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Badischer Volksbote: für Deutschtum, Thron und Altar ; Organ der Deutsch-Sozialen Reform-Partei in Baden (6): Badischer Volksbote: für Deutschtum, Thron und Altar ; Organ der Deutsch-Sozialen Reform-Partei in Baden — 1895

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No. 75 - No. 83 (2. Oktober - 30. Oktober)
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) .'.......
Der „Modische WskSsSote erscheint 2msl wöchentlich
(Dienstags und Freitags).
Vertag *«d /eit««G: Heidelberg, Hirschstraße 13.
Telegramul-Adreffe: MskLsSste KeidekSerg.
-«zeigenxreis: Die Sgespaltene Garmondzeile 10 Pfg.

Iüv AsrrLfctztum,

Mreis viertekjährttch
durch den Briefträger frei in's Haus gebracht Mk. 1.25,
durch unfern Boten Mk. 1.—,
Am Postschalter od. unserer Expedition abgeholt 80 Pfg.
Most-Zettungs-Mreisttste Mr. 755.

Gh^on und Attcrv.

Heidelberg, den 26. Oktsder 18SS.


Mr den Arbeiterftand
geschieht schon heute in dem von de» Sozialdemokraten
vielgeschmähten „Klaffenst«ate" sehr viel mehr wie
für irgend eine» «mdern Berufsstand. Die Allerwenig-
sten haben wohl eine Ahnung davon, welche Riesen-
summen alljährlich für die Arbeiter-Versicherung ver-
ausgabt «erde». Wir bringen deshalb in Nach-
stehendem eine Ueberstcht über diesen Gegenstand, die
uns von geschätzter fachmännischer Seite freundlichst zur
Verfügung gestellt wurde.
Die Arbeiterserficherung zerfällt in
1. Krankenversicherung
2. Unfallversicherung
3. Invalidität und Altersversicherung.
Für jeden dieser drei Versicherungszweige be-
stehe« besondere Verwaltungen. Zweckmäßiger wäre
ohne Zweifel eine einheitliche Organisation und
Verwaltung mit möglichst vielen lokalen Verwaltungs-
stellen (Dezentralisation der Verwaltung), um die
Auszahlung der Entschädigungen so rasch als möglich
bewerkstelligen za können; denn auch hier heißt es:
„Wer schnell giebt, giebt doppelt." — Nus diese Weise
ließe sich auch die so notwendige Vereinfachung und
Verbilligung der Verwaltung erzielen.
Nach amtlicher Zusammenstellung betrugen im
Jahre 1893 die
Einnahmen:
Mark
1. Der Kr«nken»ersicherung (Krankenkassen): i3s,0M,000.—
L. Der UnfaSverstcher. (Berufsgenssiensch.): 74,400,000.—
3. Der Alters- u. JnvaliditätSversichernng 103,500,000.—.
Zusammen M. 312,900,000.—
Der Gesamtaufwand für die Versicherung der
Arbeiter gegen Krankheit, Unfall, Alter und Arbeits-
unfähigkeit bettägt also schon jetzt weit über 300
Millionen Mark.
Gehen wir nun einmal näher auf die einzelnen
Versicherungszweige ein, z. B. auf die Unfallversicher-
ung, und betrachten die Steigerung der an die Ver-
unglückten »der ihre Hinterbliebenen ausgezahlten Ent-
schädigungen (Renten u. s. w.), so ergiebt sich fol-
gendes Md: Es wurden ausbezahlt im Jahre:

1886
M.
1,915,366.—
1887
5,932,930.—
1888
9,681,447.—
1889
14,464,303.—
1890
20,318,320.—
1891
26,426,377 —
1892
32,340,178.—
1898
38,163,770.—
1894
44,294,942.—
1895 (»srsusfichtlich)
50,000,000.—

