Aürr Derrtschtrrrn,
Hlhvon rrnö Al'lctv.
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Mcrdifchen Mnuernöundes.
H'reis vierteljährttch
durch den Briefträger frei in's Haus gebracht Mk. 1.2S,
durch unfern Boten Mk. 1.—,
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68.
Heidelberg, den 7. September 1895.
6. Jahrg.
Vorwärts!
Verrauscht ist die Sedanseier, verklungen der Fest-
jubel, das Alltagsleben tritt wieder in seine Rechte.
Was brachte uns Sedan?
Die Aufrichtung des deutschen, die Zerschmetter-
ung des französischen Kaisertums. Alles Große in der
Welt endet zweimal, hat ein Denker gesagt, einmal tra-
gisch, einmal komisch. Wenn das wahr ist, dann hyt
Europa vor dem Geschlecht der Napoleoniden nichts
mehr zu fürchten. Heute vor 80 Jahren verließ Na-
poleon der Erste als tragischer Held die Weltbühne,
heute vor 25 Jahren endete Napoleon der Letzte als
komischer Held.
Aber haben wir Frieden?
Noch ist die Zeit nicht gekommen, wo die Lämmer
neben den Löwen ruhen. Für thatenlose Trägheit ist
weniger denn je Raum. Das Kampfgeschrei der Natio-
nen untereinander verhallt, aber gemeinsam bedroht sind
sie alle von einem furchtbaren Feind, der ihnen die
Frucht ihrer Kriege und der Friedensarbeit schmälert,
von dem Ring der goldenen und roten Inter-
nationale, dem Bund des Judentums und der Re-
volution. —
Freilich, die Thronreden der Regierungen bringen
gleißende Schilderungen über die Friedensruhe Euro-
pas. Aber diese Ruhe ist das Schweigen des von Räu-
bern Gewürgten, dem ein Knebel im Munde steckt. Nur
ein wenig Luft, und der gellende Schrei des ge-
marterten Volkes würde widerhallen von einem Ende
der Welt zum andern.
Um den Lohn seiner ehrlichen Arbeit betrogen wird
der Landwirt, der Handwerker, der Arbeiter, in klaffen-
den Abgrund starren entsetzt die schaffenden Stände.
Die Schmarotzer indes an der Börse und in der Wech-
selstube falten wohlgefällig die Hände über die Leibes-
fülle, die unrecht Gut ihnen gebracht, und drängen mit
satanischer Freude die Ausgeplünderten immer näher
zum Abgrund.
Unten steht mit offenem Rachen das blutige, kro-
nenlose Tier aus der Tiefe, wie die Offenbarung es
schildert, die internationale Revolution, und empfängt
die Opfer. Das Judentum saugt die Völker aus und
die Sozialdemokratie erhält frische Rekrutenhaufen von
„Enterbten".
Planmäßig arbeiten sie Hand in Hand. In der
Reichshauptstadt Berlin unterstützt ein jüdischer Univer-
sttätsprofeffor ungehindert durch Rede und Geld den
Anarchismus, und in Schlesien stellen die Sozialisten
als Kandidaten zur Reichstagsersatzwahl einen — Syna-
gogendiener auf. Der jüdische Millionär und sozial-
demokratische Parteipapst Singer aber sitzt — merk-
würdiger Treppenwitz der Weltgeschichte — in seinem
Fraktionszimmer im neuen Reichstag auf dem Sessel,
den im alten Gebäude am Bundesratstisch Fürst Bis-
marck inne hatte.
Ja, hast Du denn noch ein fühlendes Herz im
Leibe, Du deutsches Volk, haft Du noch Mark in den
Knochen, Du Volk von Sedan und Waterloo, rüsten
sich denn nicht alle deine Parteien zum Schutze des Va-
terlandes gegen rotgoldene Umklammerung?
Daß Gott erbarm! In kleinlichem Gezänk töten
die Fraktionen deutsche Thatkrast, verschließen ihr Auge
vor der wirtschaftlichen und geistigen Not des Volkes,
ja helfen sogar dem jüdischen Geldsack den deutschen
Michel erdrücken, ersticken.
Aber die Gewissen werden wach. Die Ver-
geltung naht. Hinweggefegt wird die Spreu aus den
Parlamenten, das Volk steht auf, der Sturm bricht los,
der Sturm nationaler Begeisterung, der hellauf die
Fahne bauscht, darauf geschrieben steht: Vorwärts mit
Gott für Kaiser und Reich, gegen Schmarotzertum für
ehrliche Arbeit in Stadt und Land!
Die Geldwechsler trieb er mit der Geißel ans dem
Tempel und stürzte ihre Tische um, so heißt es von dem
Gottessohn, der da kam, die Völker zu erlösen. Auch
das deutsche Volk seufzt nach Befreiung ans der Mör-
dergrube. Auf denn zum Kampfe! Auf gegen den in-
neren Feind, zum Siege, wie vor 25 Jahren gegen den
äußeren Feind, hier und dort gegen fremde Bedrücker.
