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Badischer Volksbote: für Deutschtum, Thron und Altar ; Organ der Deutsch-Sozialen Reform-Partei in Baden (6): Badischer Volksbote: für Deutschtum, Thron und Altar ; Organ der Deutsch-Sozialen Reform-Partei in Baden — 1895

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No. 2 - No. 8 (7. Januar - 30. Januar)
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>Mks'i7 Inserate >
Nudcn ui dem wöchentlich 2mal erscheinenden „Badischen Volksboten"
die weiteste Verbreitung und kostet die viergespaltene Garmvndzeile
oder deren Raum nur 10 Pfg., bei mehrmaliger Ausnahme wird
bedeutender Rabatt gewährt.

Iüv Deutschtum,

Hhrron und Attcrv.

Mestelt««gen
auf den „Badischen Volksboten" können jederzeit bei allen kaiserl.
Postanstalten, den Briefträgern, sowie unseren Agenturen gemacht
werdm. — Preis vierteljährlich durch oie Post bezogen 1 M. 25 Pf.,
bei unseren Agenturen 1 Mk., bei der Expedition abgeholt 80 Pf.

Hrgan der deutsch-sozialen Aesorm-Uartei in Maden.

6.

Heidelberg, den 23. Januar 1895.

6. Jahrg.

Antisemitische Zeitungen
können und wollen weder Juden- noch sonstige Schwindel-
Inserate aufnehmen und verzichten damit auf jene
Einnahmen, von denen fast alle Zeitungen leben. Die
erheblichen Kosten, welche die Herausgabe eines Blattes
verursacht, müssen deshalb durch zahlreiche Abonnements
gedeckt werden. Es ist darum einfach eine Ehrensache
für jeden Antisemiten, das Partei-Organ nicht nur
selbst zu halten, sondern auch weiter verbreiten zu
helfen. Dazu ist erforderlich, daß man auch einige
Opfer bringt und nicht einigen wenigen es überläßt, zu
sorgen, wie die erforderlichen Mittel beschafft werden.
Manche glauben wohl auch, daß am Ende gar noch ein
großer Gewinn erzielt wird oder geheime Fonds re. vor-
handen find, aus denen die antisemitischen Blätter unter-
stützt werden. Das ist vollständig unrichtig! Wer nicht
im Solde der Juden das Volk belügen will, wie es die
sozialistischen und anderen Judenblätter thun, der ist
nur auf sich und wenige verständnisvolle und opfer-
willige Parteigenossen angewiesen. Jeder Partei-
genosse sorge deshalb für weiteste Verbreitung des
Badischer. Bokksboten, Organ der deutsch-sozialen
Reform-Partei in Baden. Bestellungen auf denselben
