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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (4) — 1922 (Mai bis August)

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Nr. 131 - Nr. 140 (8. Juni - 20. Juni)
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Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung der Amtsbezirke Heidelberg, Wiesloch- Sinsheim, Eppingen, Eberbach, Mosbach, Buchen,
Adelsheim, Boseberg, Tauberbischofsheim und Wertheim.

Bezugspreis: Monatlich einschl. Trägerlohn 26.— Mk., Anzeigenpreise:
A>e einspaltige Petitzeile (36 mm breit) 3.— Mk., Reklame-Anzeigen
W mm breit) 8.— Mk. Bei Wiederholungen Nachlaß nach Tarif.
Geheimmlttelanzeigen werden nicht ausgenommen.
Geschäfts stund en: 8—'/,6 Uhr. Sprechstunden derRsdaktion: 11—12 Uhr.
Postscheckkonto Karlsruhe Nr. 22 577. Tel.-Adr.: Volkszeitung Heidelberg.

Heidelberg, Donnerstag, 8. Juni 1922
Nr. 131 » 4. Jahrgang

Verantwort!.: Für innere u. äußere Politik, Volkswirtschaft u. Feuilleton?
J.V.: O (Seibel; für Kommunales, soziale Rundschau und Lokales;
O. (Seibel; für die Anzeigen A. Friedmann, sämtl. in Heidelberg.
Druck u. Verlag der Unterbadischen Verlagsanstalt G. m. b. H., Heidelberg.
Geschäftsstelle: Schröderstraße 39.
Fernsprecher: Anzeigen-Annahme 2673, Redaktion 2618.

