zu stürzen, daß sie dann gezwungen find, zum Aeutzersten zu greifen.

Achtung, Frauen! Die heut« abend im „Artushof" statt-
findende Frauenversammlung wirb sich auch mit den
heutigen Marktverhältnisfen beschäftigen. Da diese Frage
für die Frauen von großer Wichtigkeit ist, so müssen bi« Genossin-
nen vollzählig erscheinen.
Demonstrationsversammlung. Das Gewerkschaftskartell Heidelberg
veranstaltet Donnerstag abend 1^8 Uhr im großen Saale des „Prinz
Mar" eine öffentliche Versammlung gegen Wohnungsnot und Wohnnngs-
clend, gegenBaustoffnot und Bauftoffwucher, gegen die drohende Arbeits-
losigkeit der Bauarbeiter, für Sozialisierung. Alle Gewerkschaftler sind
verpfiichtel, sich an dieser Demonchrütion zu beteiligen. D.a Saalgeld
beträgt 50 Pf. und ist die Einlaß- und Garderobengebuhr mit inbegriffen.
Eine kombinierte Sitzung des Orts- und Kreisvorsiandcs,
der Referenten, Betriebsvertrauensleute und Bezirks-Obleute findet
Freitag abend 8 Uhr im „Artushof" statt. Der Ken. Dr. Kraus
wird ein instruktives Referat über unsere gegenwärtige Wirt-
schaftslage halten. Vollzähliges Erscheinen notwendig.
Eine Demonstration der Lazarettiusassen. Gestern mittag «ach 2 Uhr
zogen die hiesigen Lazarettinsassen (ungefähr 50 Monn) nach dem Ge-
bäude der Straßen- mH Bergbahn, um hier »u demonstrieren. Grund
zur Demonstration ist folgender Tatbestand: Die LazaMtinsaffen haben
vor einiger Zeit eine Eingabe an die Direktion gerichtet, worin sie um
Freifahrt auf der Bahn nachsuchten. Die Direktion Hab ihnen den Be-
scheid, daß sie nach-Einziehung von Erkundigungen, wie es in anderen
Städten gehandhabt wird, ihre endgültige Entscheidung ihnen zukommen
lasse. Das währte den Insassen zu lang und sie veranstalteten gestern
diese sehr unnütze Demonstration. Der Direktor der Straßenbahn, Bau-
rat Kuckuk, konnte auch gestern der Abordnung nicht mehr sagen, als
datz die Berichte der anderen Städte noch nicht alle eingelaufen mid und
damit die Stellung der Straßenbakn noch nicht spruchreif sei. Die De-
monstranten wollten aber sofort Bescheid höben und als ihnen dies nicht
wurde, wandten sie ein ganz verwerfliches Gewaltmittel «u und legten,
indem sie zwei Schwerverletzte auf den Bahnkörper Mit ihren Wagen
schoben, den ganzen Stadtverkehr still. Da man keine Gewalttat gegen
diese Leute anwenden wollte, mutzte auf gütlichem Wege verhandelt wer-
den und -bis man zu einem Abschluß gelangte, waren L Stunden vorüber,
während welcher Zeit der ganze Stadtverkehr stockte. Pie Direktion will
den Insassen bis Freitag mittag Bescheid geben. Line solche sinnlos« De-
monstration ist nicht scharf genug zu verurteilen. Go stltte es hinsühren,
wenn einige Mann bei jedem geringen Anlaß ein sehr wichtiges Ver-
kehrsmittel stillcgen wollten. Der gestrig« Vorfall zeigt« wieder einmal
so richtig, wohin wir steuern durch die sinnlos« systematische Hetze von
gewisser Sette. Viele Arbeiter, die durch die Stillegung Ihren Zug -ver-
säumten, waren gezwungen, zu Fuß nach Hause zu wandern. Di« Ent-
rüstung war auch in Arbeiterkreisen sehr groß und die Lazarettinsassen
haben gestern mehr verdorben als gutgemacht.
Diebstähle. In der Haspelgasse wurde sm 25. Juni ein Brillant-
ring im Werte von 2500 Mk. gestohlen. — In -er Wirtschaft zur Mpl-
keukur wurde eine silberne Handtasche im Werte von 700 bis 800
Mark entwendet. — In Waldangelloch wurde einem Landwirt seilt
Pferdegeschirr, das an der Scheuer hing, und ein Mi ege miet-, im Werts
von 500 Alk. entwendet. — Der Wirtin Anna Stübinaer in E l s e n z
wurden auf erschwerte Weise 14Ü0 vis 1800 Mk., die sie im Schlafzim-
mer aufbewahrte, entwendet. — 6n Adelshofen wurden dem Land-
wirt Karl Hetiler !IL18 Eier im Werte von ZOO Mk. entwende!. —
Dem Kommerzienrat Wittmann in Schwetzingen wurde aus seinen
eingefriedigten Garten auf der Gemarkung Sandhaufen 3 Zentner Zwie-
bel und 1 Zentner Kirschen im Werte von 200 Mk. gestohlen. — Dem
Lanidwirt Friedrich Berner in K'leinge münd wurde mittelst Em-
steigen in den Hcuschuppen aus dem Stalle ein junges Rind im Werte
von 1500 Mk. gestohlen. Die Haut und der Kopf wurde ungefähr 800
Meter vom Tatort entfernt an der Ziegelhäuser Stratze chr G-düsch von
Kindern aufgefunden. — In der Zährmgerstratze wurde ein Damcnfahr-
rad im Werke von 1200 Ml. gestohlen. — Auf der Fahrt SM Mannheim
nach Heidelberg wurde einem Hausierer fein Geldbeutel mit 80 Mk. In-
halt gestohlen. — in der Badeanstalt Bootz wurde einem auswärtigen
Handelsschüler der Betrag pon 140 Mk. entwendet.
Verhaftet wurde ein Taglöhner yegen Betrug. — Eme Kaufmanns-
ehefrau wegen Diebstahl. — Eine Kaufmannsehefrau aus Homburg wegen
Abtreibung der Leibesfrucht. — Lin Laglöhner wegen Diebstahl. — Eis
Gärtner weaen Fahrraddiedstahl. — Ein Laylöhner aus Rohrbach wegen'
WLfchediebstahl. — Ein Glaser aus Galizien, -er feinem Landsmann
10000 Mk. gestohlen hat.

