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Badischer Volksbote: für Deutschtum, Thron und Altar ; Organ der Deutsch-Sozialen Reform-Partei in Baden (6): Badischer Volksbote: für Deutschtum, Thron und Altar ; Organ der Deutsch-Sozialen Reform-Partei in Baden — 1895

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No. 9 - No. 16 (2. Februar - 27. Februar)
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https://doi.org/10.11588/diglit.42838#0041
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Mrrr Derrtschtrrm

Z8esteL««ge» —
auf den „Badischen Volksboleu" können jederzeit bei allen kaiserl.
Postanstalten, den Briefträger >r, sowie nnseren Agenturen gemacht
werden. — Preis vierteljährlich durch die Post bezogen 1 M?25 Pf.,
bei nnseren Agenturen l Mk., bei der Expedition abgeholt 80 Pf.

. Inserate ..vn-r-,
ftnde,l m dem wöchentlich 2mal erscheinenden „Badischen BsttSboten"
dre weit-sie Verbreitung und kostet die viergespaltene «armondzeile
oder deren Raum nur 10 Pfg., bei mehrmaliger Aufnahme mir-
bedeutender Rabatt gewährt.

Dhrron und Attcrv.
Or-gcln der- deutsch-sozialen Wefor-m-Marter in Waden und des
Wadischen Wauernöundes.

M LI.



Wit dem 1. Ieöruar
bezann eine neue Bestellung auf unsere Zeitung
Zmn Preise von 87 Pfg. für die Monate


Februar- und Wärrz.

Wir bitten unsere Gesinnungsfreunde, den im Inseraten-
teil befindlichen Bestellzettel zu benutzen.


Nede des Reichstagsabg. Gräfe
bei der ersten Beratung über die Novelle zur Gewerbe-
ordnung, betr. das Wandergewerbe usw.
Wenn einmal das alte deutsche Sprüchwort: „Was
lange währt, wird gut", an einer Sache zu Schanden
geworden ist, so kann man dies wohl von dem uns
vorliegenden Gesetzentwurf behaupten. Nachdem bereits
vor mehreren Jahren die bayerische Regierung im Bun-
desrath viel weitergehende und die Sache viel mehr
treffende Maßregeln vorgeschlagen hatte, nachdem seit
einer Langen Reihe von Jahren aus Grund der Be-
schlüsse von Handwerkertagen Tausende von Petitionen
an den Bundesrath und Reichstag auf die verderbliche
Wirkung des Hausirgewerbes hingewiesen und die ein-
zelnen Mittel zur Abhilfe genannt worden sind, kommt
uns setzt die Regierung mit einem Gesetzentwurf, der
den Beteiligten ganz entschieden Steine statt Brot und
Wasser statt Wein bietet. Es muß deshalb ausgespro-
chen werden, daß man in den weitesten Schichten un-
seres Handwerker- und gewerblichen Mittelstandes immer
