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Badischer Volksbote: für Deutschtum, Thron und Altar ; Organ der Deutsch-Sozialen Reform-Partei in Baden (6): Badischer Volksbote: für Deutschtum, Thron und Altar ; Organ der Deutsch-Sozialen Reform-Partei in Baden — 1895

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No. 86 - No. 91 (13. November - 30. November)
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Ter „Vadnche Molksöote erscheiot 2mal
(Dienstags und Freitags).
Verlag nnd slerOmg: Heidelberg, Bahnhofstr. 5. ?
Telegramm-Adresse: Mokksöote Keidel'öerg.
Arrzergerrpreis: Die »gespaltene Garmondzeile 10 Pfg. i



Kü-c Derrtscliirrnr, - -


Hhvorr und ALtcr^.

Mreis viertehälirtich
durch den Briefträger frei in's Haus gebracht Mk. 1.25,
durch unfern Boten' Mk. 1.—,
Am Poftschalter od. unserer Expedition abgeholt80 Pfg.
Fölt-Mimtgs-UreislMs Mr. 755.



Heidelbergs den IS. November L8A5.



Akk Anirilg KiUlitz — ein Srzk» dir
das ganze deutsche 8M.
In einigen Wochen wird der deutsche Reichstag
wieder zu seinen Beratungen zusammentreten. Unter
den Gegenständen, mit denen er sich voraussichtlich zu
beschäftigen haben wird, nimmt im allgemeinen Inter-
esse den hervorragendsten Platz der Antrag Kanitz ein.
Ter Antrag Kanitz hat bis jetzt noch viele Gegner-
gehabt, die von den Feinden desselben durch falsche
Darstellungen und falsche Schlüsse zu dieser gegnerischen
Stellung gedrängt worden sind, obwohl es in ihrem
eigenen Interesse liegen würde, den Antrag Kanitz
durchgeführt zu sehen. Die Feinde aber, die der An-
trag Kanitz hat, sind vor allem die Börsen- und Ge-
treidespekulanten und dasjenige Großkapital, das mit
und durch die Jobber und Spekulanten seine Geschäfte
macht. Der inländische Getreidehändler wird heutzu-
tage durch die die Preisbildung dirigierenden Jobber
gezwungen, selber zu spekulieren und daher wird der
Händler, der nur einen ehrlichen Handel will, ein
Freund des Antrages Kanitz sein müssen, weil dieser
ihn von der Herrschaft der Jobber zu befreien im
Stande ist.
Als im vorigen Jahre der Antrag Kanitz zur
Beratung stand, da wurde von seinen Feinden als
wirksamster Agitationsruf die Behauptung gebraucht,
daß der Antrag Kanitz eine Brotverteuerung bedeute.
Und mit dieser falschen Behauptung gehen die Ange-
stellten der Börseninteressenvertretung auch in diesen
Tagen wieder hausieren — der Antrag Kanitz, so
wird behauptet, führe die Sicherung eines Durch-
schnittspreises wohl nach unten, nicht aber nach oben
herbei, denn der Staat soll ausländisches Getreide zu
dem festgesetzten Durchschnittspreise nur so lange ab-
geben, als er selber keine höheren Preise zu zahlen
hat, während er in letzterem Fall den Zoll auf den
Einkaufspreis zuzuschlagen habe. In der That würde
rechnungsmäßig dabei ja eine geringe Erhöhung des
Durchschnittspreises für Getreide eiugetreten sein.
Aber diese Erhöhung würde in ihrem Interesse für
den Brotpreis durch die größere Stabilisierung der
Getreidepreise mindestens ausgeglichen sein. Mit dieser
rein rechnungsmäßig möglichen kleinen Erhöhung des !
Durchschnittspreises ist dann auch die ausgiebigste Agi-
tation gegen den Antrag Kanitz getrieben worden. Die
Brotverteuerung durch den Antrag wurde zum Schlag-
wort, nachdem berichtet war, Se. Majestät der Kaiser
selbst habe gesagt: „Ich kann meinem Volke doch
nicht das Brot verteuern." In der Form, in der
wir für den Antrag Kunitz eintreten, fülll jedoch jene
rechnungsmäßige Erhöhung des Durchschmtts-Getreide- i
Preises fort, weil wir wollen, daß der sestzusetzende
Durchschnittspreis kein Maximalpreis, sondern ein auch
in Teuerungsjahren geltender Staats-Normalpreis
sein soll.
In dieser Form bedeutet die Durchführung des
Antrages Kanitz also sicher keine durchschnittliche
Brotvcrteuerung, da er die Festhaltung des Durch-
schnitts-Getreidepreises in guten und schlechten Jahren
bedeutet. Nun ist aber noch in Betracht zu ziehen,
daß bei steigenden Getreidepreisen, wie die Erfahrung
lehrt, die Preissteigerung des Brots jener des Ge-
treides auf dem Fuße folgt, während bei herab-
gehenden Getreidepreffen der Brotpreis nicht oder nur
sehr langsam und selten in ganzem Umfange folgt,
wie denn auch heute die städtischen Brotesser keinen z
oder nur einen geringfügigen Vorteil von dem er- S
bärmlichen Getreidepreis des letzten Jahres haben.
Daher steht es ganz außer allem Zweifel, daß »
nach Stabilisierung des Getrsidepreifes durch den An-
trag Kanitz oer Brotpreis sich überall dem Getreide-
preis durchschnittlich dauernd mehr nähern wird, als
es bei den schwankenden Getreidepreisen der Fall sein i
kann, weil bei den schwankenden Getreidepreisen jede Z
Zwischenhandelsstelle sich ihr Risiko bezahlen muß und
durchschnittlich auch bezahlen läßt. Wenn aber die Brot-
preise durch den Fortfall des Risikos in den großen
Schw nkungsn der Getreioe- und Mehlpreise sich dem
Getreidepreise dauernd mehr nähern, als es heute der