Der Bolschewismus auf der
Anklagebank.
Zu den Gerichtsverhandlungen in Moskau und Berlin.
Von Paul Olberg-Berlin.
Der Prozeß gegen die Führer der Partei der Sozialrevolutio-.
«äre in Moskau, sowie die bevorstehenden Gerichtsverhandlungen
gegen das russische Bolschewistenblatt „Nowy Mir" („Neue Welt"'»
in Berlin, verdienen die größte Austuerlsamkeit der internationalen
Arbeiterbewegung. Mit vollem Recht bildete -auch der Moskauer
Prozeß einen wesentlichen Punkt der Tagung der internationalen
sozialistischen Konferenz in Berlin, die vom 2. dis 5. April 1922
ab-gehaltc-n wurde. Bekanntlich faßte die Konferenz den Beschluß
Vertreter Les internationalen Sozialismus, mit Emile Vander-
Velde an der Spitze, als Verteidiger angeklagten Sozialrevolutio-
näre nach Moskau zu senden. Bei beiden Prozessen, bei dein
Moskauer wie bet dem Berliner, handelt es sich nicht um einfache
Delikte des russischen oder des deutschen Strafgesetzbuches. Zwei
scharf entgegengesetzte politische Anschauungen treten hier zutage.
Ans der einen Seite wird von der Oligarchie des Kremls unter
dem Deckmantel des Kommunismus die nackte Gewalt verherrlicht.
Aus der anderen Seite kämpft im To des kam Vf für Sozialismus
Und Demokratie eine sozialistische Partei, hinter der 1917 bei den
Wahlen zu der verfassunggebenden Versammlung die Mehrheit
des russischen Völles stand.
Wie bereits bekannt ist, sind von der russischen Regierung eine
Anzahl angesehenster Mitglieder der Partei der Sozialrevolutio-
näre auf die Anklagebank des Revolutioustrivunals gesetzt worden.
Es -ist recht bezeichnend für die Sowjctjustiz, daß die meisten der
Angeklagten drei Jahre ohne Verhör nnd ohne Gerichtsverhand-
lung in den Gefängnissen schmachieu. Jahre hindurch bemühte sich
die politische Polizei Lenins, ein ernsthaftes BeschNldigungsma-
ü'rial gegen die Verhafteten aufzutreiben. Aber alle noch so raffi-
nierten Machinationen der bolschewistischen Gendarmerie Ware»
vergeblich. Erst kurz vor Zusammentritt der JnternMonalen so-
zialistischen Konferenz in Berlin, als die sogenannte dritte Inter-
nationale glaubte, dorr Vertretern der sozialistischen Parteien West-
europas über die ungeheuren Verfolgungen der Sozialisten in
Rußland eine Antwort geben zu müssen, tauchten „Beweise" gegen
Vie Gefangenen ans. Wie bei den meisten politischen Prozessen
jedes Gewaltregimes, spielten auch hier Verrat und Provokation,
die Msschlaggebende Rolle. Im Februar 1922 erschien in Ber-
lin (und nicht in Rußland) eine Schrift von Semjonoff Wasfitleffe
Die Kriegs- -und Kampfarbeit der Partei der Soziakrevolutioiläre
in den Jahren 1917 bis 1918. In dieser Schrift wird deut Zentral-
komitee der Partei der Sozialrevolutionäre eine ganze Sieche von
„Verbrechen" beigemessen und zwar die Organisation von Atten-
tate» gegen Lenin, Trotzki und andere bolschewistische Politiker, die
Veranstaltung von Raubmorden rind Plünderungen, Empfang von
Geistern für Parteizwecke von der russischen Vonrgeoste, von der
rnsstschen Geistlichkeit, von der Entente-Bourgeoisie, von der deut-
schen Bourgeosie und vom deutschen Gcneratstab.
So wurde im nötigen Augenblick von der Sowjetregiernng das
Signal gegeben und die inhaftierten Sozialisten wurden reichlich
mir belastendem Material überschüttet. Das; diese Angaben der
Schrift von Seinjonoss-Wassiljesf aus der Lust gegriffen sind, gebt
l>us einer Reibe von Tatsachen rmd aus der Rolle hervor, die
Semjouoff-Wassiljefs spielte. Unmittelbär nach Erscheinen der er-
mähnten Schrift: Die Kriegs- nnd Kampfarbeit der Partei der
Sozialrevolutionäre in den Jahren 1917 bis 1918 kündigte die po-j,
litische Abteilung des Volkskommissariats für innere Angelegen-
heiten (Tscheka) an, „daß cs ihr gelungen sei, überaus wertvolles
Material" gegen die Partei -er Sozialrevolutionäre zu erhalten,
"äiuljch die „Enthüllungen" des Semjouosf-WaMjeffs, ans Grund
von dessen Angaben die Führer der Partei der Rozialrevolutionäre
"M Obersten Revolutionstribnnall übergeben würden.
Wer ist mm aber dieser ehrenwerte bolschewistische Held Sem-
ionoff-Wassiiiefs? Während der Revolution gehörte er der Par-
tei der Sozialrevolutionäre an. wurde aber, wie der Beschluß des
Zcntralbureaus lautet, „wegen Handlungen, die mit der Würde
Anes Sozialrevolutionärs unvereinbar sind, von der Parier ausge-
chlossen". Darauf trat er in die bolschewistische politische Polizei
tnr, um seine früheren Parteircunsde zu verraten. Während des
Msisch-pEuischen Krieges 1920 begab er sich nach Polen, wo er in
der Auskunstsstelle der Armee (MMtärspionage und bolschewistische
Prspagai^a) tätig war. Dort wurde er verhaftet und ihm drohte
t-e Todesstrafe. Semjonoss-Wasstljess setzte sich mit dein damals
w Warschau weilenden Führer der gegenrevolutionären Kreise,
«-äwinkoss, in Verbindung und nahm von ihm den Auftrag an.
w Sowjetrusrland zu Gunsten der Gegenrevolution zu arbeiten.
Auf Uese Weise gelang es Semjonoff-Wassieljefs, durch "Sawinkoft
Freiheit zu bekommen. Nach Rußland znrückgekehrt, versäumte
«emjonosf- Wassilsteff es nicht, seinen Warschauer Herrn und Ret-
nr zu verraten. Er meldete sich bei der Tscheka und erstattete
-offenherzig- einen ausführlichen Bericht über seine Verhandlun-
"v mit Sawinkoft. Die bolschewistische politische Polizei ver-
lohnte sich sofort mit dem kleinen Judas und hieß ihn wieder als
"neu wertvollen Mitarbeiter willkommen. Aus Grund eines Ma-
^nals, Pas von diesem Agenten stammt, sollen nun angesehene
^ozlalisten, die große Verdienste um die russische Freiheitsbewe-
uung^haben, verurteilt werden.
. ihrem schamlosen Bestreben, einen tätlichen Anschlag auf
^Elsche Gegner zu verüben, nimmt die Sowjetregiernng keine
-nuckstcht auf die elementarsten Grundsätze eines Gerichtsverfahrens,
lonstcru veranstaltet die Komödie eines Prozesses. So. so« z. B.
. Anklageakte der Verklagten erst 48 Stunden vor den Gerichts-
verhaudlungcn überreicht werden. Um diese Akte eher zu erhalten,
when sich die körperlich völlig erschöpften Inhaftierten gezwungen.
'» cmen Hungerstreik zu treten, woraus der bolschewistische Staats-