mehr und mehr zu der Ueberzeugung kommt, daß die
ganze Gesetzgebung auf gewerblichem Gebiete noch heute
ganz im manchesterlichen Fahrwasser steht und nicht der
geringste Versuch gemacht wird, endlich daraus heraus-
zukommen. Ja, man kommt immer mehr und mehr zu
der Ueberzeugung, daß man nach dieser Richtung über
eine gewisse Grenze von Kurpfuscherei nicht hinauskommt.
Anstatt also, daß dieser Entwurf auch nur die wichtig-
sten Forderungen der beteiligten Kreise erfüllt, finden
wir eine Bestimmung im vierten Artikel, welcher wir
nun und nimmer zustimmeu können. Es ist dies der An-
trag, de » dandel mit Drogen und chemischen Prä Ka-
raten in den H 35 Absatz 2 der Gewerbeordnung em-
zufügen und damit den Bestimmungen dieses Gesetzes
zu unterwerfen. Wenn nach die'er Richtung etwas ge-
schehen Gll, 'so muß zuvor nnbe< ingt die Freigabe der-
jenigen unschädlichen Heilmittel, die in der Apotheke
ohne Beschränkung durch jedermann, selbst durch Lehr-
linge, abgegeben werden dürfen, für die Drogenhand-
lnngen erfolgen, und das Privilegium der Apotheker auf
den Verkehr mit gesu dheitsgefährlichen Stoffen und die
Zubereitung zu Hei.zwecken beschränkt werden. Un-
schuldige Mittel, "die jetzt den Apotheken noch Vorbe-
halten sind, z. B. Rhabarber, Zitwersamen usw., die
sogar andere Kaufleute auch führen, nicht blos die Dro-
grnhandlungen, ferner Brustthee, Brustpulver, Kaliwasser
usw. den Drogenhandlungen zu verbieten, das ist ein
ganz unhaltbarer Zustand. Wenn dieses Gesetz durch-
geht, würde es weiter nichts sein, als ein neues Pri-
vilegium für die Apotheken (Beifall) und es würde zu
dem völligen Ruine von zehntausend Drogisten, die sich
^u einem allerwärts geachteten Stande durchgerungen
haben, mit über 60,000 in diesem Gewerbe beschäftig-
ten Personen führen. Ich richte deshalb die Bitte an
die Regierung: Geben Sie den Verkauf der unschäd-
lichen Arzneimittel frei, stellen Sie die Drogenhandlungen
unter die Anzeigepflicht und führen Sie den Befähig-
ungsnachweis für die Drogisten ein; dann erst wird es
möglich sein, diejenigen Drogisten ähnlichen Bestimm-
ungen zu unterwerfen, welche sich wiederholt widerrecht-
lich mit der Anfertigung von ärztlichen Rezepten oder
mit dem Verkauf stark wirkender Arzneimittel, Gifte usw.,
beschäftigen. Erlangt die vorliegende Bestimmung Ge-
setzeskraft, so wird die Existenz des ganzen Drogisten-
gewerbes in die Luft gehängt, und sie wird lediglich d:e