Fall ist und wenn die Durchführung des Antrages
Kanitz diese Wirkung haben muß, so bedeutet der An-
trag Kanitz eine durchschnittliche Brot Verbilligung.
Daher liegt die Durchführung dieses Antrags im Jn-
teresfe aller Brotkonsumenten.
Die Durchführung des Antrags Kanitz bringt den
Bauern, den Getreideproduzenten bessere Preise.
Die Viehproduzenten würden dem Anträge Kanitz
zu danken haben, daß nicht immer mehr Landwirte zur
Viehwirtschaft gedrängt werden, daß ein Preissturz hier-
verhindert wird, und außerdem ist es ein altes Er-
fahrungsgesetz: Gilt das Korn etwas, so gilt auch das
Vieh. Die Durchführung des Antrags Kanitz bringt
den Brotkonsumenten durchschnittlich billigeres Brot.
Die Durchführung des Antrages Kanitz macht die Land-
bevölkerung wieder steuer-fähig, das ist das Interesse
des Staats. Die Durchführung des Antrages Kanitz
macht die Landbevölkerung wieder kaufkräftig, das ist
das Interesse der Handwerker, das Interesse der In-
dustrie und ihrer Arbeiterbevölkerung. Der Antrag
Kanitz ermöglicht in der Landwirtschaft das Beibehacken
und die langsame Ausdehnung der intensiven Wirth-
fchaft, das ist das Interesse der Arbeiterbevölkerungin
Stadl und Land.
Wer aber hat die Kosten des Vorteils zu tragen,
den Produzent und Konsument, Stadtbevölkerung und
Landbevölkerung von der Durchführung des Antrages
Kanitz haben werden? Den Schaden haben allein die
Jobber und Spekulanten und das hinter ihnen stehende
Großkapital. Diese Kreise bilden, Gott sei Dank, nach
ihrer Zahl aber nur einen ganz verschwindenden Bruch-
teil unserer Bevölkerung. Daher ist der Schluß durch-
aus gerechtfertigt: Die Durchführung des Antrags Kanitz
ist ein Segen für das ganze deutsche Volk.

