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Badischer Volksbote: für Deutschtum, Thron und Altar ; Organ der Deutsch-Sozialen Reform-Partei in Baden (6): Badischer Volksbote: für Deutschtum, Thron und Altar ; Organ der Deutsch-Sozialen Reform-Partei in Baden — 1895

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No. 68 - No. 74 (7. September - 28. September)
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Thvon rrnö Alk^r-.

IÜA7 Derrtschtrrrn,

H»reis vierteljährlich
durä; den Briefträger frei in's Haus gebracht Mk. 1.25,
durch uusern Boten Alk. 1.—,
Am Postschalter vd. unserer Expedition abgehvlt80 Pfg.
F'ost-Aeitungs-H'reisrtste Ar. 755.

Der „Wadtsche M-tttsöote erscheint 2mal wöchentlich
(Dienstags und Freitags).
Werlag n«d Leitung: Heidelberg, Hirschstraße 13.
Telegramm-Adresse: MolKsövte Keidetverg.
Anzeigenpreis: Die Sgespaltene Garniondzeile 10 Pfg.

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74.

Heidelberg, de« 28. September L89S.

S. Jahrg.


UM- Wichtige EnWidimgrn
auf politischem und wirtschaftlichem Gebiete werden in
nächster Zeit die öffentliche Meinung beschäftigen. In
Baden schallt man insbesondere auf die Ergebnisse der

Landtagswahlen.
In einer Zeit, wie der heutigen, ist eine Presse not-
wendig, die ohne um die Gunst von „oben" zu buhlen,
überall ihre eigenen Wege geht. Der
Badische Volksbote ' """
kann deshalb für das kommende Vierteljahr nicht ge-
nug empfohlen werden. Also allerseits Vorwärts im
Kampf für christliches Wesen und deutsches Volkstum,
für Wahrheit und Freiheit, für Recht und Volkswohl
auch jnl kommenden Vierteljahre, das uns zu neuer
Arbeit willig, zu entscheidenden Kämpfen gerüstet finden
soll iznd finden wird.
Schriftleitung und Verlag.


Zar Organisation des Handwerks.
ii.
Erziehliche Aufgaben der Organisation.
Vor allem hätte eine solche Ordnung die Aufgabe,
daran mitzuarbeiten, daß aus den zerfließenden Massen
wieder ein Handwerkerstand sich bildet. Selbstverständ-
lich hätte sie da die Wirkung, daß diejenigen Kreise,
die nach ihrer Ausbildung, ihrer Berufstätigkeit und
ihrer sittlichen Beschaffenheit nicht ins Handwerk ge-
hören, auch aus diesem Stande ausgeschlossen wären.
Es würde sich eine Art Grundsuppe von freien Ge-
werbetreibenden bilden, das ist aber die Folge jeder
Organisation, und es muß eben das Handwerk frei
werden von dem Psuschertum, das ohne jedes Recht den
Namen Meister sich beilegt. Die Hauptaufgaben dieser
Körperschaften besteht nun in der Erziehung des Hand-
werkergeschlechtes. Die Innungen müßten vor allem das
Lehrlingswesen regeln und überwachen, für ordnungs-
mäßige Lehrverträge sorgen, die allgemeine und die be-
rufliche Ausbildung der Lehrlinge ordnen und fördern.
Ihnen würde auch die Bildung von Prüfungsausschüssen
zur Abnahme der Gesellenprüfung zufallen. Mit den
Gesellenausschüssen zusammen hätten sie für Regelung
und Besserung der Verhältnisse im Gesellenstande ein-
zutreten, bei Streitigkeiten zu entscheiden, Gesellenprüf-
ungen anzunehmen. Nur wenn die Gesellenschaft als
vollwertiges Glied des Handwerkerstandes mitarbeitet,
wird sie wieder in diesen Stand hineinwachsen und als
gesundes Glied am Körper des Handwerkes sich ent-
wickeln können. Die Handwerkskammern Hütten nach
unten hin die Aufgabe, Aufsicht zu führen, über die
Durchführung der Bestimmungen besonders für die Lehr-
linge zu wachen; der Regierung gegenüber wären sie
der Mund des Handwerks, der für die Förderung und
den Schutz des Standes eintritt. Die Innungsausschüsse
würden eine vermittelnde Stellung zwischen Innungen
und Handwerkskammern einzunehmen haben, ihnen würde
wohl auch am besten die Abnahme der Meisterprüfungen
und die Ordnung in den Verhältnissen unter den
Meistern zufallen.
Wirtschaftliche Förderung durch die
Organisation.
Nur durch solche Ordnungen läßt sich ein ge-
schlossener, in sich gefestigter Handwerkerstand heran-
bilden, und der ist die Grundlage, um wirklich gesunde
Lebensverhältnisse hier anzubahnen und aufrecht zu er-
halten. Zusammengehalten wird aber eine solche Or-
ganisation nicht durch erziehliche Aufgaben, sondern durch
wirtschaftliche Vorteile. Sind die dadurch zu erreichen ?
Das ist die entscheidende Frage; denn sonst ist eine
solche Organisation ein Luftschloß, und weiter nichts.
Die Frage ist doch wohl zu bejahen, wenn wir uns
auch, besonders für den Anfang, nicht allzu große Hoff-
nungen machen dürfen.

Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß damit eine
Vertretung des Handwerks geschaffen wird, deren
Stimme gehört wird, während tausend einzelne Meister
umsonst sich heiser schreien können. Wenn irgendwo
Mißstände vorhanden sind, Uebergriffe vorkommen, durch
die das Handwerk geschädigt wird, so können diese Kör-
perschaften berufsmäßig den Mund aufthun und wer-
den auch in vielen Fällen im Stande sein. Abhülfe zu
schaffen. Zu gleicher Zeit können sie mit Nachdruck die
Thätigkeit aufnehmen, um Gesetze und Bestimmungen
zum Schutz des Handwerkes zu erlangen, so auf dem
Gebiet der Gefängnisarbeit, der Konsumvereine, des
Submissionswesens. Nur das organisierte Handwerk
wird da wirklich Erfolge erzielen.
Aber auch unmittelbar sind wirtschaftliche Vorteile
zu erreichen. Das Zunftideal eines festen Verhältnisses
zwischen der Zahl der Meister und der Kunden an
einem Ort ist bei unseren Verkehrsverhältnissen nicht
durchzuführen. Thatsächlich wird aber durch eine solche
Organisation das Handwerk frei von manchem unlau-
teren Wettbewerb, indem das Psuschertum unten und
die kapitalistische Hausindustrie oben gezwungen werden,
sich als das, was sie sind, zu bekennen und nicht mehr
unter dem Deckmantel des Handwerkes sich verbergen
können. Es darf ja wohl auch angenommen werden,
daß dann auf dem Wege der Verordnung die Behör-
den in Staat und Gemeinden angewiesen werden, bei
Verdingung von Handwerkerarbeiten das organisierte
Handwerk und nur das zu berücksichtigen. Picht daß
wir nach Gesetzen und Privilegien schreien, aber das
wird zum großen Teil die natürliche Folge des ge-
diegenen und erstarkten Lebens im Handwerk sein.
Die Hauptbedeutung der Organisation für das
wirtschaftliche Gebiet liegt aber im Genossenschafts-
wesen. Solche Innungen mit Rechten und Pflichten
nach außen und unter sich können die Stätten werden,
wo unser Handwerk wieder lernt zusammenstehen und
zusammenzuarbeiten. Das ist kaum möglich bei frei-
willigen Innungen, wo jeder, der nicht mehr mitspielen
will, oder im Trüben zu fischen hofft, einfach austritt.
Die fachmännische Aufsicht und Leitung, die in den Jn-
nungsausschüssen und Handwerkskammern gegeben ist,
darf nicht unterschätzt werden. Das organisierte Hand-
werk ist in der Lage, die größten Aufträge zu über-
nehmen und unter sich zu verteilen. Es kann ein ge-
regeltes Kassenwesen in Kredit- und Darlehnsangelegen-
heiten durchführen, und gerade da liegt eine Haupt-
quelle der Handwerkernot. Es kann im gemeinsamen
Bezug von Rohstoffen, in gemeinsamer Benutzung
von Maschinenkräften etwa bei der Holzarbeitung,
in gemeinsamen Verkaufsstätten vielfach den Kampf
gegen das Kapital aufnehmen und mit Erfolg
durchführen. Daß unser Handwerk jetzt noch dem
Genossenschaftswesen vielfach abgeneigt ist, das ist
kein Wunder; jetzt fehlt noch die Einigkeit, weil die
Organisation fehlt. Das organisierte Handwerk wird
aber im Stande sein, den Segen genossenschaftlicher
Arbeit sich zu eigen zu machen.
Das wäre dann in flüchtigen Umrissen, was wir
unter einer Organisation des Handwerks verstehen.
Mittelalterliche Vorstellungen verbinden wir nicht da-
mit, sie muß herauswachsen mitten aus dem wirtschaft-
lichen Leben der Gegenwart, muß sich die Geld- und
Maschinenkräfte unserer Tage dienstbar machen. Sie
kann unserm Volke wieder einen in sich einigen, tüch-
tigen Handwerkerstand geben, sie kann dem Handwerk
im wirtschaftlichen Kampfe durchgreifend helfen, und
darum ist die Organisation des Handwerks ein Ziel,
das wir erreichen müssen.