Heidelberg, den S. Februar L895.

s.

weitere Proletarisirung weitere Schichten des Mittel-
stände zur Folge haben. Wenn die Regierung uns eine
Statistik gebracht hätte, in wie vielen Fällen thatsäch-
lich vielleicht die Drogisten mit der Rezeptur und Ab-
gabe von wirklichen Giften sich beschäftigt hätten, so
wäre die Beweisführung für die Regierung dem Dro-
gistengewerbe gegenüber sehr mager ausgefallen. Was
dieKonzessionspflicht für die Konsumvereine für den Klein-
verkauf von Branntwein, Bier usw. betrifft, so stimmen
wir derselben zu, einmal aus dem Grunde, weil wir
überhaupt Gegner der Konsumvereine sind und in dem
gegenwärtigen Anwachsen derselben eine schwere soziale
Gefahr für den seßhaften Kaufmannsstand erblicken, —
in Breslau allein hat der Konsumverein 52 Filialen
und macht einen Umsatz von 10,5 Mill. Mk.; er kann
noch 52 Filialen machen und braucht keine Konzession
für den Verkauf von Branntwein. Ans der andern Seite
muß jeder einzelne Kaufmann, welcher den Kleinhandel
in Branntwein einführen will, einen schweren und langen
Weg gehen, ehe er diese Konzession erhält. In Sachsen
haben wir die Erfahrung gemacht — das werden auch
die Herren von der Sozialdemokratie bestätigen, — daß
gerade dort der Konsumverein ein mächtiges Organi-
sationsmittel und Organisationsglied in der sozialdemo-
kratischen Partei bildet und lediglich deshalb von der
sozialdemokratischen Partei hauptsächlich unterstützt wird,
weil diese Konsumvereine eben nach dieser Richtung hin
einen festen Kitt dieser Partei geben. Schon aus diesem
Grunde werden wir auch für die vorgeschlagene Be-
stimmung eintreten. Was nun den Hausirhandel anlangt,
so möchte ich das hier zum Ausdruck bringen, wie weite
Kreise der Handwerker- und Kleingewerbetreibenden
namentlich in den mittleren und kleinen Städten, in der
Provinz er beschäftigt und ich bin dem Herrn Abgeord-
neten Dr. Schädler vom Centrum sehr dankbar, daß
er bereits diese Frage angeschnitten hat. Es betrifft dies
das Sonntagsruhegesetz. Man begreift im Lande draußen
nicht, wie man dieses Gesetz einführen konnte, ohne da-
für die notwendigsten Vorbedingungen zu schaffen, und
diese Vorbedingungen sind für uns: die möglichste Be-
seitigung und Beschränkung des Hausirhandels der De-
tailreisenden, der Wanderlager usw. Erst nachdem diese
Gesetze auf dem Gewerbegebiete durchgeführt waren,
konnte und durfte ein derartiges Gesetz eingeführt wer-
den. Jetzt wirkt es geradezu vernichtend für unsere
kleinen Gewerbetreibenden, denn in den süI Stunden,
die ihnen des Sonntags freigegeben sind, ist es nicht
möglich, daß jene Geschäfte, welche wenigstens haupt-
sächlich auf Landkundschaft angewiesen sind, einen Um-
satz erzielen wie früher. Es ist den Landleuten nicht
möglich, sich gewisse Stunden auszusuchen und in den
paar Stunden ihre Einkäufe zu machen. Es werden
tausende und abertausende von Existenzen vernichtet und
der Segen der Sonntagsruhe wird dadurch verloren.
Aber auf der anderen Seite können Sie sehen, daß,
wenn Sie nicht nur aus Statistiken schöpfen, sondern
Ihre Früchte der Erkenntniß vom grünen Baum des
Lebens pflücken wollen — das sage ich auch dem Herrn
Minister — wenn Sie sich in's Land hinausbegeben
wollten und sehen nnd hören wollten, dann würden Sie
finden, daß dort das Hausirgewerbe durch die Sonn-
tagsruhe geradezu gezüchtet worden ist. Ich gebe deß-
halb der Regierung zur Erwägung, ob es nicht ratsam
wäre, so lange wie wir nach dieser Richtung hin gesetz-
geberisch thatsächlich keine Erfolge erzielt haben, für die
kleinen und namentlich für die kleinsten Provinzialstädte,
welche lediglich auf Landkundschaft angewiesen sind,
möglichst milde Aussührungsbestimmungen zu erlassen,
event. das Sonntagsruhegesetz für jene Städte so lange
aufzuheben, bis wir nach dieser Richtung hin gesetzge-
berische Erfolge thatsächlich zu verzeichnen haben. Was
den Hausirhandel selbst anbelangt, so sind wir ganz ent-
schieden der Meinung, daß derselbe eingeschränkt wer-
den muß, aber die Regierung sagt ja ganz richtig in
ihren Motiven: Der Hausirhandel nicht allein schädigt
den seßhaften Gewerbestand, sondern auch die großen
Waarenhäuser, die Versandtgefchäste. Ich füge hinzu:

