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tzM Sa dM-schckn Wsarm-Wriki in ZaSm nni> Sk AmmömS«.
M 83.
Heidelberg, den 3V. Oktober 1893.
6. Jahrg.
Unser Parteitag in Erfurt.
Es ist kaum möglich, unmittelbar unter dem
starken Eindruck der Erfurter Tage ein erschöpfendes
und nach allen Seiten hin einwandfreies Bild von
ihnen zu geben. Aber vielleicht ist gerade darum ein
solcher Stimmungsbericht den Freunden und Beur-
teiler« unserer. Bewegung von Wert. Allem voran
da das freudige Bekenntnis: Die Verhandlungen mit
ihrer ruhigen Sachlichkeit, ihren! opferwilligen Ernste,
ihrer sachverständigen Arbeitsfreudigkeit, ihrer hin-
gebenden Vaterlandsliebe waren der Bedeutung un-
serer Sache würdig.
Mit mancherlei sorglichen Bedenken sind wir nach
Erfurt gegangen. Erst vor einem Jahre hatten sich
die beiden Bruderrichtungen zusammengeschlosfen, um
ihre Besonderheiten in den Dienst der gemeinsamen
Sache zu stellen. Die Vorbereitungen hatten nicht in
genügender Weise getroffen werden können; wenn un-
sere leitenden Männer schon so in beispielloser Weise
in Anspruch genommen sind, so kamen diesmal noch
die Wahlarbeiten in Baden und Sachsen dazu. Ein
Programm zu beraten und die Grundlage eines Or-
ganisationsplanes zu schaffen, das waren Aufgaben,
wie sie kaum schwerwiegender für einen Parteitag zu
denken sind. Dazu kam eine durchaus nicht leichte
Form der Beteiligung: Die stimmführenden Abgeord-
neten mußten in dem Kreise, wo sie von den Ge-
sinnungsgenossen gewählt waren, auch ihren Wohnsitz
haben. Aber alle sorgenden Erwägungen sind durch
den prächtigen Verlaus der Verhandlungen glänzend
zu Schanden geworden.
Die grundlegenden Leitsätze, sowie die meisten
der wichtigsten Forderungen sind nach sehr gründlichen
Besprechungen einstimmig angenommen worden. Der
alte Gegensatz zwisci en Reformern und Deutschsozialen
war überhaupt nicht zu spüren. Nur zwei Richtungen
waren zu unterscheiden, und die müssen in jeder Partei,
die gesund ist, vorhanden sein: die eine, die in
jugendlichem Feuereifer mit großen, allgemeinen Re-
formen dem ersehnten Ziele zufliegen möchte, die
andere, die nüchtern und scharf prüfend Schritt vor
Schritt vordringen will, um so dem Ziele näher zu
kommen. Die Beteiligung war eine sehr erfreuliche,
abgesehen von den sonstigen Teilnehmern waren etwa
100 stimmsührende Abgeordnete vertreten, und herz-
ersreulich war es zu hören, wie der Arbeiter so gut
wie der Fabrikant, der Bauer so gut wie der Hand-
werker und Kleinkaufmann frisch und froh für ihre
Sache eimraten, und durchaus nicht nur den Juristen,
Theologen u. s. w. das Wort überließen. Die Ar-
beitsleistung war wohl kaum zu übertreffen; am
zweiten Tage ist von 9 Uhr früh bis nachts halb 1
Uhr mit einer einstündigen Mittagspause durchgear-
beitet worden. So ist denn auch die Aufgabe im
wesentlichen erledigt worden. Bis auf einige wenige
Punkte der Forderungen, die nur in vorläufiger
Fassung angenommen wurden, damit sie beim nächsten
Parteitag eingehender durchberaten werden könnten, ist
das Programm gründlich durchgearbeitet, und der Or-
ganisationsplan in seiner Gesamtheit angenommen
wm den. Es ist der erste Parteitag, der von der
Deutschsozialen Reformpartei abgehalten worden ist.