Bauer wehr' Dich!
Alle Stände des deutschen Vaterlandes wehren
1 sich ihrer Haut, nur der Bauer bleibt gleichgiltig. Er
sieht ruhig zu, wenn man ihm das Leben verbittert,
ihn ausschindet, seine Existenz untergräbt. So lange
er noch einen Bissen Brot hat und seine Arbeit, so
lange lebt er in stumpfem Brüten dahin. Die Gleich-
i giltigkeit der Bauern ist keineswegs ein Erbteil ihres
I Standes, sondern sie ist die Schuld der Regierungen,
I die in ihrer Rücksichtslosigkeit und Willkür den Bauern

von oben herunter systematisch unterdrückten und ihn
in Unterwürfigkeit halten ließen. Eine egoistische
Bureaukratie, die nichls Höheres kannte, als sich selbst,
hat Jahrhunderte lang fortwährend sich am Bauern-
stände versündige. Wie schwer wurde schon unser
Bauernstand gedrückl! Endlich befreite ihn das l9.
Jahrhundert leUwelse von sciner unwürdigen Lage.
Er atmete aus — aber leider war schon wieder ein
Feind da, und zwar ein sehr gefährlicher: die Kon-
kurrenz des Auslandes. Eisenbahn und
Dampfschiffe näherten die großen Getreideexportländer
Amerikas, Asiens und Europas so sehr unserem
Vaterlande, daß sie auf unserem Markte die eigene
Landwirtschaft verdrängten. Mit Hilfe von Schutz-
zöllen gelang es, eine Zeit lang das Ausland wenig-
stens einigermaßen zurückzudrängen. Da erhob sich,
angezettelt von der Börse und den Händlern im eige-
nen Lande, ein wüster Rummel über „Brotverteuerung".
Künstlich sperrten die Jobber die Getreidemengen vom
Konsum ab, um in ihren Blättern desto kräftiger über
die Teuerung zu schreien. Die Reichsregierung, an
deren Spitze ein Mann, der von der Landwirtschaft
nichts verstand, legte dem Geschrei Bedeutung bei und
beschritt den Weg des Untergangs der deutschen Land-
wirscl aft, den Weg der Handelsverträge, in-
dem sie die landwirtschaftlichen Interessen dem Aus-
lande preisgab. Es war dies ein unbegreifliches Be-
ginnen und nur zu erklären durch die Unkenntnis aller
wirtschaftlichen Verhältnisse im Lande. Die Folgen
der Handelsverträge und der Staffeltarise sind dann
auch nicht ausgeblieben. Die Landwirtschaft
rentiert sich nicht mehr, sie hat kein
Geld. Gewerbe und Handwerk liegen darnieder,
der Verkehr stockt; jedermann fühlt es, daß es rasend
bergab geht. Eine unbeschreibliche Beklemmung erfaßt
alle Gemüter, es ist kein Unternehmungsgeist, keine
Lebensfreude mehr im Volke. Davon scheint man
aber oben nichts zu wissen. Und um zu zeigen, daß
wir Bauern mit der derzeitigen Handelsvertrags-
politik, sowie mit anderen, den Mittelstand schädigenden
Gesetzen durchaus nickt einverstanden sind, darum
wollen wir alle, Mann für Mann, am 11. Oktober
an der Wahlurne für die wahren Vertreter unseres
Standes, für die Kandidaten der deutsch-sozialen Re-
formpartei unsere Stimme abgeben, und alle unsere
Standesgenossen, soweit es in unseren Kräften steht,
zu bestimmen suchen, desgleichen zu thun zum Wohl
des gesamten Bauern- und Bürgerstandes, zum Wohl
unseres heißgeliebten Vaterlandes!
Deutsche Bauern, an Euch ist es jetzt, den Ent-
scheidungskampf durchzufechten, laßt Euch durch nichts
bethören! Seid Männer, verschließt die Ohren allem
Gerede der Streber und Bureaukraten. Eure Inter-
essen stehen auf dem Spiele, es ist der letzte Kampf!
Seid fest und stellt Euren Mann, wie es deutscher
Männer Brauch ist! Vertraut den Männern, die in
Eurem Interesse kämpfen, laßt Euch nicht beirren!
Allezeit furchtlos und treu!
Von einen! badischen Bauer.
Tagesfragen.
— Zu den Wiener Herneinderatsrvahken. Auch
der 23. September, der Wahltag für den 2. Wahlkörpe:
hat mit einem glänzenden Sieg der Antisemiten abge-
schlossen: sie haben bei den Wahlen im zweiten Wahl-
körper nicht nur ihre alten 22 Sitze behauptet, sondern
den Liberalen noch 10 weitere Sitze abgenommen, so
daß ihnen im zweiten Wahlkörper nunmehr 32 Sitze
gehören. Im ganzen verfügen die Antisemiten jetzt im
dritten und zweiten Wahlkörper über 78 Mandate, be-
sitzen also bereits 9 Mandate mehr, als zur absoluten
Majorität erforderlich sind, und ihnen fällt unabhänig
vom Ausfall der Wahlen im ersten Wahlkörper, bereits
der Posten des Ersten Bürgermeisters von rechtswegen
zu. Der Sieg im zweiten Wahlkörper ist umso bemer-
kenswerter und für den Liberalismus um so nieder-
schmetternder, als gerade zum zweiten Wahlkörper die
höheren Beamten sowie das gebildete und gut situirte
Bürgertum gehören. Bisher sprach man in Wien vom
Antisemitismus immer nur als vom Sozialismus der
 
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