die Fünfzigpfennigbazare usw. (Sehr richtig.) Wenn
aber die Regierung das erkannt, so mußte sie doch min-
destens versuchen Zu helfen oder doch mindestens den
Versuch machen, auch nach dieser Richtung hin Abhilfe
zu schaffen. Ich gebe zu, es ist schwer. Ich »ill nur
herausgreifen, ob es nicht möglich wäre, für jene Ge-
schäfte eine Umsatzsteuer einzuführen, aber «uf der ru-
deren Seite glaube ich, wird es möglich sein, der Fi-
lialwirthschaft entgegen zu treten. In der Putzbroncke
usw. gibt es Geschäfte, welche im Lande SO—60 Fili-
alen haben und tausende von Existenzen aufsauZen.
Diese Filialen sollten durch kolossal hohe Besteuerung
unmöglich gemacht oder überhaupt verboten werden. Ks
sollte jeder nur ein Geschäft an einem Orte haben dürfen,
aber nicht an 40 verschiedenen Orten. Was dieselben
einbringen, beweist z. B. die Firma Tietz in München.
Der Jude Tietz hat sich neben de« Justizpalast eben-
falls einen prächtigen Palast gebaut und der Volkswitz
hat diesen Palast mit dem Namen „Jud-Tietz-Palast"
in Anspielung auf den Justitzpalast belegt. (Heiterkeit.)
Auf der anderen Seite will ich hervorheben. daß wir
nicht gewillt sind, dem berechtigten Hausirhandel ent-
gegenzutreten. Erstens werden wir auch ein- sür alle-
mal für das Hausiren mit selbstzefertigten Waren ein-
treten, wie z. B. unsere sächsische Oberlausitz mit ihrer
Leinwandindustrie vielfach darauf angewiesen ist. Nus
der anderen Seite erkennen auch wir an, daß im säch-
sischen Erzgebirge, im Vogelsberge, es ärmere Besöl-
kerungsschichten giebt, welche seit Generationen geschicht-
lich auf das Hausiren angewiesen sind. Das soll ge-
schützt werden durch den Z 56 b der Herren Abgeord-
neten Hitze, Groeber und Genossen, und ich meine, es
wird dadurch auch genügend geschützt. Ich will aus der
anderen Seite nur die Frage anregen, ob es nicht auch
auf diesem Wege anginge, daß man das Hausiren ein-
fach kontingentirt und nach der Bedürfnißfrsge einfach
auf die einzelnen Landestheile verteilt. Was mm das
Detailreisen anbetrifft, so erkennen wir dankbar an, daß
es wohl einen Fortschritt bedeutet, wenn man die De-
tailreisenden endlich den Hausirern gleichstellen »ill.
Thatsächlich sind sie auch nichts anderes. Wenn Tie die
Detailreisenden zu den Hausirern werfen, so haben Sie
eine kolossale Vermehrung, aber auch die Pflicht, strengere
Grenzen für das ganze Hausirwesen zu ziehen. Ich
möchte Sie bitten, sich einmal das Gesetz von Luxem-
burg von 1853 anzusehen. Dort ist das Detailreisen
ganz verboten, und diejenigen Wirte, welche trotzdem in
ihren Gasthöfen solche Detailreisendenlager dulden, wer-
den mit denselben Strafen belegt, wie diejenigen Wirte,
welche verbotene Spiele, Hazardspiele usw. dulden. Ich
sagte, man müsse mehr vom grünen Baum des Ledens
die Früchte der Erkenntniß pflücken. Ich habe mich schon
früher darüber ausgesprochen, daß man aus der Sta-
tistik allein keine wahren und zutreffenden Resultate
ziehen kann, und zu meiner Freude hat gestern Herr
v. Koeller ebenfalls gesagt: aus der Statistik kann man
alles machen. Das sagen auch wir, und deshalb sagen
wir noch einmal, gehen Sie hinein ins vraktifche Leben,
reisen Sie Wochen, Monate lang auf dem Lande her-
um, dann werden Sie zu ganz anderen Resultaten kom-
men. Auf der anderen Seite muß auch darauf hinge-
wiefen werden, daß nicht bloß das Hausirwesen und
das Detailreisen einen furchtbaren Schaden für den seß-
haften Gewerbestand bedeutet, sondern daß eS auch eine
Landplage für die Landbevölkerung bildet. Auch dort
könnten Sie reiches Material sammeln und schöne Früchte
der Erkenntniß pflücken. Aber nur auf praktischem Wege
nnd nicht nach den Erörterungen am grünen Tisch.
Eigentlich braucht man sich aber nicht zu wundern, daß
der Entwurf nicht anders ausgefallen ist, nachdem wir
heute die Ausführungen des Herrn Ministers v. Ber-
lepsch gehört haben. Der Herr Minister sagte: ja, wenn
das Bedürsniß festgestellt werden sollte, müßten wir
ausmessen, wie viel Meter Leinewand dort und wie viel
Ellen Manufakturwaren, Rockzeug usw. hier gebraucht
wird. Nein, so denken wir uns das nicht. Die Be-
dürf,, ißfrage muß darnach geregelt werden, daß man
 
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