anwalt Krilenko unverfroren erklärte, die Angeklagten mögen hun-
ger», so lange sie wollen. Ebenso ist den Angeklagten der Verkehr
mit ihren Verteidigern verboten worden, sowie die gemeinschaft-
lichen Beziehungen untereinander. Die Sowjet-Presse betreibt ein-
wüste Hetzpropaganda gegen die Angeklagten nnd ihre auswärtigen
Verteidiger. Dabei geht die Hetze gsgen die Verteidiger so Weir,
daß sie nur unter Lebensgefahr ihre Mission erfüllen können. Es
werden eben alle Mittel angewandt, nm von vornherein die Ver-
urteilung der Verklagten herbeizusühren.
Die Inszenierung des Prozesses gegen die Sozialrevolutionäre
Wird voic engpolitischen Gesichtspunkten aus geleitet. Nachdem der
„neue Kurs" kläglich versagt hat und die Verelendung des Landes
immer mehr znnimmt, benutzen die Sowjetmachthaber diesen Pro-
zeß als nötigen Nährstoff für die Massen, um deren Aufmerksam-
keit von der Katastrophenppiiiik des Kremls abzulenken.
Genau wie die Moskauer ist auch der bevorstehende Berliner
Prozeß von größter Wichtigkeit. Beide Prozesse sind eng miteinan-
der verbunden. Ms Grundmaterial für den Berliner Prozeß soll
die erwähnte Schrift des Renegaten Semjonoff-Wassiljeff dienen.
Formell unterscheiden sich die Prozesse dadurch, daß, während in
Moskau die Bolschewisten als Ankläger auftreten, sie in Berlin vor

dem Gericht als Angeklagt fich zu verantworten Haven. Um dis
öffentliche Meinung Westeuropas zugunsten der Sowjetjustiz zn
bearbeiten, wurde unter dem Vorwand einer literarischen Bespre-
chung der Schrift: Die Kriegs- und Kampfarbeit der Parte« der
Sozialrevolutionäre 1Si7 bis 1918 tm bolschewistischen Matte
„Nowy Mir" ein Artikel veröffentlicht, der gegen dm Führer der
Partei der Sozialrevolutionäre, den Vorsitzenden der verfassung-
gebenden Versammlung und Redakteur der in Berlin erscheinende»
russischen Zeitung „Golos Rosstt" (Das Organ der auswärtigen
Delegation der Partei der Sozialrevolutionäre) V. N. Tschernosf,
ungefähr die gleichen Anschuldigungen vorbrachte, wie gegen seine
verhafteten Parteifreunde in Rußland. Daraufhin hat V. N.
Tschernosf den Verantwortlichen Redakteur des „Nowy Mir (Dr.
Kestner) wegen Verleumdung verklagt. Bei den Berliner Ver-
handlnngen soll die Verleumdung des bolschewistischen Blattes in
ihrer ganzen Verworfenheit beleuchtet werden.
Wie auch die Urteile in Berlin und Moskau fallen mögen, für
alle demokratisch und sozialistisch denkende Menschen ist es klar, daß
nicht die Sozialrevolutionäre, sondern die bolschewistischen Macht»
Haber auf die Anklagebank gehören.

M M «kl WW UÄMMW.

Selbst Belgien für die Schuldminderung.
Paris,?. Juni. Die Pariser Zeitungen sind heute gezwun-
gen, nach den persönlichen Informationen Poincarös das
französische Publikum auf die Niederlage Frankreichs in der Repa-
rationskommission und in dem Anleihestreit vorzubereiten. Diese
Niederlage ist bereits vollzogene Tatsache.
Ein Kompromiß in der Schuldenminderung.
London, 7. Juni. „Times" glaubt, daß in der Frage der
deutschen Schuldenverminderung wahrscheinlich ein Kompromiß
gefunden wird, und zwar auf der Grundlage, daß die deutsche
Kapitalschuld nicht vermindert wird, dagegen aber die vertraglichen
Verbindlichkeiten Deutschlands für die nächsten Jahre herabgesetzt
Werden,

