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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 6.1906/​1907

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Schur, Ernst: Die Zulassung der Frauen zur Akademie
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https://doi.org/10.11588/diglit.52068#0447

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Die Werkstatt der Kunst.

beglücken? Dies erinnert an die Anschauung, die
früher einmal bei alten Kirchenvätern herrschte, daß
nur die Männer Anspruch auf die Seligkeit und
Gnade haben. Und wie ist das in Einklang zu
bringen: die berufenen Künstler sind doch die, die
die göttliche Gabe haben. Unter diesen aber „herrscht
der Dilettantismus"!
Und wenn die Kunst eine „göttliche Gabe" ist,
wie kann sie unter den Frauen, die die Akademie
besuchen möchten, solche Verheerung des Charakters
anrichten?
Im übrigen ist die Kunst gar keine göttliche
Gabe, sondern eine menschliche Eigenschaft, eine
Fertigkeit, die mit bestimmten Mitteln arbeitet und
jeweils mit besonderem Material eine Arbeit fertig-
stellt, die nach Charakter und Eigenart persönlich
gefärbt ist.
Es passieren dem Redner die eigentümlichsten
Widersprüche. Er verherrlicht die antike Kunst (aller-
dings aus merkwürdigem Motiv: „weil sie keine
Karikatur aus den: Atelier herausließ". Dies
stimmt auch nicht, denn die griechische Kleinkunst kennt
Karikaturen, gegen die unsere karikaturistische Kunst
ein Kinderspiel ist. Und — auf anderem Gebiet —
gilt von jeher Aristophanes als Typus des Kari-
katuristen).
Er verherrlicht also die antike Kunst. Vergißt
aber, daß gerade sie mit dem menschlichen Körper
einen Kultus trieb, von dem er ja für die Frauen
solche Sittenverderbnis befürchtet.
welch oberflächliche Anschauung, in der Kari-
katur an sich etwas Schlechtes zu sehen, wozu den
Redner die Abneigung gegen gewisse politische Witz-
blätter verleitet. Das fällt dem Redner gar nicht ein,
daß der Inhalt nichts mit der Form zu tun hat
und daß den Künstler die Form, die Farbe an sich
reizt. Die häßlichste, gemeinste Karikatur kann ein
Kunstwerk sein, wer über diese primären Anforde-
rungen nicht unterrichtet ist, darf der über Kunst
reden? Aus künstlerischen Gründen muß gegen diese
Oberflächlichkeit energisch Front gemacht werden.
Danach bedauerte der Redner, daß es keine Para-
graphen gegen Karikaturen überhaupt gibt. Allen
Ernstes!
Rnd wenn man diesen Ausführungen auf den
Grund geht, wo liegt da der Beweis? Man sehe
doch die Auswahl unter den jungen Künstlern an,
die der Staat erzieht, wie oft enttäuschen die mit
Stipendien bedachten Künstler? Soll man deswegen
den Künstlern ebenfalls den Zutritt zur Akademie
verbieten, wie es der Redner für die Frauen fordert,
weil sie „enttäuschen können"! Jeder, der praktisch
Erfahrung hat, weiß, daß sich nie ein Urteil über
Begabung und Nichtbegabung fällen läßt, wer ganz
talentlos erscheint, entwickelt sich plötzlich. Und der
Talentvolle versagt. Jeder Lehrer ist äußerst vor-
sichtig mit der Abgabe seines Urteils und hält es
am liebsten ganz zurück. Aber dieser Redner gibt
strikt sein Urteil ab und negiert alle Erfahrung.


Aus dem Zusammenarbeiten im Aktmalen be-
fürchtet der Redner ebenfalls eine Verderbnis, auch
hier eine Oberflächlichkeit verratend, die ihn zurück-
halten sollte, sich zu äußern. Daß das Studium des
menschlichen Körpers aus künstlerischen Gründen er-
folgt und gerade hinwegleitet von den Gedanken,
die dem Redner nahe liegen, das kommt dem Redner
gar nicht in der: Sinn. Es läßt sich auf diesem Niveau
gar nicht mehr eine Erörterung anbahnen und die
ganze griechische Kunst wird damit abgetan.
Die Ausführungen, daß die moderne Kunst
nicht in die staatlichen Institute eindringen dürfe,
wird durch die Praxis längst widerlegt. Der Staat
ist fortschrittlicher als der Redner. Ueberall werden
jetzt in den Kunstgewerbemuseen moderne Künstler
angestellt und die Zentren der Kleinstaaten tun sich
da besonders hervor. Man sieht, alles, was der
Redner sagt, zeugt von Unkenntnis des Standes der
Entwicklung und ein einziger Blick in die Unterrichts-
ateliers, wo Künstler und Künstlerinnen Zusammen-
arbeiten, müßte ihn eines Besseren belehren.
Mit Recht wurde der Redner durch den Befür-
worter der Petition, Herrn Münsterberg, wenigstens
darauf aufmerksam gemacht, daß diese allgemeinen
Erörterungen mit der Sache nichts zu tun haben
und daß der Kern der Petition da liegt, daß
das Studium, das die Männer für s20 Mk.
jährlich haben, den Frauen nicht 920 Mk. kosten
soll. Aber nach des Redners Ansicht wird die Kunst
degradiert, wenn sie als Erwerb betriebe:: wird,
wahrscheinlich soll sie Luxusartikel bleiben und bei-
leibe nie lebendig in das Gegenwartsleben eingehen.
Es sei noch der Einwand des Regierungs-
kommissars, Geh. Oberregierungsrat Dr. Schmidt,
angeführt, der die Petition zurückweisen möchte, weil
„unerwünschte Verwechslungen zwischen Modellen
und anderen Damen vorkommen könnten". (!)
Ist dem Herrn Negierungskommissar nicht be-
kannt, daß die Modelle jeden Montag bis Hy lO Uhr
in der Akademie aufmarschieren, die männlichen rechts,
die weiblichen links? wie soll da eine Verwechslung
möglich sein? Dann wäre ja auch eine Verwechslung
der männlichen Modelle mit anderen Herren mög-
lich. Sollen vielleicht deshalb die Herren auch aus-
geschlossen und die Akademie überhaupt geschlossen
werden? Und was will er damit zart andeuten?
will er sagen, die Modelle sehen so fein aus wie
Damen (das wäre Hohn; denn er braucht nur zu
der angegebenen Stunde in der Akademie gewesen zu
sein, wo jeder, der fähig ist, tiefer zu blicken, die
offenbarste Not in den Gesichtern der Modelle sieht)
oder will er behaupten, die Malerinnen sähen
aus wie Modelle? Die Konsequenz dieser Frage
wollen wir nicht ziehen.
Und nun denke man an die Künstlerinnen, wie
sie in der Wirklichkeit sind: wie sie um ihre Existenz
ringen müssen, mit welchem Ernst sie an sich arbeiten,
wieviel geheime Tragödien sich da oft abspielen,
 
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