Nach ihren Leitsätzen bekennt sie sich als die V er-
tretung der schaffenden Arbeit in unserem
Volke. Nach der Zusammensetzung war die Versamm-
lung das. Nach dem Geiste, der sich in ihr völlig
frei und dabei völlig einheitlich offenbarte, giebt sie
die Gewähr, daß die Deutschsoziale Neformpartei ihr
hohes Ziel ehrlich und thatkrästig verfolgen wird.
Nun zu den Einzelheiten! In markigen Worten
eröffnete Herr Reichstagsabgeord eter Zimmermann,
der abwechselnd mit Herrn Re'chstagsabgeordneten
Liebermann von Sonnenberg den Vorsitz führte, den
Parteitag mit einem begeistert aufgenümmenen Kaiser-
hoch. Die erste Sonntags-Sitzung galt den Leitsätzen
und war in ihrer sachlichen Klarheit und einhelligen
Begeisterung wohl der Höhepunkt dieser Tage. Es
handelte sich um einen strafferen Aufbau der Leitsätze,
iu die die Stellung zum Christentum, unserer wirt-
schaftlichen Aufgabe, und das Streben nach einem
deutschen Recht ausgenommen wurde. Ein kurzer
Satz, der für den Schutz des Deutschtums im Aus-
lande eintrat, wurde noch ausgenommen, und so konnte
in freudigster Stimmung um halb 2 Uhr die erste
Sitzung geschlossen werden.
Die Nachmittagssitzung am Sonntage konnte nur
3 Stunden dauern, da der Saal für den Abend ver-
geben war. So gewann man aber Zeit für die Aus-
schußsitzungen, in denen der Organisationsentwurf und!
die endgiltige Fassung der Leitsätze zu beraten waren. I
Die allgemeine Besprechung der Forderungen endete
glatt mit der Annahme des Eisenacher Satzes: Unsere
Partei steht auf deutsch-nationalem, monarchischem und
christlichem Boden. Bei dem allgemeinen direkten
Wahlrecht entspann sich eine sehr lebhafte Erörterung
darüber, ob es aus die Reichstagswahlen zu be-
schränken sei. Mit weit überwiegender Mehrheit ent-
schied der Parteitag, daß man die Gestaltung des
Wahlrechtes der Landtage und Gemeinden den
Wählern dieser Körperschaften zu überlassen habe.
Auch die zweite Forderung gab Anlaß zu einer leb-
haften und gründlichen Besprechung, man einigte sich
dahin: „Freiheit in Rede und Schrift innerhalb der
Grenzen von Recht und Sitte." Die Besprechung
über den dritten Punkt: Verhältnis zur Kirche mußte
der vorgerückten Zeit wegen abgebrochen werden.
Am nächsten Morgen nm 9 Uhr wurde sie
wieder ausgenommen. Nachdem ein Satz zur An-
nahme gekommen war, der gegenüber der Juristen-
herrschast sachmäßig ausgebildet Beamte im Ver-
waltungswesen forderte, einigte sich der Parteitag aus:
„Selbständigkeit der Kirche in innerkirchlichen Ange-
legenheiten". Sehr lebhaft waren die Verhandlungen
über die genaue Feststellung des Begriffes „Jude".
Um so wertvoller war die Einhelligkeit, mit der die
Versammlung für die Forderungen der Landwirtschaft
und des Handwerks eintrat. Auf dieser Grundlage
läßt sich allerdings für einen Zusammenschluß der
schaffenden Stände unseres Volkes gedeihlich im Lande
arbeiten.