Polnische Ueberfichi
Der Anschlag ans Scheidenrmm.
Die rechtsstehende Presse bemüht sich krampfhaft, das Attentat
auf Scheidemann so hinzustellen, als wenn es sich um einen
Streich eines unüberlegten dummen Jungen handle. Genau so
wie der erste Schutz gegen Erzberger gefallen ist, der von Oltwig
v. Hirschseldt abgegeben wurde. Die Hetze gegen die führen-
den Männer der Republik ging nach-dem ersten Anschlag auf Erz-
berger ungehindert weiter, bis die Katastrophe von Griesbach ein-
trat. Auch nach diesem Verbrechen spritzte die rechtsstehende Presse
ihr Gift Wester gegen diese Männer aus. Die Atmosphäre, die
durch eine solche geistige Kost geschaffen wird, kann man sich denken
und so entstand auch der Anschlag aus Gen. Scheidemann.
Es hilft also nichts, die Hetze der rechtsstehenden Presse trägt
Schuld an diesem politischen Verbrechen und wenn auch noch das
hiesige rechtsstehende Organ, die „Bad. Post", sich gegen diese Auf-
fassung wendet. Gerade dieses Blatt bringt es ja fast täglich
fertig, über die „verdammten Sozzen" in einer Art und Weise her-
zuziehen, daß rnan diese Art nicht mehr als geistigen Kamps, son-
dern als gemeine Hetze bezeichnen mutz. Die „Bad. Post" hüt also
heute nicht das Recht, sich über unsere Auffassung über das Atten-
tat auf Gen. Scheide mann auszuregen. Wir stehen übrigens
nicht allein mit unserer Auffassung, sondern auch die bürgerlichen
Blätter wie „Franks. Ztg.", „Voss. Ztg." usw. führen das Attentai
aus Scheidemann aus die Hetze der rechtsstehenden Presse zurück.
Ein sozialdemokratischer Aufruf.
Berlin, 9. Juni. Der Bezirksvorstand der S.P.D. Grotz-
berlins veröffentlicht heute im „Vorwärts" anläßlich des Attentats
auf Oberbürgermeister Scheidemann einen Ausruf, in dem es u. a.
heißt: „Genossinnen und Genossen! Mit Versammlungen allein,
in denen sich die gerechte Empörung entlädt, ist es nicht getan.
Eure Aufgabe ist es, den leidenschaftlichen moralischen Protest
gegen solche ungeheuerliche Zustände in alle Kreise der Bevölke-
rung zu tragen. Bekennt Euch, wo Ihr seid, laut als Genossen
derer, die die deutschnationale Hetze mit ihren tückischen Mord-
werkzeugen verfolgt. Nur das Erwachen einer lebendigen Volks-
stimmung, die in allen Gesprächen des Tages millionenfach wider-
hallt, kann jene Elemente, die selber nur an Gewalt glauben, zu
der Erkenntnis bringen, daß die Republik kein wehrloses Freiwild
ist. Genossinnen und Genoßen, nehmt den Kampf auf!"
Die Protestdemonstration in Kassel.
Kassel, 8. Juni. Als Protest gegen das Attentat auf Ober-
bürgermeister Scheidemann ruhten gestern zwischen 12 und 1 Uhr
mittags die Arbeiten in sämtlichen Bettieben; auch die Straßen-
bahn stand still. — Am Nachmittag hatten sich auf Aufruf der drei
sozialistischen Parteien' viele tausende Menschen auf dem Fried-
richsplatz eingefunden, um gegen das Attentat und die Mordhetze
zu demonstrieren. Die Rede hielt der sozialdemokratische Abg.
Hauschild, der dem Wunsche und der Hoffnung Ausdruck gab, das
Attentat aus Scheidemann möchte die Arbeiter fester zusammen-
schließen. Das Attentat selbst richtet sich weniger gegen Scheide-
mann als gegen die Republik, deren vornehmster Vertreter Scheide-
mann sei. Nach der Feier zog die Menge nach dem Rathaus, dessen

Freitreppe mit Lorbeer geschmückt war und auf dessen Giebel dis
schwarz-rot-goldene Fahne wehte. Hier führte Oberbürgermeister
Scheidemann unter vielen Hochrufen und Händeklatschen der Menge
u. a. aus, daß dieser Tag eigentlich sein Begräbnistag hätte sein
sollen. Er wandte sich dann gegen die Hetze, die nicht seiner Person,
sondern der republikanischen Siaatsform gelte und forderte, daß
das Reich gegen die rechtsstehende Presse wirksame Ausnahme-
verordnungen erlasse. Im weiteren Verlauf kritisierte er schars
die Zustände der heutigen Verwaltung. — Einige hundert Men-
schen zogen dann noch zur Rosastrabe und demonstrierten vor dem
Hause der „Kasseler Allgemeinen Zeitung".