Abseits stehen die alten Parteien — nun, so wollen
wir voran. DieLandtagswahl naht. Verjudete Frak-
tionen haben bisher geherrscht. Unter jahrzehntealtem
nationalliberalem Schutt verkümmert in Baden die
deutsche Eiche. Jetzt gilts, mit scharfem Bauern -
pflüg den beamteten und nichtbeamteten Strebern da-
zwischenzufahren. Noch können wir nicht die ganze Fest-
ung stürmen, aber in einige Wahlkreise wenigstens soll
Bresche gelegt werden.
Ist hier unsere Reformpartei siegreich, dann giebt
es kein Aufhalten mehr, dann geht es bei der nächsten
Reichstagswahl mit „Marsch Marsch Hurrah" zum
Sturm vor vom Rhein bis zur Weichsel — Hurrah,
Germania, vorwärts! 8t.
Tagesfragen.
— Der Kaiser hat bei dem Paradediner im Weißen
Saale des Königl. Schlosses bei dem Trinkspruch auf
die Garden in Bezug aus das herausfordernde uner-
hörte Benehmen der Sozialdemokraten und deren Presse
in diesen denkwürdigen Tagen Folgendes bemerkt:
„. . . . Doch in die hohe, große Festesfreude schlägt ein
Ton hinein, der wahrlich nicht dazu gehört: Eine Rotte
von Menschen, nicht wert, den Namen Deutscher zu tragen,
wagt es, das deutsche Volk zu schmähen, wagt es, die
uns geheiligte Person des allverehrten, verewigten Kaisers
in den Staub zu ziehen. Möge das gesammte Volk in
sich die Kraft finden, diese unerhörten Angriffe zurückzu-
weisen! Geschieht es nicht, nun denn, so rufe Ich Sie, um der
hochverräterischen Schar zu wehren, um einen Kampf zu
führen, der uns befreit von solchen Elementen".
— Der Reichskanzler Fürst Hohenlohe em-
pfängt nach der Nat.-Ztg. auf seinen russischen Gütern
in Werki sehr häufig den deutschen Botschafter in
Petersburg, Fürsten Radolin, mit dem er nach
Empfangnahme vieler Amtsdepeschen arbeitet. (Daraus
könnte geschlossen werden, daß der Aufenthalt des
Reichskanzlers in Rußland auch politische Zwecke
habe.)
Gi«e «eue Niederlage der Iudenfchuhtrnppe. In der
Strafsache gegen den Redakteur H v. Mosch wegen Gottes-
lästerung und Beschimpfung der jüdischen Religionsgesellschaft
aufgrund des bekannten „Bundschuh"-Artikels: „Der Tod
Alexanders Hl., ein talmudisches Verbrechen?" fand am 30.
August die in der öffentlichen Verhandlung vom 22. August
ausgesetzte Urteilsverkündigung statt. Das Urteil lautete da-
hin, daß der Angeklagte in beiden Punkten, sowohl von der
Anklage wegen Gotteslästerung, wie auch inbezug auf die
Beschuldigung der Beschimpfung der jüdischen Religions-
gemeinschaft freizusprechen ist und daß die Kosten des Ver-
fahrens der Staatskasse aufzuerlegen sind.
Der vom Vorsitzenden Landgerichtsdirektor Röseler vor-
getragenen Urteilsbegründung entnimmt die „Staatsb. Ztg."
folgendes:
„Es wird dem Angeklagten 1) Gotteslästerung, 2) Be-
schimpfung der jüdischen Religionsgemeinschaft gemäß tz 166
des Strafgesetzbuches zur Last gelegt. Insoweit es sich um
Gotteslästerung handelt, hat sich der Gerichtshof der Auffassung
des ersten Urteils vom 17. März d.J. angeschlossen, die auch
die Billigung der höchsten Instanz gefunden hat und die
dahin geht, daß unter beschimpfenden Aeußernngen, die zum
Thatbestand der strafbaren Gotteslästerung erforderlich sind,
nur solche zu verstehen sind, deren rohe Form gewählt
ist, um die Mißachtung des Heiligsten zum Ausdruck zu
bringen. Eine derartige Form vermißt das erste Urteil und
der jetzige Gerichtshof hat sich dem angeschlossen, weil er bei
ernstester Prüfung in dem ganzen Artikel keine rohen Formen
gefunden hat, die die Mißachtung Gottes erkennen lassen.
Soweit dem Angeklagten ferner das Vergehen der Be-
schimpfung der jüdischen Religionsgesellschaft zur Last gelegt
wird, so ist der Artikel an sich wohl geeignet, die Empfindung
der Angehörigen der jüdische Religion zu verletzen. Indessen
geht das Gericht auch in dieser Beziehung von der Rechtsan-
sicht aus, daß der Gesetzgeber nicht jede, wenn auch herab-
würdigende und verletzende Kritik als strafbar hat ansehen
wollen, sondern nur die Kritik, die sich durch rohe Form des
Ausdrucks als Mißachtung kund gibt, also derartige beschim-
pfende Aeußernngen, die als solche die Mißachtung erkennen
lassen. Daran fehlt es aber. Der Angeklagte konnte sich
kaum anders ausdrücken, wenn er dasjenige sagen wolle, was
er gesagt hat. Der einzige Ausdruck, der als Roheit in der
Form beanstandet werden könnte, der Ausdruck „Pöbelvolk",
bezieht sich nicht auf die Heutiyen Juden, sondern auf eine
längst vergangene Zeit, nämlrch aus die Juden zur Zeit
Moses, und auch nur auf einen Teil des jüdischen Volkes,
von deni die Bibel selbst Ausdrücke gebraucht, wie die Rotte
Korah's. Die heutige Religionsgemeinschaft ist damit also
nicht getrcffen.