Die Nachmittagssitzung am Montage wurde mit
der Besprechung des Organisationsplanes, den der
Ausschuß ausgearbeitet hatte, eröffnet. Nach ein-
gehender Besprechung, in der allseitig die Freude über
diesen Entwurf zum Ausdrucke kam, wurde er einstimmig
angenommen. Die Schlußberatungen von 6 bis etwa
12 Uhr galten wieder den Programmforderungen,
von denen die über den Handel, die Arbeiterfrage, die
Rechtsverhältnisse, die polnische Gefahr, die Kolonial-
frage sehr gründlich durchgearbeitet wurden. Mittler-
weite war es schon sehr spät geworden und nach der
gewaltigen Anstrengung schienen die Mitglieder des
Parteitages nicht mehr mit derselben Frische und Ruhe
arbeiten zu können. So wurden denn die übrigen
Programmforderungen: Heer, Steuern, Börse, Zölle
mit nur wenig Aenderungen vorläufig angenommen,
damit der nächste Parteitag noch eingehender sie be-
raten möge. Mitternacht war schon vorüber, als
Herr Reichtagsabgeordneter Zimmermann das Schluß-
hoch auf die Partei ausbrachte, das von einem be-
geisterten Heil auf die beiden Führer der Partei,
Liebermann von Sonnenberg und Zimmermann er-
widert wurde. Noch wurden die eingegangenen Glück-
wünsche von nah und fern vorgelesen und dann ging
man auseinander, wohl müde und matt nach der
zweitägigen, angespanntesten Arbeit, aber auch mit
frohem Herzen und freudiger Siegeszuversicht. Ueber
alles Erwarten günstig sind die Erfurter Tage ver-
laufen, der Grund ist gelegt worden zu dem Baue
deutsch-sozialer Reform, der deutsches Leben erhalten
und fördern soll.
Und nun, ihr Arbeitsleute rings in deut-
schen Landen, frisch auf zum Werk! Tragt
herbei die Steine zum Bau, regt treu und
fleißig die Hände, daß wir fördern das
Werk zum Heile unseres deutschen Volkes!
Tagesfragen.
— Per „freie Wettbewerb" nimmt immer un-
glaublichere Formen an! Auf die Frage: „Wo kauft
man am billigsten?" giebt der Anzeigeteil des „Süd-
pfälzischen Wochenblattes" zu Bergzabern Antwort, in
dem wiederholt zu lesen stehl: „Freie Fahrt nach Landau
und zurück gewährt die Firma Joseph L Scharff von
jeder pfälzischen Station auch bei Einkauf von nur 20
Mark." Nicht genug damit! Jetzt zeigt die Firma A.
Hundemer zu Steinfeld an: „Um jede Konkurrenz, be-
sonders aber einer Landauer Firma zu überbieten, habe
! mein ohnehin großes Lager in Mauusakturwaren ver-
! größert und verkaufe sämtliche Artikel, den heutigen Woll-
preisen entsprechend, zu bedeutend herabgesetzten Preisen.
Bei Einkäufen von 20 Mk. vergüte ich die Eisenbahn-
fahrt sämtlicher pfälzischer Stationen, bei größeren
Einkäufen gebe freien Mittagstisch, entventuell auch
noch den Kaffee". (!)
— Zeichen der Zeit. Das Großherzogl. Amts-
gericht Gießen veröffentlicht eine Liste der Einträge ins
Firmenregister dieses Gerichts. Daraus geht hervor:
Neue Firmeneinträge wurden bewirkt im ganzen 30,
davon sind jüdische — 21 (einundzwanzig!) Gelöscht
wurden im ganzen 45, darunter jüdische nur 10.
Neue Geschäfte wurden demnach eröffnet von Juden
21, von Christen nur 9, alte Geschäfte gingen ein,
von Christen 35, von Juden nur 10. Man sieht hier-
aus, daß der kaufmännische Geschäftsbetrieb immer mehr
in Judenhand übergeht. Wohin soll das zuletzt führen?
Zuletzt werden — durch der Deutschen eigene allzugroße
Gutmütigkeit — die Juden die einzigen Besitzer des
Kapitals und die Deutschen ihre Lohnsklaven sein.
— Irrte ZSa«de. Wie der Freisinn der Sozialdemokratie
aus der Klemme hilft, decken die „Berliner N. Nachr." in
dankenswerter Weise auf. Das „Berliner Tagebl." druckt
nämlich aus einem Mülhausener Blatte eine Charakteri-
stik von dem Mörder des Fabrikbesitzers Schwartz nach:
allein, das Mosse'sche Organ thut das erst nach sorgfäl-
tiger „Redaktion", damit es nicht etwa den ihm nahestehen-
den Sozialdemokraten Nachteil bereite. In dem Original-
berichte heißt es nämlich: „Unter seinen Arbeitskameraden
galt er (der Mörder) allgemein als überspannt, verwirrt
durch anarchistische oder Romanphrasen . . Im „Berl.
