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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 6.1931

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Lotz, Wilhelm: Möbel und Wohnraum
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https://doi.org/10.11588/diglit.13708#0053

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MÖBEL UND WOHNRAUM

Wl LH ELM LÖTZ

Wir haben uns schon öfter mit der Frage des
modernen Möbels beschäftigt. In diesem Heft ver-
öffentlichen wir eine größere Abbildungsfolge, um
damit bestimmte Prinzipien der modernen Möbel-
gestaltung zu erläutern. Wir sind uns darüber klar,
daß auf diesem Gebiet der Gestaltung noch alles in
Fluß ist, daß man Wege und Zielsetzungen erkennen
und aufdeuten kann, daß man aber von endgültigen
Gestaltungsprinzipien oder Formen noch lange nicht
reden kann. Uns interessieren in diesem Zusammen-
hang nicht die auf besonderen Wunsch und Bestel-
lung hergestellten Stücke, sondern nur die Erzeug-
nisse der Serienfabrikation und daneben solche
Modelle und Einzelleistungen, die, wenn sie auch
noch nicht in die Fabrikation übergegangen sind,
neue Wege weisen und bestimmte Prinzipien ver-
folgen.

Das Möbel ist, vor allem in seinem Zusammenhang
mit dem Wohnraum, so wie er sich heute noch dar-
bietet, eine ausgesprochene Schöpfung bürgerlicher
Wohnkultur. Es gehört in den Wohnraum, und ein
Wohnraum ohne Möbel ist ein unfertiges, funktions-
loses Gebilde. Aber trotzdem, hier tritt allmählich
eine Wandlung ein. Wenn man auch die Existenz des
Möbels nicht verbannen kann, so versucht man,
wenn auch teilweise unbewußt, doch systema-
tisch, seine formale Erscheinung bis zur unbedingten
Notwendigkeit zu reduzieren und vor allem seine
anspruchsvolle raumfüllende Massigkeit tatsächlich
wie optisch möglichst zu entfernen. Das Verhältnis
zum Raum ist ein ganz anderes. Der Raum selbst
bleibt beherrschend, wird als solcher erfaßt und
nicht in vier Schauwände zerlegt. Das Möbel verliert
die rahmenmäßige Bindung durch den Raum und die
begrenzenden Wandflächen und steht isoliert da.
Es ist nicht mehr Teil des Raumes, sondern steht
als selbständiges Gebilde darin. Das Möbel selbst
nun, das von der vorspringenden Fassade zum raum-
ausschneidehden Kubus wurde, wird in seiner
materiellen und formalen Substanz möglichst weit-
gehend aufgelöst. Das deutlichste Beispiel ist der
Stahlstuhl, der als Kurve im Raum steht, aber den
Zusammenhang des Raumes nicht zerschneidet.
Ganz ähnlich wirken die gläserne Tischplatte, die
niedrigen Stahlrohrbetten, in gewissem Sinn auch
die niedrigen Schränke des Speisezimmers und die
häufige Verwendung von verschiebbaren Glas-
platten bei diesen Schränken. Wo irgend möglich,
werden die Schränke eingebaut, so daß sie nicht
mehr in den Raum hineinstehen, sondern selbst die
Wand bilden. Aber auch dann, und das ist bezeich-
nend, werden die Türen nicht besonders markiert,
sie sind Teile der Wand wie die verpönten Tapeten-
türen. Aber sie sollen nicht verheimlicht werden,
sondern bilden selbst die Wand. In der farbigen Ge-
staltung zeigt sich derselbe Gesichtspunkt. Das
Möbel ist entweder weiß wie die Wand selbst oder
es steht in bestimmten Eigenfarben vor der ganz
andersfarbigen hellen Wand. Das braune und
farbige Gemisch von Möbel, Textilien, Fußboden und
Wand des bürgerlichen Zimmers des späten 19. Jahr-
hunderts weicht einer bestimmten, die Objekte

klar markierenden Eigenfarbigkeit. Wobei gesagt
werden kann, daß geringe Farbdifferenzen in den
hellen Tönen wie weiße Wand gegen Metall, gelb-
liches Korbgeflecht, helle Matten sehr beliebt sind.

Diese eben umschriebene Tendenz ist nicht etwa
eine modische, sondern sie steht im engsten Zu-
sammenhang mit dem, was wir als geistige Werte
und nicht zuletzt als psychologische Auswirkung
von unserer Umgebung verlangen. Wir verlangen
den gestalteten Raum, der aus eigenen Mitteln
Raum wird, aus Wand, Fußboden, Fenstern, aber der
nicht erst durch die hineingestellten Objekte seinen
Charakter erhält.

Etwas stark übertrieben ausgedrückt, wird das
Möbel damit ein notwendiges Übel. Man braucht es
zum Sitzen, zum Schlafen, zum Ruhen und um alle
möglichen Dinge aufzubewahren. Aber das Lebens-
wichtige und das. was uns beeindruckt, ist der
Raum. Darin liegt eine gewisse Verwandtschaft mit
dem japanischen Wohnraum, und man kann sagen,
daß zum erstenmal Ostasien und Europa sich wirk-
lich in der Idee auf dem Gebiet der Gestaltung
treffen, während das. was bisher in früheren
Jahrhunderten als Einfluß Ostasiens konstatiert
wurde, sich nur auf formale und motivische Über-
nahmen bezog.

Die Entwicklung des Möbels vom raumbildenden
und raumorganisierenden Bestandteil bis zum die-
nenden Objekt kann verglichen werden mit der Ent-
wicklung des Beleuchtungskörpers. Früher gab es
den reichdekorierten Kronleuchter, der als an-
spruchsvolles formales Gebilde mitten im Raum hing.
Heute ist der Beleuchtungskörper eine möglichst
einfache mechanische Apparatur: die Funktion, das
Licht, ist uns wichtiger geworden als das Aussehen
des Geräts, das die Funktion hervorruft.

Gewiß sind auch die rein praktischen Zweckforde-
rungen bestimmend für die Gestaltung des modernen
Möbels, aber sie wurden wichtig, weil die dekorative
Funktion ihren Sinn verlor. Unsere reiche Bilder-
reihe auf den folgenden Seiten soll nicht nur eine
Übersicht über moderne Versuche geben, sondern
soll einem bestimmten Gedankengang untergeordnet
sein. Wir sehen da zuerst drei Schränke, offen-
stehend, damit gezeigt werden kann, wie die Maße
und die Einteilung aus der Größe und Anordnung
der Dinge, die der Schrank aufzunehmen hat, ab-
geleitet sind. Also nicht mehr der Raum und das
Verhältnis des Möbels zum Raum bestimmen Aus-
sehen und Größe des Möbels, sondern nur seine
mechanische Funktion. Natürlich muß Rücksicht dar-
auf genommen werden, wie man die Dinge am
besten herausnimmt, und schließlich Rücksicht auch
auf eine gewisse Verwendungsmöglichkeit und Auf-
stellungsmöglichkeit im Wohnraum. Sonst würde
man bei einem Speisezimmerschrank etwa zu einer
Lösung kommen, wie sie Breuer für ein besonders
eingerichtetes Eßzimmer auf Seite 51 gefunden hat.
bei dem er in Griffhöhe schmale Kästen längs der
Wand angeordnet hat. Wenn dieser Fall auch nur
bei einem sehr großen Zimmer und durch besonderen
Einbau möglich ist, so sehen wir dabei doch deutlich

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