Zusammen M. 243,534,633.—in den
ersten 16 Jahren. Wohl gemerkt, das sind nur die
Unsallrenten! Bis zum Eintritt des sog. BeharruNgs-
zustandes, tz. h. bis zu dem Zeitpunkt, an welchem
der Abgang von Rentenempfängern (durch Tod,
Wiedergenesung re.) dem Zugang neuer Renten-
empfänger etwa gleich konmrft werden die jährlich zu
zahlenden Unsallrenten auf rund 80 Millionen Mark
angewachsen sein. Die Invaliden und Altersrenten
sind für den Beharrungszustaud berechnet auf rund
330 Millionen Mark; für die Krankenversicherung,
bei welcher die Steigerung dep Leistungen im Ver-
hältnis zu den beiden erstgenannten Versicherungsarten
nur gering ist, dürsten rund 120 Millionen Mark
angenommen werden. Demnach werden an Unter-
stützungsgeldern für die Arbeiter alljährlich rund
536 MiLioue» Mark verausgabt werden, wahrlich
eine ganz anständige Summe.
Die gesetzliche Versicherung sott nun noch ausge-
dehnt werden auf:
1. Versorgung der Witwen und Waisen,
2. Versicherung gegen unverschuldete Arbeitslosig-
keit, und
3. soll die Unfallversicherung such noch auf
Handel, Kleingewerbe und Handwerk ausgedehnt
werden.
D» ist denn doch wohl die Frage am Platze:
Wie sollen hiesür die Kosten ausgebracht

werden, wenn nicht zuerst dem Mittelstände,
und zwar gründlich, geholfen wird?!
Soweit unser Gewährsmann, dem wir besonders
in seiner Schlußfrage unbedingt beistimmen. Aller-
dings stellen wir an den heutigen Staat die Anfor-
derung, ein „sozialer Staat" zu sein, d. h. in der
Fürsorge nicht nur für die politischen Freiheiten und
Rechte seiner Bürger, sondern vor allen Dingen für
das soziale, wirtschaftliche Wohlergehen derselben seine
oberste Aufgabe zu erblicken. Aber Unmögliches
können und dürfen wir nicht verlangen, und deshalb
weinen wir: Bevor man an eine weitere Ausdehnung
der Arbeiterversicherung denken kann, muß sich die
bereits bestehende bewährt haben, oder sie muß, wenn
das nicht der Fall ist, zur Zufriedenheit Aller re-
formiert werden; sie muß an praktischer, einfacher,
billiger Verwaltung soweit vervollkommnet sein, daß
sie allen berechtigten Anforderungen entspricht und für-
weitere staatliche Versicherungen als Muster dienen
kann. Die einmal gemachten Fehler dürstn nicht
wiederholt werden!
Wir müssen aber auch darauf Hinweisen, daß an
der Aufbringung dieser Riesensummen die Mittelstände
— Handwerk, Kleingewerbe und Landwirtschaft —
in unverhältnismäßig hohem Prozentsatz beteiligt sind,
die Stände, die doch wahrlich auch schwer genug um
ihre Existenz ringen müssen. Diesen noch weitere
Lasten auszuladen, ohne ihnen vorher durch
gründliche soziale Reformen die Möglich-
keit zu gewähren, dieselben tragen zu können,
ßieße gefrevelt ar» ganze« deutschen Walk!
Wenn dem Handwerk nicht durch Gewährung
machtvoller, lebenskräftiger Organisationen, wenn dem