Tagesfragen.
— Wazefiätsöekeidigungen. Ein Blatt, mit dem
wir allerdings herzlich wenig gemein haben, die „Nation"
des Dr. Th. Barth schreibt: Wir befinden uns in
Preußen einmal wieder in einer Zeit der Ueberreizung
Majestätsbeleidigungen gegenüber. Der Fall war stets
ein Zeichen ungesunder öffentlicher Zustände. 1876
wurden 181, 1877 rund 200 Untersuchungen wegen
Majestätsbeleidigung eingeleitet; da kam das Jahr 1878
mit seinem Sozialistengesetz, und die Zahl der Majeftäts-
beleidiguugs-Prozesse schwoll allein in Preußen auf 1994
an. Es ist noch unvergessen, welche ekelerregenden
Ausbrüche des Delatvrentums diese Epidemie begleiteten.
Es ist nicht anzunehmen, daß die Deutschen an sich
eine entwickeltere Neigung zu Majestätsbeleidigungen
haben sollten, als andere Völker; und es wäre eine
Majestütsbeleidigung, wolle man behaupten, die deutschen
Landesväter böten stärkeren Anlaß, als ihre aus-
ländischen Vettern, die Majestät in ihnen zu beleidigen.
Dennoch hört inan in England, in Italien, in Belgien
usw. beinahe nie von Majestätsbeleidigung, und bei uns
kommen sie bündelweise zur Verhandlung. Dabei sind
die Bestimmuugen über die Strafbarkeck bei Majestäts-
beleidigungen in den verschiedenen monarchischen Ländern
ziemlich gleich. Man sieht schon hieraus, wie viel gerade
bei diesem Vergehen auf richterliche Auslegung und
auf Gepflogenheiten der öffentlichen Ankläger ankömmt.
Bei uns hat man (von boshaften Rohheiten, die kein
anständiger Mensch entschuldigt, abgesehen) vornehmlich
zwei Abteilungen der Majestätsbeleidigung zu unter-
scheiden. Die eine bestehl aus leichtfertigen Redensarten,
die meist recht harmlosen Leuten in der Hitze des Ge-
sprächs entschlüpft sind; die andere aus Redewendungen,
die eine Kritik an Handlungen oder Eigenschaften des
Monarchen üben, aber in der Fassung nicht vorsichtig
genug gewählt find. Politisch bedeutsamer sind die
Majestätsbeleidigungen der zweiten Klasse. Hier handelt
es sich um eine Grenzlinie der freien öffentlichen Be-
sprechung". Wir schließen an eine Stelle des Ange-
führten eine doppelte Bemerkung. „Kein anständiger
Mensch entschuldigt boshafte Roheiten", meint das Blatt
Folglich müssen sie bestraft werden. Es handelt sich
hier nicht bloß um den Kaiser; das Volk in allen
seinen Schichten kann es rächt dulden, daß sein Kaiser be-
schimpft werde. Hier dürfen gewisse Grenzen nicht