können noch immer gemacht werden und liefert die
Post die bereits erschienenen Nummern gegen eine
Gebühr von 10 Pfg. nach.
Mit deutschem Gruße!
Die Schriftleitung des Bad. Volksboten.
Staat, Bürgertum und Sozial-
demokratie.
Die Jahreswende hat sich diesmal bei uns unter
sehr bedenklichen Anzeichen vollzogen. Während sich
immerhin die Ansicht befestigt, daß der produktive deut-
sche Mittelstand sich mit dem „neuesten Kurse" allmäh-
lich ganz gut verständigen werde, erweist dasselbe Bür-
gertum, das in den letzten Jahren in Stadt und Land
so mannhaft für seine vernachlässigten Interessen ein-
getreten ist, sich geradezu kopflos, feig und dumm ge-
genüber der Umsturzbewegung. Seit Wiedereröffnung
des Reichstages haben wir ein unwürdiges Schauspiel
nach dem anderen erlebt, bei dem die Sozialdemokratie
das deutsche Bürgertum verhöhnt und in seinen heilig-
sten Gefühlen verletzt hat, das Bürgerthum aber hat
nicht den Mut und die Thatkrast des Entschlusses ge-
funden, die Dreistigkeit der Sozialdemokraten gebührend
zurückzuweisen. Im Gegenteil! Denn während die Re-
gierung die sogenannte Umsturzvorlage eingebracht hat
und sich vorbereitet, dieselbe nach allen Kräften zu för-
dern und den Kampf gegen Sozialdemokratie und Anar-
chismus mit neuen gesetzgeberischen Maßnahmen ener-
gischer als bisher fortzuführen, hat eins der stärksten
Bollwerke der bürgerlichen Gesellschaft in schmählicher
Weise vor der Sozialdemokratie kapituliert und den
Führern unserer Roten einen billigen Triumph verschafft.
Der Brauerei-Ring hat mit den Berliner Sozialdemo-
kraten seinen „Frieden" gemacht, Herr Rösicke Hai mit
Pincus Singer auf gleichem Fuße verhandelt, irgend
ein hebräischer Rechtsanwalt hat seinen Segen dazu
gegeben, die Sozialdemokraten haben mit Ausnahme der
Freigabe des l. Mai als Arbeiter-Feiertag so ziemlich
alles erreicht, was sie wollten, der Bierboykott und der
Bierkrieg sind zu Ende, und die Großkapitalistenpresse
und der „Vorwärts" beweihräuchern und beschönigen
wieder einmal Arm in Arm das große Friedenswerk!
Ueberhaupt — Pinkus Singer, der Kommerzien-
rat der Sozialdemokratie, ist zur Zeit der Mann der
Situation. Im Reichstage war er es, der die Flegelei
seiner Gesinnungs-Genossen, beim Kaiserhoch sitzen zu
bleiben, durch seine frechen Worte zu einer unverschäm-