Wollte man aber weiter gehen, wollte man von der bis-
her entwickelten Rechtsanschauung namhafter Rechtslehrer
und mehrer Reichsgerichts-Entscheidungen abweichen, wollte
man annehtnen, daß auch inhaltlich beschimpfende Behaup-
tungen den Thatbestand des tz 166 St.-G.-B. erfüllen können,
so hatte das Gericht weiter zu prüfen, und das Gericht hat
sich der ernsten Prüfung in dieser Hinsicht nicht entzogen, ob
der Angeklagte sich bewußt gewesen ist, daß der Inhalt des
Artikels, wenn man von der Form absehen will, für das
Judentum als Religionsgesellschast beschimpfend sei.
Der Anyeklagte bestreitet dies, er behauptet, daß der
Artikel lediglich die jüdische Nassengemeinschaft habe treffen
sollen, und daß Beschimpfung der jüdischen Religionsgesell-
schaft ihm fern gelegen habe. Diese Auffassung erscheint nicht
unglaubhaft, sie wird vielmehr durch den ganzen Artikel in
jeder Beziehung unterstützt. Dafür spricht auch ein sogenannter
logischer Fehler, obgleich es in der Ueberschrift heißt: „Ist
der Tod Alexander's ein talmudisches Verbrechen?" wird am
Schluffe gesagt, daß der Kaiser Alexander gestorben sei unter
den Händen zweier Aerzte, welche Rassejuden waren, welche
der Mischen Religionsgesellschaft nicht mehr anaehören.
Es hat also in dem Vorwurfe eine Beschimpfung der jüdischen
Religionsgesellschaft nicht liegen können. Dieser Unistand
wie der ganze Inhalt des Artikels spricht nicht gegen die
Auffassung des Angeklagten, daß der von ihm aufgenommene
Artikel gegen die semitische Rasse sich richtet. Die semitische
Rasse- ist aber ebensowenig, wie die christlichen Rassen vom
Gesetzgeber geschützt, es sind vielmehr nur die religiösen Ge-
fühle unter den Schutz des Strafgesetzes gestellt. Es ist dem
Angeklagten sonach zu glauben, daß ihm das Bewußtsein
gefehlt hat, daß er mit dem Artikel die religiösen Gefühle
der Juden verletze. Aus allen diesen Gründen war der
Angeklagte freizusprechen".
Im Zuhörerraum befanden sich zahlreiche Juden und auch
Angestellte des Vereins Deutscher Staatsbürger jüdischen
Glaubens, von dem seinerzeit die Denunziation ausgegangen
ist. Besonders erbaut schienen diese Herren nicht zu sein.
Ihren ewigen Denunziationen aber, die für das Judentum
eine ganz besondere Stellung verlangen, dürste damit ein
wirksamer Riegel vorgeschoben sein und die Freiheit der
Kritik, auch den Juden gegenüber, gewahrt bleiben.
— Eine durchaus natürliche Folge der andauernden
und in ihren direkten und indirekten Folgen immer
bedenklicher wirkenden Notlage der Landwirtschaft ist
das Aortschreiten der agrarischen Wervegung. Wie
es weiterhin natürlich ist, macht die Bewegung nicht
vor irgend einem politischen Glaubensbekenntnis Halt,
sondern ergreift die Landwirte aller Orten, ob sie nun
bisher Anhänger einer liberalen oder der Centrums-
partei oder sonst welcher politischen Parteirichtung ge-
wesen sind. Es scheint uns daher ganz verfehlt, wenn,
wie früher schon, so auch neuerdings linksliberale
Blätter die süddeutschen Nationalliberalen von der
ganz notwendigen Rücksichtnahme auf die unabweis
lichen Forderungen der Landwirtschaft dadurch abzu
schrecken versuchen, daß sie es so hinzustellen belieben,
als wenn die politische Partei durch diese Rücksicht-
nahme geschwächt und gefährdet werde. Das Gegen-
teil ist der Fall: Nur dadurch, daß sie „agrarisch"
werden, können sich die bürgerlichen politischen Par-
teien erhalten. Wenn vom Centrum gesagt wird, es
werde agrarisch sein müssen oder nicht sein, so gilt
der gleiche Satz auch von den Nationalliberalen. In
der Pfalz, in Bayern überhaupt haben die leitenden
Kreise das schon einzusehen begonnen. Wenn der po-
litische Liberalismus so sehr zurückgegangen ist, so hat
er dies in erster Linie seiner Verquickung mit dem
Manchestertum zu danken. Das Manchestertum hat
eben abgewirtschaftet, aus dem Lande gänzlich und