überschritten werden, wie auch der einzelne sich gewisse
Sachen nicht gefallen lassen darf. Die andere Bemerkung
ist diese: Es giebt eine Majestät nicht bloß für den
Kaiser, sondern für alles einem Volke Heilige: Religion
Wie viel aber erlauben sich gewisse Blätter unserer
deutschen Eigenart und ihren teuersten Gütern gegenüber
in Verhöhnung und Beschmutzung. Auch hier sollte
eine gewisse Grenze nicht überschritten werden dürfen.
— Wrofefior Günther jener freisinnige bayerische
Landtagsabg., welcher durch sein thörichtes Geschwätz
sich bereits innerhalb der liberalen Partei unmöglich
gemacht hat, hat das Bedürfnis gefühlt, sich in recht
flegelhafter Weise auch an den Antisemiten zu reiben.
Nach einem Berichte in Nr. 302 der „Franks. Ztg."
hat Günther am 29. v. Ms. in Frankfurt einen Vor-
trag gehalten und dort u. A. gesagt: „Das Agrarier-
tum hat für seine Zwecke auch die antisemitische Volks-
seuche disziplinirt und einen Keim der Zersplitterung
in unsere Nation (meint Herr Günther damit die
deutsche oder die jüdische Nation?) getragen. Es ist so-
weit gekommen, daß selbst im liberalen Bürgertum
schon Elemente auftauchen, die einen berechtigten Kern
in der Schurkerei (!) des Antisemitismus anerkennen
und sich zum Mitschuldigen Ahlwardts machen. Wie
trübe stimmt uns dieser Abstand von dem großen Auf-
schwung des Jahres 1870". Uns stimmt auch etwas
trübe, (meint hierzu treffend unser wackeres Münchener
Schwesterorgan) und das ist der Umstand, daß man
verrückte Professoren und Phrasendrescher, welche als
Judenknechte schon so weit gesunken sind, ihre Volks-
genossen, welche die Judengefahr erkennen und fie des-
halb pflichtgemäß bekämpfen, der Schurkerei zu bezich-
tigen, frei Herumlaufen läßt, statt sie wenigstens in häus-
liche Pflege und Aufsicht zu geben.
— Gtwas für deutsche Irauen, welche so
gerne das „bissige Iudenffeisch" kaufen. Der
Fleischbesudelungsprozeß, der sich im Mai v. I. in
Cleve abspielte, ist noch immer in aller Munde und
erregt die Gemüter stets aus's neue, sobald nur die
Rede darauf kommt. Es ist dies um so erklärlicher,
als durch eine solche tiesschamlose That unser sittliches
Empfinden derart verletzt worden ist, daß wir kaum
Worte dafür finden können, und uns dadurch der
Gedanke nahe gelegt wird, wie so unendlich groß der
Abstand, die Kluft ist, die uns vom Inden trennt.
Der „Hann. Post" werden zwei Fälle von durchaus
glaubhafter Seile mitgeteilt, die die Vermutung zu
bestätigen scheinen, daß die Verunreinigung von Eß-
waaren, welche Juden an Christen verkaufen, nach
bestimmten Grundsätzen geschieht, daß sie damit ihre
Verachtung gegen die Nichtjuden, mit denen sie „des
Verdienstes" halber verkehren müssen, ausdrücken
wollen. Der eine Fall ist durch einen Nachbar des
Juden an den Tag gebracht. Nachdem dieser das
für Christen bestimmte Fleisch in die Mulde gelegt,
spuckt er ganz herzhaft darauf und spricht dabei sehr-
vernehmlich die Worte: „Das ist für die Gojim!"
Ein anderes Mal kommt ein jüdischer Fleischer zu
einem christlichen mit der Bitte, ihm etwas Fleisch
abzulaffen, weil er damit zu kurz gekommen. Dieser
legt ihm das Gewünschte in die Mulde; nachdem
dies geschehen, macht der Jude mit der Hand eine
Bewegung, als wenn er etwas von seinem Kopfe
nimmt und legt dies auf das Fleisch. Der Christ, der
seinen Augen nicht traut, fragt ganz erschrocken, was
dies zu bedeuten habe? „Nun," "sagt der Jude mit der
unverfrorensten Miene von der Welt, „das machen wir
immer so!" Nach solchen Vorkommnissen gehört ein
eigentümlicher Appetit dazu, Fleisch aus Judenläden
zu genießen.
(I „WHw ihr falzt, ihr werdet Irrden faffsR"
— in der „Volkspartei" nämlich. Ein kleines Stief-
schwesterchen unserer Demokratie in Elsaß-Lothringen,
die reichsländische Volkspartei, bemüht sich krampfhaft,
dort Boden zu fassen unter der Anführung des jüdischen
Rechtsanwalt Blumenthal. Zu solch einer duftenden
Blüte vom „Stamme Nimm" haben es noch nicht
einmal unsere badischen Demokraten gebracht, aber
Juden sind es deshalb doch! Die Herren Kohn.
 
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