ten Herausforderung und Beleidigung des monarchi-
schen Gefühles des deutschen Bürgertums emporschraubte.
Und da er von keiner Seite die gebührende deutsche
Antwort sand, zum mindesten nicht diejenige, die er un-
seres Erachtens verdient hätte, so verschaffte sich der-
selbe Herr Pincns Singer in demselben Reichstage bald
darauf den billigen Erfolg, die erste Lesung der Umsturz-
vorlage zu Hintertreiben und die germanischen Reichs-
boten früher in die Weihnachtsferien zu schicken, als
Herr von Levetzow das eigentlich gewollt hatte. Auch
hier war der sozialdemokratische Parteipapst nur des-
halb der Meister des Augenblickes, weil das deutsche
Bürgertum und die „Edelsten" der deutschen Nation,
in den Personen ihrer Vertreter im Reichstage, nicht
ihre Pflicht und Schuldigkeit gethan haben. Statt in
das hohe Haus zu gehen und dort ihr Pensum wenig-
stens wie gewöhnlich abzusitzen, zogen es die Herren
Reichstagsabg. vor, zu schwänzen und den Reichstag den
sozialdemokratischen Umstürzlern auszuliefern! Pincus
Singer aber ist bei diesen Erfolgen im deutschen Par-
lamente nicht stehen geblieben: — er hat den reichen
und leistungsfähigen Ring der Berliner Brauereien zu
einem Frieden genötigt, den die Sozialdemokraten viel
dringender brauchten als die Bierbrauer, und dadurch
seinen anderen Erfolgen einen neuen und größeren hin-
zugefügt. Wenn das so sortgeht, so wird nicht, wie der
Dichteres prophetisch vorausgeschaut, erst im Jahre
2000 irgend ein später geborener Cohn als Erster
seines Namens statt Hermanns des Cheruskers das Denk-
mal im Teutoburger Walde zieren, sondern es könnte
leicht geschehen, daß wir eines Tages, aus schweren
Träumen erwachend, die behäbige Gestalt Pinkus I. aus
unserem Nationaldenkmal thronen und aus seinem gol-
denen Nasenklemmer herablassend aus uns niederblin-
zeln sehen.
In der That, der Friedensschluß im Berliner Bier-
kriege richtet mehr noch, als die bekannten Vorgänge im
Reichstage, eine dringende Mahnung an das deutsche
Bürgertum, — eine Mahnung, die man sich besonders
zur Jahreswende nachdrücklich aä notam nehmen sollte.
Sie lautet: das deutsche Bürgerthum muß sich aus
Eigennutz und selbstsüchtiger Vertretung engherzigster
Geschäftsinteressen ebenso wie aus jener unseligen Du-
selei, die in der Sozialdemokratie eine berechtigte Be-
wegung innerhalb des modernen Staates sieht und mit
ihr zu fraternisieren beginnt, aufraffen und stets dessen
eingedenk sein, daß es in der Sozialdemokratie seinen
Todfeind besitzt und mit ihr über kurz oder lang um
seine Weiterexistenz wird ringen müssen! Lässiges Ge-
währenlassen, Schonung und gutmütige Nachsicht sind
gegenüber der sozialdemokratischen Partei ebenso wenig
am Platze und ebenso gefährlich, wie ein Paktieren aus
Geschäftsinteressen und die Anerkennung der Partei als
gleichberechtigten Faktor im öffentlichen nationalen Le-
ben. Man bedenke doch, in welchem Maaße der jetzt
schon unerträgliche Uebermuth der aufgehetzten Prole-
tariermassen wachsen muß, wenn sie sehen, daß in allen
Fällen, wo es zum Zusammenstöße kommt, Selbstsucht,
Habgier und kleinlichste Sonderinteressenvertretung das
deutsche Bürgertum zersplittern und zu keiner einheit-
lichen und dauerhaften Gegenaktion kommen lassen!
Man stelle sich doch vor, mit welcher höhnischen Gri-
masse kluge Leute ä la Bebel, Singer und Genossen
über das einfältige Bürgerthum spötteln, das sich ein-
bildet, die sozialdemokratische Partei würde allmählich
ihren revolutionären Charakter abstreifen und sich mit
der Zeit in den Rahmen des Ordnungsstaates einfügen!
Das verflossene Jahr hat eine ganze Reihe von Fällen
zu verzeichnen, in denen das Bürgertum in diesem Sinne
gegen die Interessen der Allgemeinheit gesündigt hat,
und es ist die höchste Zeit, daß Aehnliches nicht mehr
vorkomme. Die Waldschlößchen-Brauerei in Dresden
trat vor der Sozialdemokratie einen schmachvollen Rück-
zug an, lediglich aus engherzigen Geld- und Geschäfts-
rücksichten, und schädigte dadurch ganz ungeheuer das
Ansehen des Bürgertums, während sie die Position der
Sozialdemokratie erheblich verstärkte. Es ist keine Frage,
daß der Ring der Berliner Brauereien gleichsa O i)l