Kleingewerbe und Handel nicht durch Schutzgesetze
gegen unlautere, unsaubere Konkurrenz; wenn dem
Bauernstand nicht auf dem Wege des Antrages Kanitz
durchgreifend geholfen wird, so sind alle diese Stände
nicht in der Lage, noch etwas für die Besserstellung
der Arbeiter thun zu können. Einem jeden Stand
soziale Gerechtigkeit zu teil werden lassen, das ist die
allererste Vorbedingung, wenn das Ganze in allen
seinen Teilen gedeihen soll. Darum noch einmal:
Zunächst Hilfe dem Mittelstände, damit dann dieser
auch den Arbeitern wieder helfen kann!
(Schwäb. Reform.)
Tckgesfragen.
— Milser „deutsches NeHt". Das wackere „D. Volks-
blatt" in München bringt nachstehende 2 Fälle von Ur-
teilen deutscher Gerichte zur Kenntnis des Volkes, die aufs
neue das Volkseippfinden tief verletzen müssen. Der e>ste
Fall: Samuel Grimberg, Einkassierer im Abzahlungsge-
schäft v»n Rode, Hochbrückenstraße in München (der näm-
liche Jude, von welchem wir unlängst berichteten, daß er
Arbeiterfrauen, die er in ihrer Wohnung allein antraf,
durch Nachlaß von Ratenzahlungen zu bewegen suchte und
in einigen Füllen leider auch bewegen konnte, sich ihm
hinzugeben, um die Beträge anderen Tages dann unter
Bedrohungen dennoch einzutreiben) stand in dieser Woche
abermals vor dem Landgericht München I. Der aus der
Bukowina importierte Grünberg hielt sich, obwohl ver-
heiratet, in seiner Wohnung, Kellerstr. 46, eine Konkubine.
Das genügte aber dem Orientalen noch nicht: er beging
trvtzdem das schändliche Verbrechen, ein Sjähriges (!)
Schulmädchen aus sein Zimmer zu locken und
zu schänden, so daß das beklagenswerte Geschöpf heute
noch in ärztlicher Behandlung steht. Ebenso versuchte der
Wüstling noch ein anderes Mädchen an sich zu locken, in-
dem er rhm Kleiderstoff für 20 Pfg. anbot, diesmal glück-
licherweise ohne Erfolg. Der schamlose Verbrecher wurde
in Haft genommen und setzte nun in Verbindung mit sei-
nen StammeSgenossen Himmel und Hölle zu seiner Ver-
teidigung und zur Beschönigung seiner scheußlichen Thal
in Bewegung, mit dem Erfolg, daß er für ein^Verbrechen,
das ein Anderer vielleicht mit vieljährigem Zuchthaus ge-
büßt hätte, zu nur — 6 Monaten Gefängnis verurtheilt
wurde!! Eine Menge seiner he. räischen StammeSgenossen
begleiteten nach der Verhandle: g das Scheusal zu dem
seiner harrenden Fiaker. — Der zweite Fall: Der jüdische
Bankier Wassermann und die Kaufmannsfrau (!) Ida
Castor (Jüdin) hatten sich anfangs dieser Woche vor dem
Amtsgericht Bamberg I wegen Vergehens gegenJie Sitt-
lichkeit zu verantworten, indem sie am Hellen Tage im
Eingang zum Kaffee Haas in üaKranti auf verbotenem
Wege betroffen wurden. Das Gericht, welches die beiden
Angeklagten schon aufgrund eines „ärztlichenZeugnisses"
in zarter Rücksicht vom Erscheinen vor Gericht entbunden
hatte, sprach dieselben frei, weil es annahm, daß der That-