Wk MWMM SN .MWtM".
Brauns — Arbeitsminister.
Berlin, 29. Juwi. Der Reichspräsident hat auf Vorschlag
des Reichskanzlers den Abgeordneten Dr. Brauns zum Reichs-
arbeitsminister ernannt.
Schaffung einer Mehrheit für die Regierung.
Berlin, 23. Juni. (Telegr. d. Frkf. Ztg.) Die drei Mehr-
heir-svartcien unter Zuziehung der Sozialdemokraten führtest Be-
spreMngen, wie eine unterstützende Mehrheit für die NeMrung
geschloffen werden kann. Es wurde dabei nicht an die Form des
Vertrauensvotums gedacht, sondern die Parteien, einfchl. Svzial-
demokMen, werben die Regierung ersuchen, im Sinne der Prv-
gramMrklärung die Geschäfte zu führen.
Dis Brüsseler Fmanzkonferenz.
Paris, 29. Juni. Die Tagung der internationalen Finanz-
konferenK ist auf 23. Juli in Brüssel festgescht worden. Die Teil-
nahme Deutschlands wird als nötig bezeichnet, d« Form der Ein-
ladung kann erst nach der Zusammenkunft in Spaa bcftnnmt werM.
Zur Aufgabe wird di« Erörterung über internationale An-
leihe, Verminderung des Papiergeldes, Sanierung der
Wechselt urse gestellt sein.
 
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