Der Reichskanzler über die Lage.
Konstanz, 7. Juni. Unter starker Beteiligung aus Süddeutsch-
land Wie ans dein Reich nahm Dienstag abend die Psingstkonferenz
der'kath olischen Politiker ihren Anfang. Von Württemb erg waren
n. a. die Minister Gras und Bolz erschienen. Nach dm üblichen
Begrüßungsreden hielt Reichskanzler Dr. Wirth, den die Ver-
sammlung mit stürmischem Beifall begrüßte, eine längere Rede.
Er betonte dabei, der katholischen Psingstkonferenz liege der Ge-
danke fern, irgend jemand verletzen zu wollen. Nur die gemeinsame
Weltanschauung sichre die Erschienenen zusammen. Aus Genua
zurückgreifend, erklärte der Reichskanzler, man dürfe nicht glauben,
daß nicht auch dort über Vie Sorgen und Nöte des deutschem; Vol-
kes gesprochen worden sei. Das ist geschehen mit den verschiedene»
Staatsmännern, denen überhaupt daran gelegen sei, Europa den
Frieden zu bringen. Der Geist, der diesen Frieden bringen soll,
ist der Geist der Verständigung und der Versöhnung. Wenn das
Schwert auch noch einmal gezogen werden sollte, dann bedeute
dies den Untergang Europas. Wenn wir hier Zusammenkommen,
leitet uns der Gedanke, daß wir Söhne einer Heimat und deutsch«
Brüder sind. Im Weltkrieg hat sich nur Sine Stimme erhoben, die
zum Ende mahnte, und das war diejenige des verstorbenen Pav-
stes Benedikt 15.. Was wir aus all dem Zerstörten retten konnten,
das wollen wir in der Folgezeit pflegen und zum Aufbau benutzen.
Von einem Tag auf den andern lassen sich aber Vie großen Proble-
me nicht lösen. Wir brauchen viel Geduld dazu. Am Schluß sei-
ner Ausführungen betonte der Reichskanzler mit starkem Nachdruck
den Gedanken der Erhaltung der Reichseinheit und hob dabei be-
sonders eine freundliche Zusammenarbeit mit Bayern hervor.
Wiederholt bin ich gefragt worden: Werdet Ihr Deutsche auch ;u-
sammeNbalten oder werdet Ihr anseinanderfallon? nnd immer
wieder habe ich betont, daß wir uns von dem Gedanken der NeichS-
einheit nicht trennen wollen. Nach dem mit stürmischem und lang-
anhaltendem Beifall begleiteten Ausführungen des Kanzlers er-
hielt der bayrische Ministerpräsident Graf Lerchenfeld das
Wort, der ebenfalls Vie Notwendigkeit einer Verständigung und
Versöhnung unter den Völkern betonte. Der Standpunkt der Ge-
walt und der Revanche dürfe nicht mehr aufkommen. In der Au-
ßenpolitik Me in der Innenpolitik müsse sich der Grundsatz der
Verständigung durchsetzen.
Die Antwort der ReparationskommWon.
Paris, 8. Juni. (Morgenblätter.) Das Sekretariat -des Wie-
dcrgutmachnngsansschusses übergab der Presse folgende Mittei-
lung: „Am Donnerstag, Ben 1. Juni hat das Anleihekoniitee sei-
nen Vorsttzennden gebeten, dem Wiedergutmachungsausschutz fol-
gende Fragen vorzulesen: Nach Ihrer Instruktion hat das Ko-
mitee das Studium.der Frage einer äußeren Anleihe begönne^,
das Hm durch Vie Kommission anvertraut worden ist. Ehe das
Komitee weitergeht, hält es indessen für notwendig, den Wieder-
gutmachungsausschuß zu fragen, ob die Worte „Im Verhältnis
seiner Verpflichtungen, so wie sie durch den Versailler Vertrag und
besonders durch die Zahlungsbedingungen vom 15. Mai 1921 fest-
gesrettr sind" in dem Sinne ausgelegt werden müssen, daß das Ko-
mitee für seine Entscheidung die durch die Zahlungsbedingungen
vorgeschriebenen Zahlungen Deutschlands als eine unabänderliche
Verpflichtung betrachten muß mit dem einzigen Vorbehalt, daß der
Wtederguimachungsausschutz sie von Zeit zu Zeit in Zukunft än-
dern kann in Uebereinstimmung mit den Festsetzungen des Art.
234 des Versailler Vertrages oder ob (selbstverständlich ohne ir-
gendwie die Verantwortlichkeit des Ausschusses zu beeinträchtigen)
es dem Komitee frMebe, die Möglichkeit von Lösungen ins Auge
zu fassen, die Abänderungen der obigen Arrangements emschttetzen
 
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