liehen geschäftlichen Rücksichten gefolgt ist, als er sich
zum Frieden verstand; ja, man hatte es sogar so eilig,
daß man sich nicht einmal mit den Saalbesitzern vor-
her verständigte, die doch den Ring so wirksam im
Kampfe unterstützt hatten. Man wende nicht ein, daß
der Friede immerhin ganz ehrenvoll sei, daß man doch
nicht alles zugestanden habe u. s. w.! Denn es kam gar
nicht darauf an, Frieden zu schließen, sondern zu sie-
gen! Sobald die Sozialdemokratie sich des Böttcher-
streikes bemächtigte und den Boykott begann, und zwar
gegen einen der stärksten Industriezweige, da konnte
und durfte es keine andere Losung für die Vertreter
der Brauereien geben, als den Kampf bis zur völligen
Ueberwindung des Gegners. Jedes Einlenken mußte von
den Sozialdemokraten als Zeichen der Schwäche gedeu-
tet werden, und der faule Friede, der jetzt zu Stande
gekommen ist, wird sicherlich seine ebenso faulen Früchte
tragen.
Sehr bezeichnend für das Ansehen, das die Sozial-
demokratie gewonnen hat, ist, wie schon bemerkt, die
Thatsache, daß der Herr Generaldirektor Rösicke mit
Herrn Pincus Singer auf gleichem Fuß unterhandelt
hat. Das sollte nie und nimmer geschehen! Die Macht
der Gewohnheit hat es leider mit sich gebracht, daß
weite Kreise unseres Bürgertums, die in politischen Ver-
sammlungen begeistert für den Kampf gegen den Um-
sturz stimmen, im praktischen Leben ganz gemütlich mit
den Sozialdemokraten verkehren und womöglich gar
einem ihrer Kandidaten gelegentlich die Stimme geben,
wenn ihnen der Gegenkandidat nicht gefällt. Man macht
es den Reichstagscwgeordneten nach, die in den Wan-
dclgängen ganz gemütlich mit ihren revolutionären Um-
sturz-Kollegen umgehen. Das heißt, unser Bürgertum
ist vielfach auf einfältige Gutmütigkeitsmiene und auf
die schlaue Taktik der Sozialdemokraten, zeitweilig die
Revolutionäre im Schlafrocke zu spielen, so gründlich
hineingefallen, daß es in geradezu polizeiwidriger Be-
schränktheit, Bestrebungen, Unternehmungen und beson-
ders Personen unterstützt, die offenkundig den Zweck
verfolgen, die Grundlagen unserer bürgerlichen Gesell-
schaft zu untergraben und sie selbst zu vernichten. Das
ist natürlich eine thörichte Verblendung, aus der nament-
lich unser Kleinbürgerthum aufgerüttelt werden muß;
aber wie soll das gefchehen, wenn gerade führende
Blätter des nationalen Kleinbürgertums die Irrlehre
in die Welt setzen, die Sozialdemokratie wäre am besten
zu besiegen, daß man das ganze Kleinbürgertum in ihr
aufgehen lasse und sie so gewissermaßen verkleinbür-
gere?! Es ist nicht lange her — Bebel und v. Voll-
Mar lagen sich gerade in den Haaren —, als die Ber-
liner „Volksrundschau" diesem Gedanken einen wieder-
holten und energischen Ausdruck verlieh und dafür plai-
dierte, ja nichts Strafgesetzliches gegen die Sozialdemo-
kratie zu unternehmen, sondern vielmehr das Aufgehen
der kleinen Handwerker, Kaufleute, Beamten re. in der
Sozialdemokratie zu fördern, weil sie aus der revolu-
tionären internationalen Proletarierpartei mit der Zeit
eine ungefährliche kleinbürgerliche Arbeiterpartei werden
würde. Kann man sich einen größeren Blödsinn denken,
als diese angeblich schlaue Bekämpfung der Umsturz-
partei?! Seit wann ist der reißende Strom dadurch
kleiner geworden, daß man zahllose Bäche und Flüsse
in sein Bett leitete?! Die Sozialdemokratie hört auf,
die Sozialdemokratie zu sein, sobald sie den Charakter
der Umsturzpartei, das heißt, der Partei der absoluten
Gegnerschaft zum heutigen Staate und zu seiner Ord-
nung aufgiebt; sie wird also niemals eine kleinbürger-
liche Ordnungspartei werden, sondern sofort die Masten
zur offenen Empörung, zur sozialen Revolution treiben,
sobald sie merkt, daß dieselbeen dem revolutionären Ge-
danken untreu zu werden beginnen. Die Taktik der
„Volksrdsch." würde lediglich den fürchterlichen Bür-
gerkrieg beschleunigen, dem wir so wie so entgegen zu
gehen scheinen, wenn unser Bürgertum, das allein die
Sozialdemokratie besiegen kann, sich nicht zu wirksamem
Widerstande emporrafft, wenn es nicht aus sich selbst
heraus dem Staate in seinem Kampfe gegen die Um-
l brlo igst hilfreiche Hand leistet.
 
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