Tagebl." sind die beiden Worte „anarchistische oder" aus-
gelassen, so daß der Mörder als ein harmloser, nur durch
Rvmanphrasen verwirrter Mann erscheint. Ersieht mau
aus diesem Falle, wie sehr es geboten ist, Citate in frei-
sinnigen Blättern mit größter Vorsicht zu „genießen", so
zeigt die charakteristische Auslassung des — ach, so sitt-
lichen! — Mosse'schen Organs, daß es sogar zu Fälsch-
ungen bereit ist, um der Sozialdemokratie aus der Klemme
zu helfen. —
— Jer sozialdemokratische Wartettag hat bekanntlich
die Anträge auf Abschaffung der Akkordarbeit, Heber-
stunden und Nachtarbeit in den soz. Druckerei abgelehnt.
Weiter wird berichtet: In Hannover ist eine sozialdemo-
kratische Druckerei zur Herstellung des dortigen Parte-
organs kürzlich begründet worden. Man solle meinen,
daß angesichts der fortgesetzten Deklamation über,.mensche -
würdige Behandlung", Frauenschutz u. s. w. dort mindeste.! Z
die Arbeiterschutzbcstimmuttgen der Gewerbeordnung ein-
gehalten würden. Aber in der neuen Druckerei des
„Volkswille" mußte zum Schutz für dort beschäftigte fünf
Arbeiterinnen die Polizei eintreteu, weil die Frauen über
die vorgeschriebeue Zeit hinaus bei der Arbeit behalten
wurden: die Polizei verhinderte die Weiterarbeit and
notirte den sozialdemokratischen Arbeitgeber wegen Ueber-
tretuug des Arbeiterschutzgesetzes zur Bestrafung.
— «Miet Kure kleine« Höchter! In Offenbach a. M.
wurden im Laufe von anderthalb Jahren vier „ehrenwerte"
jüdische Geschäftsinhaber wegen Sittlichkeitsvergehen zu
Strafen von einem Jahr Gefängnis; bis 3 Jahren Zucht-
haus verurteilt. Alle 4 hatten kleine Mädchen in ihre Ge-
schäftsläden gelockt und dort an denselben Verbrechen ver-
übt: natürlich waren sie sämtlich verheiratet und mit zahl-
reichen eigenen koscheren Kindern versehen. waS sie aber
nicht hinderte, sich in verbrecherischer Weise an den Kin-
dern der Gojim zu vergreisen. Auch hatte in sämtlichen
Fällen die Judengemeinde in Offenbach alles ausgeboten,
um die würdigen Mitglieder der verdienten Strafe zu
, entziehen. —
— Ks gieSt keine jüdische« M«arte«! Wir drucken nach-
stehend einen Bries ab, den ein „anderer" an eine anti-
semitische Redaktion in Saaz gerichtet hat. Der Bries
lautet: „Kaadeu, 21. Sept. An die Redaktion der „Nord-
westböhmischen Nationalzeitung" iu Saaz. Sie haben in
Ihrem Blatte vom Donnerstag einen Artikel über mich
' gebracht und mich sowie meine Glaubensgenossen geschmäht!
> Ich warne Sie hiermit, dies nochmals zu thun, da ich
! gegen solche Christenhunde absolut die Staatshilfe anrufen
müßte. Sie Dummköpfe! Sehen Sie denn nicht, daß, je
mehr Sie uns schmähen, desto schwerer wir uns an^ so
einer frechen Bagage rächen ? In fünfzig Jahren seid Ihr
unsere Knechte. — Ihr werdet uns bedienen und froh sein,
wenn wir Euch trockene Erdäpfel vvrsetzen werden. Es
kommt nach unserem Propheten die Zeit, wo alle Anders-