bestaud der unzüchtigen Handlung Alvar völlig erwiesen
fei, die Angeklagten sich aber der Oeffentlichkeit des Ortes
teines vielbegongenen Hausganges!) nicht bewußt gewesen
waren! Natürlich! Beide F Ole, die wir nach dem „N. M.
Tagblatt", einem des Antisemitismus durchaus nicht ver-
dächtigen Blatte, berichten, haben sich in einer Woche
zugetrageu. —
— Zx der Spierß-Te Mörse Geht es «teber hoch ßer.
Jobber und Juden leben in Wonne. Und das hat nicht
eine neue deutsche Gründerperiode, »vohl aber der Gold-
aktienschwindel, der von Loudon über Paris langsam auch
bei uns in Deutschland Einkehr gehalten hat, aethan. In
der Transvaal-Republik irr Südafrika ist ein Eldorado tiu
äs 8i66l6 entdeckt worden. Zahlreiche, zum Teil sehr er-
giebige, Aum Teil auch taube Goldminen wurde» entdeckt
und werden jetzt mittelst eur»päischen Kapitals ausgebeu-
tet. In Loudon und Paris feiert die Börse förmliche Or-
gien und Alt und Jung, Groß und Klein, Hoch und Nied-
rig macht den tollen Tanz ums goldene Kalb, das „Hei-
ligtum" der Spielhölle Börse, mrt. Von den Umsätzen in
diesen! Spiel gewinnt man eine Vorstellung, wenn man
hört, daß es Makler geben soll, die in manchen Monaten
an Gebühren für Geschäfte an Goldaktien fast 600,00) M.
eingenommen haben. Die Aktien der Goldminen in der
Transvaal-Republik genügten schließlich für den Bedarf
des Publikums nicht'mehr. Im Laufe der Zeit hat man
auch in anderen südafrikanischen Gebieten Minen angelegt
und neuerdings beginnen auch die alten Goldländer Au-
stralien, Colorado, Venezuela und Indien wieder ihre mag-
netische Zugkraft auszuüben. Hunderte von Millionen wer-
den in diesen „Aktien", über deren Wert oder Unwert nur
einige wenige Eingeweihte unterrichtet sein können, ge-
wonnen — und verloren. Auch Deutschland soll, wie in
Anzeigen in den der Börse dienenden Blätter zu lesen ist,
mit solchen famosen Minenaktien „beglückt" werden. „Nur"
vier Mlllionen Mark an Kapital sollen aufgebracht wer-
den und Anteile gibt es schon für 1 Mark! Die Falle ist
aufgestellt. Es handelt sich nur darum, ob es auch bei uns
Leichtgläubige giebt, die hineingehen. Wir wollen hoffen,
daß sich unter unseren Lesern keine von denjenigen Leuten
finden werden, die „nicht alle" werden und so die fremden
Spekulanten reich machen helfen. Es unterliegt ia keinem
Zweifel, daß dieses wilde Börsentreiben ein Ende mit
Schrecken nehmen muß. —
— Die milde« Stiftungen und — die Helreidepreise.
Die „schles. Volksztg." bringt eine Notiz aus Hochkirch,
in der es heißt: Ein Teil der Stiftspächter konnte auch
in diesem Jahre wegen des niedrigen Standes der Ge-
treidepreise die Pachtgelder nicht abliefern. Schon früher-
sah man sich genötigt, aus diesem Grunde, eine katholische
und eine protestantische Stiftstelle eingehen zu lassen, wahr-
scheinlich wird man, wenn die gegenwärtigen Uebelstünde
in der Landwirtschaft anhalten, zu einem ähnlichen Schrift
in Zukunst veranlaßt sein. —
— Laiß Ster», der berühmte Sohn des freien Amerika,
ist richtig durchgegangen, um die durch Verwerfung seines
Gnadengesuches rechtskräftig gewordene Gefängnisstrafe
von 14 Tagen nicht absitzen zu müssen. Damit ist seine
Kaution von 80,000 Mark zu Gunsten des bayerischen
Staates verfallen. Das schöne Geld ist futsch, und das
schmerzt den Juden immer, mag er sich auch gleich Herrn
Laib Stern des Besitzes einiger Milliönchen erfreuen. Des-
halb möchte der Durchbrenner wenigstens etwas von dem
verlorenen Gelde haben — den Ruhm des WohlthüterS
Er, der einstige Würzburger Viehjude, als „Stern de
Wohithätige" in den Annalen der Weltgeschichte verewig.
— ein berauschender Gedanke für den schnöde um sein
koscheres Geld geprellten Mann! Flugs „vermacht" er die
verfallenen 80,000 Mk. einem „wohlthätigen Verein". Und
schon posaunte die dem edlen Geber nahestehende Presse
das Lob des großen Stern in alle vier Winde, die Anti-
semiten ihrer gerechten Zerknirschung ob solchen jüdischen
Edelsinnes überlassend — da nahte oas Malheur! Herr
Stern hatte nämlich fremdes Geld verschenkt, Geld, wel-
ches nicht ihm, sondern dem bayerischen Staat gehörte,
und mit seiner gerühmten „Wvhlthätigkeit" war eS darum
wieder einmal nichts! Nun herrscht Trauer in Israel:
Behüt dich Gott, Laib Stern, es wär zu schön gewesen,
Behüt dich Gott, es hat nicht sollen sein.
— Wit Hichenkauö öekrä«zt sind bei dem Sedanfeste
in Wronke die Kaufmanns-Frauen Adele Lewy und Na-
talie Lippmann. Beide haben 1870—71 eine „hingebungs-
volle Thätigkeit bei Beschaffung von Mitteln zur Pflege
verwundeter Krieger" entfaltet und einen Orden für Nicht-
kombattanten erhalten. — Hoffentlich ist ein Photograph
anwesend gewesen und hat eine Momentaufnahme gemacht.
— Aer Atuch Seim Mete«. Unter dieser Ueberschrift
brachte das „Schorer'sche Familienblatt" in seiner Nr. 40
von 1892 eine lustige Geschichte, die wert ist, in den heu-
tigen Zeitläufen wiederholt zu werden. Wir teilen sie hier
unseren Lesern mit: „In seinem autobiographischem Werke
„40 Jahre" erzählt Karl v. Holtet aus dein Mecklenbur-
gischen, daß nach dem Abgänge des Landesrabbiners Hold-
heim nach Berlin die altgläubig jüdischen Gemeindemit-
glieder zu dem Minister Lützvw nach Schwerin gekommen
,eien und um die Wiederherstellung einiger früher schon
von Hvldheim abgeäuderter uralten Gebete nachgesucht
hätten. Der Minister habe gesagt: „Freunde, mir kann das
alles gleich sein, aber wie ich gehört habe, ist an den Ge-
beten, wovon ihr redet, nicht viel verloren, denn man hat
 
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